Der Lac de Serre-Ponçon ist die Art von Ort, bei dem man seinen Augen nicht traut. Ein gigantischer türkisblauer See, eingebettet zwischen majestätischen Dreitausendern der südlichen Alpen – das wirkt auf den ersten Blick wie eine Fotomontage. Doch die 29 Quadratkilometer Wasserfläche sind echt, genauso wie das überraschend milde Klima, das hier für fast mediterrane Verhältnisse sorgt. Der größte künstliche See Westeuropas entstand zwischen 1955 und 1961 durch die Aufstauung der Durance und des Ubaye-Flusses. Die einst verheerende Hochwassergefahr wurde gebannt, während gleichzeitig neuer Lebensraum für Mensch und Natur geschaffen wurde.
Mit einer Kapazität von 1,2 Milliarden Kubikmetern Wasser und einem Staudamm von beeindruckenden 123 Metern Höhe ist der See nicht nur ein technisches Meisterwerk, sondern hat sich längst zu einem der wichtigsten Freizeit- und Urlaubsreviere der Region Provence-Alpes-Côte d'Azur entwickelt. Die Gemeinden Savines-le-Lac, Chorges, Embrun und Crots bilden dabei die Hauptanlaufpunkte rund um das blaue Wunder. Dabei ist der See so groß, dass sich selbst in der Hochsaison kaum Gedränge einstellt – wer einen ruhigen Platz sucht, findet garantiert eine versteckte Bucht oder eine weniger frequentierte Badestelle.
Charakteristisch fürs Auge ist die intensive Färbung des Wassers. Je nach Licht und Tageszeit changiert sie zwischen Smaragdgrün und Türkisblau – ein Effekt, der durch die mineralischen Einträge aus den umliegenden Bergen entsteht. Den besten Überblick über diese optische Pracht bekommt man vom Belvédère du Sauze aus, einem Aussichtspunkt oberhalb des Sees. Von dort offenbart sich das volle Panorama: die weiten Wasserflächen, die tief eingeschnittenen Buchten und am Horizont die schneebedeckten Gipfel des Écrins-Nationalparks.
Die Geschichte hinter dem Wasserspiegel
Der Lac de Serre-Ponçon mag idyllisch wirken, doch seine Entstehungsgeschichte ist dramatisch. Über Jahrhunderte hinweg litt das Tal unter katastrophalen Überflutungen. Die schlimmste ereignete sich 1843, als die Durance über ihre Ufer trat und hunderte Häuser sowie landwirtschaftliche Flächen zerstörte. Die Idee einer Stauanlage gab es bereits seit dem 19. Jahrhundert, aber erst in den 1950er Jahren war die Technik weit genug fortgeschritten.
Der Preis für den Staudamm war hoch: Mehrere Dörfer mussten dem wachsenden Wasser weichen. Besonders symbolträchtig ist dabei das Schicksal von Savines, dessen Bewohner umsiedeln mussten, während ihre alte Heimat in den Fluten versank. Bei extremem Niedrigwasser, wie zuletzt im trockenen Sommer 2022, tauchen manchmal die Ruinen des alten Dorfes auf – ein gespenstischer Anblick und Mahnmal zugleich.
Heute steht das neue Savines-le-Lac direkt am Seeufer. Eine schmale Landbrücke führt über den See und verbindet die beiden Ufer. Der kleine Ort hat sich komplett auf den Tourismus eingestellt, ohne dabei seinen authentischen französischen Alpencharakter zu verlieren. Sichtbar wird hier das Spannungsfeld zwischen alt und neu, zwischen Tradition und der modernen Nutzung eines künstlich erschaffenen Naturraums.
Das vielleicht markanteste Symbol des Sees ragt mitten aus dem Wasser: Die Kapelle Saint-Michel thront auf einer kleinen Insel, die vor der Flutung eigentlich ein Hügel war. Die weiß getünchte Kirche mit ihrem spitzen Turm wurde vor der Überflutung abgetragen und auf der höchsten Stelle des Hügels neu errichtet. In der Abendsonne, wenn die Kapelle golden leuchtet und sich im Wasser spiegelt, versteht man sofort, warum sie zum Wahrzeichen des Sees wurde. Man könnte fast vergessen, dass unter ihren Fundamenten noch immer der Geist eines verschwundenen Tals schlummert.
Strand und Berge – ein ungewöhnliches Paar
Wer an die französischen Alpen denkt, hat normalerweise eher Skipisten und Bergwanderungen vor Augen. Doch am Lac de Serre-Ponçon dreht sich im Sommer alles ums Baden. Hier geht es tatsächlich zu wie am Meer – nur eben mit Bergkulisse statt Horizont. Das milde Klima mit rund 300 Sonnentagen im Jahr verdankt die Region ihrer geschützten Lage und den mediterranen Luftströmungen, die vom nicht allzu fernen Mittelmeer herüberwehen.
Die Hauptsaison erstreckt sich von Juni bis September, wobei besonders im Juli und August mit Wassertemperaturen von bis zu 24 Grad gerechnet werden kann. Das angenehme Nass lockt dann Familien mit Kindern ebenso an wie Wassersportler aller Couleur. Die bekanntesten Strände finden sich in Savines-le-Lac, an der Baie Saint-Michel und am Plage de Chanteloube. Feiner Kies oder grobes Sand unter den Füßen, im Hintergrund das charakteristische Zirpen der Zikaden und vor einem der tiefblaue See – das haut einen um, wenn man es zum ersten Mal erlebt.
Der Plage de la Baie Saint-Michel gilt vielen als der schönste Strand des Sees. Hier sorgt eine langgezogene Bucht für windgeschützte Bedingungen, während die Kapelle Saint-Michel in Sichtweite liegt. Der familiäre Strand bietet flach abfallendes Wasser – ideal für Kinder. Auf dem benachbarten Camping kann man sein Zelt praktisch direkt am Strand aufschlagen. Überhaupt sind Campingplätze rund um den See keine Seltenheit. Manche existieren bereits seit den 1960er Jahren und haben sich von einfachen Zeltwiesen zu komfortablen Ferienanlagen mit Mobilheimen, Restaurants und Animationsprogramm entwickelt.
Der Plage de Chanteloube bei Chorges punktet mit seiner großen Liegefläche und der Nähe zum Ort. Hier stehen schattenspendende Bäume direkt am Ufer, was gerade an heißen Sommertagen Gold wert ist. Dieser Strand ist bei den Einheimischen besonders beliebt – frühes Erscheinen lohnt sich, wenn man einen der begehrten Plätze ergattern will.
In Embrun wiederum lockt der Plan d'Eau, ein separates Freizeitareal mit Strandbad, Spielplätzen und Picknickzonen. Von hier hat man einen spektakulären Blick auf den "Morgon", einen markanten Berg, dessen Silhouette an einen schlafenden Mann erinnert – zumindest mit etwas Fantasie und bei günstiger Beleuchtung.
Aktivitäten zu Wasser und zu Land
Der Lac de Serre-Ponçon ist ein Tummelplatz für Wassersportler. Der See gilt als eines der besten Segelreviere Frankreichs, da hier fast täglich verlässliche thermische Winde wehen. Diese entstehen durch die Temperaturunterschiede zwischen den kühlen Bergen und dem wärmeren Wasser – ein Phänomen, das insbesondere Segler und Windsurfer zu schätzen wissen. In Embrun und Savines-le-Lac haben sich große Yachthäfen etabliert, die Segelboote, Katamarane und Jollen vermieten. Wer das Segeln erst noch lernen möchte, kann in einer der zahlreichen Segelschulen Kurse buchen.
Für Windsurfer sind besonders die Nachmittagsstunden ein Traum, wenn der Wind typischerweise auffrischt. Stand-Up-Paddling hat sich in den letzten Jahren als beliebteste Alternative für Tage mit weniger Wind entwickelt – die ruhigen Morgenstunden eignen sich perfekt, um auf dem Brett stehend die Buchten zu erkunden. Besonders magisch: ein Sonnenaufgang über dem See, wenn das Wasser noch spiegelglatt ist und die ersten Sonnenstrahlen die Berggipfel in goldenes Licht tauchen.
Kanufahrer und Kajakfahrer finden im Lac de Serre-Ponçon ebenfalls ideale Bedingungen vor. Mehrtägige Touren sind möglich, wobei man an verschiedenen Stränden übernachten kann. Ein besonderes Erlebnis ist die Umrundung der Chapelle Saint-Michel per Kajak. Aus dieser Perspektive wirkt das kleine Gotteshaus noch imposanter als vom Ufer aus gesehen.
Motorbootfahrer müssen bestimmte Zonen beachten, da nicht überall Verbrennungsmotoren erlaubt sind. In den freigegebenen Bereichen kann man jedoch Wasserski oder Wakeboard fahren oder einfach nur über den See cruisen. Für Adrenalinjunkies bieten verschiedene Anbieter Parasailing an – das Schweben am Fallschirm über dem See eröffnet eine völlig neue Perspektive auf die Landschaft.
Doch der Lac de Serre-Ponçon ist mehr als nur ein Wassersportparadies. Die Region bietet auch zahlreiche Möglichkeiten für Landratten. Ein dichtes Netz an Wanderwegen durchzieht die Berge rund um den See. Die Routen sind in verschiedene Schwierigkeitsgrade eingeteilt, sodass vom gemütlichen Spaziergang bis zur anspruchsvollen Bergtour alles möglich ist. Besonders reizvoll ist der Wanderweg entlang des Südufers zwischen Crots und Embrun. Hier wechseln sich schattige Waldpassagen mit offenen Abschnitten ab, die immer wieder neue Ausblicke auf den See bieten.
Mountainbiker kommen auf den ausgeschilderten VTT-Strecken (Vélo Tout Terrain) auf ihre Kosten. Besonders die Trails oberhalb von Savines-le-Lac haben es in sich – steile Anstiege werden mit rasanten Abfahrten und grandioser Aussicht belohnt. In Embrun startet zudem der "Route des Grandes Alpes", eine legendäre Alpenpassstrecke, die sich bei Rennradfahrern größter Beliebtheit erfreut. Nicht umsonst führt der Ironman France regelmäßig durch diese Region.
Unterkünfte für jeden Geschmack
Die Unterkünfte rund um den Lac de Serre-Ponçon decken die gesamte Bandbreite ab – vom einfachen Zeltplatz bis zum komfortablen Ferienhaus ist für jeden Geschmack und Geldbeutel etwas dabei. Campingplätze wie der "Camping La Baie Saint-Michel" oder der "Camping Les Eaux Douces" in Savines-le-Lac erfreuen sich großer Beliebtheit. Sie bieten direkte Seelage und oft einen eigenen Strandzugang. Die meisten Campingplätze verfügen mittlerweile über moderne Sanitäranlagen, Restaurants und kleine Lebensmittelläden.
Eine Stufe höher rangieren die zahlreichen Ferienwohnungen und -häuser. Besonders gefragt sind die "Chalets au bord du lac" – Holzhäuser mit Seeblick. In Chorges und Crots wurden in den letzten Jahren mehrere Feriendörfer errichtet, die einen guten Kompromiss aus Privatsphäre und Infrastruktur bieten. Die meisten verfügen über einen Pool – wobei der eigentliche Star, der See, ja direkt vor der Tür liegt.
Hotels findet man hauptsächlich in den größeren Orten wie Embrun und Gap. Das Angebot reicht vom einfachen Familienhotel bis zum komfortablen 4-Sterne-Haus. Besonders charmant sind die kleinen Chambres d'hôtes (Gästezimmer) in umgebauten Bauernhäusern, wo man direkten Kontakt zu den Einheimischen bekommt und oft mit regionalen Frühstücksspezialitäten verwöhnt wird.
Eine besondere Form der Unterkunft bilden die schwimmenden Häuser im Hafen von Savines-le-Lac. Diese "Maisons flottantes" bieten ein außergewöhnliches Übernachtungserlebnis mit direktem Wasserzugang. Das sanfte Schaukeln auf dem Wasser und der unmittelbare Kontakt zum Element sind eine Erfahrung, die so schnell nicht verblasst. Allerdings sollte man hier früh buchen – die wenigen Exemplare sind meist lange im Voraus ausgebucht.
Die günstigsten Preise findet man in der Vorsaison (Mai/Juni) und der Nachsaison (September). In den Sommerferien steigen die Preise deutlich an – da hilft nur frühzeitiges Buchen oder das Ausweichen auf weniger bekannte Buchten und Ortschaften.
Praktische Tipps für den Besuch
Die Anreise zum Lac de Serre-Ponçon erfolgt am besten mit dem eigenen Auto, da die öffentlichen Verkehrsverbindungen in der Region eher spärlich sind. Von Deutschland aus nimmt man die Route über die Schweiz und den Mont-Blanc-Tunnel oder über Italien und den Col de Larche. Die nächsten größeren Flughäfen befinden sich in Marseille (ca. 2,5 Stunden) und Lyon (ca. 3 Stunden).
Die beste Reisezeit liegt zwischen Juni und September, wobei der Juli und August die höchsten Temperaturen, aber auch die meisten Besucher bringen. Im Juni und September hat man den See oft fast für sich allein – bei immer noch angenehmen Wassertemperaturen. Ganz Hartgesottene können sogar im Oktober noch baden, wenn die Bergspitzen bereits den ersten Schnee tragen – ein einzigartiger Kontrast.
Für Ausflüge in die Umgebung bietet sich der Écrins-Nationalpark an, dessen südliche Ausläufer bis an den See heranreichen. Hier finden Naturliebhaber alpine Flora und Fauna in unberührter Landschaft. Mit etwas Glück kann man Steinböcke, Murmeltiere oder sogar Adler beobachten. Das mittelalterliche Städtchen Embrun mit seiner imposanten Kathedrale Notre-Dame du Réal lohnt ebenfalls einen Besuch. Die engen Gassen und der lebhafte Wochenmarkt vermitteln einen authentischen Eindruck vom Leben in den französischen Alpen.
Ein weiteres Highlight ist die Route des Crêtes, eine spektakuläre Panoramastraße, die sich hoch über dem See entlangschlängelt und immer wieder atemberaubende Aussichtspunkte bietet. Für diese Strecke sollte man einen Tag einplanen, um die zahlreichen Fotostopps und kurzen Wanderungen zu den Aussichtspunkten genießen zu können.
Wer sich für die technische Seite des Staudamms interessiert, kann an einer Führung durch das Innere der Anlage teilnehmen. Dabei erfährt man nicht nur Wissenswertes über die Energiegewinnung, sondern erhält auch Einblicke in die Geschichte des Tals. Die Führungen finden regelmäßig statt, eine Voranmeldung ist jedoch erforderlich.
Ein letzter Tipp: Nehmen Sie unbedingt ein gutes Fernglas mit. Die klare Bergluft erlaubt fantastische Fernblicke, und mit etwas Glück können Sie Gämsen oder Adler beobachten, die in den umliegenden Bergen heimisch sind. Außerdem empfiehlt sich trotz des oft milden Klimas immer eine Windjacke – besonders auf dem Wasser kann es durch die thermischen Winde auch an warmen Tagen plötzlich recht frisch werden.