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Tiroler Freiheitskampf und Andreas Hofer: Wie ein Gastwirt Napoleon die Stirn bot

Ein Gastwirt aus dem Passeiertal wird zum Anführer einer ganzen Nation. 1809 stellt sich Tirol gegen Napoleon – und gewinnt zunächst sogar. Eine Geschichte von Mut, Verrat und dem Preis der Freiheit.

Österreich  |  Kultur & Geschichte
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Zwischenablage

Tirol war um das Jahr 1800 nicht nur die friedliche Bergidylle, die wir heute kennen. Das Land gehörte damals zur Grafschaft Tirol und war unter österreichischer Herrschaft. Bis die napoleonischen Kriege in Europa ausbrachen: Österreich verlor die Schlacht von Austerlitz im Jahr 1805 und musste Tirol an das mit Napoleon verbündete Bayern abtreten. Ein Schock für die Tiroler, die sich urplötzlich unter bayerischer Verwaltung wiederfanden.

Und unter den Bayern änderte sich nicht gerade wenig: Es gab neue Steuern, Wehrpflicht für die bayerische Armee, die Abschaffung alter Privilegien und – ganz besonders brisant – Einschränkungen in der Ausübung katholischer Traditionen. Das war für die tiefgläubigen Tiroler wie ein Schlag ins Gesicht. Hinzu kam die Entmachtung der alten Stände und die Einführung des "Code Napoléon", was jahrhundertealte Rechtsgewohnheiten im Tirol über den Haufen warf.

Die Bauern, Handwerker und kleinen Adligen fühlten sich in ihrer Identität bedroht. Tirol war schon immer ein eigenwilliges Land gewesen, geprägt von der Überzeugung, dass man sich selbst am besten regieren könne. Diese Haltung sollte sich 1809 explosive entladen.

Andreas Hofer – Der unwahrscheinliche Held

Andreas Hofer war eigentlich kein typischer Revolutionsführer. 1767 in St. Leonhard im Passeiertal geboren, führte er den Gasthof "Am Sand" – daher auch sein Beiname "Sandwirt". Ein kräftiger Mann mit dunklem Vollbart, der mehr Zeit mit Viehhandel und Gästen verbrachte als mit politischen Theorien. Trotzdem oder gerade deshalb wurde er zur Symbolfigur des Tiroler Widerstands.

Hofer hatte bereits als junger Mann bei den Landständen mitgemacht und war als Schützenhauptmann bekannt. Das waren wichtige Positionen in der traditionellen Tiroler Gesellschaft. Als Gastwirt bekam er viel mit, was in der Region vor sich ging – Reisende brachten Nachrichten, Einheimische diskutierten Politik. Sein Gasthaus wurde so etwas wie ein informelles Nachrichtenzentrum.

Was Hofer besonders machte, war seine Fähigkeit, verschiedene gesellschaftliche Schichten zu vereinen. Er sprach Deutsch und Italienisch, kannte Bauern genauso wie Geistliche und kleine Adlige. Diese Brückenfunktion würde sich als entscheidend erweisen, als es darum ging, den Widerstand zu organisieren.

Die Zündschnur brennt – Vorbereitungen zum Aufstand

Schon 1808 nahm Hofer Kontakt zu österreichischen Stellen auf. Österreich plante einen neuen Krieg gegen Napoleon und suchte Verbündete. Die Tiroler Widerstandsgruppe um Hofer, den Kapuzinerpater Joachim Haspinger und Josef Speckbacher erhielt geheime Zusagen für Waffen und Geld. Im Winter 1808/09 wurden in aller Stille Vorbereitungen getroffen.

Interessant ist dabei, dass die Verschwörer aus ganz unterschiedlichen Motiven handelten. Hofer und viele Bauern wollten primär ihre alten Rechte und Traditionen zurück. Die Geistlichkeit kämpfte gegen die religionsfeindliche Politik der Bayern. Kleine Adlige wie Speckbacher hofften auf die Wiederherstellung ihrer Privilegien. Diese Mischung machte die Bewegung stark, barg aber auch Konfliktpotential.

Die Nachrichtenwege liefen hauptsächlich über Gasthäuser, Märkte und Gottesdienste – die sozialen Netzwerke der damaligen Zeit. Pater Haspinger nutzte seine Predigten geschickt für verschlüsselte Botschaften. Die Bayern ahnten zwar, dass etwas im Busch war, unterschätzten aber das Ausmaß der Unzufriedenheit.

Der Aufstand explodiert – Die Schlachten von 1809

Am 9. April 1809 begann der offene Aufstand. Das Signal kam aus Innsbruck: Die Österreicher marschierten ein, und überall in Tirol griffen die Aufständischen zu den Waffen. Was folgte, war militärisch gesehen eigentlich unmöglich – Bauern und Handwerker besiegten reguläre Truppen.

Das Geheimnis lag in der Taktik und der Ortskenntnis. Die Tiroler kämpften nicht in offener Feldschlacht, sondern nutzten das schwierige Gelände. Sie blockierten Pässe, rollten Felsbrocken auf die Straßen und griffen aus dem Hinterhalt an. Jeder Bauernhof konnte zur Festung werden, jeder Hohlweg zur Falle.

Bei Sterzing gelang den Aufständischen der erste große Sieg. Die bayerischen Truppen unter General Kinkel wurden regelrecht zerschlagen. Noch spektakulärer war die Schlacht am Bergisel bei Innsbruck am 25. Mai 1809. Hofer führte persönlich etwa 15.000 Mann den Berg hinauf. Die Bayern und ihre französischen Verbündeten konnten dem Ansturm nicht standhalten und räumten Innsbruck.

Spannend ist dabei, dass die Tiroler ihre traditionellen Schützeneinheiten nutzten. Diese "Standschützen" kannten jedes Tal, jeden Steig. Viele waren geübte Jäger und treffsichere Schützen. Ihre Feuerwaffen waren oft besser als die der regulären Soldaten – ein wichtiger Vorteil in den Bergkämpfen.

Hofer als Landeskommandant – Der Höhepunkt der Macht

Nach den militärischen Erfolgen wurde Hofer zum Oberkommandanten von Tirol ernannt. Eine merkwürdige Situation: Ein Gastwirt regierte plötzlich ein ganzes Land. Hofer richtete sein Hauptquartier im Bozner Gasthof "Zum Mondschein" ein – symbolisch blieb er seiner Herkunft treu.

Als Regent zeigte Hofer erstaunliche Fähigkeiten. Er organisierte die Verwaltung, kümmerte sich um die Versorgung der Truppen und führte Verhandlungen mit verschiedenen Parteien. Dabei bewies er politisches Geschick – er hielt die verschiedenen Interessengruppen zusammen und vermied religiöse oder soziale Konflikte.

Trotzdem blieb Hofer in seinem Wesen ein Mann des Volkes. Er empfing Besucher in der Wirtsstube, nicht in prächtigen Sälen. Seine Anordnungen waren oft in einfacher, direkter Sprache verfasst. Diese Bodenständigkeit machte ihn beim einfachen Volk noch beliebter, sorgte aber auch dafür, dass manche ihn nicht ernst nahmen.

Die Zeit als Landeskommandant dauerte nur wenige Monate, aber sie prägte das Bild Hofers nachhaltig. Hier zeigte sich, dass aus dem Aufstand mehr geworden war als nur eine Rebellion – zeitweise existierte tatsächlich ein unabhängiges Tirol unter Hofers Führung.

Der Wendepunkt – Wagram und die Folgen

Das Schicksal Tirols entschied sich nicht in den Bergen, sondern auf den Schlachtfeldern Europas. Bei Wagram besiegte Napoleon die Österreicher am 5. und 6. Juli 1809 entscheidend. Damit war klar, dass Österreich keine Hilfe mehr schicken konnte. Schlimmer noch: Im Frieden von Schönbrunn im Oktober 1809 überließ Österreich Tirol endgültig den Bayern.

Für Hofer und seine Leute war das ein Schock. Sie hatten für Österreich gekämpft und wurden nun im Stich gelassen. Die österreichische Diplomatie hatte Tirol praktisch verkauft, um andere Interessen zu wahren. Diese Erfahrung des Verrats würde das Geschichtsbild der Tiroler nachhaltig prägen.

Trotz der aussichtslosen Lage kämpfte Hofer weiter. Am 1. November 1809 schlug er bei der dritten Schlacht am Bergisel noch einmal eine bayerisch-französische Übermacht. Doch es war ein Pyrrhussieg – die Kräfte der Aufständischen waren erschöpft, Nachschub gab es keinen mehr.

Die vierte Schlacht am Bergisel am 1. November 1809 wurde zur letzten großen Erhebung. Diesmal waren die französischen und bayerischen Truppen vorbereitet und verstärkt. Die Tiroler kämpften verzweifelt, aber die Übermacht war zu groß. Nach dieser Niederlage löste sich der organisierte Widerstand auf.

Verrat und Verhängnis – Hofers letzter Winter

Nach der militärischen Niederlage versteckte sich Hofer in einer Almhütte auf der Pfandleralm im Passeiertal. Hier verbrachte er den Winter 1809/10, gehetzt und auf der Flucht. Die Bayern setzten eine hohe Belohnung auf seinen Kopf aus – 1.500 Gulden, ein Vermögen für damalige Verhältnisse.

Franz Raffl, ein Nachbar und angeblicher Freund, verriet Hofers Versteck. Die Motive sind bis heute umstritten – Geldgier, Angst oder persönliche Rache? Am 28. Januar 1810 wurde Hofer in der Hütte gefangen genommen. Die Szene ist legendär geworden: Der große Volksführer, der sich widerstandslos abführen lässt.

Raffl wurde zum Synonym für Verrat in der Tiroler Geschichtserzählung. Interessant ist aber, dass er selbst nach der Tat weiter in der Gegend lebte – offenbar war die Stimmung in der Bevölkerung nicht so eindeutig, wie die spätere Geschichtsschreibung suggeriert. Manche sahen in ihm vielleicht sogar den Realisten, der weitere sinnlose Opfer verhindern wollte.

Das Ende – Mantua und der Märtyrertod

Hofer wurde nach Mantua gebracht, wo ein französisches Kriegsgericht über ihn urteilte. Der Prozess war eine Formsache – das Urteil stand von vornherein fest. Am 20. Februar 1810 wurde Andreas Hofer erschossen. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: "Ach, wie gern lebte ich noch länger, wenn es dem lieben Herrgott gefiele!"

Die Hinrichtung war politisch gewollt – Napoleon brauchte ein Exempel, um weitere Aufstände zu verhindern. Paradoxerweise erreichte er das Gegenteil: Hofers Tod machte ihn zur Märtyrerfigur. Der tote Hofer wurde mächtiger als der lebende je gewesen war.

Typisch für die Zeit ist, dass Hofers Leichnam zunächst in einem Massengrab verscharrt wurde. Erst 1823 wurden seine sterblichen Überreste nach Innsbruck überführt und in der Hofkirche beigesetzt. Diese späte Ehrung zeigt, wie sich die politische Stimmung gewandelt hatte.

Die anderen Helden – Speckbacher, Haspinger und Co.

Hofer war nicht der einzige Protagonist des Tiroler Aufstands. Josef Speckbacher aus Gnadenwald war militärisch vielleicht sogar wichtiger. Als erfahrener Offizier organisierte er die Schützeneinheiten und plante die Schlachten. Nach 1809 kämpfte er weiter als Partisanenführer und konnte sich schließlich nach Österreich absetzen.

Pater Joachim Haspinger, der "rote Kapuziner", war die geistliche Seele des Aufstands. Seine feurigen Predigten heizten die Stimmung an, seine Kontakte zu den Klöstern sorgten für Nachrichtenwege. Haspinger überlebte den Aufstand und wurde später zu einer Art lebendem Denkmal der Revolution.

Peter Mayr aus Spinges war ein weiterer wichtiger Anführer, der wie Hofer hingerichtet wurde. Auch er stammte aus einfachen Verhältnissen – ein Zeichen dafür, dass der Aufstand wirklich eine Volksbewegung war. Die Vielfalt der Führungspersönlichkeiten zeigt, wie breit der Widerstand in der Gesellschaft verankert war.

Schauplätze des Aufstands – Wo Geschichte lebendig wird

Wer heute auf den Spuren des Tiroler Freiheitskampfs wandelt, findet überall Erinnerungen. Der Bergisel bei Innsbruck ist das offensichtlichste Ziel – hier steht seit 1893 ein monumentales Denkmal für die Schlachten von 1809. Die Aussicht vom Berg zeigt, warum dieser Ort strategisch so wichtig war: Von hier kontrolliert man das ganze Inntal.

Das Passeiertal mit St. Leonhard ist Hofer-Land pur. Sein Geburtshaus steht noch, auch wenn es stark renoviert wurde. Das Museum im Ort erzählt die Geschichte des Aufstands sehr detailliert. Beeindruckend ist die Fahrt zur Pfandleralm, wo Hofer sich versteckte – die Einsamkeit dieser Bergwelt macht die Dramatik seiner letzten Monate spürbar.

In Bozen erinnert wenig an Hofers Zeit als Landeskommandant. Der Gasthof "Zum Mondschein" existiert nicht mehr, aber die Altstadt vermittelt noch einen Eindruck von der damaligen Atmosphäre. Interessant ist auch Sterzing, wo der erste große Sieg errungen wurde – die enge Talenge zeigt, warum die Tiroler hier so erfolgreich waren.

Viele kleinere Orte haben ihre eigenen Erinnerungen bewahrt. Kapellen, Denkmäler, Gedenksteine – überall findet sich etwas. Manche dieser Orte sind touristisch überhaupt nicht erschlossen, was sie besonders authentisch macht. Ein Spaziergang durch diese Landschaft ist wie eine Reise in die Vergangenheit.

Mythos und Realität – Wie Hofer zur Legende wurde

Der historische Andreas Hofer und der mythische Hofer sind zwei verschiedene Personen. Schon kurz nach seinem Tod begann die Legendenbildung. Österreichische Romantiker machten aus dem Gastwirt einen edlen Freiheitshelden, deutsche Nationalisten vereinnahmten ihn für ihre Zwecke, und später nutzte auch der Faschismus das Hofer-Bild für seine Propaganda.

Dabei verschwand oft der echte Mensch hinter der Symbolfigur. Der historische Hofer war kein lupenreiner Demokrat, sondern ein traditionsbewusster Konservativer. Er kämpfte nicht für moderne Nationalstaaten, sondern für alte ständische Rechte. Seine Religiosität war tief, aber auch schlicht – komplizierte theologische Diskussionen lagen ihm fern.

Problematisch wird es, wenn verschiedene politische Richtungen Hofer für sich beanspruchen. Sowohl österreichische als auch deutsche, sowohl konservative als auch progressive Bewegungen haben ihn vereinnahmt. Diese Instrumentalisierung sagt mehr über die jeweilige Zeit aus als über Hofer selbst.

Die moderne Geschichtsforschung versucht, den Menschen hinter dem Mythos wiederzufinden. Dabei entsteht ein komplexeres, aber auch menschlicheres Bild. Hofer wird dadurch nicht kleiner, sondern interessanter – ein Mann seiner Zeit, der Außergewöhnliches geleistet hat, ohne ein Übermensch zu sein.

Das Erbe des Aufstands – Was bleibt von 1809?

Der Tiroler Aufstand von 1809 war militärisch gescheitert, politisch aber durchaus erfolgreich. Die Bayern lernten aus den Erfahrungen und moderierten ihre Politik. 1814, nach Napoleons Sturz, kam Tirol wieder zu Österreich – auch eine Folge der Ereignisse von 1809, die gezeigt hatten, dass das Land nicht einfach zu regieren war.

Wichtiger noch war die identitätsstiftende Wirkung. Der Aufstand schweißte die verschiedenen Teile Tirols – das deutsche Nordtirol und das italienische Südtirol – zusammen. Diese gemeinsame Erfahrung prägte das Landesbewusstsein nachhaltig. Noch heute berufen sich Südtiroler auf diese Tradition, wenn es um Autonomie und Selbstbestimmung geht.

Die Ereignisse von 1809 zeigten auch, dass kleine Völker sich gegen Großmächte wehren können, wenn sie entschlossen sind. Diese Botschaft strahlte weit über Tirol hinaus und inspirierte andere Freiheitsbewegungen. Der Guerillakrieg der Tiroler wurde zum Vorbild für ähnliche Kämpfe in anderen Teilen Europas.

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