Frankreich

Alpen-Weine aus Savoyen und Hautes-Alpes: Weinbau in den französischen Alpen

Vorstellung kleiner Weingüter in Savoyen, Isère, Hautes-Alpes – und der autochthonen Rebsorten wie Jacquère, Mondeuse und Altesse.

Frankreich  |  Kulinarik & Genuss
Lesezeit: ca. 9 Min.
Kommentare
Teilen
Facebook
Pocket
E-Mail
0
Kommentare
Facebook
Pocket
E-Mail
Zwischenablage

Die Savoyer Herzöge förderten den Rebenanbau in den französischen Alpen im Mittelalter kräftig, bevor die Reblaus und industrielle Revolution den Niedergang einläuteten. Seit den 1970er Jahren erleben die alpinen Weinbaugebiete jedoch eine Renaissance, die heute Früchte trägt, die man gekostet haben muss.

Die Besonderheit der Alpenregion liegt in ihrer klimatischen Herausforderung. Kurze Sommer, heftige Temperaturschwankungen und kalte Winter fordern Winzer heraus – und schaffen gleichzeitig eine unverwechselbare Stilistik: knackige Säure, moderate Alkoholwerte und eine kristalline Klarheit, die die Bergherkunft im Glas fast spürbar macht. Besonders Savoyen, die Isère und die Hautes-Alpes haben sich zu Rückzugsgebieten für Rebsorten entwickelt, die anderswo längst verdrängt wurden. Rebellische Außenseiter, könnte man sagen, die hier ihre wahre Heimat gefunden haben.

Savoyen: Weinbau zwischen See und Gipfel

Steile Terrassen, mühsam dem Berg abgerungen, prägen hier das Landschaftsbild. Die Vermarktungsgenossenschaft scheut sich nicht, den Slogan von den höchsten Weinbergen Frankreichs zu nutzen – und tatsächlich liegen manche Parzellen auf über 1.000 Meter Höhe. Die Philosophie der Winzer ist hier überall ähnlich: nicht gegen die Berge arbeiten, sondern mit ihnen. Ein Besuch bei den Winzern aus Apremont zeigt die körperliche Herausforderung, die der Weinbau hier bedeutet – raue Hände und wettergegerbte Gesichter erzählen ihre eigene Geschichte.

Jacquère ist die Königin unter den savoyischen Rebsorten. Sie bedeckt fast die Hälfte der Rebfläche und bringt leichte, erfrischende Weine mit Noten von grünem Apfel, Zitrus und einer mineralischen Komponente hervor, die an nasse Steine nach einem Sommerregen erinnert. Die bekanntesten Appellationen für diese Rebsorte sind Apremont und Abymes, deren Namen schon die geografischen Extreme andeuten – Abymes bedeutet "Abgrund" und verweist auf einen verheerenden Bergrutsch im 13. Jahrhundert, der das Terroir prägte.

Eine Überraschung für viele Weinkenner ist die Altesse, auch Roussette genannt, die für ihre Komplexität und Alterungsfähigkeit geschätzt wird. Im Gegensatz zur frisch-fruchtigen Jacquère entwickelt sie Aromen von Honig, reifer Birne und weißen Blüten, unterlegt mit einer salzigen Mineralität. Besonders die Roussette de Savoie aus den Crus Frangy, Marestel, Monterminod und Monthoux kann mit internationalen Weißweingrößen durchaus mithalten – bleibt aber oft im Schatten der bekannteren französischen Appellationen. Nicht zuletzt der schwindende Tourismus trägt dazu bei. Früher nahmen die Skifahrer im Winter noch Kisten mit nach Hause, heute verirren sich weniger Gäste in die Keller der Region.

Bei den Rotweinen dominiert die Mondeuse, eine autochthone Varietät, die genetisch mit der Syrah verwandt ist. Sie bringt dunkle, würzige Weine mit markanter Säure und Tanninen hervor, die oft Noten von schwarzer Johannisbeere, Brombeere, Pfeffer und einer fleischigen Komponente aufweisen. Der traditionelle Chautagne-Wein aus den nördlichsten Weinbergen Savoyens, die sich an den Hängen des Mont du Chat befinden, gilt als besonders charaktervoller Ausdruck dieser Rebsorte.

Die wiederentdeckten Schätze der Isère

Südöstlich von Lyon erstreckt sich das Weinbaugebiet der Isère, das noch vor hundert Jahren zu den größten Weinregionen Frankreichs zählte. Die Reblaus und Industrialisierung brachten den Niedergang, von einst 40.000 Hektar Rebfläche überlebten nur wenige hundert. Fast wäre diese Region von der Weinkarte verschwunden. Der sturen Beharrlichkeit einer Handvoll Winzer ist es zu verdanken, dass hier heute wieder ambitionierter Weinbau stattfindet. Verdier, Persan, Etraire de la Dhuy – Namen von Rebsorten, die selbst vielen Weinprofis fremd klingen, finden hier ihre letzte Bastion.

Besonders der Coteaux du Grésivaudan, ein schmales Tal zwischen den Massive de la Chartreuse und Belledonne, hat sich zu einer Art Arche Noah für seltene Rebsorten entwickelt. Nicolas Gonin, einer der Pioniere der Region, hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, verschollene Rebsorten wiederzubeleben. Die anfängliche Skepsis ist mittlerweile Bewunderung gewichen. Heute interessieren sich Winzer aus ganz Frankreich für die alten Sorten der Region. Nicht ohne Grund – mit zunehmender Klimaerwärmung suchen viele Weinbauregionen nach Alternativen zu den klassischen Sorten.

Tatsächlich hat es die Persan-Traube in sich: Spät reifend, säurebetont und mit rustikalen Tanninen ausgestattet, bringt sie Weine hervor, die an die große Zeit der Region im 19. Jahrhundert erinnern sollen. Ihre Aromen von Wildbeeren, Unterholz und Gewürzen entfalten sich langsam im Glas. Die Önologen der Region experimentieren zudem mit Ausbaumethoden – mal im Stahltank für maximale Frucht, mal im gebrauchten Eichenfass für mehr Komplexität.

Die Verdier, eine autochthone weiße Rebsorte der Isère, liefert mineralische Weine mit einer fast salzigen Note und Aromen von weißen Früchten. Knochentrocken und mit vibrierender Säure sind diese Weine perfekte Begleiter zur regionalen Küche – vor allem zum berühmten Gratin Dauphinois oder der Chartreuse-Käsevariation. Frisch auf den Tisch gebracht wird's ein Gedicht.

Das Balcon de Belledonne, ein steil ansteigendes Plateau südlich von Grenoble, bietet mit seinen steinigen Böden und der intensiven Sonneneinstrahlung ideale Bedingungen für den Anbau der seltenen Etraire de la Dhuy. Diese rote Rebsorte, deren Name auf das "etraire" (Ausreißen) der Beeren hindeutet, da die Stiele sehr fest am Rebstock haften, bringt elegante Weine mit feinen Tanninen und einer markanten Würzigkeit hervor.

Hautes-Alpes: Weinbau am klimatischen Limit

Südlich von Grenoble, in den Hautes-Alpes rund um Gap und Embrun, stößt der Weinbau an seine klimatischen Grenzen. Hier, wo die Winter noch härter und die Vegetationsperiode noch kürzer ist, wachsen Reben auf bis zu 1.300 Metern – europäischer Rekord. Klimawandel hin oder her, hier oben bleibt die Lese eine Zitterpartie. Die Winzer der Region ernten manchmal erst Anfang November, wenn unten im Rhônetal schon alles längst eingefahren ist. Genau dieser Umstand verleiht den Weinen ihren besonderen Charakter.

Die Mollard, eine fast vergessene dunkle Rebsorte, findet in den höhergelegenen Bereichen der Hautes-Alpes überraschend gute Bedingungen. Sie liefert tiefdunkle Weine mit moderatem Alkoholgehalt und einer markanten Frische, die an Himbeeren, Kirschen und alpine Kräuter erinnert. Hinzu gesellt sich die Persan, die hier noch etwas strenger und kantiger ausfällt als in der Isère.

Besonders spannend ist die Renaissance weißer Rebsorten wie der Blanc de Morgex, der auf italienischer Seite als Prié Blanc bekannt ist. Diese Sorte hat sich über Jahrhunderte an extreme Höhenlagen angepasst und bringt mineralische, straffe Weiße mit Noten von grüner Apfel, Bergkräutern und einer fast rauchigen Mineralität hervor. Meist trocken ausgebaut, aber gelegentlich auch als liebliche Variante zu finden, die perfekt zu den regionalen Käsespezialitäten passt.

Das IGP Hautes-Alpes, früher als Vin de Pays bekannt, umfasst heute etwa 200 Hektar Rebfläche, die von knapp 30 Winzern bewirtschaftet werden. Eine kleine, aber feine Gemeinschaft, die sich gegenseitig unterstützt. Die Winzer stehen nicht in Konkurrenz, sondern helfen einander. Wenn jemand eine Maschine kaputt hat oder Hilfe bei der Lese braucht, ist immer jemand da. Diese Solidarität ist notwendig in einer Region, wo der Weinbau wirtschaftlich oft am Rande der Rentabilität operiert.

Autochthone Rebsorten: Vom Aussterben bedroht zur Trendrebe

Was früher als rückständig galt – der Anbau lokaler, unbekannter Rebsorten statt international gefragter Varietäten – wird heute zum Verkaufsargument. Die genetische Vielfalt der alpinen Weinbaugebiete stellt einen kulturellen und biologischen Schatz dar, der zunehmend wertgeschätzt wird. Neben den bereits erwähnten Sorten findet man in den französischen Alpen noch weitere Raritäten:

Die Gringet, lange Zeit fälschlicherweise für einen Klon des Savagnin gehalten, entpuppte sich bei DNA-Analysen als eigenständige Sorte. Sie wird fast ausschließlich in der Appellation Ayze angebaut und ergibt frische, komplexe Weißweine, die oft auch als Schaumwein ausgebaut werden. Mit ihren Aromen von Zitrusfrüchten, weißen Blüten und einer markanten Mineralität ist sie ein Paradebeispiel für die Einzigartigkeit der alpinen Weinwelt.

Die Douce Noire, die mit der piemontesischen Dolcetto identisch ist, findet man noch vereinzelt in älteren Weinbergen. Sie liefert fruchtige, zugängliche Rotweine mit moderaten Tanninen – eine willkommene Ergänzung zu den oft strukturierteren Weinen aus Mondeuse oder Persan.

Besonders die Jungwinzer der Region haben den Wert des autochthonen Rebsortenschatzes erkannt. Statt auf internationale Rebsorten zu setzen, investieren sie in die Wiederbelebung alter Sorten. Die Vorteile liegen auf der Hand: Diese Pflanzen haben sich über Jahrhunderte an das spezielle Terroir angepasst. Sie brauchen weniger Pflanzenschutz, kommen mit den klimatischen Extremen besser zurecht und bringen Weine hervor, die man nirgendwo sonst findet. Eine Art natürliche Nachhaltigkeit, die gerade im alpinen Raum besondere Bedeutung hat.

Besuchertipps: Alpenweine erleben

Der beste Zeitpunkt für einen Besuch in den Weinbaugebieten der französischen Alpen ist der späte Frühling bis frühe Herbst. Viele Weingüter öffnen ihre Türen für Verkostungen, verlangen aber meist eine Voranmeldung. Französischkenntnisse sind von Vorteil, aber nicht zwingend notwendig – die Leidenschaft für den Wein überwindet Sprachbarrieren mühelos.

In Savoyen lohnt sich ein Besuch der Route des Vins de Savoie, die sich von Seyssel im Norden bis nach Montmélian im Süden erstreckt. Das jährliche "Salon des Vins de Savoie" in Chambéry, das am ersten Wochenende im Februar stattfindet, bietet die Möglichkeit, nahezu alle Winzer der Region an einem Ort zu treffen. Kleiner, aber nicht weniger charmant ist das "Festival des Vins de Montagne" in Aime-La-Plagne jeden September – ein Geheimtipp für Kenner.

In der Isère hat sich der kleine Ort Saint-Chef zum Zentrum des wiederbelebten Weinbaus entwickelt. Die "Journées du Patrimoine Viticole" im Oktober bieten Einblicke in die historischen Kellereien und die Arbeit der Winzer. Der Besuch des Weinguts von Nicolas Gonin in Saint-Chef sollte auf keiner Weinreise fehlen – seine Arbeit zur Rettung autochthoner Rebsorten hat internationale Anerkennung gefunden.

In den Hautes-Alpes führt die "Route des Vins des Hautes-Alpes" zu den verstreuten Weinbaubetrieben der Region. Da die Weingüter oft weit voneinander entfernt liegen, empfiehlt sich eine gute Planung. Die Genossenschaftskellerei "Cave Coopérative des Hautes-Vignes" in Remollon bietet einen guten Überblick über die regionalen Weine und ist auch ohne Voranmeldung zu besuchen.

Schreibe einen Kommentar
Bitte anmelden, um einen Kommentar zu schreiben.
 
Du 

Bisher keine Kommentare
Nach oben scrollen