Frankreich

Samoëns: Das versteckte Steinmetzdorf im wilden Giffre-Tal

In Samoëns treffen jahrhundertealte Steinmetzkunst auf atemberaubende Bergpanoramen. Und vom Dorfplatz sind es nur wenige Kilometer bis zu einem der beeindruckendsten Naturschauspiele der Alpen.

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Zwischenablage

Im Herzen des Giffre-Tals, etwa 70 Kilometer östlich von Genf, liegt Samoëns auf einer sonnenverwöhnten Hochebene. Der Name selbst ist bereits ein Hinweis auf die Identität des Ortes – er leitet sich vom mittelalterlichen französischen "sept monts" (sieben Berge) ab, was auf die markanten Gipfel verweist, die das Tal umschließen. Anders als die meisten Nachbarorte im Département Haute-Savoie hat sich Samoëns seinen historischen Kern bewahrt. Die alten Steinhäuser, manche davon aus dem 15. Jahrhundert, stehen heute noch stolz in den engen Gassen des Zentrums.

Die Geschichte von Samoëns ist untrennbar mit der Steinmetzkunst verbunden. Bereits im 12. Jahrhundert bildete sich hier eine Gilde der "Frahans" – hochspezialisierte Steinmetze, deren Ruf weit über die Grenzen Savoyens hinausreichte. Der lokale Kalkstein aus den Steinbrüchen des umliegenden Gebirges diente als Material für zahlreiche repräsentative Bauten in ganz Frankreich und sogar darüber hinaus. Die Frahans von Samoëns sollen angeblich sogar am Bau des Genfer Doms beteiligt gewesen sein. Eine Besonderheit: Die Handwerker entwickelten eine eigene Geheimsprache, um ihre Arbeitstechniken vor Konkurrenten zu schützen. Reste dieses Jargons haben überlebt und finden sich noch heute im lokalen Dialekt.

Der historische Ortskern mit seinem ausladenden Dorfplatz, der "Grande Place", strahlt eine geradezu mediterrane Atmosphäre aus – was ihn deutlich von anderen Alpendörfern unterscheidet. Die massive Linde in der Dorfmitte wurde 1438 gepflanzt und hat einen Stammumfang von über 9 Metern erreicht. Unter ihrem Schatten treffen sich bis heute Einheimische zum Plausch, während Touristen oft verblüfft innehalten. Es gibt wohl kaum einen eindrucksvolleren Baum in den gesamten französischen Alpen.

Architektonische Schätze und kulturelles Erbe

Die Architektur von Samoëns spiegelt den Wohlstand wider, den die Handwerkskunst über die Jahrhunderte ins Tal brachte. Wer durch die Gassen schlendert, entdeckt an vielen Gebäuden feine Steingravuren – Türstürze mit Jahreszahlen, religiösen Motiven oder Zunftzeichen. Besonders beeindruckend ist die Kirche Notre-Dame-de-l'Assomption aus dem 17. Jahrhundert mit ihrer imposanten Freitreppe. Der Innenraum überrascht mit einer ungewöhnlichen Akustik; kein Wunder, dass hier regelmäßig Konzerte stattfinden. Während der Sommermonate lohnt ein Abstecher zu den abendlichen Orgelkonzerten, wenn das Gebäude im warmen Licht der untergehenden Sonne erstrahlt und die Klänge durch die alten Mauern hallen.

Nahe der Kirche steht die ehemalige Kapelle des Frauenordens Notre-Dame, die heute das Heimatmuseum "Musée de la Mémoire" beherbergt. Die Ausstellung legt ihren Schwerpunkt auf die lokale Handwerkskunst und das bäuerliche Leben der vergangenen Jahrhunderte. Hier findet sich auch eine beachtliche Sammlung alter Werkzeuge der Frahans. Als kleiner Insidertipp: Im Untergeschoss gibt es eine Wechselausstellung mit historischen Fotografien des Tals – darunter einige, die das Leben vor dem Einzug des Skitourismus dokumentieren. Die Schwarzweißaufnahmen aus den 1920er Jahren zeigen ein fast archaisches Bergbauerntum, das heute kaum noch vorstellbar ist.

Der Stolz der Gemeinde ist der alpine botanische Garten "La Jaÿsinia", eine Schenkung der lokalen Unternehmerin Marie-Louise Cognacq-Jaÿ, die als Gründerin der Pariser Kaufhauskette "La Samaritaine" zu Wohlstand gelangte. Der 1906 angelegte, terrassenförmig aufsteigende Garten beherbergt über 2500 Pflanzenarten aus den Gebirgsregionen der ganzen Welt. Mitten durch die Anlage plätschert ein künstlich angelegter Bach, der in kleinen Kaskaden die Hänge hinunterfließt. Das Plätschern des Wassers vermischt sich mit dem Vogelgezwitscher und schafft eine fast meditative Atmosphäre. Der Aufstieg ist zwar steil, aber die Aussicht von den Ruinen der mittelalterlichen Burg auf das Dorf und das Tal entschädigt für die Mühe. Der Eintritt ist übrigens frei – ein echtes Geschenk angesichts der Qualität der Anlage.

Im Rhythmus der Jahreszeiten

Samoëns ist ein Ort, der mit den Jahreszeiten atmet. Während andere Alpendörfer sich entweder dem Sommer- oder dem Wintertourismus verschrieben haben, zeigt sich hier das ganze Jahr über ein lebendiges Bild. Im Winter gehört das Gebiet zum Skiverbund "Grand Massif", der mit Flaine, Les Carroz und Morillon mehr als 265 Kilometer Pisten umfasst. Anders als viele hochalpine Skistationen liegt Samoëns jedoch nicht direkt an den Pisten, sondern behält seinen authentischen Dorfcharakter. Eine moderne Gondelbahn, die "Grand Massif Express", bringt Skifahrer in wenigen Minuten vom Ortsrand auf über 1600 Meter Höhe.

Der Frühling präsentiert sich hier mit einer Explosion von Farben und Düften. Wenn der Schnee in den Höhenlagen noch liegt, blühen im Tal bereits die Obstbäume und die saftigen Weiden überziehen sich mit einem Teppich aus Wildblumen. Die Märkte auf der Grande Place beginnen sich zu füllen – besonders der Mittwochsmarkt hat sich zu einem regionalen Anziehungspunkt entwickelt. Zwischen den Ständen lokaler Käseproduzenten, Imker und Gemüsebauern hört man neben Französisch auch die Dialekte aus dem benachbarten Schweizer Wallis.

Der Sommer bringt eine angenehme Hochgebirgsfrische, während in den Niederungen die Hitze flirrt. Mit Temperaturen, die selten über 25 Grad klettern, ist das Tal ein idealer Rückzugsort für Wanderer und Naturliebhaber. Die Gemeinde hat in den letzten Jahren viel in den sanften Tourismus investiert – ein dichtes Netz gut markierter Wanderwege durchzieht die Bergflanken, und mehrere alte Almhütten wurden als einfache Berggasthäuser renoviert. Die Almbauern treiben im Juni ihr Vieh auf die Hochweiden – ein Schauspiel, das viele Dorfbewohner begleiten. Der Duft von frischem Heu liegt in der Luft, und abends flackern manchmal noch die traditionellen Johannisfeuer auf den Berggipfeln.

Der Herbst schließlich bringt eine besondere Stimmung ins Tal. Wenn die Lärchenwälder an den Hängen in leuchtendem Gold stehen und der erste Raureif die Wiesen überzieht, umhüllt oft ein feiner Nebelschleier den Talgrund. Die Luft wird klar und scharf, und die Sicht auf die umliegenden Gipfel gewinnt eine fast übernatürliche Präzision. Für Fotografen ist diese Zeit ein Traum – das weiche Licht der tiefstehenden Sonne zaubert magische Stimmungen. Die Almabtriebe im September und Oktober werden mit kleinen Dorffesten gefeiert, bei denen lokale Spezialitäten wie Käse, Schinken und der hochprozentige Génépi-Schnaps nicht fehlen dürfen.

Naturwunder Cirque du Fer-à-Cheval

Der absolute Höhepunkt für Naturliebhaber liegt etwa 12 Kilometer südöstlich von Samoëns: der monumentale Cirque du Fer-à-Cheval. Diese hufeisenförmige Felswand, die sich über eine Länge von fast 5 Kilometern erstreckt und an manchen Stellen mehr als 700 Meter senkrecht aufsteigt, zählt zu den beeindruckendsten Naturformationen der Alpen. Sie erinnert in ihren Dimensionen an bekannte norwegische Fjorde, ist aber selbst vielen Alpenkennern unbekannt geblieben.

Die Anfahrt erfolgt über eine schmale, aber gut ausgebaute Straße, die sich durch das obere Giffre-Tal schlängelt. Schon die Fahrt ist ein Erlebnis – zu beiden Seiten erheben sich steile Bergflanken, Wasserfälle stürzen über Felswände, und gelegentlich kreuzen Murmeltiere oder Gämsen den Weg. Der Cirque selbst öffnet sich dann plötzlich und unvermittelt – ein Moment, der regelmäßig Ausrufe des Erstaunens auslöst.

Je nach Jahreszeit zeigt sich der Cirque in völlig unterschiedlichem Gewand. Im Frühjahr, wenn die Schneeschmelze einsetzt, stürzen bis zu 30 Wasserfälle über die Felswände – ein brausendes Spektakel aus Wasser, Licht und Gischt. Der Talgrund vibriert förmlich von der Wucht der herabstürzenden Wassermassen. Im Sommer versiegen viele der kleineren Fälle, dafür leuchten dann alpine Blumen auf den grünen Matten am Fuß der Wände. Der Herbst taucht die Szenerie in warmes, goldenes Licht, und im Winter verwandeln sich die Wasserfälle in bizarre Eisskulpturen, die von Eiskletterern bezwungen werden.

Ein gut ausgebautes Wegenetz erschließt das Gebiet für jede Kondition. Der einfache Rundweg führt in etwa einer Stunde um den Talkessel. Anspruchsvollere Touren steigen zu den Hochalmen auf oder führen sogar bis zum "Bout du Monde" (Ende der Welt) am hintersten Ende des Talkessels, wo sich ein weiterer, kleinerer Cirque anschließt. Bei gutem Wetter lohnt es sich, ein Fernglas mitzubringen – mit etwas Glück lassen sich an den Felswänden Steinböcke beobachten, die mit erstaunlicher Leichtigkeit an den scheinbar senkrechten Wänden entlangklettern.

Praktische Informationen

Die Anreise nach Samoëns gestaltet sich unkompliziert. Der nächste internationale Flughafen ist Genf, von dort sind es etwa 70 Kilometer auf gut ausgebauten Straßen. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht man Samoëns mit dem Bus von Cluses, das am Bahnkorridor zwischen Genf und Chamonix liegt. In der Hochsaison gibt es auch direkte Shuttlebusse vom Flughafen.

Unterkunftsmöglichkeiten gibt es in allen Preiskategorien. Von einfachen Pensionen über Ferienwohnungen bis hin zu komfortablen Hotels ist alles vorhanden. Besonders charmant sind die renovierten Bauernhäuser am Ortsrand, die oft eine gelungene Mischung aus alpiner Tradition und modernem Komfort bieten. Die "Ferme d'en Haut" etwa ist ein liebevoll restauriertes Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, dessen massive Holzbalken und steinerne Mauern Geschichten aus vergangenen Zeiten erzählen könnten. Das Knarren der Dielen unter den Füßen und der Geruch des alten Holzes schaffen eine Atmosphäre, die kein modernes Hotel bieten kann.

Die beste Reisezeit hängt von den persönlichen Vorlieben ab. Für Winteraktivitäten sind die Monate Dezember bis März ideal, wobei der Januar in der Regel die stabilsten Schneeverhältnisse bietet. Der Sommer (Juni bis September) lockt mit angenehmen Temperaturen und einer explosiven Blütenpracht in den Bergwiesen. Die Nebensaison im Mai und Oktober bringt oft unbeständiges Wetter, belohnt aber mit deutlich niedrigeren Preisen und weniger Besuchern. Eine Besonderheit: Viele Einheimische schwören auf den späten September, wenn die Sommerhitze vorbei ist, die Touristenströme abgeebbt sind und die Lärchenwälder sich langsam golden färben.

Die Fortbewegung vor Ort ist auch ohne eigenes Auto gut möglich. Im Winter verkehren regelmäßig Skishuttles zwischen den Ortsteilen und zur Seilbahnstation. Im Sommer gibt es einen Wanderbus (navette randonnée), der die wichtigsten Ausgangspunkte für Bergtouren anfährt, darunter auch den Parkplatz am Cirque du Fer-à-Cheval. Für spontane Ausflüge empfiehlt sich dennoch ein Mietwagen – besonders wenn man abgelegene Winkel des Tals erkunden möchte. Die örtliche Touristeninformation am Hauptplatz bietet detaillierte Karten und aktuelle Informationen zu Wegbedingungen, Veranstaltungen und Öffnungszeiten.

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