Die Schweiz hat mehr zu bieten als nur atemberaubende Berggipfel und kristallklare Seen. Tief in der Alpenrepublik verwurzelt liegt eine jahrhundertealte Tradition der Lebensmittelherstellung, die heute in Form sogenannter kulinarischer Themenwege erlebbar wird. Diese Routen führen durch einige der malerischsten Landschaften Europas und laden gleichzeitig ein, regionale Spezialitäten dort kennenzulernen, wo sie entstehen – direkt an der Quelle.
Das Konzept ist so einfach wie genial: Man nehme gut ausgeschilderte Wanderwege, verbinde sie mit Produktionsstätten, Degustation und kulturellen Einblicken in die lokalen Traditionen. Heraus kommt ein ganzheitliches Erlebnis, das alle Sinne anspricht. Der Duft frisch gemähter Alpwiesen vermischt sich mit dem Aroma von reifendem Käse, während das Auge über weite Täler schweift und die Zunge einen vollmundigen Tropfen aus lokalen Reben kostet.
Besonders im Sommerhalbjahr haben die meisten dieser Themenwege Hochsaison. Da werden Sennen zu Fremdenführern, Winzer zu leidenschaftlichen Erzählern und unscheinbare Berghänge zu lebendigen Freilichtmuseen der kulinarischen Kultur. Wer die Schweiz wirklich kennenlernen will, sollte sie erschmecken – ein Happen nach dem anderen, einen Schritt nach dem nächsten.
Auf den Spuren des Gruyère: Die Route du Fromage
Ein besonderes Juwel unter den kulinarischen Themenwegen ist die "Route du Fromage" im Kanton Freiburg. Ihr Ausgangspunkt, die Maison du Gruyère in Pringy, liegt praktischerweise direkt am Bahnhof und ist somit auch für Reisende ohne Auto bequem erreichbar. Der rote Faden dieser Route ist selbstverständlich er – der Gruyère AOP, jener milde bis würzige Hartkäse, der weltweit Bekanntheit erlangt hat.
Die zweistündige Wanderung führt von der modernen Schaukäserei in Pringy über saftige Alpweiden, vorbei an traditionellen Alphütten bis nach Moléson-Village. Unterwegs begegnet man nicht selten den schwarz-weißen Kühen, deren Milch die Grundlage für den berühmten Käse bildet. Mit etwas Glück kann man auch einem "armailli" (Alphirten) über die Schulter schauen, der nach alter Väter Sitte arbeitet.
In der Maison du Gruyère wird der Produktionsprozess anschaulich erklärt. Faszinierend dabei: Trotz moderner Technologie hat sich am grundlegenden Herstellungsverfahren seit Jahrhunderten wenig geändert. Vier Mal täglich kann man hier zusehen, wie die frische Milch in großen Kupferkesseln erhitzt wird – ein Schauspiel, das durch die begleitenden Gerüche zu einem unvergesslichen Sinneserlebnis wird. Die große Schaufensterscheibe zur Produktionshalle gewährt Einblicke in das präzise Handwerk der Käser, die mit geübten Bewegungen die Käsemasse bearbeiten.
Nach der informativen Einführung in Pringy geht es hinauf nach Moléson-Village, wo traditioneller Alpkäse hergestellt wird. Der Höhenunterschied lässt einen die frische Bergluft schnuppern und schärft den Appetit auf die bevorstehende Verkostung. In der Käserei des Bergdorfs wird zum krönenden Abschluss ein Diplom überreicht – eine nette Geste, die diese kulinarische Bildungsreise abrundet. Die Route kann übrigens auch in umgekehrter Richtung bewandert werden, was den Vorteil hat, dass man am Ende der Tour direkt in das mittelalterliche Städtchen Gruyères weiterspazieren kann, dessen imposantes Schloss schon von weitem grüßt.
Weitere Informationen: www.lamaisondugruyere.ch
Durchs Weinland Wallis: Der Chemin du Vignoble
Während im Greyerzerland der Käse im Mittelpunkt steht, dreht sich im Kanton Wallis alles um die Rebe. Der Walliser Weinweg, auf Französisch "Chemin du Vignoble" genannt, zieht sich über beachtliche 65 Kilometer von Martigny bis Leuk durch eine der sonnenverwöhntesten Regionen der Schweiz. Das Rhonetal, flankiert von mächtigen Viertausendern, bietet mit seinem trockenen Klima ideale Bedingungen für den Weinbau.
Die Strecke ist in vier Etappen unterteilt, was eine flexible Planung ermöglicht. Einsteigen kann man praktisch überall entlang der Route, da die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel durchweg gut ist. Besonders angenehm: Wer nur eine Teilstrecke bewältigen möchte, kann jederzeit mit Bus oder Bahn zurück zum Ausgangspunkt gelangen.
Steile Trockenmauern, teilweise Jahrhunderte alt, prägen das Landschaftsbild und zeugen von der Beharrlichkeit, mit der die Walliser selbst schwieriges Terrain urbar gemacht haben. Zwischen den Rebstöcken blitzen immer wieder die traditionellen "Guérites" hervor – kleine Steinhäuschen, die früher als Unterstand und Lagerraum für die Winzer dienten und heute oft als gemütliche Verkostungsorte genutzt werden.
Besonders eindrucksvoll ist der Kontrast zwischen den grünen Rebhängen und dem azurblauen Himmel, der im Wallis an durchschnittlich 300 Tagen im Jahr zu bewundern ist. Die besonderen klimatischen Bedingungen und der mineralreiche Boden verleihen den hiesigen Weinen ihre Charakter. Da gedeihen neben internationalen Rebsorten wie Pinot Noir und Merlot auch lokale Spezialitäten wie Petite Arvine, Amigne oder der legendäre Heida, der in Höhenlagen von bis zu 1.100 Metern angebaut wird – europäischer Rekord!
Wer auf dem Weinweg unterwegs ist, sollte unbedingt in einem der zahlreichen Weingüter Halt machen. Fast überall wird zur Verkostung eingeladen, und die Winzer erzählen mit spürbarem Stolz von ihrer Arbeit. Mein Geheimtipp: Die kleinen Familienbetriebe abseits der Hauptroute aufsuchen – dort erlebt man oft die herzlichste Gastfreundschaft und entdeckt wahre önologische Schätze, die es selten in den Handel schaffen.
Weitere Informationen: www.wallis.ch/weinreisen
Für ambitionierte Genießer: Der Walliser Genuss-Marathon
Wer seine sportlichen Ambitionen mit kulinarischen Höhenflügen verbinden möchte, für den ist der sogenannte "Genuss-Marathon" im Wallis genau das Richtige. Keine Sorge – mit einem klassischen Marathon hat diese Veranstaltung nur die Begeisterung gemeinsam, nicht die Distanz. Vielmehr handelt es sich um eine gemütliche Wanderung entlang des Weinwegs, die durch strategisch platzierte Verpflegungsposten zur Genusstour wird.
Zwei Routen stehen zur Auswahl: von Sion nach Salgesch oder alternativ von Sion nach Chamoson. An fünf Stationen werden jeweils zwei ausgewählte Topweine aus Walliser Rebsorten kredenzt, dazu gibt's passende regionale Köstlichkeiten. Die Kombination aus Bewegung an der frischen Luft, atemberaubenden Ausblicken und kulinarischen Entdeckungen macht den Reiz dieser Veranstaltung aus.
Zwischen den Genussposten bleibt genügend Zeit, um die Verdauung anzukurbeln und gleichzeitig die eindrucksvolle Landschaft zu genießen. Über sanft geschwungene Hügel, durch kleine Dörfer mit jahrhundertealter Geschichte und vorbei an kunstvoll angelegten Weinbergen führt der Weg. Dabei erklärt man sich gegenseitig – mit jedem Posten zunehmend beschwingt – die Feinheiten der verkosteten Tropfen.
"Z'Bsüech im Wallis" sagt man hier – zu Besuch im Wallis – und genau so fühlt man sich: wie ein gern gesehener Gast bei Freunden. Die Winzer und Gastronomiebetreiber entlang der Strecke teilen nicht nur ihre Produkte, sondern auch ihr Wissen und ihre Leidenschaft. Die Atmosphäre ist entspannt, die Begegnungen authentisch. Nach dem letzten Posten ist man um einige kulinarische Erfahrungen und neue Bekanntschaften reicher.
Weitere Informationen: www.genuss-marathon.ch
Gourmetwanderung "L'Epicurien" – Ein dreigängiges Abenteuer
Eine besonders originelle Form des kulinarischen Wanderns bietet die Gourmetwanderung "L'Epicurien" in Les Paccots in den Freiburger Voralpen. Bei dieser Tour wird das klassische Drei-Gänge-Menü kurzerhand in die Natur verlegt – und zwar auf spektakuläre Weise.
Der Ausgangspunkt liegt in Rathvel auf 1.262 Metern Höhe, erreichbar über Les Paccots. Bereits hier, in der gemütlichen "Buvette de Rathvel", einer typischen Schweizer Berghütte, wird die erste kulinarische Etappe eingeläutet: eine reichhaltige Vorspeiseplatte mit regionalen Produkten. Mit gefülltem Magen und einem ersten Vorgeschmack auf die kulinarischen Genüsse geht es dann auf den gut zweistündigen Wanderweg.
Das Ziel ist der Gipfel des Niremont auf 1.514 Metern, wo sich für die Wanderer ein atemberaubendes 360-Grad-Panorama öffnet. Doch damit nicht genug: Hier erfolgt auch der Hauptgang in Form eines Fondues, das die Teilnehmer mit Hilfe eines speziellen, rucksacktauglichen Fondue-Sets selbst zubereiten. Käse schmelzen mit Blick auf die Alpen – ein Erlebnis der besonderen Art!
Nach diesem Gaumenschmaus geht es bergab zurück nach Les Paccots, wo in einem ausgewählten Restaurant der krönende Abschluss in Form eines Desserts serviert wird. Die Kombination aus moderater körperlicher Aktivität, frischer Bergluft und hochwertigem Essen macht diese Wanderung zu einem Rundum-Erlebnis für alle Sinne.
Besonders schätzen Familien dieses Konzept, da die überschaubare Länge auch für Kinder gut machbar ist und die kulinarischen Stopps für willkommene Abwechslung sorgen. Aber auch Feinschmecker kommen voll auf ihre Kosten, denn die servierten Speisen spiegeln das kulinarische Erbe der Region wider und werden mit viel Liebe zum Detail zubereitet.
Weitere Informationen: www.les-paccots.ch
Kurz und knackig: Die Weinwanderung Salgesch
Nicht immer muss eine kulinarische Wanderung ein Tagesausflug sein. Die Weinwanderung in Salgesch im Wallis beweist, dass auch kompakte Touren ein intensives Erlebnis bieten können. In nur etwa einer bis anderthalb Stunden führt der Weg durch die dorfnahen Rebberge und den historischen Dorfkern der bekannten Weinbaugemeinde.
Salgesch, auf Französisch Salquenen genannt, gilt als eine der bedeutendsten Weinbaugemeinden des Wallis und ist besonders für seine exzellenten Rotweine bekannt. Der Pinot Noir gedeiht hier prächtig, aber auch lokale Spezialitäten wie Cornalin und Humagne Rouge finden ideale Bedingungen vor.
Auf dem gut ausgeschilderten Rundweg erfährt man Wissenswertes über die angebauten Rebsorten, traditionelle Kultivierungsmethoden und die Besonderheiten des lokalen Terroirs. Informationstafeln entlang des Weges erklären die einzelnen Arbeitsschritte im Weinberg und geben Einblick in die Geschichte des Weinbaus, der hier bis in die Römerzeit zurückreicht.
Ein besonderes Highlight für Gruppen ab sechs Personen sind die Führungen mit anschließender Weinverkostung. In einem authentischen Weinkeller oder inmitten der Reben werden ausgewählte Weine kredenzt, während ein kundiger Führer von den Eigenheiten der einzelnen Tropfen erzählt. Nix wie hin – wie man im Schweizerdeutschen sagen würde – denn hier schmeckt man die Leidenschaft in jedem Schluck!
Kontakt: www.mathier.com
Das Schloss der tausend Weine: Château de Villa
Ein idealer Ausgangspunkt oder krönender Abschluss für Weinwanderungen im Wallis ist das imposante Château de Villa in Siders (französisch: Sierre). Das aus dem 16. Jahrhundert stammende Schloss beherbergt nicht nur ein faszinierendes Weinmuseum, sondern auch eine beeindruckende Önothek mit über 650 verschiedenen Walliser Weinen – vermutlich die umfangreichste Sammlung von Weinen dieser Region unter einem Dach.
Bei einer Führung durch das Museum taucht man ein in die Geschichte des Walliser Weinbaus, lernt die Besonderheiten der lokalen Rebsorten kennen und erfährt, wie die einzigartige Landschaft des Rhonetals den Charakter der hiesigen Weine prägt. Besonders interessant: die Ausstellung historischer Weinbaugeräte, die den technologischen Wandel in dieser jahrhundertealten Kulturform dokumentieren.
Nach so viel Theorie lockt die Praxis: Im Restaurant des Schlosses wird ein traditionelles Raclette serviert, allerdings mit einer besonderen Note. Statt des üblichen einzelnen Käses kommen hier sechs verschiedene Sorten aus unterschiedlichen Regionen auf den Teller. Die Unterschiede in Geschmack und Textur sind erstaunlich und zeigen, wie sehr Faktoren wie Höhenlage, Futtermittel der Kühe und Reifezeit das Endprodukt beeinflussen.
Zu diesem Käseerlebnis wird selbstverständlich eine Auswahl lokaler Weine gereicht, deren Aromen sich perfekt mit dem rustikalen Raclette ergänzen. Die sachkundigen Sommelier:innen beraten gerne bei der Weinauswahl und teilen ihr umfangreiches Wissen über die einzelnen Tropfen. So wird der Besuch zu einer kulinarischen Reise durch das Wallis, ohne dass man mehr als einen Tisch wechseln muss.
Adresse: Rue de Sainte-Catherine 4, 3960 Sierre
Weitere Informationen: www.chateau-villa.ch
Praktische Tipps für kulinarische Wanderungen
Wer sich auf eine kulinarische Wanderung in der Schweiz begeben möchte, sollte einige Dinge beachten. Zuvorderst steht die Jahreszeit: Die meisten Themenwege sind etwa von Mai bis Oktober begehbar, wobei besonders der Frühherbst mit seiner milden Witterung und den Aktivitäten rund um die Weinlese eine reizvolle Zeit darstellt.
Bei der Ausrüstung gilt: Auch wenn es sich um gemütliche Genusswanderungen handelt, sind festes Schuhwerk und dem Wetter angepasste Kleidung unerlässlich. Die Schweizer Bergwelt kann wettertechnisch schnell umschlagen, daher empfiehlt sich das bewährte "Zwiebelprinzip" mit mehreren Kleidungsschichten. Eine kleine Trinkflasche sollte auch bei kulinarischen Touren im Gepäck sein – schließlich möchte man zwischen den Verkostungen nicht verdursten.
Reservierungen sind besonders für geführte Touren und Besichtigungen in den Produktionsstätten ratsam. In der Hochsaison können beliebte Attraktionen wie die Maison du Gruyère oder die Weinkeller renommierter Güter durchaus ausgebucht sein. Für spezielle Veranstaltungen wie den Genuss-Marathon ist eine Voranmeldung ohnehin obligatorisch.
Ein Hinweis zum Thema Mobilität: Die Schweiz verfügt über ein hervorragendes Netz öffentlicher Verkehrsmittel, sodass man die meisten Ausgangspunkte der beschriebenen Themenwege bequem ohne Auto erreichen kann. Zeitgleich ermöglicht dies auch, nach einer Wanderung ein Glas mehr zu genießen, ohne sich Gedanken über die Rückfahrt machen zu müssen.
Und zu guter Letzt: Den Genuss nicht vergessen! Die kulinarischen Themenwege sind keine sportlichen Herausforderungen, sondern Einladungen zum bewussten Erleben. Zeit nehmen, die Landschaft auf sich wirken lassen, mit Produzenten ins Gespräch kommen und die regionalen Spezialitäten mit allen Sinnen genießen – darum geht's letztendlich.