Der Höhenweg von Mürren zum Schilthorn gehört zu jenen Routen, deren Anblick man nicht mehr vergisst. Auf knapp 15 Kilometern schlängelt sich der Pfad durch eine Landschaft, die selbst alpine Vielwanderer ins Staunen versetzt. Das Besondere daran? Die Kombination aus technisch moderater Wanderung und atemberaubendem Panorama. Links das imposante Dreigestirn Eiger (3.967 m), Mönch (4.107 m) und Jungfrau (4.158 m), rechts der freie Blick hinunter ins schwindelerregend tiefe Lauterbrunnental. Nicht umsonst bezeichnen Kenner diesen Weg als einen der schönsten Höhenwege der Schweiz – und das will in einem Land, das mit grandiosen Bergpfaden nur so gesegnet ist, schon etwas heißen.
Der Weg beginnt im autofreien Bergdorf Mürren, das auf einer Sonnenterrasse in 1.638 Metern Höhe thront. Von hier führt die Route über mehrere Etappen bis zum Schilthorn-Gipfel auf 2.970 Metern. Unterwegs passiert man mehrere markante Punkte wie die Bergstation Birg mit ihrer spektakulären Aussichtsplattform "Thrill Walk" und das Restaurant Piz Gloria, bekannt aus dem James-Bond-Film "Im Geheimdienst Ihrer Majestät". Klar ist: Wer diesen Weg geht, sollte ausreichend Zeit mitbringen – nicht nur wegen der etwa sechs- bis siebenstündigen reinen Gehzeit, sondern vor allem wegen der zahlreichen Fotostopps, die sich an jeder Biegung aufdrängen.
Anreise und beste Wanderzeit
Die Anreise nach Mürren erfolgt selbst wie eine kleine Bergtour. Zunächst mit dem Zug nach Lauterbrunnen, dann entweder mit der Bergbahn über Grütschalp oder mit der Seilbahn über Stechelberg. Das autofreie Dorf empfängt Besucher mit einer wohltuenden Ruhe, die nur vom gelegentlichen Klingeln der Elektrofahrzeuge unterbrochen wird, die Gepäck und Waren transportieren.
Die ideale Zeit für diese Wanderung liegt zwischen Juni und Oktober. Anfang Sommer leuchten die Alpwiesen in allen erdenklichen Farben, während das spätsommerliche Licht im September besonders fotogen auf den Bergketten liegt. Im Juli und August ist mit mehr Wanderern zu rechnen – früher Start lohnt also. Der Weg kann auch im Winter begangen werden, allerdings dann nur mit entsprechender Winterausrüstung und alpiner Erfahrung. Praktisch dabei: Der Höhenweg lässt sich dank der Seilbahnen bei Bedarf abkürzen, falls das Wetter umschlägt oder die Kräfte nachlassen.
Die Wetterbedingungen können sich in den Bergen schnell ändern. Beim Start in Mürren mag noch die Sonne scheinen, während am Schilthorn bereits Wolken am Gipfel nagen. Die Wettervorhersage sollte daher unbedingt beachtet werden. Bei schlechtem Wetter oder Nebel verliert der Weg seinen Hauptreiz – die Aussicht – und kann gefährlich werden.
Etappe 1: Von Mürren zur Engetal-Alp
Der Weg beginnt im Zentrum von Mürren. Die gelben Wanderwegweiser, die in der Schweiz zuverlässig wie eine gute Uhr funktionieren, weisen den Weg Richtung Schilthorn. Die Route führt zunächst gemächlich durch die oberen Bereiche des Dorfes, vorbei an traditionellen Holzchalets mit üppigem Blumenschmuck. Bald lichtet sich die Bebauung, und der Blick öffnet sich auf das gegenüberliegende Bergmassiv. Wenn die Morgensonne die verschneiten Gipfel von Eiger, Mönch und Jungfrau in goldenes Licht taucht, ist das ein Moment zum Innehalten und Durchatmen.
Nach etwa einer halben Stunde erreicht man die erste Geländestufe. Der Weg wird nun merklich steiler und führt über Almwiesen bergauf. Im Früh- und Hochsommer ein Blütenmeer aus Alpenrosen, Enzianen und Edelweiß – in der Luft liegt der würzige Duft von Bergkräutern und frischem Gras. Hier begegnet man gelegentlich Kühen und Ziegen, die mit ihren melodischen Glocken die Stille der Berge untermalen. Mäulis erste Regel gilt besonders auf diesem Abschnitt: Festes Schuhwerk ist Pflicht, denn der manchmal feuchte Untergrund kann rutschig sein.
Nach rund zwei Stunden stetigem Aufstieg erreicht man die Engetal-Alp auf etwa 2.000 Metern. Eine rustikale Alphütte bietet hier die Möglichkeit zur Rast. Die selbstgemachten Käsebrote und der hausgemachte Holundersaft sind mehr als nur eine Stärkung – sie sind Teil des alpinen Erlebnisses. Von der Terrasse schweift der Blick über das gesamte Lauterbrunnental bis hin zu den schneebedeckten Gipfeln der Jungfrau-Region. An klaren Tagen kann man sogar den Thunersee in der Ferne glitzern sehen.
Etappe 2: Durch das Engetal zum Grauseeli
Ab der Engetal-Alp wird die Landschaft karger. Der Weg führt nun durch das Engetal, eine felsige Hochebene, die von steilen Bergflanken eingerahmt wird. Die Vegetation reduziert sich auf Zwergsträucher und alpine Rasen. Im Frühsommer, wenn die Schneeschmelze noch im Gange ist, plätschern hier überall kleine Bäche über die Felsen. Später im Jahr trocknen diese meist aus, hinterlassen aber ein Netz aus kleinen Rinnen im Gestein – Zeugen der enormen Erosionskraft des Wassers.
Nach einem weiteren Aufstieg über Serpentinen führt der Weg am kleinen Grauseeli vorbei. Der unscheinbare Bergsee trägt seinen Namen nicht ohne Grund: In seinem dunkelgrauen Wasser spiegeln sich die umliegenden Felswände. Ein magischer Ort für eine kurze Pause, besonders wenn Frühnebel über dem Wasser schwebt. Wildtierbeobachter sollten hier die Augen offenhalten – Murmeltiere leben in den umliegenden Geröllfeldern und kündigen sich meist mit schrillen Pfiffen an, bevor sie in ihre Baue verschwinden.
Im weiteren Verlauf wird der Weg anspruchsvoller. Felsplatten und Schutthalden wollen überwunden werden. Zwar ist der Weg gut markiert und gesichert, dennoch erfordert dieser Abschnitt Trittsicherheit und ein gewisses Maß an Schwindelfreiheit. Die Anstrengung lohnt sich aber: Mit jedem Höhenmeter weitet sich das Panorama. Bei günstigen Wetterbedingungen reicht die Sicht vom Schwarzwald im Norden bis zu den Walliser Alpen im Süden – ein alpines Panoramakino der Extraklasse.
Etappe 3: Aufstieg zur Birg und zum Schilthorn-Gipfel
Der letzte Abschnitt führt zunächst zur Bergstation Birg auf 2.677 Metern. Die futuristische Bauweise der Station bildet einen markanten Kontrast zur archaischen Berglandschaft. Hier befindet sich auch der "Thrill Walk" – ein in den Fels gebauter Weg mit Glasboden und Gitterrosten, der nichts für schwache Nerven ist. Der spektakuläre Stahlbau kragt an der senkrechten Felswand aus und ermöglicht Blicke in die Tiefe, die manch einem den Atem rauben. Ein kurzer Abstecher, der sich aber definitiv lohnt – sofern man schwindelfrei ist.
Von der Birg aus wird der Anstieg noch einmal fordernder. Der Weg führt über Geröllfelder und ausgesetzte Passagen. Bei Schnee oder Nässe ist besondere Vorsicht geboten. Die letzten Meter zum Gipfel ziehen sich gefühlt wie Kaugummi – typisch für Gipfelanstiege, wo die dünner werdende Luft und die zurückgelegten Kilometer in den Beinen spürbar werden. Doch dann steht man endlich oben, auf dem Schilthorn, umgeben von einem 360-Grad-Panorama, das schlichtweg überwältigend ist.
Das Gipfelrestaurant Piz Gloria – bekannt aus dem James-Bond-Film "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" von 1969 – thront auf dem höchsten Punkt. Das sich drehende Restaurant erlaubt einen kompletten Rundumblick, ohne dass man den Platz verlassen muss. Die Bond-Thematik ist allgegenwärtig, vom "007 Burger" auf der Speisekarte bis zur kleinen Ausstellung zur Filmgeschichte. Zugegeben, das hat einen gewissen touristischen Touch – aber nach der anspruchsvollen Wanderung gönnt man sich den Luxus eines heißen Getränks mit Blick auf über 200 Gipfel gerne.
Praktische Hinweise und Ausrüstung
Die komplette Wanderung von Mürren zum Schilthorn dauert etwa sechs bis sieben Stunden reine Gehzeit – Pausen und Fotostopps nicht eingerechnet. Wer die volle Strecke in Angriff nimmt, sollte über eine gute Grundkondition verfügen. Alternativen für weniger trainierte Wanderer oder bei Zeitknappheit bestehen darin, nur Teilabschnitte zu gehen oder die Seilbahn für den Auf- oder Abstieg zu nutzen.
An Ausrüstung ist folgendes ein Muss: Knöchelhohe Wanderschuhe mit griffiger Sohle, wetterfeste Kleidung nach dem Zwiebelprinzip, Sonnenschutz (die UV-Strahlung in den Bergen wird häufig unterschätzt), ausreichend Wasser und Proviant. Eine detaillierte Wanderkarte der Region oder eine entsprechende App mit offline verfügbaren Karten sollte ebenso im Gepäck sein wie ein kleines Erste-Hilfe-Set. Wanderstöcke entlasten besonders beim Abstieg die Knie und geben zusätzliche Stabilität in schwierigem Gelände – keine schlechte Idee also, ein Paar mitzunehmen.
Die Wetterbedingungen können sich in den Bergen schnell ändern. Beim Start in Mürren mag noch die Sonne scheinen, während am Schilthorn bereits Wolken am Gipfel nagen. Die Wettervorhersage sollte daher unbedingt beachtet werden. Bei schlechtem Wetter oder Nebel verliert der Weg seinen Hauptreiz – die Aussicht – und kann gefährlich werden.
Einkehrmöglichkeiten und Übernachtung
Entlang des Weges gibt es mehrere Möglichkeiten zur Einkehr. Neben der bereits erwähnten Engetal-Alp bietet auch die Bergstation Birg eine Restauration mit Sonnenterrasse. Das Gipfelrestaurant Piz Gloria auf dem Schilthorn ist zwar nicht gerade ein Geheimtipp, aber die einmalige Lage und das Panorama machen den Besuch zu einem Erlebnis. Geheimtipp für Alpinkäse-Fans: Auf der Alp Boganggen, einem kurzen Abstecher vom Hauptweg, werden selbstgemachte Käsespezialitäten angeboten, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte.
Übernachtungsmöglichkeiten gibt es in Mürren reichlich – vom einfachen Berggasthaus bis zum Vier-Sterne-Hotel. Für eine authentische Bergerfahrung empfiehlt sich das historische Hotel Regina, das seit über 100 Jahren Gäste empfängt und mit seinem Belle-Époque-Charme bezaubert. Wer es moderner mag, findet im Hotel Eiger zeitgemäßen Komfort mit ebenso grandioser Aussicht. Eine Übernachtung in Mürren vor oder nach der Wanderung hat einen unschlagbaren Vorteil: Man erlebt das Dorf, wenn die Tagesgäste verschwunden sind und eine wohltuende Ruhe einkehrt.
Für Abenteuerlustige besteht auch die Möglichkeit einer Übernachtung auf der Bergstation Birg in einfachen Schlafräumen. Diese Option erlaubt es, den Sonnenuntergang und -aufgang in den Bergen zu erleben – ein magisches Schauspiel, das nur wenigen vergönnt ist. Die Plätze sind jedoch begrenzt und sollten frühzeitig reserviert werden.
Flora und Fauna am Weg
Der Höhenweg von Mürren zum Schilthorn führt durch verschiedene Vegetationszonen, was ihn besonders für Pflanzen- und Tierfreunde interessant macht. In den niedrigeren Lagen wachsen typische Bergwiesen mit einer Vielfalt an Blumen: Alpenrosen leuchten im Frühsommer in kräftigem Pink, seltene Edelweiß verstecken sich zwischen Felsen, und der blaue Enzian setzt intensive Farbakzente. Je höher man steigt, desto karger wird die Vegetation. Ab etwa 2.500 Metern dominieren vor allem Flechten und Moose das Bild.
Die Tierwelt ist ebenso vielfältig. Steinböcke klettern mit verblüffender Eleganz über scheinbar unzugängliche Felswände, Murmeltiere pfeifen ihre Warnrufe durch die Täler, und mit etwas Glück lässt sich der majestätische Steinadler am Himmel beobachten. Gämsen sind besonders in den frühen Morgenstunden anzutreffen, wenn sie auf Nahrungssuche gehen. Ein Fernglas im Gepäck kann daher goldwert sein.
Bemerkenswert ist die Anpassungsfähigkeit der alpinen Lebewesen an die extremen Bedingungen. Die kurze Vegetationsperiode, starke Temperaturschwankungen und intensive UV-Strahlung haben zu faszinierenden Überlebensstrategien geführt. Die kompakte Wuchsform vieler Alpenpflanzen beispielsweise schützt vor Wind und Kälte – ein kleines Wunder der Evolution, das man beim Wandern hautnah beobachten kann.
Vom Schilthorn zurück ins Tal
Nach dem Gipfelerlebnis stellt sich die Frage nach dem Rückweg. Die direkteste Option ist die Fahrt mit der Schilthornbahn hinunter nach Mürren oder gleich weiter nach Stechelberg im Tal. Wer noch Kraft in den Beinen hat, kann den gleichen Weg zurückwandern oder alternativ über die Rotstockhütte absteigen. Letztere Route ist etwas länger, bietet aber neue Perspektiven und Ausblicke.
Für ambitionierte Bergwanderer existiert auch die Möglichkeit, den Abstieg mit weiteren Höhenwegen zu kombinieren. Der Nordwandweg führt von Mürren in Richtung Grütschalp und bietet noch einmal ganz andere Blickwinkel auf das Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau. Für diese Variante sollte allerdings ein weiterer Tag eingeplant werden.