Die Schweizer Alpen sind nicht gerade als Bier-Hotspot bekannt – bis jetzt. Während sich Touristen noch über Rösti und Raclette hermachen, ist längst eine stille Revolution im Gange. In abgelegenen Tälern, windigen Bergdörfern und sogar mitten in Zermatt entstehen Biere, die international für Aufmerksamkeit sorgen. Das Geheimnis? Kristallklares Bergwasser, dünne Höhenluft und jede Menge verrückte Ideen von Brauern, die den Mainstream satt haben.
Von der Mikrobrauerei auf 1800 Metern über dem Meeresspiegel bis zum Taproom mit über 20 Sorten vom Fass – die Alpen-Bierszene ist so vielfältig geworden, dass selbst eingefleischte Craft-Beer-Fans überrascht sind. Manche Brauer setzen komplett auf Handarbeit ohne jede Automatisierung, andere experimentieren mit lokalen Zutaten wie Kastanien oder pflanzen ihren eigenen Hopfen in umgebauten Hofgaragen an. Gemeinsam haben alle eins: Sie brauen nicht einfach nur Bier – sie schaffen flüssige Alpenerlebnisse.
Graubünden – Wo sich Tradition und Innovation die Hand reichen
Im größten Kanton der Schweiz brauen mittlerweile gleich mehrere Pioniere ihr ganz eigenes Süppchen – oder besser gesagt: ihr ganz eigenes Bier. Dabei macht jede Brauerei etwas anders, was die Sache besonders spannend macht.
Da wäre zunächst die Beer Bomb in Cama, einem verschlafenen Dörfchen im Misox. Hier werkelt man komplett ohne Automatisierung – alles Handarbeit, wie früher halt. Was dabei herauskommt, ist beeindruckend vielfältig: Von cremigem Weizen über kräftigen Stout bis hin zu klassischem Pilsner deckt die Mikrobrauerei praktisch das ganze Spektrum ab. Besonders interessant ist, wie sich das Tessiner Höhenklima auf den Geschmack auswirkt. Die Biere bekommen dadurch eine ganz eigene Note, die man so nirgendwo anders findet.
Weiter östlich, im mondänen S-chanf im Oberengadin, hat sich 2024 die Engadiner Bier AG einen neuen Standort gesucht. Der Umzug war ein Statement – die Brauer wollten noch näher an die Bergwelt heran. Mit bestem Bergquellwasser und einer Mischung aus traditionellen Rezepten und modernen Methoden entstehen hier Biere, die förmlich nach Alpen schmecken. Die Leidenschaft der Macher spürt man in jedem Schluck.
Richtig luftig wird's bei der Arosabräu GmbH: Auf rund 1800 Metern über Meer, im Tal Schanfigg, entstehen helle und dunkle Biere mit unverwechselbarem alpinen Charakter. Das Brauwasser stammt aus lokalen Quellen, und die Biere bleiben bewusst ungefiltert. Das Ergebnis? IPA und Bock mit einer Klarheit und Frische, die man nur in dieser Höhe hinbekommt.
Ganz anders tickt die Bannwald Brewery in Igis bei Landquart. Hier versteht man sich als "Bündner Craft-Bier-Revolution" – klingt erstmal nach Marketing-Geschwätz, ist aber durchaus berechtigt. Die Spezialisierung auf amerikanische Ales bringt hopfenbetonte Biere hervor, die ordentlich Charakter haben. Oft tragen sie Namen lokaler Wälder und Regionen – eine schöne Art, die Verbindung zur Heimat zu zeigen.
Wallis – Zwischen Gletschern und Rebbergen
Das Wallis war schon immer etwas Besonderes – nicht nur wegen des Weins, sondern neuerdings auch wegen seiner Craft-Beer-Szene. Drei Brauereien haben sich hier etabliert, jede mit ihrem ganz eigenen Ansatz.
In Martigny, der Hauptstadt des Unterwallis, hat WhiteFrontier Brewery sein Zuhause gefunden. Das Motto "Craft your life" klingt zunächst wie typisches Start-up-Gelaber, dahinter steckt aber eine klare Philosophie: Biere für Menschen, die ihre persönlichen Grenzen überschreiten. Im Taproom mit Biergarten kann man aus über 20 Sorten vom Fass wählen – von klassischem IPA über cremigen Stout bis hin zu knackigem Lager. Besonders die saisonalen Spezialitäten sind einen Besuch wert, da sie oft überraschende Zutaten aus der Region enthalten.
Spektakulärer ist nur noch der Standort der Zermatt Matterhorn Brauerei. Ausgerechnet im autofreien Touristenort am Fuße des berühmtesten Bergs der Schweiz wird seit einiger Zeit gebraut. Endlich hat Zermatt auch sein eigenes Bier – was eigentlich längst überfällig war. Das reine Quellwasser aus den Walliser Alpen und die Treue zum deutschen Reinheitsgebot ergeben naturbelassene, ungefilterte Biere von hoher Qualität. Wenn du schon mal in Zermatt bist, lass dir das nicht entgehen.
Etwas versteckter liegt die Brasserie Cinq 4000 in Sierre. Seit 2011 kreiert man hier "atypische Biere mit starkem Charakter" – und das ist nicht nur Werbesprache. In Niouc oberhalb von Sierre entstehen handwerklich IPA, Lager und weitere Spezialitäten, die unter anderem im Restaurant «Le Foyer» ausgeschenkt werden. Die regelmäßigen Brauereiführungen geben einen spannenden Einblick in die kreative Bierherstellung und sind definitiv einen Abstecher wert.
Bern – Emmentaler Bierkultur neu erfunden
Ausgerechnet im Emmental, dieser Hochburg der Tradition, brodelt es gewaltig in Sachen Craft-Beer. Zwei sehr unterschiedliche Brauereien zeigen, wie vielfältig die Szene hier geworden ist.
In Zollbrück hat Mein Emmental AG in einer stilvoll ausgebauten Brauschüür sein Domicil gefunden. Der Bahnhofplatz 2a ist längst zur Anlaufstelle für Bierfreunde geworden. Die verschiedenen Lager und IPAs mit lokalem Charakter sind mittlerweile etablierte Größen in der Schweizer Craft-Beer-Szene. Was die Sache besonders macht: Die Gastwirtschaft dient als echter Treffpunkt, wo sich Gleichgesinnte bei Bierdegustationen und Führungen austauschen können. So stellt man sich authentische Bierkultur vor.
Noch ursprünglicher geht's in Sumiswald zu. Die Hügu Brauerei wird von vier einheimischen Bierenthusiasten geführt – echte Emmentaler eben, die ihr Ding durchziehen. In einer umgebauten Hof-Garage steht ein 100-Liter-Sudhaus, und die Brauer pflanzen sogar ihren eigenen Hopfen an. Der "Ämmitaler Hopfeschuss", ein hopfenbetontes IPA, ist bereits zu einem kleinen Kultbier geworden. Daneben entstehen klassische Stile wie Pale Ale, Märzen und Porter im kleinen, aber feinen Rahmen.
Glarus, Uri und Tessin – Die Exoten der Alpenbierszene
Manche der interessantesten Geschichten schreibt das Leben in den kleineren Kantonen. Hier entstehen oft die originellsten Projekte, weil die Macher weniger Druck haben und ihrer Kreativität freien Lauf lassen können.
In Schwanden im Glarnerland betreibt die Braucheib GmbH eine typische Garage-to-Glory-Story. Der Gründer hatte jahrelang in Küche und Bad zu Hause gebraut – kennt wohl jeder Hobbybrauer – und wagte 2022 den Sprung in die Selbstständigkeit. Das kleine Sudhaus schafft bis zu 600 Liter pro Sud, und die kreativen, handwerklichen Biere haben definitiv Glarner Charakter. Das helle "Hans"-Blondbier ist bereits ein kleiner Geheimtipp geworden.
Noch extremer ist die Lage der Eggbärgler Brauerei in den Urner Alpen. Auf 1600 Metern über Meer, am Weiler Eggberge, entsteht das "Eggbärgler Bier" – und zwar nur dieses eine. Lokaleres geht nicht: Das Quellwasser kommt aus unmittelbarer Nähe, gefiltert oder mit Zusatzstoffen gepanscht wird nicht. Das naturbelassene Bergbier ist hauptsächlich für Besucher und Bewohner der Eggberge gedacht – authentischer geht's wirklich nicht mehr.
Im Tessin schließlich nutzt das Birrificio Valle Maggia in Avegno seit 2019 reines Quellwasser aus dem Vallemaggia-Tal. Das Ciao.Beer-Projekt fängt mit seinen verschiedenen Bieren den typischen Tessiner Alpenflair ein. Besonders spannend ist das holzfassgereifte "Ciao.Castégna" mit einheimischen Kastanien – eine Kreation, die es so nur hier gibt. Das helle "Ciao.Ticino" und das dunkle "Ciao.Magica" runden das Sortiment ab.
Praktische Tipps für deine Biertour
Falls du jetzt Lust auf eine eigene Entdeckungstour bekommen hast, hier ein paar nützliche Hinweise: Die meisten Brauereien bieten Führungen an, oft aber nur nach Voranmeldung. Besonders in der Hochsaison solltest du dich rechtzeitig melden. Viele haben auch eigene Taprooms oder arbeiten mit lokalen Restaurants zusammen – perfekt für eine längere Verkostung.
Die Anfahrt kann je nach Standort durchaus sportlich werden. Die Eggbärgler Brauerei etwa ist nur zu Fuß oder mit dem Mountainbike erreichbar, während andere gut mit dem Auto oder sogar mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sind. Informier dich vorher über die Öffnungszeiten – kleine Brauereien haben oft unregelmäßige Zeiten oder sind nur an bestimmten Wochentagen geöffnet.
Viele der Biere gibt es nur vor Ort oder in ausgewählten Läden der Region. Wenn dir etwas besonders gut schmeckt, solltest du gleich ein paar Flaschen mitnehmen. Die Preise sind meist fair, wenn man bedenkt, dass hier alles in Kleinserien und mit viel Handarbeit entsteht.