Wer das erste Mal ins Goms reist, könnte die Region glatt übersehen. Kaum hat man die steile Auffahrt von Brig hinauf nach Fiesch geschafft, öffnet sich ein langgezogenes, überraschend flaches Hochtal. Erst auf den zweiten Blick zeigt sich die Besonderheit dieser Landschaft. Hier, im östlichsten Zipfel des Wallis, erstreckt sich auf rund 35 Kilometern Länge ein Tal, das zwischen 1.300 und 1.370 Metern über dem Meeresspiegel liegt. Eingerahmt wird diese sanfte Talsohle von imposanten Berggipfeln der Berner und Walliser Alpen, die teilweise über 3.000 Meter in den Himmel ragen.
Die junge Rhone – hier "Rotten" genannt – durchfließt das Tal in seiner gesamten Länge, bevor sie sich bei Fiesch in die Tiefe stürzt und ihren Weg durch das restliche Wallis antritt. Anfangspunkt des eigentlichen Goms ist das Dorf Fiesch, während das Tal bei Oberwald seinen Abschluss findet. Von hier führen Pässe in alle Himmelsrichtungen: Der Furkapass verbindet das Goms mit Uri, der Grimselpass mit dem Berner Oberland und der Nufenenpass mit dem Tessin. Gegen Ende des Tals, kurz vor Oberwald, befinden sich auch die Rhonequellen am Fuße des Rhonegletschers – ein eindrucksvoller, wenn auch aufgrund des Klimawandels stark zurückgehender Gletscher.
Charakteristisch für das Goms ist seine Reihe an Sonnenterrassen-Dörfern, die wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht sind: Ernen, Mühlebach, Steinhaus, Blitzingen, Reckingen und Münster gehören zu den bekanntesten unter ihnen. Sie liegen meist sonnenverwöhnt auf der nördlichen Talseite, wo sie selbst in den kurzen Wintertagen noch reichlich Licht bekommen. Hängst du eine Karte des Goms an die Wand, siehst du sofort den linearen Charakter dieser Tourismusregion – ein Aspekt, der nicht nur die Fortbewegung erleichtert, sondern auch das kulturelle Erbe geprägt hat.
Der Rythmäi vom Goms – Jahreszeiten bestimmen das Leben
Das Goms steckt voller Kontraste. Im Winter erstarrt das Tal unter einer dicken Schneedecke. Temperaturen von minus 20 Grad sind keine Ausnahme, sondern oft wochenlange Realität. Der einheimische Begriff "Rythmäi" (Rhythmus) beschreibt treffend, wie die Jahreszeiten hier den Takt vorgeben. Während der Wintermonate verwandelt sich das Hochtal in ein wahres Langlaufparadies. Über 100 Kilometer gespurte Loipen ziehen sich durch die weiße Landschaft, von Niederwald bis hinauf nach Oberwald. Die Hauptloipe folgt größtenteils dem Lauf der Rhone und gilt mit ihrem sanften Gefälle als ideales Terrain für Anfänger und Genussläufer. Anspruchsvollere Strecken führen hingegen von der Talsohle hinauf zu den Sonnenterrassen-Dörfern.
Anders als in den überfüllten Skigebieten der Schweiz tummeln sich hier vor allem Puristen, die Ruhe und Naturerlebnis suchen. Das Klappern der Langlaufskier auf dem gefrorenen Schnee und das eigene Schnaufen – mehr ist oft nicht zu hören. An klaren Wintertagen liegt das Tal unter einem strahlend blauen Himmel, und die Sonnenstrahlen lassen den Schnee glitzern. Die Kälte kriecht trotz Anstrengung irgendwann in die Finger, macht aber den Einkehrschwung in eine der rustikalen Stuben umso gemütlicher.
Im Frühling, wenn anderswo schon längst die Krokusse blühen, hält der Winter im Goms oft hartnäckig die Stellung. Erst im Mai verwandelt sich das Tal schlagartig: Die Schneemassen schmelzen, saftig grüne Alpwiesen tauchen auf, und ein wahres Blütenmeer überzieht die Hänge. Die kurze, aber intensive Vegetationsphase ist geprägt von einer beeindruckenden Artenvielfalt. Botaniker zieht es besonders in die Gegend um die Binntal-Seitentäler, wo seltene Alpenblumen wie Edelweiß und Enzian in großer Zahl gedeihen.
Der Sommer gibt sich im Goms zurückhaltend angenehm. Während unten im Rhonetal bei Sitten und Sion regelmäßig die 30-Grad-Marke geknackt wird, bleibt es hier oben mit durchschnittlich 22 bis 25 Grad erträglich. Diese moderate Wärme macht das Tal zu einem idealen Wandergebiet. Die Höhenwege entlang der Talseiten bieten beeindruckende Aussichten und führen durch blumenübersäte Alpwiesen und lichte Wälder. Besonders beliebt ist der Höhenweg von Bellwald nach Münster, der größtenteils auf rund 2.000 Metern Höhe verläuft. Irgendwo oben zwischen kargen Felsen und sattgrünen Matten vergisst man schnell, in welchem Jahrhundert man eigentlich lebt.
Der Herbst kommt früh ins Goms, oft schon Anfang September. Die Lärchenwälder färben sich goldgelb, und die Luft wird klar und dünn. Es ist die Zeit der Ruhe, bevor der erste Schnee fällt. Mancherorts kann man dem Viehscheider beim traditionellen Alpabzug zusehen, wenn die Kühe mit Blumen geschmückt zurück ins Tal getrieben werden. Die Dorfgassen sind dann erfüllt vom Klang der Kuhglocken. Ende Oktober bereitet sich das Tal auf den Winter vor, und die wenigen Hotels, die ganzjährig geöffnet haben, machen eine kurze Verschnaufpause.
Holzchalets und Kirchenschätze – Kulturelles Erbe des Goms
Der wahre Reichtum des Goms liegt in seinen Dörfern verborgen. Hier hat sich eine Architektur erhalten, die anderswo längst modernen Hotelkomplexen und Ferienwohnungen weichen musste. Die typischen Gommer Holzchalets mit ihren sonnenverbrannten, fast schwarzen Holzfassaden prägen das Bild. Diese "Heidehüs" (Heidenhäuser) genannten Bauten sind teilweise über 500 Jahre alt und zeugen vom handwerklichen Können vergangener Generationen. Besonders eindrucksvolle Exemplare finden sich in Ernen und Mühlebach.
Das Wahrzeichen von Mühlebach ist das älteste Holzhaus der Schweiz, ein Blockbau von 1399, der bis heute bewohnt wird. Seine Balken sind über die Jahrhunderte fast schwarz geworden, und das Holz hat die Konsistenz von Stein angenommen. Überhaupt scheint in Mühlebach die Zeit stehengeblieben zu sein. Das winzige Dorf mit kaum 40 Einwohnern besteht fast ausschließlich aus historischen Holzhäusern, die eng aneinander gedrängt an einem steilen Hang kleben. Schmale Gassen führen zwischen den Gebäuden hindurch, und kleine Gemüsegärten zeugen vom Selbstversorgerdrang der Gommer.
In starkem Kontrast zu den bescheidenen Wohnhäusern stehen die Kirchen und Kapellen, die in fast jedem Dorf zu finden sind. Sie dokumentieren den einstigen Wohlstand der Region, als Gommer Söldner ihr in fremden Diensten verdientes Geld in prächtige Gotteshäuser investierten. Die barocke Pfarrkirche von Münster gilt als bedeutendster Kirchenbau des Wallis und beherbergt einen Altar des berühmten Bildhauers Johann Ritz. Die Kirche von Ernen beeindruckt durch ihre gotische Architektur und den ältesten spielbaren Orgel-Prospekt der Schweiz aus dem Jahr 1662.
Beinahe jedes Dorf hat sein eigenes kleines Museum oder seine Sehenswürdigkeit. In Reckingen kannst du das Hunziker-Haus besichtigen, ein perfekt erhaltenes Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert, das Einblick in die Wohnkultur wohlhabender Gommer Familien gibt. Die winzigen Museen sind häufig nur auf Anfrage oder zu bestimmten Zeiten geöffnet – ein Umstand, der die Entdeckung umso reizvoller macht. Hier herrscht eben noch der "Rythmäi" und nicht der Takt des Massentourismus.
Wer tiefer in die Geschichte der Region eintauchen will, sollte unbedingt das Geschichtsmuseum Oberwallis in Brig besuchen, das etwa eine halbe Stunde mit dem Auto oder der Matterhorn-Gotthard-Bahn entfernt liegt. Hier werden die Besonderheiten der Gommer Kultur im größeren Kontext des Wallis präsentiert. Besonders interessant ist die Ausstellung zur Auswanderung aus dem Goms, die im 19. Jahrhundert aufgrund von Armut viele Familien nach Amerika führte.
Langlauf-Hochburg und Wanderparadies – Aktiv im Goms unterwegs
Die Hauptattraktion des Goms ist zweifelsohne das weitläufige Loipennetz, das zu den besten der Alpen zählt. Von Dezember bis April ziehen sich über 100 Kilometer präparierte Langlaufspuren durch die verschneite Landschaft. Das Besondere daran: Die Höhenlage von rund 1.300 Metern garantiert meist Schnee, ist aber nicht so hoch, dass Flachlauf-Anfänger mit Atemproblemen kämpfen müssten. Hier trainieren Profis neben Familien mit Kindern. Die Hauptloipe zwischen Niederwald und Oberwald ist technisch nicht anspruchsvoll und eignet sich perfekt für Einsteiger oder gemütliche Genussläufer.
Für den kleinen Geldbeutel ist Langlaufen im Goms ideal – der Loipenpass kostet nur einen Bruchteil dessen, was man für Skipässe in den großen Stationen hinblättern muss. Ausrüstung kann in fast jedem Dorf geliehen werden, am besten bei Imwinkelried Sport in Münster oder bei Sporthaus Kräig in Fiesch. Diese kleinen Geschäfte bieten nicht nur Material, sondern auch wertvolle Tipps zur Technik und aktuellen Loipenbedingungen.
In den Sommermonaten gehört das Tal den Wanderern. Über 300 Kilometer markierte Wanderwege durchziehen die Region in allen Schwierigkeitsgraden. Die vielen Seitentäler wie das Binntal oder das Fieschertal bieten zusätzliche Möglichkeiten, abseits der Hauptrouten die Bergwelt zu erkunden. Ein Genuss ist der "Gommer Höhenweg", der in mehreren Etappen von Bellwald bis nach Oberwald führt und dabei fantastische Ausblicke auf die umliegenden Viertausender bietet.
Für ambitionierte Bergsteiger dienen die SAC-Hütten Binntalhütte und Mittlenberghütte als Ausgangspunkt für anspruchsvolle Touren. Die alte Saumweg-Tradition der Region wird beim Saumpfad Grimsel sichtbar, auf dem früher Waren über die Berge transportiert wurden. Heute sind die alten Steinstufen und Pflasterwege ein historisches Zeugnis vergangener Mobilität und gleichzeitig ein reizvolles Wanderziel.
Radsportler finden im Goms sowohl anspruchsvolle Routen als auch gemütliche Talstrecken. Die großen Alpenpässe Furka, Grimsel und Nufenen locken trainierte Biker, die auf den Spuren der Tour de Suisse fahren wollen. Weniger Ehrgeizige nutzen den Rhone-Radweg, der flach durch das Tal führt. Seit einigen Jahren hat auch das E-Biking Einzug gehalten, was die steilen Anstiege zu den Hangdörfern erträglicher macht. Verleihstationen gibt's in Fiesch, Münster und Oberwald.
Eine schmale Asphaltstraße verbindet die Gommer Dörfer, doch die authentischste Art der Fortbewegung ist per Bahn oder zu Fuß. Die Matterhorn-Gotthard-Bahn durchquert das gesamte Tal und hält in fast jedem Dorf. Mit dem Tagesticket können Wanderer und Langläufer flexibel ein- und aussteigen, was Touren in nur eine Richtung ermöglicht. Im Winter fährt zusätzlich der "Langlauf-Shuttle", ein Kleinbus, der zwischen den Ausgangspunkten der Loipen pendelt.
Unterkunft und praktische Tipps – Das Goms erleben
Die Unterkunftsmöglichkeiten im Goms reichen von einfachen Berghütten über gemütliche Pensionen bis hin zu komfortablen Hotels. Luxusherbergen sucht man hier vergebens – und das ist Teil des Charmes. Typisch sind kleine Familienhotels mit 20 bis 30 Zimmern, die oft seit mehreren Generationen betrieben werden. Empfehlenswert ist das Hotel Croix d'Or et Poste in Münster, ein historisches Gebäude mit modernisiertem Innenleben und einem guten Restaurant. In Reckingen bietet das Hotel Glocke gemütliche Zimmer in einem traditionellen Ambiente.
Für den kleineren Geldbeutel gibt es in fast jedem Ort Ferienwohnungen und Bed & Breakfasts. Besonders charmant: In einigen Dörfern werden renovierte Chalets vermietet, die von außen den historischen Charme bewahren, innen aber zeitgemäßen Komfort bieten. Wer authentisches Gommer Flair schnuppern will, findet in Ernen und Mühlebach solche Unterkünfte. In der Hochsaison – besonders während der Langlaufwochen von Januar bis März – empfiehlt sich eine frühzeitige Buchung.
Die beste Reisezeit hängt stark von den geplanten Aktivitäten ab. Für Langläufer sind die Monate Januar bis März ideal, wenn die Loipen in bestem Zustand sind. Die wärmsten Temperaturen herrschen von Juni bis August, was diese Monate zur Hauptwanderzeit macht. Wer Ruhe sucht und trotzdem mildes Wetter genießen möchte, sollte den September in Betracht ziehen, wenn die Sommergäste bereits abgereist sind, die Tage aber noch angenehm warm sein können.
Die Anreise ins Goms erfolgt am bequemsten mit der Bahn. Die Matterhorn-Gotthard-Bahn fährt von Brig aus durch das gesamte Tal bis nach Andermatt. Von Zürich oder Bern reist man mit Umsteigen in Brig in etwa drei bis vier Stunden an. Mit dem Auto erreicht man das Goms über die Autobahn A9 bis Brig und dann weiter auf der Kantonsstraße. Im Winter kann es nach starken Schneefällen zu Straßensperrungen kommen, was eine flexible Reiseplanung erfordert. Für Automobilisten wichtig: Die Passstraßen Furka, Grimsel und Nufenen sind nur von Juni bis Oktober geöffnet.
Im Goms ticken die Uhren langsamer – das gilt auch für die Öffnungszeiten. Viele kleine Läden schließen mittags für zwei Stunden und bleiben am Sonntag komplett geschlossen. Größere Supermärkte gibt es nur in Fiesch und Münster. In den kleineren Dörfern findet man meist nur einen Dorfladen mit eingeschränktem Sortiment. Bargeld sollte man dabei haben, denn nicht überall werden Kreditkarten akzeptiert, auch wenn sich dies in den letzten Jahren gebessert hat.
Ein nützliches Detail für Langläufer: Der Loipenpass kann online oder in den Tourismusbüros der Gommer Gemeinden erworben werden. Er kostet für einen Tag etwa 12 Schweizer Franken, für eine Woche rund 40 Franken. Ein Teil der Einnahmen fließt direkt in den Unterhalt der Loipen. Wer mehrere Tage bleibt, sollte sich nach der Gästekarte erkundigen, die in vielen Unterkünften inbegriffen ist und Vergünstigungen für öffentliche Verkehrsmittel und Freizeiteinrichtungen bietet.