Die Alpenregion zwischen Mittenwald und Bad Reichenhall, vom Allgäu bis zum Chiemgau, beherbergt eine beeindruckende Vielfalt an Brauereien. Manche auf über 1.300 Meter Höhe, andere verstecken sich in Klostermauern oder alten Gasthöfen. Was sie eint: die Leidenschaft für ein Getränk, das hier nicht nur Durstlöscher ist, sondern Kulturgut.
Klosterbrauereien – Wo Mönche das Bier erfanden
Dass Bier einst von Mönchen perfektioniert wurde, ist kein Mythos. Die Klosterbrauerei Ettal beweist das seit über 400 Jahren eindrucksvoll. Nur wenige Kilometer südlich von Oberammergau gelegen, braut die Benediktiner-Abtei noch heute nach alten Rezepturen. Das Ettaler Dunkel schmeckt dabei anders als die meisten modernen Interpretationen – malziger, voller, mit einer Süße, die an Karamell erinnert.
Die Anfahrt nach Ettal gestaltet sich entspannt: Von München aus führt die Bahnlinie nach Garmisch-Partenkirchen bis Oberau, von dort bringt der Bus 9606 die Besucher direkt vor die Klostertore. Spannend dabei ist die Geschichte des Klosters selbst, das Kaiser Ludwig der Bayer 1330 gründete – allerdings nicht aus religiösen, sondern aus ganz weltlichen Motiven nach einem Jagdunfall.
Weit weniger bekannt, aber nicht minder traditionell braut das Augustiner-Chorherrenstift Baumburg bei Altenmarkt an der Alz. Hier führt die Familie Dietl die Brauerei seit 1870, doch das Sudhaus wurde bereits 1406 erstmals erwähnt. Was diese Brauerei besonders macht: Sie betreibt nachhaltige Produktion mit eigenem Getreideanbau und einer Wasserkraftanlage. Das Ergebnis sind mehrfach ausgezeichnete Bio-Biere, die man im urigen Brauhaus mit schattiger Terrasse vor der Kulisse der Stiftskirche genießt.
Die Lage allerdings erfordert ein Auto – mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist Baumburg nur schwer erreichbar. Dafür entschädigt die Atmosphäre: Im Innenhof-Biergarten mit Blick auf die historischen Klostermauern schmeckt das Bier noch eine Spur authentischer.
Familientraditionen im Karwendel
Am Fuße des Karwendelgebirges liegt Mittenwald – nicht nur berühmt für Geigenbau, sondern auch für die Brauerei Johann Neuner. Die Familie braut hier seit 1864, und das merkt man. Kein Schnickschnack, keine ausgefallenen Kreationen, sondern solide Lagerbiere wie Helles, Märzen und verschiedene Bockbiere.
Besonders stolz ist man auf das unfiltrierte Kellerbier, das ausschließlich im gemütlichen Postkeller der Brauerei ausgeschenkt wird. Von München aus ist Mittenwald bequem per Bahn erreichbar – die zweistündige Fahrt durch die Voralpenlandschaft ist bereits ein Erlebnis für sich. Im angeschlossenen Biergarten genießt man dann das frische Bier mit einem Alpenpanorama, das seinesgleichen sucht.
Was viele nicht wissen: Das Wasser für die Mittenwalder Biere stammt aus eigenen Quellen am Karwendel. Keine Chemie, keine Aufbereitung – nur das, was die Natur über Jahrtausende gefiltert hat. Das schmeckt man auch: Die Biere haben eine Reinheit und Frische, die in der Großstadt selten zu finden ist.
Allgäuer Höhenrausch
Im Allgäu wird's dann richtig spektakulär. Die Privatbrauerei BernardiBräu in Rettenberg-Kranzegg thront auf 1.370 Meter Höhe und darf sich stolz "Deutschlands höchstgelegene Privatbrauerei" nennen. Das ehemalige Skilift-Sudhaus beherbergt heute die "Bier Alp" – ein uriges Berghaus mit sonniger Terrasse, wo sich Wanderer und Bierliebhaber die Klinke in die Hand geben.
Hier oben, wo die Luft dünner wird und der Blick bis zu den Schweizer Alpen reicht, schmecken die sieben handwerklichen Biersorten noch mal anders. Vielleicht liegt's am Höhenrausch, vielleicht an der rustikalen Atmosphäre mit Live-Musik und regionalen Schmankerln. Auf jeden Fall ist die Anfahrt ein kleines Abenteuer – nur mit dem Auto machbar, aber lohnenswert.
Ebenfalls in Rettenberg, aber im Tal, liegt die Privat-Brauerei Zötler – ein echtes Schwergewicht in Sachen Tradition. Gegründet 1447, darf sie sich "älteste Familienbrauerei der Welt" nennen. Das ist keine Marketingfloskel, sondern historisch belegt. Über 575 Jahre Braukunst in einer Familie – das muss man erstmal hinbekommen.
Die Zötlers haben dabei nicht in der Vergangenheit stehenbleiben. Neben klassischen Bieren wie Helles, Weizen und Bock produzieren sie auch moderne Craft-Biere. Seit 2008 gibt's sogar eine kleine Brennerei, aus der ein Edelbrand aus Bockbier stammt – eine Spezialität, die man so schnell nicht wieder vergisst.
Nur einen Steinwurf entfernt braut die Privatbrauerei Engelbräu seit etwa 350 Jahren. Familie Widenmayer führt den Betrieb mit der Leidenschaft von Generationen, und das schmeckt man. Mittwochs um 10 Uhr gibt es nach Voranmeldung öffentliche Brauereibesichtigungen – eine Gelegenheit, hinter die Kulissen zu blicken und die prämierten Biere direkt vom Fass zu probieren.
Das zugehörige Gasthaus Engel mit Biergarten serviert dazu herzhafte Allgäuer Küche. Hier versteht man noch, was "gemütlich" bedeutet – ohne aufgesetztes Alpenkitsch-Theater, dafür mit authentischer Gastfreundschaft.
Rosenheimer Bierkultur
Rosenheim mag nicht direkt in den Alpen liegen, gehört aber definitiv zur bayerischen Alpenregion. Hier braut Flötzinger seit 1543 – 2023 feierte die Brauerei ihr 480-jähriges Bestehen. "Dem Guten treu" lautet das Motto, und daran hat sich in fast fünf Jahrhunderten nichts geändert.
Die Klassiker wie Helles und Weißbier werden ergänzt durch saisonale Spezialbiere wie Maibock oder Festbier. Regelmäßige Brauereiführungen mit Verkostung machen die lange Tradition erlebbar – und das Reinheitsgebot gleich mit. Für Bahnreisende praktisch: Rosenheim ist gut per Regionalzug erreichbar.
Ebenfalls in Rosenheim sitzt Auerbräu, 1889 von Johann Auer gegründet. Diese Brauerei macht vor, wie Tradition und Umweltbewusstsein zusammengehen: Bereits seit den 1990er Jahren zählt sie zu den energieeffizientesten Brauereien Bayerns. Das Sortiment reicht vom Rosenheimer Original-Hellen bis zu den "111er Kultbieren" mit Bio-Label.
Was beide Rosenheimer Brauereien auszeichnet: Sie verwenden ausschließlich heimisches Getreide und klares Rosenheimer Quellwasser. In Zeiten globaler Lieferketten ist das alles andere als selbstverständlich.
Zwischen Chiemsee und Salzburg
Der Chiemgau hat einiges zu bieten – nicht nur landschaftlich. In Aying braut die Familie Inselkammer bereits in siebter Generation und hat es dabei zu Weltruhm gebracht. Das Ayinger Lager und die Urweisse sind internationale Aushängeschilder bayerischer Braukunst, der Maibock "Celebrator" gilt als Referenz seiner Art.
Im historischen Ayinger Bräustüberl von 1873 und im idyllischen Biergarten neben der Dorfkirche genießt man die mehrfach prämierten Biere in authentischer Atmosphäre. Hier spürt man noch, was bayerische Bierkultur wirklich bedeutet – ohne Touristennepp, dafür mit echten bayerischen Schmankerln.
Ganz anders präsentiert sich das Chiemseebräu in Grabenstätt. Die kleine Familienbrauerei am Chiemseeufer kombiniert Bier- und Whiskyherstellung – eine ungewöhnliche, aber reizvolle Kombination. In der 300-Liter-Destille entsteht neben Whisky auch Bierbrand aus eigenem Bier. Im angeschlossenen Bräustüberl mit Biergarten genießt man regionale Brotzeit und selbstgebrautes Bier direkt am See – bayerisches Lebensgefühl pur.
In Aschau im Chiemgau versucht das 2020/21 gegründete Brauhaus Hohenaschau, an 440 Jahre Schlossbrauerei-Tradition anzuknüpfen. Das lokale "Gams"-Helles soll wieder aufleben – zunächst als Lohnbrauerei, aber mit dem Ziel, alte Markenwerte mit modernen Brauverfahren zu verbinden.
In Pfaffing führt die Privat-Brauerei Gut Forsting als Genossenschaftsbetrieb seit 1871 vor, wie ökologische Orientierung und Brautradition Hand in Hand gehen. Effiziente Nutzung von Energie und Wasser, hochwertige Zutaten aus der Region – hier wird Nachhaltigkeit gelebt, nicht nur beworben. Das Sortiment von Weißbier hell über Keller- und Exportbiere bis zu Bio-Spezialitäten überzeugt durch Qualität statt Quantität.
Salzburger Grenzgänger
In Bad Reichenhall, praktisch an der österreichischen Grenze, führt der Brauereigasthof Bürgerbräu eine Tradition fort, die anderswo längst verschwunden ist. Das denkmalgeschützte Haus am Rathausplatz steht für "echte Braugasthof-Kultur" – ein Begriff, der hier noch Bedeutung hat.
In den historischen Stuben oder im Biergarten werden frisch gezapfte Bürgerbräu-Biere wie Helles und Weißbier serviert, dazu selbstgebackene Brotzeiten. Das alpenländische Flair ist nicht inszeniert, sondern gewachsen – über Generationen hinweg.
Praktische Tipps für Brauereitouren
Wer die Brauereilandschaft der bayerischen Alpenregion erkunden möchte, sollte einiges beachten. Viele der kleineren Brauereien sind nur mit dem Auto erreichbar – besonders im Allgäu. Bahnanbindungen gibt es hauptsächlich zu den größeren Orten wie Rosenheim, Mittenwald oder Ettal.
Brauereiführungen sollten vorab angemeldet werden, spontane Besuche sind oft nicht möglich. Die meisten Betriebe bieten feste Termine, manche nur auf Anfrage. Gerade bei Familienbetrieben kann es vorkommen, dass der Braumeister selbst durch den Betrieb führt – eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Die beste Reisezeit? Eigentlich ganzjährig, denn jede Jahreszeit hat ihre Bier-Spezialitäten. Im Frühjahr lockt der Maibock, im Sommer die Biergärten mit ihren schattigen Plätzen, im Herbst das Festbier, im Winter die kräftigen Bockbiere. Was das ganze Jahr über gleich bleibt: die Gastfreundschaft und die Liebe zum handwerklich gebrauten Bier.
Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, kann bei einigen Brauereien sogar Braukurse belegen. Hier lernt man nicht nur die Theorie, sondern darf selbst Hand anlegen – und das eigene Bier mit nach Hause nehmen.