Nicht weniger als 21 Michelin-Sterne verteilen sich aktuell auf die Restaurants der Region – eine beachtliche Dichte für ein verhältnismäßig kleines Gebiet. Wer sich auf kulinarische Entdeckungsreise begibt, erlebt hier nicht nur außergewöhnliche Gaumenfreuden, sondern auch die architektonische Vielfalt von jahrhundertealten Stuben bis zu modernen Glaspavillons mit atemberaubenden Panoramablicken.
Die kulinarischen Leuchtfeuer: Drei- und Zwei-Sterne-Häuser
Die Spitze der gastronomischen Pyramide Südtirols bildet das „Atelier Moessmer" in Bruneck. Als einziges Restaurant der Region mit drei Michelin-Sternen setzt Küchenchef Norbert Niederkofler hier Maßstäbe mit seinem „Cook the Mountain"-Konzept. In der historischen Villa Moessmer, umgeben von einem weitläufigen Garten, dreht sich alles um strenge Nachhaltigkeit und kompromisslose Regionalität. Der Verzicht auf Zitrusfrüchte oder Schokolade zugunsten heimischer Alternativen mag zunächst radikal erscheinen, entfaltet aber eine vollkommen eigene kulinarische Sprache, die tief in der alpinen Landschaft verwurzelt ist. Besonders spannend: Die Saisonalität wird hier nicht bloß als Marketingfloskel verstanden, sondern strikt gelebt – was auf der Karte steht, ist ein Spiegelbild dessen, was die umliegenden Berge und Täler gerade hergeben.
Mit jeweils zwei Sternen glänzen „Castel Fine Dining" in Dorf Tirol und „Terra – The Magic Place" im Sarntal. Ersteres besticht nicht nur durch die Kochkunst von Gerhard Wieser, sondern auch durch seine Lage im gleichnamigen Schloß-Hotel mit 180-Grad-Panorama über das Vinschgau. Die technisch brillante Küche verbindet lokale Schätze mit raffinierter Präzision – etwa wenn lokale Ochsenrenna-Scampi oder selbstgemachte Spanferkel-Ravioli mit Parmesanschaum auf den Tisch kommen. Das „Terra" hingegen punktet mit seiner außergewöhnlichen Höhenlage von 1.622 Metern, was es zum höchstgelegenen Sternerestaurant Italiens macht. Die Crew um die Familie Schneider serviert ein einziges, täglich wechselndes Degustationsmenü, das konsequent auf biologische Produkte aus der Umgebung setzt. Der umgebende Bergwald und der Blick auf die Dolomiten tun ihr Übriges, um das Erlebnis zu einem ganzheitlichen zu machen. Eine Spezialität ist das lokal gezüchtete Rind, das in verschiedenen Zubereitungsarten zelebriert wird.
Die Ein-Stern-Elite: Traditionelle Einflüsse neu interpretiert
Den größten Anteil der Südtiroler Sterneküche machen die Ein-Stern-Restaurants aus. Sie bilden eine faszinierende Vielfalt unterschiedlicher Ansätze und Philosophien – von streng traditionell bis experimentell-avantgardistisch.
Ein wahres Urgestein der Südtiroler Spitzengastronomie ist „Zur Rose" in St. Michael/Eppan. Herbert Hintner führt dieses in einem historischen Gasthaus (seit 1300!) untergebrachte Restaurant mit viel Fingerspitzengefühl für die Balance zwischen Innovation und Tradition. Seine Menüs, die in einen traditionellen und einen vegetarischen Track aufgeteilt sind, haben zahlreiche Nachahmer gefunden. Gleich im selben Ort befindet sich auch die „Osteria Acquarol", wo Alessandro Bellingeri einen gänzlich anderen, minimalistischen Ansatz verfolgt. Sein puristischer Umgang mit Wildkräutern und Gemüse – vieles davon aus dem eigenen Garten – schafft überraschende Geschmackserlebnisse wie etwa die kalte Gemüsesuppe „L'orto dietro l'angolo" oder grüne Tagliatelle mit Bitterstoffen.
In Welschnofen wiederum hat sich die „Johannesstube" im Hotel Engel einen Namen gemacht. Theodor Falser setzt hier auf strikte Regionalität und wendet selbst aufwändige Techniken wie Fermentieren an. Fast alles auf dem Teller stammt aus der unmittelbaren Umgebung – die wenigen Ausnahmen wie Zucker oder Reis werden offen kommuniziert. Das gemütliche Stuben-Ambiente mit viel Holz unterstreicht den bodenständigen Ansatz, der dennoch technisch auf höchstem Niveau umgesetzt wird.
Einen Kontrast dazu bildet das „Tilia" in Toblach, das in einem futuristisch anmutenden Glas-Stahl-Kubus inmitten des Gartens eines ehemaligen Grand Hotels untergebracht ist. Chris Oberhammer serviert hier ein opulentes 20-Gänge-Menü an nur fünf Tischen. Der minimalistische Bau schafft eine besondere Nähe zwischen Koch und Gast. Viele Zutaten kommen direkt vom Partnerhof „Klaude", ergänzt um sorgfältig ausgewählte Luxusprodukte wie Kaviar oder Garnelen.
Kulinarische Hochburgen: Meran und Umgebung
Die elegante Kurstadt Meran und ihr Umland haben sich zu einem regelrechten Epizentrum der Südtiroler Sterneküche entwickelt. Gleich mehrere hochdekorierte Restaurants finden sich hier auf engem Raum.
Das „Prezioso" im Castel Fragsburg besticht durch seine spektakuläre Panorama-Terrasse, von der aus man einen atemberaubenden Blick über Meran genießt. Chef Egon Heiss setzt auf ein einziges Degustationsmenü aus lokalen Alpenzutaten – vieles davon aus dem hauseigenen Gemüsegarten. Gerichte wie „Lamm zweierlei" (Filet und Schulter) von Lämmchen aus Villnöss oder Bergforelle in verschiedenen Zubereitungsarten sind hier Programm.
In der Fußgängerzone Merans findet sich das „Sissi", das bereits durch seinen Namen den historischen Jugendstil-Charme unterstreicht. Andrea Fenoglio, der nicht nur Küchenchef, sondern auch Hausherr ist, vereint klassische Südtiroler Küche mit leichten, modernen Akzenten. Sein jährlich wechselndes Überraschungsmenü „Settepiatti" gehört zu den köstlichsten Konstanten der Meraner Gastroszene. Die Gerichte bestechen durch opulente Aromen, die dennoch stets fein abgestimmt und ausgewogen präsentiert werden.
Eine Weltreise auf dem Teller verspricht das „In Viaggio" von Claudio Melis. Der Name ist hier buchstäblich Programm: „In Viaggio" bedeutet „auf Reisen", und genau darauf nimmt der Chef seine Gäste mit. In einem ruhigen, elegant eingerichteten Speisesaal erklärt er persönlich seine Kreationen, die alpines Erbe mit globalen Einflüssen kombinieren. Die angebotenen Menüs (wahlweise 5, 7 oder 9 Gänge) überraschen immer wieder durch unerwartete Geschmackskombinationen.
Nur einen Katzensprung von Meran entfernt, in Algund, versteckt sich die „Luisl Stube" im historischen Schlosswirt Forst. Mit nur vier Tischen gehört sie zu den intimsten Sternerestaurants der Region. Küchenchef Luis Haller schafft eine gelungene Symbiose aus klassischem Ambiente (viel Holz, klassische Stubenoptik) und zeitgenössischer Küche. Seine zwei angebotenen Degustationsmenüs kombinieren streng regionale Produkte mit einigen exotischen Ingredienzen sowie ausgewählten Fisch- und Meeresfrüchten.
Verborgene Perlen: Von historischen Gemäuern bis Bergpanoramen
Abseits der bekannteren Touristenzentren haben sich einige kulinarische Geheimtipps etabliert, die eine Reise wert sind.
Die „Gourmetstube Einhorn" in Mauls (Gemeinde Freienfeld) ist in einer historischen Hofstube aus dem 13. Jahrhundert untergebracht und verfügt über gerade einmal fünf Tische. Peter Girtler serviert hier ein Degustationsmenü (4-6 Gänge), das gekonnt Fisch, Fleisch und Gemüse kombiniert. Die mittelalterliche Stuben-Optik mit viel Holz und Kerzenlicht schafft eine beinahe mystische Atmosphäre, die das Genusserlebnis vertieft.
Ein familiengeführter Geheimtipp ist das „Kuppelrain" in Kastelbell. Die Brüder Jörg (Service) und Kevin Trafoier (Küche) haben hier ein kleines Paradies für Genießer geschaffen. Kevin kocht modern und präzise, mit konsequentem Schwerpunkt auf Regionalität: Gemüse und Kräuter stammen aus dem eigenen Garten, Fleisch und Fisch aus Südtirol. Herzerwärmend ist die familiäre Atmosphäre – Tochter Natalie kreiert kunstvolle Desserts, und Sommelière Sonja (einst zur „Gourmet des Jahres" gekürt) stellt eine exzellente Weinkarte zusammen.
Das „Schöneck" in Pfalzen, geführt von den Brüdern Karl und Peter Baumgartner, ist ein absoluter Schmankerltreff für Liebhaber traditioneller Südtiroler Küche auf Sterneniveau. Die Spezialitätenkarte konzentriert sich auf regionale Klassiker, ergänzt um einige ausgewählte Fischgerichte. Küchenchef Karl bereitet alle Gerichte mit großer handwerklicher Sorgfalt zu – hochwertige, oft lokal bezogene Zutaten sind hier oberstes Gebot. Das elegante alpine Interieur mit klassischen Stuben und viel Holzvertäfelung unterstreicht den Charakter des Hauses. Dazu überzeugt eine exzellente Weinkarte mit Schätzen aus der Region und darüber hinaus.
Dolomitenküche: Gourmet-Erlebnisse in den Ladinischen Tälern
Die ladinischen Täler, bekannt für ihre spektakuläre Bergkulisse der Dolomiten, beherbergen einige der interessantesten Sternerestaurants Südtirols. Hier verbinden sich ladinische, italienische und alpine Einflüsse zu etwas ganz Eigenem.
In St. Ulrich (Ortisei) führt Reimund Brunner die „Anna Stuben" im Hotel Grödnerhof. Die kürzlich neu errichtete Stube beeindruckt mit moderner Einrichtung, großen Fenstern und einer Terrasse mit Ausblick. Brunners Küche ist zwar von Südtirol inspiriert, aber international offen – neben regionalen Spezialitäten kommen auch Fisch und Meeresfrüchte zum Einsatz. Seine Gerichte sind generell leichter gehalten, mit weniger Butter und Zucker als in der klassischen alpinen Küche üblich.
Das „Alpenroyal Gourmet" in Wolkenstein besticht durch sein elegantes, minimalistisches Ambiente im gleichnamigen 5-Sterne-Hotel. Küchenchef Mario Porcelli, gebürtiger Apulier, bringt frischen Wind in die Südtiroler Hochküche, indem er alpine und süditalienische Traditionen verschmilzt. Besonders interessant sind seine drei Kreativ-Menüs, darunter das „Omaggio alle Dolomiti" (Hommage an die Dolomiten) und ein vegetarisches Menü namens „Terra". Zu den Höhepunkten zählen die kunstvollen Desserts und die hausgemachten Brotspezialitäten.
Ebenfalls in Wolkenstein befindet sich das „Suinsom" – der Name kommt aus dem Ladinischen und bedeutet „drinnen". In zwei hellen Holz-Stuben serviert Alessandro Martellini mediterran inspirierte Südtiroler Küche mit überraschenden Kreationen wie Flussaal vom Holzkohlegrill oder zartes Reh mit Mango. Der toskanische Einfluss des Chefs zeigt sich auch in Gerichten wie hausgemachten Pici mit Lammragout oder Tintenfischtatar.
In Corvara wartet „La Stüa de Michil" im Hotel La Perla. Die warme, gemütliche Bauernstube bildet die perfekte Kulisse für die Kreationen von Simone Cantafio. Der gebürtige Kalabrese mit langer Japan-Erfahrung führt seine Gäste auf eine kulinarische Weltreise, die süditalienische mit alpinen Einflüssen verbindet. Bemerkenswert ist sein innovativer Umgang mit Gemüse, das häufig im Mittelpunkt seiner Gerichte steht. Die traditionelle „Stüa"-Atmosphäre mit viel Holzvertäfelung und gedämpftem Licht schafft einen reizvollen Kontrast zum kreativen Konzept.
Historische Gemäuer, moderne Küche: Brixen und Umgebung
Die älteste Stadt Tirols, Brixen, und ihre Umgebung sind nicht nur kulturhistorisch interessant, sondern haben sich auch zu einem Hotspot für Feinschmecker entwickelt.
Die „Apostelstube" liegt im historischen Hotel Elephant in Brixen und bietet einen sehr kleinen, noblen Speisesaal mit gerade einmal vier Tischen. Die Wände sind mit Apostel-Figuren geschmückt, was dem Restaurant seinen Namen verleiht. Küchenchef Mathias Bachmann kocht extrem innovativ und international – seine Degustationsmenüs zeigen viele überraschende Inspirationen, darunter auch japanische Aromen wie Shiso oder Wasabi. Im Sommer werden zusätzlich Apéritifs im idyllischen Hotelgarten serviert. Zum besonderen Erlebnis trägt das Service-Team um Michael und Eleonora bei, das für persönlichen Flair sorgt.
In Tisens findet sich das Restaurant „Zum Löwen", untergebracht in einem aufwändig renovierten Bauernhof. Küchenchefin Anna Matscher hat sich einen ausgezeichneten Ruf mit gehobenen Südtiroler Klassikern erarbeitet, die sie aus hochwertigen, meist regionalen Zutaten zubereitet. Ihr Zickleinbraten mit Olivenöl und Kräutern ist mittlerweile legendär. Der rustikale, aber stilvolle Gastraum verbindet geschickt alte Bauernstuben-Elemente mit modernen Details und schafft so eine authentische, aber zeitgemäße Atmosphäre.
Praktische Hinweise für Sternejäger
Wer die kulinarischen Höhepunkte Südtirols erleben möchte, sollte einige praktische Aspekte beachten. Die Reservierung ist in allen vorgestellten Restaurants absolute Pflicht – teilweise sind die beliebten Häuser Wochen oder gar Monate im Voraus ausgebucht. Besonders in der Hochsaison (Sommer und Winter) empfiehlt sich eine frühzeitige Planung.
Die Preise bewegen sich im gehobenen Segment, wie bei Sternerestaurants üblich. Degustationsmenüs beginnen meist ab etwa 120-150 Euro pro Person, nach oben sind kaum Grenzen gesetzt. Dazu kommen die Getränke, wobei die meisten Häuser exzellente Weinbegleitungen anbieten – schließlich ist Südtirol auch eine hervorragende Weinregion.
Eine clevere Strategie für Genießer mit begrenztem Budget: Viele der vorgestellten Restaurants bieten mittags günstigere Menüs an als abends, teilweise sogar spezielle Business-Lunch-Angebote. Qualitativ steht diese Option der Abendkarte in nichts nach – im Gegenteil, bei Tageslicht lassen sich in vielen Fällen auch die spektakulären Ausblicke noch besser genießen.
Ein kulinarischer Road-Trip durch Südtirol lohnt sich besonders: Die Entfernungen zwischen den einzelnen Restaurants sind überschaubar, sodass sich auch mehrere gastronomische Höhepunkte in einen mehrtägigen Aufenthalt packen lassen. Wer nicht fahren möchte, findet in vielen Fällen auch Unterkünfte direkt in den Hotels, zu denen die Restaurants gehören – ein entspannter Genuss mit kurzem Weg ins Bett ist so garantiert.
Nicht zuletzt sollte man sich auch Zeit nehmen für die kulinarischen Erlebnisse. Die Degustationsmenüs dauern oft mehrere Stunden – ein guter Grund, die Uhren beiseite zu legen und sich ganz auf die Kunst auf dem Teller einzulassen. Der „heilige Ernst", mit dem in Südtirol Spitzenküche zelebriert wird, ist beeindruckend und ansteckend zugleich.