Südtirol ist ein Paradoxon – nirgends sonst wachsen Palmen neben Apfelbäumen, während Gletscher in Sichtweite glitzern. Diese geografische Besonderheit macht die Region zu einem der spannendsten Weinbaugebiete Europas. Auf knapp 5.500 Hektar Rebfläche, verteilt zwischen 220 und 1.000 Meter Höhe, entstehen Weine, die sowohl mediterrane Wärme als auch alpine Frische in sich tragen.
Das Geheimnis liegt im Klima: Während die Täler von warmen Fallwinden aus dem Süden profitieren, sorgen die nächtlichen Temperaturschwankungen für die nötige Säure in den Trauben. Dazu kommt eine Vielfalt an Böden – von Porphyr über Kalk bis hin zu Schwemmlandböden – die jedem Wein seinen eigenen Charakter verleiht. Wer sich auf die Suche nach den besten Kellereien macht, taucht gleichzeitig in eine jahrhundertealte Tradition ein, die sich stetig neu erfindet.
Moderne Kellereien mit Geschichte
Die Kellerei Bozen am Moritzinger Weg 36 ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Tradition und Innovation verbinden lassen. Der markante, moderne Bau entstand 2001 aus der Fusion zweier traditionsreicher Kellereien – St. Magdalena und Gries. Heute verarbeiten über 200 Mitglieder ihre Trauben hier zu Weinen, die das breite Spektrum Südtiroler Rebsorten widerspiegeln.
Spannend ist dabei die Philosophie: Nachhaltigkeit steht im Mittelpunkt, ohne dabei Kompromisse bei der Qualität einzugehen. Bei den Führungen riechst du förmlich die Kombination aus modernen Edelstahltanks und dem Duft von Barriquefässern – eine sinnliche Erfahrung, die zeigt, warum diese Kellerei zu den führenden Produzenten der Region zählt.
Ganz anders, aber nicht weniger beeindruckend präsentiert sich das Weingut Castelfeder in Kurtinig an der Weinstraße. Die Franz-Harpf-Straße 15 führt zu einem Familienbetrieb, der bereits in dritter Generation geführt wird. Seit der Gründung 1970 durch A. Giovanett steht hier die Eleganz im Vordergrund – Weine, die das Terroir des Südtiroler Unterlandes wie einen Fingerabdruck tragen.
Genossenschaftsgeist und Qualität
In Kaltern, wo sich Weinberge sanft zum See hinabsenken, findest du an der Kellereistraße 10/5 die Erste+Neue Kellerei. Der Name ist Programm: 1986 schlossen sich zwei über hundert Jahre alte Genossenschaften zusammen, um gemeinsam das besondere Mikroklima der Region zu nutzen. Hier wird deutlich, dass Zusammenarbeit in Südtirol nicht nur Tradition hat, sondern auch Qualität schafft.
Die Verkostungen in Kaltern haben ihren ganz eigenen Charme – zwischen den Gesprächen über Weinbau hörst du das leise Plätschern des Kalterer Sees und spürst die entspannte Atmosphäre, die diese Gegend so besonders macht. Es ist diese Mischung aus professionellem Anspruch und südländischer Gelassenheit, die Südtiroler Weinkellereien auszeichnet.
Stadtnahe Tradition
Mitten in Bozen, im Stadtteil Gries, liegt das Weingut Schmid Oberrautner an der Michael-Pacher-Straße 3. Hier zeigt sich, dass Weinbau in Südtirol nicht nur auf dem Land stattfindet. Der Familienbetrieb beweist, dass auch in städtischer Umgebung authentische, charaktervolle Weine entstehen können – eine kleine Überraschung für alle, die Weinbau nur mit abgelegenen Berglagen verbinden.
Nicht weit entfernt, in Untermagdalena 33, führt die Familie Ramoser den Fliederhof. Oberhalb von Bozen gelegen, verkörpert dieser Betrieb den Geist der Region St. Magdalena – hier wird noch viel Handarbeit geleistet, und jeder Wein erzählt die Geschichte seines Terroirs. Die Verkostungen direkt am Hof haben etwas Ursprüngliches, fast Familiäres – du sitzt nicht als Tourist da, sondern als Gast.
Große Namen, große Tradition
Am Kalterer See, genauer gesagt in St. Josef am See 4, thront das Weingut Manincor. Mit etwa 50 Hektar Rebfläche zählt es zu den größten privaten Weingütern Südtirols. Über 400 Jahre Weinbaugeschichte sprechen für sich – hier führt Michael Graf Goëss-Enzenberg eine Tradition fort, die Generationen überdauert hat.
Die Kellerei beeindruckt nicht nur durch ihre Größe, sondern durch die Verbindung von historischer Architektur und nachhaltigem, modernem Weinbau. Wer hier eine Führung mitmacht, wandelt durch Jahrhunderte der Weingeschichte und versteht dabei, warum Südtiroler Weine heute international so geschätzt werden.
Weißwein-Perfektion
In Terlan, Silberleitenweg 7, steht die Kellerei Terlan – ein Name, der jedem Weißwein-Liebhaber etwas sagt. Seit 1893 wird hier der berühmte Terlaner Classico produziert, ein Wein, der für seine Langlebigkeit bekannt ist. Manche Flaschen reifen hier Jahrzehnte, bevor sie den Keller verlassen.
Das Geheimnis liegt in der Kombination aus traditionellen Methoden und moderner Technologie. Bei Verkostungen merkst du schnell, dass hier Geduld eine Tugend ist – diese Weine brauchen Zeit, um ihre volle Komplexität zu entfalten. Ein guter Terlaner ist wie eine alte Geschichte: Je länger sie dauert, desto interessanter wird sie.
Biodynamik und Nachhaltigkeit
Südlich von Terlan, in Margreid an der Via Casòn Hirschprunn 1, zeigt das Weingut Alois Lageder, wie biodynamischer Weinbau funktioniert. Hier wird der Rebberg als lebendiger Organismus verstanden – eine Philosophie, die sich in jedem Glas widerspiegelt. Die Vielfalt an Rebsorten und Lagen macht jede Verkostung zu einer Entdeckungsreise.
Das historische Anwesen atmet Geschichte, während die Weine von einer Zukunft erzählen, in der Nachhaltigkeit und Qualität Hand in Hand gehen. Es ist ein Ort, an dem du verstehst, dass Weinbau mehr ist als nur Landwirtschaft – er ist Philosophie.
Handwerk und Herzblut
In Eppan, Girlaner Straße 37, führt die Familie das Weingut Ignaz Niedrist mit derselben Leidenschaft wie vor Generationen. Naturnaher Weinbau und Handarbeit stehen hier im Mittelpunkt – eine Seltenheit in Zeiten der Mechanisierung. Die Weine haben dadurch eine besondere Eleganz und Ausdrucksstärke, die maschinell produzierte Weine selten erreichen.
Bei Führungen spürst du förmlich das Herzblut, das in jeden Arbeitsschritt fließt. Hier wird nicht einfach Wein gemacht – hier wird eine Lebensphilosophie gelebt, die sich in jedem Schluck widerspiegelt.
Klösterliche Weinkunst
Den krönenden Abschluss jeder Kellerei-Tour sollte die Stiftskellerei Neustift in Vahrn bei Brixen bilden. An der Stiftstraße 1 steht eine der ältesten aktiven Weinkellereien der Welt – gegründet 1142, also vor über 880 Jahren. Wenn das mal kein Grund für Respekt ist!
Die Mönche haben sich auf Weißweine spezialisiert, besonders Sylvaner und Müller-Thurgau gedeihen in den Klostermauern prächtig. Eine Führung hier ist wie eine Zeitreise – zwischen gotischen Gewölben und modernen Kellertanks verstehst du, dass Tradition und Innovation schon seit Jahrhunderten zusammengehören.
Praktische Tipps für den Kellereibesuch
Die meisten Kellereien bieten Führungen und Verkostungen an, aber eine Voranmeldung ist meist erforderlich – besonders in der Erntezeit zwischen September und Oktober kann es sonst eng werden. Die beste Reisezeit für Kellerei-Besuche ist der Spätsommer und Herbst, wenn die Trauben reifen und die Landschaft in warmen Farben leuchtet.
Wer mehrere Kellereien besuchen möchte, sollte sich einen Fahrer organisieren oder auf öffentliche Verkehrsmittel setzen – Südtirols Busnetz ist überraschend gut ausgebaut. Viele Kellereien liegen zudem direkt an der Südtiroler Weinstraße, die sich von Nals bis nach Salurn schlängelt und dabei die schönsten Weinbaugebiete verbindet.
Ein Tipp aus eigener Erfahrung: Nimm dir Zeit für die Gespräche mit den Winzern. Hinter jedem Wein steckt eine Geschichte, und die Südtiroler erzählen sie gerne – meist mit einer Herzlichkeit, die den Wein noch besser schmecken lässt. Denn am Ende geht es nicht nur um den Rebensaft, sondern um die Menschen, die ihn mit Leidenschaft erschaffen.