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Geigenzauber und Bergluft: Mittenwald abseits der Touristenpfade

Vergiss kitschige Klischees. Mittenwald ist echt: Handwerk trifft auf raue Gipfel, Geschichte auf bunt bemalte Fassaden. Ein Alpenort mit eigenem Kopf.

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Zwischenablage

Eingebettet im weiten, oberen Isartal, dort, wo die wild gezackten Gipfel des Karwendels scheinbar unvermittelt aus dem grünen Talgrund aufragen, liegt Mittenwald. Dieses Städtchen ist kein lauschiges Alpendorf im Dornröschenschlaf, sondern ein Ort mit Charakter, Geschichte und einem ganz eigenen Rhythmus. Es ist die Heimat des Geigenbaus in Deutschland, eine lebende Galerie barocker Fassadenmalerei und ein Tor zu einer der beeindruckendsten Berglandschaften der Alpen. Mittenwald verbindet auf oft überraschende Weise tief verwurzelte Tradition mit der Wucht der Natur.

Hier weht ein anderer Wind als in manch auf Hochglanz poliertem Urlaubsort. Man spürt die Geschichte der alten Handelsrouten, hört – wenn man genau hinhört – vielleicht das leise Zupfen einer Saite oder das Schaben eines Messers auf Holz. Und immer, wirklich immer, thront das Karwendel über allem, mal in gleißender Sonne, mal in Wolken gehüllt, aber unübersehbar. Ein Besuch hier ist ein Eintauchen in eine Welt, die Handwerk, Kunst und alpine Wirklichkeit zusammenbringt.

Die bunte Bühne: Lüftlmalerei in Mittenwalds Gassen

Der erste Eindruck prägt sich sofort ein: Mittenwalds Häuser sind auffallend bunt. Entlang des malerischen Obermarkts und in den umliegenden Gassen erzählen die Fassaden Geschichten. Es ist die sogenannte Lüftlmalerei, eine Form der Freskenmalerei, die hier eine besondere Blüte erlebte. Biblische Szenen wechseln sich ab mit Heiligenbildern, ländlichen Motiven, Darstellungen aus dem Alltag oder der Sagenwelt. Manche Häuser schmücken allegorische Figuren, andere täuschend echte Fenster, Balustraden oder architektonische Elemente, die in Wirklichkeit nur Farbe auf Putz sind – ein faszinierendes Spiel mit der Perspektive, auch bekannt als Trompe-l'œil.

Spannend ist dabei, dass diese Kunst nicht nur auf alten historischen Gebäuden zu finden ist. Viele neuere Häuser greifen die Tradition auf und präsentieren sich ebenfalls im farbenprächtigen Gewand. Ein Spaziergang durch den Ort wird so zu einem ständigen Entdecken. Man bleibt stehen, studiert die Details, versucht die Geschichten hinter den Bildern zu entschlüsseln. Besonders beeindruckend ist die Pfarrkirche St. Peter und Paul, deren Äußeres reich verziert ist und das Zentrum dieses Freilichtmuseums bildet. Das Licht der Tageszeit verändert die Wirkung der Farben und lässt die Szenen mal leuchtender, mal gedämpfter erscheinen. Dieser Ort lebt von seinen Bildern.

Der Klang des Holzes: Mittenwalds Geigenbautradition

Doch so bunt die Fassaden auch sind, das eigentliche Herz Mittenwalds schlägt im Rhythmus der Geige. Seit über 300 Jahren ist der Geigenbau das prägende Handwerk des Ortes. Alles begann Mitte des 17. Jahrhunderts mit Matthias Klotz. Er lernte sein Handwerk vermutlich in Füssen und möglicherweise in Italien, bevor er es nach Mittenwald brachte. Warum gerade hier? Das hatte mehrere Gründe. Zum einen gab es in den umliegenden Wäldern, insbesondere im Karwendel, bestes Holz: langsam gewachsene Fichten, deren feine Jahresringe ideal für die Decken von Streichinstrumenten sind. Zum anderen lag Mittenwald an einer wichtigen Handelsroute, der Via Raetia, was den Export der fertigen Instrumente erleichterte.

Die Geigenbauerfamilien prägten über Generationen das soziale und wirtschaftliche Leben. Die Zunftregeln waren streng, das Handwerk wurde vom Vater an den Sohn oder an Lehrlinge weitergegeben. Heute ist die Zahl der Werkstätten zwar geringer als zu Spitzenzeiten, aber die Tradition lebt. In den verbliebenen Betrieben wird immer noch mit großer Sorgfalt und handwerklichem Geschick gearbeitet. Wer durch Mittenwald bummelt, kann hier und da einen Blick in eine offene Werkstatt erhaschen oder riecht vielleicht den unverwechselbaren Duft von Holzspänen, Leim und Lack. Da steckt viel Herzblut drin, in jedem einzelnen Instrument.

Das Herzstück dieser Tradition ist das Geigenbaumuseum im historischen Dekaneriestadel. Es ist kein verstaubtes Museum, sondern ein lebendiger Ort, der die Geschichte des Handwerks, die einzelnen Arbeitsschritte und die fertigen Meisterwerke eindrucksvoll präsentiert. Du siehst alte Werkzeuge, die verschiedenen Hölzer, die für Korpus, Hals oder Griffbrett verwendet werden, und natürlich eine beeindruckende Sammlung historischer Geigen, Bratschen, Celli und Kontrabässe. Man erfährt, wie aus einem einfachen Holzklotz und ein paar weiteren Materialien ein Instrument entsteht, das Töne hervorbringt, die Menschen auf der ganzen Welt berühren. Das Museum vermittelt einen tiefen Einblick in diese filigrane Handwerkskunst und die Bedeutung, die sie für Mittenwald hat.

Das Karwendel vor der Nase: Gipfelglück und Alpenträume

Über allem thront das Karwendelgebirge. Es ist nicht nur die imposante Kulisse für das Städtchen, sondern auch ein riesiger Abenteuerspielplatz für alle, die gerne draußen sind. Der bequemste Weg, die Höhe zu erleben und das Panorama zu genießen, ist eine Fahrt mit der Karwendelbahn. Sie schwebt hinauf zur Westlichen Karwendelspitze auf 2.244 Metern Höhe. Schon die Auffahrt ist spektakulär, der Blick ins Tal und auf die gegenüberliegenden Berge weitet sich mit jedem Höhenmeter.

Oben angekommen, packt einen schon dieser 360-Grad-Blick: die schroffen Gipfel des Karwendels ringsum, im Norden das Wettersteingebirge mit der Zugspitze, im Süden die Tuxer Alpen in Österreich. Dort oben gibt es den "Panoramasteg", eine Art Aussichtsplattform, die einem das Gefühl gibt, über dem Abgrund zu schweben – nichts für schwache Nerven, aber der Ausblick ist die leichte Aufregung wert. Für Wanderer ist die Bergstation ein idealer Ausgangspunkt. Man kann gemütlich einen kleinen Rundweg gehen oder sich anspruchsvollere Touren vornehmen, etwa zur Mittenwalder Hütte oder weiter in die hochalpine Karwendelwelt. Aber Achtung: Das ist alpines Gelände, hier ist Trittsicherheit und gute Ausrüstung unerlässlich.

Wer es weniger hochalpin mag, findet rund um Mittenwald ebenfalls zahlreiche Wanderwege. Leichte Spaziergänge entlang der Isar, auf den Kranzberg mit seinen Almhütten oder zu den idyllisch gelegenen Seen Ferchensee und Lautersee sind beliebte Ziele. Diese Seen sind im Sommer nicht nur schön anzusehen, sondern bieten auch eine willkommene Abkühlung. Man kann dort baden, rudern oder einfach am Ufer sitzen und die Ruhe genießen, während sich die umliegenden Wälder und Berge im klaren Wasser spiegeln.

Naturerlebnisse am Rande: Seen und Klammen

Neben den alpinen Gipfeln und den lieblichen Talseen gibt es noch weitere Naturhighlights in der Nähe. Ein besonderes Erlebnis ist die Wanderung durch die Leutaschklamm, die nur einen Katzensprung über die österreichische Grenze liegt, aber von Mittenwald aus gut erreichbar ist. Auf einem spektakulären, gut ausgebauten Steig, der teilweise hoch über dem tosenden Wasser an den Felswänden entlangführt, erlebt man die rohe Kraft der Natur. Das Rauschen des Wassers ist ohrenbetäubend, die steilen Felswände beeindruckend. Es gibt verschiedene Routen und den sogenannten "Geisterklamm"-Teil, der auch für Familien spannend ist.

Die bereits erwähnten Seen Ferchensee und Lautersee sind ebenfalls leicht zu erreichen, sei es zu Fuß, mit dem Fahrrad oder einem kleinen Shuttleservice. Sie bieten eine ganz andere Art von Naturerlebnis als die schroffen Berge. Hier ist die Atmosphäre friedlicher, das Licht weicher. Der Ferchensee ist der größere der beiden Seen, umgeben von Wald, mit einer kleinen Badestelle. Der Lautersee liegt etwas höher, eingebettet in eine Mulde, und ist ebenfalls ein wunderbarer Ort für eine Pause oder ein Bad im Sommer. Diese Orte sind perfekt, um nach einer Berg- oder Stadtbesichtigung zur Ruhe zu kommen und die Natur in ihrer sanfteren Form zu erleben.

Praktisches und Persönliches

Mittenwald ist mit der Bahn gut erreichbar, was die Anreise umweltfreundlich macht und einem erlaubt, das Auto stehen zu lassen. Im Ort selbst kann man vieles zu Fuß erkunden. Für weitere Ausflüge zu den Seen oder in die nähere Umgebung gibt es öffentliche Verkehrsmittel oder eben den genannten Shuttleservice.

Die Gastronomie in Mittenwald bietet, was man in Oberbayern erwarten würde: deftige Hausmannskost, Biergärten, gemütliche Wirtshäuser. Es lohnt sich, regionale Spezialitäten zu probieren. Ein bisserl von allem, wie man hier sagen würde. Man sitzt draußen, blickt auf die Lüftlmalerei und die Berge und lässt den Tag Revue passieren.

Mittenwald ist kein steriles Freilichtmuseum, sondern ein lebendiger Ort. Man trifft Einheimische, hört den oberbayerischen Dialekt und bekommt einen Eindruck davon, wie das Leben hier funktioniert, eingebettet zwischen Tradition und Tourismus, zwischen Handwerk und herber Natur. Es ist diese Mischung, die den Ort besonders macht. Es ist kein Ort für eilige Durchreisende, sondern für jene, die bereit sind, genauer hinzusehen, hinzuhören und sich auf die Eigenheiten einzulassen.

Was von Mittenwald bleibt, ist oft das Bild der bunten Häuserfassaden vor der dramatischen Kulisse des Karwendels. Aber auch der Gedanke an das filigrane Handwerk des Geigenbaus und vielleicht, mit etwas Glück, der tatsächliche Klang einer Mittenwalder Geige. Ein Ort, der Kunst, Handwerk und die ungezähmte Schönheit der Alpen auf eine Weise vereint, die man so schnell nicht vergisst.

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