Frankreich

Käse, Kartoffeln, Kräuter – Von Tartiflette bis Diots: Die Seele der Savoyer Bergküche

Die Savoyer Küche ist herzhaft, deftig, alpin. Ein Überblick über die traditionelle Küche mit Klassikern wie Tartiflette, Crozets, Diots und Gratin Dauphinois – perfekt nach einem Tag in den Bergen.

Frankreich  |  Kulinarik & Genuss
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Zwischenablage

Die kulinarische Tradition Savoyens lässt sich nicht verstehen, ohne einen Blick auf die Geschichte dieser Region zu werfen. Bis 1860 gehörte Savoyen nicht zu Frankreich, sondern zum Königreich Piemont-Sardinien. Diese historische Verbindung mit Italien hat tiefe Spuren in der Küche hinterlassen. Pasta in Form der regionalen Spezialität Crozets gehört ebenso zum Repertoire wie der großzügige Einsatz von Käse, der an die italienischen Nachbarn erinnert.

Die geografische Lage zwischen Frankreich und Italien hat aber noch mehr bewirkt: In den Tälern Savoyens vermählten sich zwei der größten Küchen Europas zu etwas Eigenständigem. Während die Raffinesse und Technik der französischen Küche Einzug hielt, brachte der italienische Einfluss eine gewisse Bodenständigkeit und Liebe zu einfachen, aber hochwertigen Zutaten mit. Obendrein sorgte das raue Bergklima dafür, dass die Küche nährstoffreich und kalorienhaltig sein musste – notwendiger Brennstoff für Menschen, die täglich schwere körperliche Arbeit auf den steilen Berghängen verrichteten.

In den abgeschiedenen Gebirgstälern, wo der Winter lang und hart ist, entwickelte sich zudem eine Vorratswirtschaft, die auf Konservierung und Haltbarmachung setzte. Die Kunst des Käsens, des Räucherns und des Einpökelns wurde hier zur Perfektion gebracht – nicht aus kulinarischem Übermut, sondern aus schlichter Notwendigkeit. Was im Sommer geerntet oder geschlachtet wurde, musste den Winter überdauern. Daher stammt auch die besondere Wertschätzung für jeden Teil eines Tieres – vom Schweinefuß bis zur Kalbszunge findet alles Verwendung.

Käse als Herzstück der Alpenküche

Kaum eine Zutat prägt die Savoyer Küche so stark wie der Käse. Die Bergwiesen mit ihrem aromatischen Gras und den wildwachsenden Kräutern bieten ideale Bedingungen für die Viehzucht. Die hier produzierten Käsesorten gehören zu den besten der Welt – kein Wunder, dass sie im Zentrum zahlreicher traditioneller Gerichte stehen.

Allen voran thront der Reblochon, ein cremiger, leicht nussiger Weichkäse aus Rohmilch. Er ist der Star der berühmten Tartiflette, jenem Auflauf aus Kartoffeln, Zwiebeln, Speck und – natürlich – Reblochon, der mittlerweile in jedem Skigebiet serviert wird. Interessant dabei: Die Tartiflette ist kein jahrhundertealtes Bauernrezept, wie man vielleicht vermuten könnte. Tatsächlich wurde sie erst in den 1980er Jahren von findigen Käseproduzenten erfunden, um den Absatz von Reblochon anzukurbeln. Ein Marketingcoup, der gelang – heute gilt die Tartiflette als Inbegriff der Savoyer Küche.

Daneben behaupten sich zahlreiche andere Käsesorten wie der würzige Beaufort, oft als "Prinz der Gruyères" bezeichnet, der charakteristische Tome des Bauges mit seiner aschgrauen Rinde oder der Abondance, dessen Name bereits die Fülle der Region widerspiegelt. Vor allem der Beaufort dient als Basis für das allgegenwärtige Fondue Savoyard – eine Variante des Schweizer Nationalgerichts, bei der Weißwein und Knoblauch dem geschmolzenen Käse eine besondere Note verleihen.

Besonders stolz sind die Einheimischen auf die geschützte Herkunftsbezeichnung (AOC) vieler ihrer Käsesorten. Diese Auszeichnung garantiert nicht nur Qualität, sondern schützt auch traditionelle Produktionsweisen. Wer einmal gesehen hat, wie in den kleinen Bergsennereien noch per Hand gekäst wird, versteht, warum ein Stück Beaufort seinen Preis hat.

Die Königinnen der Savoyer Küche: Kartoffelgerichte

Neben dem Käse spielen Kartoffeln eine Hauptrolle auf der Savoyer Speisekarte. In den steilen Berghängen waren sie lange eine der wenigen Feldfrüchte, die zuverlässig gediehen. Die Vielseitigkeit der Knolle machte sie zum perfekten Grundnahrungsmittel für die Bergbevölkerung.

Das wohl berühmteste Kartoffelgericht der Region ist das Gratin Dauphinois, benannt nach der benachbarten historischen Provinz Dauphiné. Dünn geschnittene Kartoffelscheiben werden mit Knoblauch eingerieben, mit Sahne übergossen und langsam im Ofen gebacken – einfach, aber unwiderstehlich. Anders als viele denken, kommt traditionell kein Käse in das Gratin. Die cremige Konsistenz entsteht allein durch die Stärke der Kartoffeln, die sich mit der Sahne verbindet.

Weniger bekannt, aber mindestens ebenso köstlich ist das Pela. Hierfür werden Kartoffeln in der Pfanne angebraten und dann mit Zwiebeln und geräuchertem Speck vermischt. Das Pela wurde ursprünglich über dem offenen Feuer zubereitet und war ein typisches Hirtengericht. Heute findet man es vor allem in traditionellen Gasthäusern abseits der touristischen Trampelpfade.

In den Wintermonaten, wenn die Temperaturen unter null sinken und der Schnee meterhoch liegt, wärmt nichts so gut wie eine dampfende Schüssel Bräzaud. Dabei handelt es sich um eine Art Kartoffeleintopf mit Speck, Zwiebeln und Weißwein, der stundenlang vor sich hin köchelt. Jede Familie hat ihr eigenes Rezept, das über Generationen weitergegeben wird. Manche fügen Sahne hinzu, andere schwören auf eine Prise Muskatnuss. Eins ist sicher: Nach einem Tag auf den Skipisten gibt es kaum etwas Besseres.

Crozets und Polenta: Die Kohlenhydratbomben der Bergbewohner

Obwohl Kartoffeln wichtig sind, bilden sie nicht die einzige Kohlenhydratquelle der Savoyer Küche. Ein besonderes regionales Juwel sind die Crozets – kleine, quadratische Nudelstücke aus Buchweizen- oder Weizenmehl. Der leicht nussige Geschmack des Buchweizens passt perfekt zu den kräftigen Käsesaucen, mit denen die Crozets typischerweise serviert werden.

Das populärste Gericht ist zweifellos das Croziflette – eine Variation der Tartiflette, bei der die Kartoffeln durch Crozets ersetzt werden. In manchen Gasthäusern findet man auch Gratin de Crozets, bei dem die Nudeln mit Sahne und Bergkäse überbacken werden. Die kleinen Pastastücke haben einen festen Biss und nehmen die Aromen der Sauce hervorragend auf.

Da Buchweizen auch bei Frost noch wächst, war er lange Zeit ein wichtiges Grundnahrungsmittel in den alpinen Regionen. Heute schätzt man ihn zusätzlich als glutenfreie Alternative für Menschen mit Unverträglichkeiten – obwohl die traditionellen Crozets meist aus einer Mischung von Buchweizen- und Weizenmehl hergestellt werden.

Inzwischen hat sich auch die Polenta in der Savoyer Küche etabliert – ein Erbe der italienischen Nachbarschaft. Der cremige Maisbrei wird oft mit geschmolzenem Käse oder Pilzsauce serviert und bildet die perfekte Beilage zu deftigen Fleischgerichten. Besonders im Winter, wenn man nach einem langen Tag in der Kälte durchgefroren heimkehrt, ist eine dampfende Schüssel Polenta genau das Richtige.

Würste und Fleischgerichte: Von Diots bis Farcement

Die Viehzucht spielt seit jeher eine zentrale Rolle in den Alpen, und entsprechend reichhaltig ist das Angebot an Fleischgerichten. Besonders die Schweinehaltung hat eine lange Tradition – die Tiere wurden im Herbst geschlachtet, und jeder Teil fand Verwendung.

Die Diots, jene typischen Savoyer Würste, sind aus der regionalen Küche nicht wegzudenken. Ihr Name stammt vom altfranzösischen Wort für "Finger", was auf ihre längliche Form hinweist. Traditionell werden sie mit Weißwein geschmort und mit Zwiebeln serviert – ein Gericht, das auf keinem Weihnachtsmarkt der Region fehlen darf. Der Duft der brutzelnden Diots gehört zum Winter in Savoyen wie Schnee und Glühwein.

Ein Hauch mysteriös mutet das Farcement an – eine eigenartige Mischung aus geriebenem Speck, Kartoffeln, Zwiebeln, Pflaumen und Rosinen, die in einem speziellen Tuch mehrere Stunden gekocht wird. Das Resultat ist eine Art Pudding, der sowohl herzhaft als auch leicht süßlich schmeckt. Früher war das Farcement ein Sonntagsgericht, das beim gemeinsamen Familienessen serviert wurde, während der Kirchgang stattfand – der lange Garprozess erlaubte es den Hausfrauen, am Gottesdienst teilzunehmen, ohne dass das Mittagessen anbrennen konnte.

Nicht zu vergessen ist das Potée Savoyarde, ein rustikaler Eintopf aus verschiedenen Fleischsorten (meist Schweinefleisch und geräucherter Speck), Kohl und Wurzelgemüse. Er passt perfekt zu den kalten Wintermonaten und stellt eine schmackhafte Methode dar, das gesamte Tier zu verwerten – ganz im Sinne der nachhaltigen Küche, die man in den Bergen seit Jahrhunderten praktiziert, lange bevor "Nose to Tail" zum gastronomischen Trend wurde.

Süßes aus den Bergen: Desserts der Savoyer Küche

Nach so viel Deftigem darf Süßes nicht fehlen. Auch bei den Desserts beweist die Savoyer Küche ihre Verbindung zur Landschaft und Geschichte der Region. Die Gâteau de Savoie etwa, ein luftiger Biskuitkuchen, entstand der Legende nach im 14. Jahrhundert für einen Besuch des Herzogs von Savoyen. Seine Leichtigkeit steht im Kontrast zu den sonst eher schweren Gerichten der Region.

Eine besondere Spezialität sind die Bugnes – frittierte Teigstücke, die mit Puderzucker bestäubt werden. Ursprünglich wurden sie vor allem zur Faschingszeit zubereitet, heute findet man sie ganzjährig in den Bäckereien der Region. Der leicht süßliche Teig wird oft mit einem Schuss Orangenblütenwasser aromatisiert, was einen überraschenden Kontrast zur sonst eher bodenständigen Küche darstellt.

Nicht zu vergessen sind die zahlreichen Obstspezialitäten. Die Tarte aux Myrtilles, eine Heidelbeertarte, nutzt die wilden Beeren, die auf den Berghängen wachsen. Ihr intensiv fruchtiger Geschmack wird durch eine Prise Zimt verstärkt. Besonders die Variante mit Mandelcreme als Unterlage hat viele Fans unter Einheimischen und Besuchern.

In vielen traditionellen Restaurants wird als krönender Abschluss ein Génépi angeboten – ein Digestif aus dem gleichnamigen Alpen-Wermut, der in den Höhenlagen über 2000 Meter wächst. Mit seinem würzigen, leicht bitteren Geschmack hilft er, die reichhaltigen Mahlzeiten zu verdauen. Wie bei vielen Bergkräutern wird dem Génépi auch eine medizinische Wirkung nachgesagt – ob's stimmt oder nicht, nach einem üppigen Mahl mit Tartiflette und Farcement kann ein kleines Gläschen sicherlich nicht schaden.

Wo und wann die Savoyer Küche genießen

Die beste Zeit, um die kulinarischen Genüsse Savoyens zu erleben, ist zweifellos der Winter. Wenn draußen Schnee liegt und die Temperaturen unter null sinken, entfalten die deftigen Gerichte ihre volle Wirkung. Nichts ist vergleichbar mit dem Gefühl, nach einem Tag auf den Skipisten in eine gemütliche Berghütte einzukehren und sich eine dampfende Tartiflette zu gönnen, während die Wangen noch vom kalten Bergwind gerötet sind.

Ein besonderes Erlebnis bieten die Berghütten, die sogenannten "Refuges". Sie liegen oft weit abseits der Straßen und sind nur zu Fuß erreichbar. Die Unterkünfte sind einfach, das Essen dafür umso besser. Was gibt es Schöneres, als nach einer anstrengenden Wanderung bei einem gemeinsamen Abendessen mit anderen Bergfreunden zusammenzusitzen und die hausgemachten Spezialitäten zu genießen? Die Portionen sind in der Regel großzügig bemessen – schließlich muss man für den nächsten Wandertag Kraft tanken.

Unbedingt einen Besuch wert sind auch die zahlreichen Märkte der Region. Hier kann man nicht nur frische Produkte kaufen, sondern auch mit den Erzeugern ins Gespräch kommen. Die Käsebauern erzählen gerne von ihren Tieren und ihrer Arbeitsweise, und mit etwas Glück gibt es auch eine Kostprobe. Der Markt in Annecy findet dreimal wöchentlich statt und gehört zu den schönsten der Region – die Kulisse des Sees und der mittelalterlichen Altstadt machen das Einkaufserlebnis perfekt.

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