Schweiz

Das Naturparadies Aletsch: Der Aletschgletscher und seine Umgebung

Hier knirscht das Eis unter den Steigeisen, während die gewaltigen Berggipfel wie stumme Wächter über das UNESCO-Welterbe thronen. Eine Region, wo die Natur noch die Hauptrolle spielt – und du nur ein vorübergehender Gast bist.

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Zwischenablage

Der Aletschgletscher beherrscht die Landschaft wie ein Monarch aus Eis. Mit seinen 23 Kilometern Länge und einer Dicke von bis zu 900 Metern ist er der größte Gletscher der Alpen – ein kolossales Naturphänomen, dessen Ausmaße man erst richtig begreift, wenn man am Rand dieser gigantischen Eismasse steht. Der Gletscher und die umliegende Region gehören seit 2001 zum UNESCO-Weltnaturerbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch, eine Auszeichnung, die das Gebiet nicht nur wegen seiner atemberaubenden Schönheit erhielt, sondern auch aufgrund seiner geologischen und ökologischen Bedeutung.

Die Landschaft hier wurde über Jahrtausende vom Gletscher regelrecht zurechtgeschliffen. Der Aletsch ist ein lebendiges Monument der Erdgeschichte, das sich stetig verändert. Die Gletscherzunge zieht sich allerdings durch den Klimawandel jährlich um 50 bis 80 Meter zurück – ein stummer, aber eindringlicher Hinweis auf die globale Erwärmung. Wo sich noch vor 150 Jahren eine geschlossene Eisfläche erstreckte, findet man heute oft karges Gestein vor, das nach und nach von Pionierpflanzen besiedelt wird.

Rund um diesen Eisriesen haben sich die Ortschaften Riederalp, Bettmeralp und Fiesch entwickelt – allesamt autofrei und nur per Seilbahn erreichbar. Keine qualmenden Motoren, kein Hupen, nur das gelegentliche Klingeln einer Kuhglocke oder das Zwitschern der Bergvögel durchbrechen hier die Stille. Die Reduktion auf das Wesentliche ist eines der Markenzeichen dieser Region. Hier oben, zwischen 1900 und 2900 Metern Höhe, scheint die Zeit bisweilen stillzustehen, obwohl der Gletscher in seinem eigenen, unerbittlichen Tempo weiterfließt.

Die Kraftorte: Riederalp, Bettmeralp und Fiesch

Die drei Hauptorte der Region bieten unterschiedliche Zugänge zum Aletschgletscher und verfügen jeweils über einen eigenen Charakter. Die Riederalp, auf einem sonnenverwöhnten Plateau gelegen, ist der westlichste der drei Orte. Von hier aus führt ein gemütlicher Panoramaweg zum Aussichtspunkt Moosfluh, der einen der beeindruckendsten Blicke auf den Gletscher bietet. Unterwegs passiert man die Villa Cassel, ein ehrwürdiges Gebäude aus der Belle Époque, das heute als Naturschutzzentrum dient. Fast täglich starten von hier aus geführte Exkursionen in die alpine Pflanzenwelt.

Die Bettmeralp, nur einen kurzen Fußmarsch von der Riederalp entfernt, ist bekannt für ihre ursprüngliche Walliser Bausubstanz und die kleine Kapelle Bettmerhorn, die wie aus einer Bilderbuchlandschaft entnommen wirkt. Das Panoramarestaurant auf dem Bettmerhorn auf 2647 Metern ist ein strategisch günstiger Ausgangspunkt für die Erkundung des Gebiets. Die Aussichtsterrasse bietet bei gutem Wetter eine 360-Grad-Rundumsicht, die einem buchstäblich den Atem raubt. Bei klarem Himmel kann man von hier aus bis zum Matterhorn blicken.

Fiesch im Goms, etwas tiefer im Tal gelegen, ist der größte der drei Orte und das sportliche Zentrum der Region. Eine moderne Gondelbahn verbindet das Dorf mit dem Eggishorn auf 2927 Metern – dem höchsten Aussichtspunkt über dem Aletschgletscher. Der Blick vom Eggishorn offenbart die ganze Pracht des Gletschers: Von hier aus kannst du den gesamten Eisstrom überblicken, von den Firnfeldern am Jungfraujoch bis zur Gletscherzunge im Tal. Als i-Tüpfelchen der Aussicht erhebt sich am gegenüberliegenden Ufer des Gletschermeers das Dreigestirn aus Eiger, Mönch und Jungfrau – drei der berühmtesten Berge der Schweizer Alpen.

Auf Schusters Rappen – Wandern im Aletschgebiet

Das Wandernetz im Aletschgebiet ist ein wahres Eldorado für Naturliebhaber. Über 200 Kilometer markierte Wanderwege durchziehen die Region, von gemütlichen Spazierrouten bis hin zu anspruchsvollen Hochgebirgstrecken. Der wohl bekannteste Weg ist der Aletschgletscher-Panoramaweg, der von der Bettmerhorn-Bergstation zur Riederalp führt. Auf knapp drei Stunden Gehzeit erlebt man hier die verschiedenen Gesichter des Gletschers: zunächst das weite Firnfeld, dann die zerklüftete Mitte mit ihren beeindruckenden Gletscherspalten und schließlich die von Moränen gesäumte Zunge.

Eine Herausforderung für erfahrene Bergwanderer ist die Überquerung des Gletschers selbst. Verpatzsch den Termin nicht, wenn du diese Tour planst! Die geführten Gletscherwanderungen finden nur im Hochsommer statt und sind oft schnell ausgebucht. Mit Steigeisen an den Füßen und einem ortskundigen Bergführer geht es über das Eis – ein Erlebnis, das tief unter die Haut geht. Das Knirschen des Schnees, die tiefblauen Gletscherspalten und das gelegentliche Knacken im Eis vermitteln ein Gefühl der Ehrfurcht vor der Gewalt der Natur.

Für Familien mit Kindern empfiehlt sich der Rundweg um den Bettmersee, ein kleines Bergjuwel auf 2000 Metern Höhe. Der Weg ist auch für kleine Beine gut machbar und bietet dennoch spektakuläre Ausblicke. An heißen Sommertagen laden die Ufer des Sees zum Verweilen ein – das Wasser ist zwar erfrischend kühl, aber durchaus zum Baden geeignet. Der Kontrast zwischen dem türkisblauen Bergsee und den schneebedeckten Gipfeln im Hintergrund schafft Fotomotive, die keiner digitalen Nachbearbeitung bedürfen.

Ein besonderer Tipp für Frühaufsteher ist die Wanderung zum "Grünen Garten" – einem geschützten Naturreservat am Rand des Aletschwaldes. Dieser uralte Arvenwald beherbergt Bäume, die bis zu 900 Jahre alt sind und deren knorrige Stämme so manche Geschichte erzählen könnten. Morgens ist die Chance am größten, Gämsen, Murmeltiere oder sogar Steinböcke zu beobachten. Die Tiere haben sich längst an die menschlichen Besucher gewöhnt, halten aber dennoch einen respektvollen Abstand.

Jahreszeitliche Metamorphose – Wann ist die beste Reisezeit?

Das Aletschgebiet zeigt sich zu jeder Jahreszeit von einer anderen Seite. Der Frühsommer von Juni bis Anfang Juli verwandelt die Alpwiesen in ein Blütenmeer. Enzian, Alpenrosen und dutzende andere Arten bilden einen farbenfrohen Teppich, der im Kontrast zur kargen Gletscherlandschaft steht. Die Luft ist dann geschwängert vom süßlichen Duft der Alpenblumen, und die Wiesen summen vor Leben.

Der Hochsommer ist die klassische Reisezeit für Gletscherwanderungen. Die Temperaturen sind angenehm, und das Wetter zeigt sich von seiner stabilsten Seite. Allerdings ist dies auch die Zeit, in der sich die meisten Besucher in der Region aufhalten. Wer die Einsamkeit sucht, sollte früh aufbrechen – vor 10 Uhr morgens hat man viele Wege fast für sich allein.

Der frühe Herbst hat seinen ganz eigenen Zauber. Wenn die Lärchen ihre Nadeln goldgelb färben, entsteht ein faszinierender Kontrast zwischen dem weißen Gletscher, dem dunklen Grün der Arven und dem leuchtenden Gelb der Lärchenwälder. Die Luft ist dann kristallklar, und die Fernsicht oft besser als im Sommer. Zudem sind nach den Schulferien deutlich weniger Touristen unterwegs.

Der Winter verwandelt das Gebiet in ein Paradies für Skifahrer und Schneeschuhwanderer. Die Pisten sind gut präpariert, aber nie überlaufen. Abseits der Pisten, auf den Winterwanderwegen, kann man die Stille der verschneiten Landschaft genießen. Ein besonderes Erlebnis sind die nächtlichen Fackelwanderungen, die regelmäßig von den Tourismusbüros organisiert werden.

Nachhaltige Genüsse – Kulinarisches aus der Region

Die Küche des Wallis ist bodenständig und ehrlich – genau wie ihre Bewohner. In den Bergrestaurants und -hütten der Region kommt hauptsächlich auf den Tisch, was in unmittelbarer Umgebung produziert wird. Käse spielt dabei eine zentrale Rolle. Der Walliser Raclette, traditionell am offenen Feuer geschmolzen und mit Kartoffeln, sauren Gurken und Silberzwiebeln serviert, ist ein Muss für jeden Besucher. Ebenso das Walliser Trockenfleisch, das monatelang in der klaren Bergluft gereift ist und mit seinem intensiven Geschmack überzeugt.

Ein kulinarisches Kleinod ist das Restaurant Gletscherstube auf der Bettmeralp. Hier werden traditionelle Gerichte mit zeitgemäßer Leichtigkeit interpretiert. Die Wirtsleute legen Wert auf regionale Zutaten und persönlichen Service. Besonders zu empfehlen ist das Walliser Cholera – ein würziger Gemüsekuchen, dessen Name vermutlich auf eine Choleraepidemie im 19. Jahrhundert zurückgeht, während der die Menschen mit den vorhandenen Vorräten improvisieren mussten.

Wer es rustikaler mag, kehrt in eine der zahlreichen Alphütten ein, die über das Wandergebiet verstreut sind. In der Gletscherstuba auf der Märjelensee-Route beispielsweise gibt's selbstgemachten Käse, Brot und hausgebrannten Schnaps – serviert von Älplern, die den Sommer über hier oben leben und arbeiten. Das Ambiente ist einfach, aber authentisch, und die Gespräche mit den Einheimischen oft lehrreicher als jeder Reiseführer.

Ein lokales Getränk, das man probiert haben sollte, ist der Gletschertee – eine Mischung aus verschiedenen Alpenkräutern, die mit hochprozentigem Schnaps verfeinert wird. Er wärmt von innen und hat schon so manchen erschöpften Wanderer wieder auf die Beine gebracht. Um den vollen Geschmack zu entfalten, wird er in kleinen Gläsern serviert und sollte langsam genippt werden.

Praktische Informationen und Tipps aus erster Hand

Die Anreise ins Aletschgebiet erfolgt am besten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Schweizer Bahn bringt dich bis nach Brig, von dort führt die Matterhorn-Gotthard-Bahn weiter nach Mörel (für Riederalp), Betten (für Bettmeralp) oder Fiesch. Von diesen Talstationen geht es mit modernen Gondelbahnen hinauf zu den autofreien Bergdörfern. Die Fahrpläne sind perfekt aufeinander abgestimmt, und Wartezeiten gibt's höchstens bei extremen Wetterbedingungen.

Für die Unterkunft stehen verschiedene Optionen zur Verfügung. Von luxuriösen Wellness-Hotels über familiengeführte Pensionen bis hin zu einfachen Berghütten ist für jedes Budget etwas dabei. Wer es authentisch mag, bucht ein Zimmer in einem der alten Walliser Holzhäuser, die teilweise mehrere hundert Jahre alt sind. Deren dicke Wände speichern die Wärme des Tages und schaffen ein behagliches Raumklima, ohne dass moderne Klimaanlagen nötig wären.

Die Preise in der Region bewegen sich auf Schweizer Niveau – das heißt, sie sind nicht gerade niedrig. Wer sparen möchte, sollte außerhalb der Hauptsaison reisen und sich im Voraus über Sonderangebote informieren. Einige Hotels bieten Packages an, die neben der Übernachtung auch die Nutzung der Bergbahnen einschließen. Außerdem lohnt sich die Investition in eine Mehrtageskarte für die Lifte, wenn man länger bleibt.

Die Bergbahnen sind in der Regel von Ende Mai bis Ende Oktober sowie während der Wintersaison von Dezember bis April in Betrieb. In der kurzen Zwischensaison im November sind viele Unterkünfte und Restaurants geschlossen. Die genauen Betriebszeiten variieren je nach Wetterlage und sollten vor der Reise überprüft werden.

Ein häufig unterschätzter Aspekt ist die Höhenlage der Region. Die Bergdörfer liegen auf rund 2000 Metern, und die Aussichtspunkte erreichen fast 3000 Meter. Wer nicht an diese Höhen gewöhnt ist, sollte sich am ersten Tag Zeit zur Akklimatisierung nehmen und auf anstrengende Aktivitäten verzichten. Zudem ist die UV-Strahlung in dieser Höhe intensiver – Sonnenschutz ist daher unerlässlich, auch an bewölkten Tagen.

Zukunftsperspektiven – Ein Gletscher im Wandel

Der Aletschgletscher ist nicht nur ein Naturwunder, sondern auch ein empfindlicher Gradmesser für den Klimawandel. Seit Beginn der systematischen Messungen Mitte des 19. Jahrhunderts hat der Gletscher mehr als drei Kilometer seiner Länge eingebüßt. Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass bis Ende dieses Jahrhunderts nur noch ein kümmerlicher Rest des einst mächtigen Eisstroms übrig sein wird. Diese Entwicklung verändert nicht nur die Landschaft, sondern auch den Wasserhaushalt der Region und die Lebensbedingungen für Flora und Fauna.

Die Gemeinden im Aletschgebiet haben diese Herausforderung erkannt und setzen zunehmend auf nachhaltigen Tourismus. Die autofreien Bergdörfer sind dabei ein wichtiger Baustein. Strom wird überwiegend aus Wasserkraft gewonnen, und in den neueren Gebäuden kommen modernste Isoliermaterialien zum Einsatz. Einige Hotels werben bereits mit CO2-neutralem Betrieb. Das neue Besucherzentrum am Bettmerhorn wurde nach ökologischen Grundsätzen geplant und informiert ausführlich über die Folgen des Klimawandels für das Alpine Ökosystem.

Für die lokale Bevölkerung bedeutet der schwindende Gletscher einen Identitätsverlust. Der "ewige" Eisstrom war stets ein fester Bestandteil ihres Lebens, eine Konstante in einer sich rasch wandelnden Welt. Die älteren Einwohner erinnern sich noch an Zeiten, als der Gletscher bis weit ins Tal hineinreichte und manchmal sogar eine Bedrohung für die umliegenden Siedlungen darstellte. Diese Zeiten sind unwiederbringlich vorbei.

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