Wer durch die französischen Alpen fährt, begegnet ihnen überall: den typischen Steingebäuden mit ihren flachen, schweren Dächern. Fernab vom Trubel der Skiorte stehen diese Almhütten, die "fruitières" oder "chalets d'alpage", wie kleine Festungen der Tradition in der Landschaft. Fast könnte man meinen, sie seien seit Jahrhunderten unverändert. Tatsächlich ist in ihrem Inneren das Handwerk der Käseherstellung seit Generationen zu Hause – und bis heute lebendig.
Die Berge Savoyens und der Haute-Savoie bilden das Herzstück der französischen Käsekultur. Hier, wo die Kühe im Sommer auf über 2.000 Meter Höhe grasen und die Luft nach Wildkräutern und Blumen duftet, entsteht eine Milch von außergewöhnlicher Qualität. Die geographischen Bedingungen – steile Hänge, kurze Sommer und lange Winter – haben die Bewohner dazu gebracht, Käse als Methode zur Konservierung der wertvollen Sommermilch zu perfektionieren.
Die Käsetradition ist tief verwurzelt mit dem Rhythmus der Jahreszeiten. Wenn im Frühjahr die ersten Gräser sprießen, beginnt die Zeit des "montée en alpage", des Almauftriebs. Die Kühe wandern auf die höheren Weiden, begleitet von ihren Hirten. Oben produzieren die Senner dann den Käse in den traditionellen Sennereien – oft unter einfachsten Bedingungen, aber mit einem Wissen, das über Jahrhunderte weitergegeben wurde.
Kaum ein anderer Landstrich kann mit einer solchen Vielfalt an AOC/AOP-geschützten Käsesorten aufwarten. Von cremig-würzig bis kristallin-körnig ist hier die gesamte Palette vertreten. Viele dieser Käse waren ursprünglich nichts anderes als die Lebensgrundlage der Bergbauern – heute zählen sie zu den begehrtesten Delikatessen der französischen Küche.
Reblochon – Der heimliche Star aus der Haute-Savoie
Der Name klingt fast nach einem versteckten Geheimnis – und tatsächlich hat der Reblochon eine Geschichte, die vom Widerstand gegen die Obrigkeit erzählt. "Re-blocher" bedeutet im lokalen Dialekt "ein zweites Mal melken". Im 13. Jahrhundert mussten die Bauern Abgaben basierend auf der produzierten Milchmenge zahlen. Schlau wie sie waren, melkten sie vor der Kontrolle durch den Steuereintreiber nicht vollständig. Die zurückgehaltene, besonders fetthaltige Nachmilch nutzten sie dann für einen kleinen, aber feinen Käse – den Reblochon.
Heute ist der Reblochon de Savoie ein AOC-geschützter Käse, der ausschließlich in bestimmten Gebieten der Haute-Savoie hergestellt werden darf, vorwiegend rund um das Thônes-Tal und den Aravis-Gebirgszug. Die Kühe, meist der Rassen Abondance, Tarentaise und Montbéliarde, grasen zwischen Mai und Oktober auf mindestens 1.500 Metern Höhe.
Die Herstellung ist ein Kunstwerk für sich: Die frische, unerhitzte Milch wird mit Lab versetzt und der entstehende Bruch vorsichtig in Formen gefüllt. Nach dem Pressen reift der Käse etwa zwei Wochen in feuchten Kellern, wobei er regelmäßig gewendet und mit Salzwasser abgerieben wird. Es bildet sich eine charakteristische orangerote Rinde mit weißem Edelschimmel – ein Markenzeichen dieses weichen Rohmilchkäses.
Geschmacklich ist der Reblochon eine Offenbarung. Die cremig-weiche Textur umschmeichelt den Gaumen, während sein Aroma nach frischer Butter, Nüssen und einem Hauch von Heu den Geschmack der Alpenweiden widerspiegelt. Mit zunehmender Reife entwickelt er würzigere Noten, die an den Stall erinnern können – für Kenner ein Zeichen seiner Qualität und Authentizität.
Kulinarisch hat der Reblochon seinen großen Auftritt in der legendären "Tartiflette", einem herzhaften Kartoffelgratin mit Speck, Zwiebeln und einem halbierten Reblochon, der obenauf schmilzt und den Eintopf mit seinem Aroma durchdringt. An kalten Winterabenden nach einem Tag auf der Piste gibt es kaum etwas Tröstlicheres. Ein ungeschriebenes Gesetz besagt übrigens, dass eine echte Tartiflette nur mit einem Reblochon fermier, dem Bauerntypus mit grünem Kaseinsiegel, zubereitet werden sollte. Der industriellere Reblochon laitier mit rotem Siegel schmeckt zwar auch gut, erreicht aber selten die komplexe Aromatik seines bäuerlichen Vetters.
Beaufort – Der König der Alpenkäse
Wenn vom "Gruyère des Alpes" die Rede ist, dann ist meist Beaufort gemeint. Majestätisch thront er unter den Hartkäsesorten, mit einem Laibgewicht von bis zu 70 Kilo ein wahres Schwergewicht. Die Herstellung findet im Beaufortintal, im Tarentaise-Gebiet und in Teilen des Maurienne-Tals statt – allesamt Regionen im Departement Savoie.
Die Geschichte dieses Käses reicht weit zurück. Schon im Mittelalter war ein Vorläufer des heutigen Beauforts bekannt, der "vachelin" oder "grovire". Die moderne Form entstand im 17. Jahrhundert und hat seither kontinuierlich an Renommee gewonnen. Seit 1968 trägt er die AOC-Bezeichnung, was seine regionale Bedeutung unterstreicht.
Die Kühe, die die Milch für den Beaufort liefern, sind meist von der Rasse Tarentaise (auch Tarine genannt) oder Abondance. Die Tarentaise-Kühe sind besonders gut an das Hochgebirge angepasst – klein, widerstandsfähig und mit der Fähigkeit, selbst an steilen Hängen zu grasen. Ihre Milch hat einen besonders hohen Fettanteil und ein ausgeprägtes Aroma, was sich direkt auf den Käsegeschmack auswirkt.
Das Spannende an der Beaufort-Produktion ist die starke saisonale Prägung. Je nach Herstellungszeit unterscheidet man drei Varianten: Den "Beaufort d'été" (Sommer-Beaufort), der von Juni bis Oktober aus der Milch von Kühen hergestellt wird, die auf Hochweiden über 1.500 Metern grasen. Die Sommermilch ist besonders aromatisch durch die vielfältigen Alpenkräuter. Der "Beaufort d'hiver" (Winter-Beaufort) wird zwischen November und Mai in den Tälern produziert, wenn die Tiere mit Heu gefüttert werden. Der dritte im Bunde, der "Beaufort Chalet d'Alpage", ist der seltenste und begehrteste. Er wird ausschließlich unmittelbar nach dem Melken in den Almhütten über 1.500 Metern Höhe hergestellt, und zwar nur aus der Milch einer einzigen Herde.
Die Herstellung ist ein kraftraubender Prozess: Nach dem Dicklegen der Milch wird der Bruch in große runde Formen gefüllt, die dem Käse seine charakteristische konkave Seite verleihen – eine sonderbare Form, die das Tragen der schweren Laibe mit Seilen auf dem Rücken erleichtern sollte. Der Käse wird dann für mindestens 5 Monate, oft aber länger, in kühlen Kellern gereift.
Köster des Beauforts schwärmen von seiner komplexen Aromatik: fruchtig, leicht süßlich mit Noten von Honig und Bergblumen, dabei aber nie aufdringlich. Die Konsistenz ist fest, doch geschmeidig, mit kleinen Löchern durchsetzt. Jung schmeckt er mild und buttrig, mit zunehmender Reife entwickelt er eine würzige Tiefe und einen leicht nussigen Nachgeschmack. Fachleute entdecken im Beaufort d'été oft florale und fruchtigere Noten, während der Beaufort d'hiver eher durch Heu- und Erdnusstöne charakterisiert wird.
In der Küche ist Beaufort ein Alleskönner. Die Einheimischen reiben ihn über Polenta, schmelzen ihn in der berühmten Käsesuppe oder genießen ihn schlicht mit einem Stück kräftigem Brot und einem Glas Weißwein aus der Region, etwa einem Apremont oder Chignin.
Tomme de Savoie – Der Alltagskäse mit Charakter
Während Reblochon und Beaufort oft als Spezialitäten für besondere Anlässe dienen, ist die Tomme de Savoie der Käse des Alltags. Ursprünglich entstanden aus der Magermilch, die nach der Butterherstellung übrig blieb, hat sich dieser unprätentiöse Käse zu einem Favoriten unter Kennern entwickelt.
Der Name "Tomme" leitet sich vermutlich vom lokalen Dialektwort für ein "Stück" oder einen "kleinen Käselaib" ab. Er wird in der gesamten Savoie-Region produziert und trägt seit 1996 das IGP-Siegel (Indication Géographique Protégée).
Charakteristisch für die Tomme de Savoie ist ihre dicke, grau-braune Rinde, die mit einem weißen bis gelblichen Schimmelüberzug bedeckt sein kann. Der Teig im Inneren ist elfenbeinfarben bis blassgelb, mit kleinen unregelmäßigen Löchern durchsetzt. Im Gegensatz zu vielen anderen Käsesorten ist die Tomme eher flach, mit einem Durchmesser von etwa 18-20 cm und einer Höhe von nur 5-8 cm. Ein ganzer Laib wiegt zwischen 1,2 und 2 kg – bescheiden im Vergleich zum massigen Beaufort.
Die Herstellung folgt einem einfachen, aber effektiven Verfahren: Die Milch wird leicht erwärmt, dann mit Lab zum Gerinnen gebracht. Der entstandene Bruch wird geschnitten, um die Molke abzutrennen, und anschließend in Formen gefüllt. Nach dem Pressen und Salzen reift der Käse für 30 bis 90 Tage in kühlen, feuchten Kellern.
Die Farbe der Banderole um den Käse verrät viel über seinen Charakter: Eine grüne Banderole signalisiert, dass der Käse aus Rohmilch hergestellt wurde, eine rote steht für pasteurisierte Milch, und blau kennzeichnet eine Tomme aus teilentrahmter Milch. Wer's authentisch mag, greift zur grünen Variante – hier entfaltet sich das breiteste Aromaspektrum.
Geschmacklich überrascht die Tomme de Savoie mit einer bemerkenswerten Vielseitigkeit. Je nach Reifegrad und Herstellungsort kann sie von mild-säuerlich bis kräftig-erdig schmecken. Junge Exemplare erinnern an frische Butter und Pilze, während gereifte Stücke erdige, manchmal sogar leicht animalische Noten entwickeln. Die Konsistenz ist halbfest, geschmeidig und elastisch – nicht so cremig wie ein Reblochon, aber auch nicht so hart wie ein Beaufort.
In der savoyardischen Küche ist die Tomme ein treuer Begleiter. Sie verfeinert Salate, schmilzt herrlich auf geröstetem Brot und harmoniert perfekt mit den lokalen Charcuterie-Spezialitäten und den knackigen Äpfeln der Region. Ein Klassiker ist auch die "Pela", ein rustikales Gericht aus Kartoffeln, Zwiebeln und geschmolzener Tomme. Dazu ein Glas Rotwein aus Savoyen, etwa ein leichter Mondeuse, und schon sitzt man mitten im kulinarischen Herzen der Alpen.
Abondance – Der aromatische Halbhartkäse mit Geschichte
Im Schatten des bekannteren Beauforts reift eine weitere Kostbarkeit der savoyardischen Käselandschaft: der Abondance. Benannt nach dem gleichnamigen Tal und der dort heimischen Kuhrasse, blickt dieser Käse auf eine Tradition zurück, die bis ins 12. Jahrhundert reichen soll. Mönche aus der Abtei von Abondance begannen damals mit der Käseherstellung, um die überschüssige Milch der Sommerweide haltbar zu machen.
Seit 1990 trägt der Abondance die AOC-Auszeichnung, die strenge Produktionsauflagen mit sich bringt. Er darf nur in bestimmten Gebieten der Haute-Savoie hergestellt werden, hauptsächlich im Abondance-Tal, aber auch im Gebiet um den Genfer See und in Teilen des Giffre-Tals.
Die Abondance-Kühe, von denen der Käse seinen Namen bekommen hat, sind robuste Tiere mit rotbraunem Fell und charakteristischen weißen Abzeichen am Kopf. Sie sind bestens an das raue Bergklima angepasst und können selbst steile Hänge mühelos beweiden. Ihre Milch ist besonders reichhaltig und aromatisch – ideal für die Käseproduktion.
Was den Abondance so besonders macht, ist sein komplexes Herstellungsverfahren. Die frische Rohmilch wird leicht erwärmt und mit Lab versetzt. Nach dem Schneiden wird der Bruch auf etwa 35°C erhitzt – eine Temperatur, die niedrig genug ist, um die natürlichen Enzyme und Bakterien der Rohmilch zu erhalten, aber hoch genug, um unerwünschte Mikroorganismen zu kontrollieren. Nach dem Pressen wird der junge Käse in eine Leinentuch gewickelt und mit Salzlake eingerieben.
Die Reifung dauert mindestens 100 Tage, meist aber länger. In dieser Zeit entwickelt der Käse seine typische, leicht konkave Form mit einem Durchmesser von etwa 40 cm und einem Gewicht zwischen 7 und 12 kg. Die Rinde wird während der Reifung regelmäßig mit Salzwasser abgerieben, wodurch sie ihre charakteristische bernsteinfarbene bis orangebraune Färbung erhält.
Im Anschnitt zeigt der Abondance einen elfenbeinfarbenen bis blassgelben Teig mit kleinen, unregelmäßig verteilten Löchern. Besonders auffällig ist der etwa ein Zentimeter breite, leicht durchscheinende Rand direkt unter der Rinde – ein Zeichen für die traditionelle Herstellungsmethode.
Der Geschmack ist ein wahres Feuerwerk: fruchtig und nussig, mit einer angenehmen Säure und Noten von Bergkräutern. Mit zunehmender Reife entwickelt der Käse würzigere, manchmal leicht scharfe Aromen, die an Haselnüsse und Bergblumen erinnern. Die Textur ist halbfest, elastisch und schmilzt wunderbar im Mund.
In der regionalen Küche findet man den Abondance häufig in der "Berthoud", einem traditionellen Gericht, bei dem der Käse in kleinen Tonschälchen mit Knoblauch und Weißwein überbacken wird. Serviert mit Ofenkartoffeln und eingelegten Gurken ist dies ein Festschmaus nach einem langen Wandertag. Auch in der "Raclette Savoyarde", der lokalen Variante des bekannten Schweizer Gerichts, macht der Abondance eine ausgezeichnete Figur.
Praktische Tipps für Käseliebhaber
Wer die französischen Alpenkäse in ihrer Heimat erkunden möchte, sollte einige praktische Hinweise beachten. Die beste Reisezeit für einen Besuch der Almkäsereien ist von Mitte Juni bis Mitte September. In dieser Zeit sind die meisten "chalets d'alpage" in Betrieb und für Besucher zugänglich. Viele Sennereien bieten Führungen an, bei denen du den kompletten Herstellungsprozess verfolgen kannst – vom Melken der Kühe bis zum Formen der Käselaibe.
Ein besonderes Erlebnis sind die zahlreichen Käsemärkte, die in den Sommermonate in den Bergdörfern stattfinden. Beliebte Märkte gibt es in Thônes und La Clusaz (für Reblochon), in Beaufort (für, na klar, Beaufort) und in Abondance. Hier kannst du nicht nur die verschiedenen Käsesorten probieren und direkt vom Erzeuger kaufen, sondern auch die lokale Kultur erleben, mit traditioneller Musik und Tanz.
Für Wanderfreunde gibt es in vielen Regionen thematische Käserouten. Der "Circuit des Alpages" im Beaufortintal etwa führt an mehreren Almkäsereien vorbei, in denen du zwischendurch pausieren und stärken kannst. Im Abondance-Tal gibt es einen gut markierten "Sentier du Fromage", der nicht nur zu aktiven Sennereien führt, sondern auch die Geschichte der Käseherstellung anhand historischer Gebäude erklärt.
Wenn du Käse mit nach Hause nehmen möchtest, gibt es einiges zu beachten. Am besten kaufst du ihn gegen Ende deines Aufenthalts, damit er möglichst frisch bleibt. Die meisten Käsereien bieten spezielle Vakuumverpackungen an, die den Käse für den Transport schützen. Für längere Reisen empfiehlt sich eine Kühltasche. Daheim angekommen, solltest du den Käse aus der Vakuumverpackung nehmen und in Käsepapier oder Wachspapier einwickeln. So kann er "atmen" und behält sein Aroma. Am besten lagerst du ihn dann im Gemüsefach des Kühlschranks.
Was die Zubereitung betrifft: Französische Alpenkäse sollten grundsätzlich bei Zimmertemperatur serviert werden. Nimm sie mindestens eine Stunde vor dem Verzehr aus dem Kühlschrank, damit sich das volle Aroma entfalten kann. Für ein typisch savoyardisches Käsebrett kombinierst du am besten verschiedene Sorten – etwa einen cremigen Reblochon, einen würzigen Abondance und eine milde Tomme – und reichst dazu dunkles Brot, ein paar Walnüsse und etwas Honig oder Aprikosenkonfitüre. Schwitzt der Käse schon leicht, ist's genau richtig. Dazu passt ein trockener Weißwein aus Savoyen, etwa ein Roussette oder ein Apremont.
Ein Tipp für Puristen: In Frankreich gibt es eine lebhafte Debatte darüber, ob die Rinde mitgegessen werden sollte oder nicht. Bei Reblochon und Tomme de Savoie ist die Rinde durchaus essbar und gilt unter Kennern sogar als besonders aromatisch. Bei einem lang gereiften Beaufort hingegen wird die Rinde meist entfernt, da sie sehr hart werden kann. Letztlich bleibt es aber eine Frage des persönlichen Geschmacks.