Das Allgäu und Käse – diese Verbindung reicht Jahrhunderte zurück und ist tief in der kulturellen DNA der Region verankert. Die saftig-grünen Bergwiesen liefern das Fundament für die Käseherstellung: nährstoffreiches Gras und Kräuter, die den Kühen als Futter dienen und der Milch ihren charakteristisch aromatischen Geschmack verleihen. Besonders die Heumilch spielt hierbei eine zentrale Rolle. Im Gegensatz zur konventionellen Milchproduktion frisst das Vieh im Sommer frisches Gras auf den Weiden und im Winter ausschließlich Heu – Silofutter kommt nicht in die Tüte. Das Ergebnis? Ein Geschmacksprofil von bemerkenswerter Tiefe und Komplexität, das man in industriell hergestelltem Käse vergeblich sucht.
Historisch betrachtet waren es die Klöster, die im Mittelalter die Käseherstellung im Allgäu etablierten. Die Mönche brachten Wissen und Techniken mit, die sich über die Jahrhunderte zu einem spezifisch allgäuischen Handwerk entwickelten. Die Bergbauern übernahmen diese Traditionen und verfeinerten sie. Ein Schritt von enormer wirtschaftlicher Bedeutung: Während frische Milch schnell verdarb und kaum transportfähig war, ließ sich Käse lagern und auf Märkten verkaufen – buchstäblich ein Weg aus der Bergarmut.
Der Allgäuer Emmentaler und besonders der Allgäuer Bergkäse haben sich zu geschützten regionalen Spezialitäten entwickelt. Letzterer reift mindestens vier Monate lang und entwickelt dabei seinen kräftigen, leicht nussigen Geschmack. Je länger die Reifezeit, desto intensiver das Aroma – manch alter Bergkäse bringt es auf über 24 Monate Reifung und ein entsprechend kraftvolles Geschmackserlebnis. Das Geheimnis liegt nicht nur in der Heumilch, sondern auch in der traditionellen Kupferkessel-Herstellung und der behutsamen Pflege während der Reifezeit.
Die Sennereien – Wo Tradition auf Handwerk trifft
Im Herzen der Allgäuer Käsekultur stehen die Sennereien – Produktionsstätten, die oft seit Generationen Käse nach überlieferten Rezepturen herstellen. Hier sind einige besonders sehenswerte Betriebe, die einen Besuch lohnen:
Die Dorfsennerei Böserscheidegg in Scheidegg stellt einen idealen Einstiegspunkt in die Allgäuer Käsewelt dar. In diesem traditionell geprägten Betrieb an der Allgäuer Käsestraße wird Heumilch von lokalen Bauern zu exquisiten Käsespezialitäten verarbeitet. Dabei kommen teils Jahrhunderte alte Methoden zum Einsatz, was dem Käse seinen authentischen Charakter verleiht. Wer morgens früh dran ist, kann sogar den Sennern bei ihrer täglichen Arbeit über die Schulter schauen – ein faszinierender Einblick in ein Handwerk, das mehr Kunst als Wissenschaft ist.
Die Sennerei Gunzesried in Blaichach-Gunzesried trägt stolz den Titel "älteste Sennerei Bayerns" und ist dementsprechend ein Muss für jeden kulinarischen Entdecker. In den historischen Gemäuern entstehen prämierte Käsesorten nach Rezepturen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Die Atmosphäre ist wie aus der Zeit gefallen – der Duft von warmer Milch und reifendem Käse, das gleichmäßige Rühren in den Kupferkesseln und das geschäftige Treiben der Käser erzeugen eine fast meditative Stimmung.
Einen Kontrast dazu bietet die Bio-Schaukäserei Wiggensbach. Hier trifft Tradition auf ökologisches Bewusstsein. Der Betrieb hat sich der biologischen Produktion verschrieben und verarbeitet ausschließlich Bio-Milch aus der Region. Bei Führungen erleben Besucher hautnah, wie aus Rohmilch langsam aber sicher Käse entsteht – vom Einlaben über das Schneiden der Gallerte bis hin zum Pressen und Salzen. Im angeschlossenen Hofladen lockt eine verführerische Auswahl an Bio-Käsespezialitäten, darunter auch etliche prämierte Sorten.
Einen besonderen Tipp stellt die Käsküche Isny dar, die sich durch eine gelungene Kombination aus traditionellem Handwerk und modernen Produktionstechniken auszeichnet. Durch große Glasscheiben können Besucher den gesamten Herstellungsprozess beobachten, während informative Tafeln die einzelnen Schritte erläutern. Die Verkostung im angeschlossenen Laden ist ein Genuss – neben den klassischen Sorten gibt's hier auch kreative Varianten mit Kräutern, Gewürzen oder sogar Trüffeln.
Die Allgäuer Käsestraße – Eine Route für Genießer
Die Allgäuer Käsestraße ist mehr als nur eine Verkehrsverbindung – sie ist eine kulinarische Reiseroute, die sich wie ein gelber Faden durch die idyllische Westallgäuer Landschaft zieht. Keine schnurgerade Autobahn, sondern ein Netz aus malerischen Straßen und Wegen, die zahlreiche Heumilchsennereien, Hofläden und gastronomische Betriebe miteinander verbinden. Die gut ausgeschilderte Strecke lässt sich per Auto, Rad oder teilweise sogar zu Fuß erkunden – je nach Zeitbudget und Kondition.
Entlang der Route reihen sich Betriebe wie Perlen an einer Schnur: Die Sennerei Bremenried eG in Weiler im Allgäu etwa ist genossenschaftlich organisiert und bewahrt damit die traditionellen Strukturen des Westallgäus. Die Heumilch Sennerei Rutzhofen in Stiefenhofen wiederum hat sich auf silofrei erzeugte Milch spezialisiert, was dem Käse einen besonders intensiven Geschmack verleiht. Bei Baldaufs Käs- und Weinkeller in Lindenberg erwartet Genießer eine exzellente Kombination aus feinem Käse und passenden Weinen – ein Gaumenfeuerwerk der besonderen Art.
Die Käsestraße bietet über das reine Einkaufserlebnis hinaus auch thematische Radtouren und kulinarische Erlebnisangebote. In Käseschulen können Neugierige selbst Hand anlegen und unter fachkundiger Anleitung eigenen Käse herstellen. Wer's etwas vielseitiger mag, besucht eine der Brauereiführungen oder nimmt an einem Kräuterkochkurs teil – schließlich gehören zum Käse auch Bier und würzige Kräuter aus der Region.
Zur Käsestraße zählen auch einige schmucke Lokale, die die regionalen Produkte auf den Teller bringen. Ein deftiges Käsefondue mit verschiedenen Allgäuer Käsesorten, eine zünftige Brotzeit mit frisch geschnittenem Bergkäse oder ein raffiniertes Käsemenü – die Auswahl ist verblüffend vielfältig. Dazu ein Glas lokales Bier oder einen Wein aus der Bodenseeregion, und das kulinarische Glück ist perfekt.
Hoch hinaus – Die Almkäsereien
Eine ganz eigene Liga in der Allgäuer Käsewelt bilden die Almkäsereien. Hier, auf den Hochalmen, wird Käse unter Bedingungen hergestellt, die sich seit Jahrhunderten kaum verändert haben. Die Kühe grasen auf steilen Bergwiesen, die mit einer enormen Vielfalt an Gräsern und Alpenkräutern gesegnet sind. Diese botanische Vielfalt – Botaniker haben auf manchen Almwiesen über hundert verschiedene Pflanzenarten identifiziert – überträgt sich auf die Milch und verleiht dem Almkäse sein unvergleichliches Aroma.
Die Sennalpe Gerstenbrändle im Gunzesrieder Tal ist ein authentisches Beispiel für diese ursprüngliche Form der Käseherstellung. Der Weg dorthin führt über schmale Pfade durch duftende Bergwiesen – schon die Wanderung ein Erlebnis für sich. Oben angekommen, belohnt nicht nur der Panoramablick auf die Allgäuer Bergwelt, sondern auch die Möglichkeit, den Sennern bei ihrer täglichen Arbeit zuzusehen. In dem schlichten Holzgebäude wird Milch in großen Kupferkesseln über offenem Feuer erhitzt – archaisch und faszinierend zugleich. Der resultierende Käse schmeckt intensiv würzig mit deutlichen Kräuternoten – ein Geschmackserlebnis, das man so nur hier oben findet.
Ähnlich ursprünglich geht es auf der Sennalpe Breitengehren bei Oberstdorf zu. Nach einer schweißtreibenden Wanderung durch die Berglandschaft empfängt einen die urige Almhütte mit ihrem charakteristischen Holzschindeldach. Im Inneren erwärmt ein knisterndes Feuer die Atmoshäre, während der Senner mit geübten Bewegungen den Käsebruch bearbeitet. Die Brotzeit mit frischem Almkäse, deftigem Brot und einem Glas Most auf der sonnigen Terrasse gehört zu den kulinarischen Sternstunden, die das Allgäu zu bieten hat.
Ein wichtiger Hinweis am Rande: Die meisten Almen sind nur saisonal, zwischen Mai und September, geöffnet und manche nur zu Fuß erreichbar. Eine gute Planung ist daher unerlässlich – Öffnungszeiten vorab checken und festes Schuhwerk einpacken. Der Aufwand wird jedoch mit einem unvergesslichen Berg- und Geschmackserlebnis belohnt.
Praktisches Käsewissen und Besuchertipps
Für den optimalen Käsegenuss im Allgäu gibt es einige Dinge zu beachten. Die beste Reisezeit für Käseliebhaber ist eindeutig der Sommer, wenn auch die höher gelegenen Almen zugänglich sind und die Kühe auf den Bergwiesen grasen. Das traditionelle "Viehscheid" im September, wenn das Vieh von den Almen ins Tal getrieben wird, ist ein besonderes Spektakel mit festlicher Atmosphäre – perfekt, um Käsetradition und Brauchtum zu erleben.
Beim Kauf von Käse direkt vom Erzeuger lohnt es sich, nach Reifegraden zu fragen. Viele Sennereien bieten ihren Käse in verschiedenen Altersstufen an – vom milden "Jungen" bis zum würzig-scharfen "Alten". So kann man die Geschmacksentwicklung nachvollziehen und den persönlichen Favoriten finden. Wer unsicher ist, bittet einfach um eine kleine Kostprobe, die in den meisten Betrieben gerne gewährt wird.
Für den Transport nach Hause gibt es einen einfachen Trick: Käse am besten vakuumieren lassen, was in fast allen Sennereien und Käseläden möglich ist. So bleibt er länger frisch und die Gerüche bleiben im Gepäck eingeschlossen. Zuhause angekommen, sollte der Käse idealerweise in Käsepapier umgewickelt und im Gemüsefach des Kühlschranks aufbewahrt werden – nie in Plastik, da er "atmen" muss.
Ein besonderer Tipp für echte Käsefans ist die Käseschule Allgäu in Thalkirchdorf bei Oberstaufen. Hier kann man in verschiedenen Kursen selbst Hand anlegen und unter fachkundiger Anleitung eigenen Käse herstellen. Von einfachem Frischkäse bis zum komplexen Hartkäse ist alles dabei – ein Erlebnis, das tiefe Einblicke in das Handwerk bietet und nebenbei verdammt viel Spaß macht. Die selbstgemachten Käselaibe können später abgeholt oder zugeschickt werden – ein essbares Souvenir der besonderen Art.
Wer's etwas gemütlicher angehen lassen möchte, besucht das Thalkirchdorfer Dorfhaus mit seiner Schaukäserei und dem gut sortierten Milch-Laden. Hier kann man bei einem Kaffee entspannt durch die Glasscheibe beobachten, wie die Käser ihr Handwerk ausüben, und anschließend im Laden nach Herzenslust einkaufen.
Versteckte Juwelen und Geheimtipps
Abseits der bekannteren Sennereien gibt es im Allgäu einige versteckte Perlen, die einen Umweg wert sind. Die Bergkäserei Steibis in Oberstaufen-Steibis etwa liegt etwas abgeschieden in der malerischen Berglandschaft und stellt einen würzigen Bergkäse her, der bei Kennern heiß begehrt ist. Die kleine, familiär geführte Sennerei lädt zum Verweilen ein – hier nimmt man sich noch Zeit für ein Schwätzchen mit den Kunden.
Ein echtes Schmuckstück ist auch die Bergkäserei Diepolz in Immenstadt-Diepolz. Auf über 1.000 Metern Höhe gelegen, produziert sie nicht nur exzellenten Käse, sondern ist auch Teil des Allgäuer Bergbauernmuseums. Der Besuch verbindet somit Gaumenfreuden mit kulturellem Erkenntnisgewinn – man erfährt nebenbei viel über die harte Arbeit der Bergbauern in früheren Zeiten.
Die Walder Käskuche in Wald ist ein weiterer Geheimtipp. In dieser kleinen Erlebniskäserei wird mit viel Liebe zum Detail produziert. Das Besondere: Die Käser nehmen sich ausgiebig Zeit für Fragen und erklären den Herstellungsprozess mit einer Leidenschaft, die ansteckend wirkt. Der Laden bietet neben den eigenen Produkten auch eine feine Auswahl anderer regionaler Spezialitäten – von Waldhonig bis zum selbstgebrannten Obstler ist alles dabei.
Die Hofkäserei Lipp in Zell bei Ronsberg ist ein echter Familienbetrieb vom alten Schlag. Hier wird noch Käse hergestellt, wie es der Urgroßvater tat – mit viel Handarbeit und einem geschulten Gespür für den richtigen Zeitpunkt bei jedem Arbeitsschritt. Die unprätentiöse Atmosphäre und die herzliche Gastfreundschaft der Familie Lipp sind fast so beeindruckend wie der exzellente Käse, den sie produzieren.
Kulinarische Kombinationen – Mehr als nur Käse
So köstlich Allgäuer Käse auch für sich allein sein mag – in Kombination mit den richtigen Begleitern entfaltet er sein volles Potenzial. Die Region bietet dazu eine Fülle an passenden Produkten. An erster Stelle steht das deftige Allgäuer Bauernbrot mit seiner kräftigen Kruste und dem saftigen Kern – eine ideale Basis für jeden Käse. Dazu passen eingelegte Gurken oder das traditionelle "Kässpatzen-Gsälz", eine würzige Zwiebelmarmelade, die den Käsegeschmack perfekt ergänzt.
Auch die flüssige Begleitung will wohlüberlegt sein. Die Allgäuer Brauereien bieten charaktervolle Biere, die hervorragend mit den lokalen Käsesorten harmonieren. Zum milden Bergkäse passt ein helles Weißbier, während ein kräftiger, gereifter Bergkäse nach einem malzigen Dunkelbier verlangt. Wer Wein bevorzugt, greift am besten zu säurebetonten Weißweinen aus der nicht allzu weit entfernten Bodenseeregion – ein Müller-Thurgau oder Grauburgunder bildet eine hervorragende Ergänzung zum Käse.
Ein kulinarisches Highlight sind die berühmten Allgäuer Kässpatzen – eine regionale Spezialität, bei der Spätzle-Teig mit reichlich geriebenem Käse (traditionell Bergkäse und Emmentaler) und gebratenen Zwiebeln geschichtet wird. In vielen Gasthäusern entlang der Käsestraße wird dieses deftige Gericht angeboten, oft mit kleinen lokalen Variationen, die es immer wieder neu entdeckenswert machen.
Zu guter Letzt sei noch auf die süße Seite des Allgäus verwiesen: Die regionalen Honige, oft von Imkern direkt an der Käsestraße angeboten, bilden einen interessanten Kontrast zum würzigen Käse. Besonders Waldhonig mit seinem kräftigen, leicht herben Aroma setzt spannende Akzente in Kombination mit einem älteren Bergkäse – ein ungewöhnliches, aber äußerst lohnendes Geschmackserlebnis.