Schon im 8. Jahrhundert zog es die ersten Benediktiner in die bayerischen Voralpen. Die Abgeschiedenheit der Täler bot ideale Bedingungen für ein Leben nach der Regel des heiligen Benedikt von Nursia – "ora et labora", bete und arbeite. Was zunächst wie eine Flucht aus der Welt aussah, entwickelte sich rasch zum Gegenteil: Die Klöster wurden zu Zentren von Bildung, Wirtschaft und Kultur.
Besonders die Benediktiner verstanden es, aus der scheinbaren Einsamkeit einen Vorteil zu machen. Sie rodeten Wälder, legten Äcker an und gründeten Handwerksbetriebe. Dabei half ihnen ein geschicktes System: Jedes Kloster war wirtschaftlich selbstständig, aber gleichzeitig Teil eines europaweit vernetzten Ordens. So konnten Wissen und Ressourcen ausgetauscht werden – ein mittelalterliches Franchise-System, wenn man so will.
Die geografische Lage der bayerischen Alpenklöster war kein Zufall. Viele entstanden an wichtigen Handelswegen über die Pässe nach Italien oder Österreich. Die Mönche boten Reisenden Schutz und Verpflegung, kassierten dafür Gebühren und reinvestierten die Einnahmen in den Ausbau ihrer Anlagen. Ein cleveres Geschäftsmodell, das über Jahrhunderte funktionierte.
Ettal: Das Prunkstück im Graswangtal
Wer vom Oberammergauer Passionsspielort Richtung Garmisch-Partenkirchen fährt, dem fällt die mächtige Barockfassade von Kloster Ettal schon von Weitem ins Auge. Ludwig der Bayer gründete das Kloster 1330 nach einer Legende, die sich hartnäckig hält: Sein Pferd soll auf dem Ettaler Sattel dreimal niedergekniet sein – ein göttliches Zeichen für den Kaiser, hier ein Kloster zu errichten.
Ob's stimmt oder nicht – das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die ursprünglich gotische Kirche wurde im 18. Jahrhundert zu einem barocken Gesamtkunstwerk umgebaut. Das Deckenfresko von Johann Jakob Zeiller ist mit 1.300 Quadratmetern eines der größten der Welt. Wenn du den Kopf in den Nacken legst und nach oben schaust, wird dir schnell schwindelig – die Perspektive ist so perfekt gemalt, dass die Kuppel endlos hoch zu schweben scheint.
Heute leben noch etwa 40 Benediktiner in Ettal. Sie betreiben nicht nur das Kloster, sondern auch ein Gymnasium, eine Destillerie und eine Brauerei. Der "Ettaler Kloster-Liqueur" ist weit über Bayern hinaus bekannt – das Rezept hüten die Mönche wie einen Staatsschatz. Nur der Cellerar, der Wirtschaftsverantwortliche des Klosters, kennt alle 70 Kräuter, die in den goldgelben Schnaps gehören.
Spannend ist dabei, dass Ettal nie eine reine Touristenattraktion war. Das Kloster ist bis heute wirtschaftlich aktiv und selbstständig. Die Mönche unterrichten am angeschlossenen Gymnasium, forschen in der klostereigenen Bibliothek oder arbeiten in den Betrieben. Mancher Benediktiner hat einen Ingenieurstitel – moderne Klosterführung braucht eben auch betriebswirtschaftliches Know-how.
Benediktbeuern: Mehr als nur ein schöner Name
Wer an Benediktbeuern denkt, dem fallen meist zuerst die "Carmina Burana" ein – jene mittelalterlichen Lieder von Wein, Weib und Gesang, die Carl Orff zu seinem berühmten Chorwerk verarbeitete. Tatsächlich wurden die Handschriften im 19. Jahrhundert in der Klosterbibliothek entdeckt. Allerdings haben die derben Verse wenig mit dem frommen Klosterleben zu tun – sie stammen von fahrenden Scholaren, die ihre Texte hier nur zufällig hinterließen.
Das Kloster selbst blickt auf eine noch ältere Geschichte zurück. 739 gründeten bayerische Adlige hier eine Benediktinerabtei, die schnell zu einem der einflussreichsten Klöster des Landes wurde. Besonders im Hochmittelalter war Benediktbeuern ein Zentrum der Wissenschaft. Die Mönche betrieben eine berühmte Schreibstube, kopierten antike Texte und sammelten Handschriften aus ganz Europa.
Nach der Säkularisation 1803 verfiel das Kloster zunächst. König Ludwig I. von Bayern rettete die Anlage, indem er sie den Salesianern Don Boscos übertrug. Diese italienische Ordensgemeinschaft hat sich der Jugendarbeit verschrieben – ein Auftrag, den sie in Benediktbeuern bis heute erfüllt. Das Aktionszentrum des Klosters ist eine der größten katholischen Jugendbildungsstätten Deutschlands.
Heute ist Benediktbeuern ein lebendiger Ort. Neben der Jugendarbeit gibt es eine Philosophisch-Theologische Hochschule, die Zentrum für Umwelt und Kultur und verschiedene Forschungseinrichtungen. Wer durch die weitläufige Anlage spaziert, trifft auf Studenten aus aller Welt, Wissenschaftler und Pilger. Die barocke Basilika mit ihren beiden markanten Türmen ist dabei nur ein Teil des Komplexes – dahinter verbergen sich moderne Seminarräume, eine große Bibliothek und sogar ein eigenes Zentrum für Nachhaltigkeit.
Klosterleben heute: Zwischen Tradition und Moderne
Wer glaubt, in bayerischen Klöstern tickten die Uhren noch wie im Mittelalter, der irrt gewaltig. Die meisten Ordensgemeinschaften haben sich erfolgreich an die moderne Welt angepasst, ohne ihre spirituellen Wurzeln zu verlieren. Manche Mönche bloggen im Internet, andere leiten High-Tech-Unternehmen oder forschen an Universitäten.
Das Kloster Andechs etwa – streng genommen zwar kein Alpenkloster, aber nur einen Steinwurf von den Bergen entfernt – zeigt exemplarisch, wie zeitgemäße Klosterführung aussehen kann. Die Benediktiner dort betreiben nicht nur eine der bekanntesten Klosterbrauereien Bayerns, sondern auch modernste Landwirtschaft und einen florierenden Gasthof. Der "Heilige Berg" zieht jährlich über eine Million Besucher an – Pilger und Bierliebhaber gleichermaßen.
Auch in anderen Alpenklöstern hat sich viel getan. Viele haben ihre historischen Räume für Tagungen und Seminare geöffnet. Klösterliche Stille wird heute als Luxusgut vermarktet – wer dem Großstadtstress entfliehen will, bucht sich für ein Wochenende in eine Klosterzelle. "Kloster auf Zeit" nennt sich das Konzept, das bei gestressten Managern und Burnout-Kandidaten hoch im Kurs steht.
Interessant ist auch, wie die Klöster mit dem Pilgertourismus umgehen. Der Jakobsweg führt durch mehrere bayerische Alpentäler, und viele Klöster haben sich darauf eingestellt. Sie bieten günstige Übernachtungen, Pilgermahlzeiten und spirituelle Begleitung. Mancher Wanderer, der ursprünglich nur eine billige Bleibe suchte, verlässt das Kloster mit neuen Lebensperspektiven.
Architektur: Vom Romanischen zum Barock
Die bayerischen Alpenklöster sind ein Bilderbuch der europäischen Architekturgeschichte. Die ältesten erhaltenen Teile stammen aus romanischer Zeit – wuchtige Mauern, kleine Fenster, schlichte Formen. Diese frühen Bauten sollten Beständigkeit ausdrücken und Schutz vor den Unwägbarkeiten der Zeit bieten.
Mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Klöster wandelte sich auch ihre Architektur. Die Gotik brachte hohe, lichtdurchflutete Räume und filigrane Steinmetzarbeiten. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das in der ehemaligen Klosterkirche von Tegernsee, wo sich gotische Gewölbe über einem romanischen Grundriss spannen.
Den architektonischen Höhepunkt erreichten die Alpenklöster jedoch im Barock. Nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs wollten die Äbte ein Zeichen setzen – für den Triumph des katholischen Glaubens und den Reichtum ihrer Häuser. So entstanden Prachtbauten wie die Klosterkirche von Ettal oder die Basilika von Benediktbeuern, die auch heute noch Besucher ins Staunen versetzen.
Was dabei oft übersehen wird: Diese barocken Kirchenräume waren nicht nur schön, sondern auch funktional durchdacht. Die Akustik ist perfekt auf Chorgesang abgestimmt, die Lichtführung betont die wichtigsten liturgischen Orte, und die Raumaufteilung trennt klar zwischen Mönchschor und Laienbereich. Hier zeigt sich die jahrhundertelange Erfahrung der Benediktiner im Kirchenbau.
Wirtschaftsmacht Kloster: Vom Mittelalter bis heute
Dass Klöster einmal zu den größten Wirtschaftsunternehmen Bayerns gehörten, ist heute fast vergessen. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit kontrollierten sie riesige Ländereien, betrieben Mühlen, Brauereien und Handwerksbetriebe. Das Kloster Tegernsee etwa besaß zeitweise über 40 Dörfer und war einer der größten Grundherren Oberbayerns.
Diese Wirtschaftsmacht beruhte auf einem ausgeklügelten System. Die Klöster erhielten durch Schenkungen und Stiftungen immer neuen Landbesitz, den sie systematisch erschlossen. Sie führten neue Anbaumethoden ein, züchteten bessere Tierrassen und entwickelten handwerkliche Techniken weiter. Das Wissen wurde in den Klosterschulen an die nächste Generation weitergegeben.
Besonders erfolgreich waren die Klöster im Brauwesen. Schon im Mittelalter brauten fast alle bayerischen Klöster ihr eigenes Bier – nicht nur für den Eigenverbrauch, sondern auch für den Verkauf. Das berühmte Bayerische Reinheitsgebot von 1516 wurde übrigens nicht zuletzt auf Druck der Klosterbrauer durchgesetzt, die ihre Qualitätsvorsprünge gegen billige Konkurrenz schützen wollten.
Nach der Säkularisation 1803 verloren die Klöster ihren Besitz und mussten von vorn anfangen. Umso bemerkenswerter ist es, dass viele von ihnen heute wieder wirtschaftlich erfolgreich sind. Kloster Andechs etwa erwirtschaftet mit seiner Brauerei und Gastronomie Millionenumsätze, die in soziale Projekte und den Erhalt der historischen Bausubstanz fließen.
Kulturelles Erbe: Bibliotheken, Kunst und Musik
Die kulturelle Bedeutung der bayerischen Alpenklöster lässt sich kaum überschätzen. Über Jahrhunderte waren sie die wichtigsten Bildungszentren der Region. In ihren Bibliotheken sammelten die Mönche nicht nur theologische Werke, sondern auch Texte zu Geschichte, Naturwissenschaften und Literatur. Viele antike Schriften sind nur deshalb erhalten geblieben, weil Klosterschreiber sie kopierten.
Besonders wertvoll sind die illuminierten Handschriften – prächtig ausgestattete Bücher mit kunstvollen Malereien. Die Mönche von Tegernsee etwa schufen im 11. Jahrhundert Evangeliare, die heute zu den Höhepunkten mittelalterlicher Buchmalerei zählen. Diese Werke sind nicht nur künstlerisch bedeutend, sondern auch wichtige Quellen für die Kulturgeschichte der Zeit.
Auch die Musik spielte in den Klöstern eine zentrale Rolle. Der gregorianische Choral gehörte zum täglichen Stundengebet, und viele Mönche komponierten eigene geistliche Werke. In Benediktbeuern entstand eine der bedeutendsten Sammlungen mittelalterlicher Lyrik – die bereits erwähnten "Carmina Burana". Dass diese weltlichen Lieder ausgerechnet in einem Kloster überliefert wurden, zeigt, wie vielfältig die kulturellen Interessen der Mönche waren.
Heute sind viele Klosterbibliotheken der Öffentlichkeit zugänglich. Die Stiftsbibliothek von Kremsmünster in Oberösterreich – nur einen Katzensprung von Bayern entfernt – besitzt über 160.000 Bände und gilt als eine der schönsten historischen Bibliotheken Europas. Wer zwischen den jahrhundertealten Regalen wandelt, spürt förmlich den Geist der Gelehrsamkeit, der diese Orte über Jahrhunderte prägte.
Praktische Tipps für Klosterbesucher
Die meisten bayerischen Alpenklöster sind für Besucher geöffnet, allerdings solltest du ein paar Grundregeln beachten. Zunächst einmal sind das lebendige Klöster, keine Museen. Respektiere die Gebetszeiten und verhalte dich in den Kirchenräumen entsprechend andächtig. Fotografieren ist meist erlaubt, aber ohne Blitz und nicht während der Gottesdienste.
Die Öffnungszeiten variieren je nach Kloster und Saison. Im Sommer sind die meisten täglich geöffnet, im Winter oft nur an Wochenenden. Führungen werden regelmäßig angeboten – sie lohnen sich, weil du dabei auch Bereiche zu sehen bekommst, die normalerweise nicht zugänglich sind. Die Mönche selbst führen allerdings selten; meist übernehmen das speziell ausgebildete Guides.
Viele Klöster bieten auch Übernachtungsmöglichkeiten. Die Zimmer sind meist einfach, aber sauber und günstig. Allerdings solltest du rechtzeitig buchen, besonders in der Hauptsaison. Manche Klöster haben auch Restaurants oder Biergärten – dort kannst du oft regionale Spezialitäten und selbstgebrautes Bier probieren.
Für die Anreise eignet sich am besten das Auto, da viele Klöster abseits der großen Verkehrswege liegen. Ettal und Benediktbeuern sind aber auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar. Vom Münchner Hauptbahnhof fährt stündlich ein Zug nach Kochel am See, von dort sind es nur noch wenige Kilometer mit dem Bus.