Schweiz

Lauterbrunnen und das spektakulärste Alpental der 72 Wasserfälle

Wasser, das über 300 Meter in die Tiefe stürzt. Dörfer, in die kein Auto je vordringt. Das Lauterbrunnental ist der lebende Beweis dafür, dass die schönsten Postkartenmotive manchmal echt sind.

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Zwischenablage

Ein schmaler Einschnitt zwischen massiven Kalksteinwänden, die steil aufragen wie Kathedralen aus Stein. Darüber thront das Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau, während unten Wasser in allen erdenklichen Formen die Szenerie beherrscht. Das Lauterbrunnental im Berner Oberland ist nicht einfach nur ein weiteres Schweizer Alpental – es ist ein geologisches Wunderwerk, das selbst J.R.R. Tolkien zu seiner Mittelerde-Landschaft Rivendell inspirierte.

Mit einer Länge von rund 8 Kilometern und Felswänden, die bis zu 500 Meter nahezu senkrecht aufragen, zählt das Lauterbrunnental zu den größten Trogälern der Alpen. Seine 72 Wasserfälle – die bei Regen oder Schneeschmelze auf weit über hundert anschwellen können – sind sein Markenzeichen. Manche stürzen als dünne Silberfäden, andere als tosende Kaskaden in die Tiefe. Das Wort "lauter Brunnen" im Talnamen ist dabei Programm – nicht umsonst bezeichnete Johann Wolfgang von Goethe das Tal als "das schauerlichste und zugleich anmutigste aller Täler".

Anreise und beste Reisezeit

Das Hauptdorf Lauterbrunnen erreicht man bequem mit der Bahn von Interlaken aus in etwa 20 Minuten. Die Anreise ist Teil des Erlebnisses: Die BOB (Berner Oberland Bahn) schlängelt sich durch enge Täler und vorbei an saftigen Almwiesen, bevor sie im Tal hält. Wer mit dem Auto anreist, findet am Ortseingang mehrere kostenpflichtige Parkplätze – weiter kommt man ohnehin nicht, denn die bekannten Bergdörfer Wengen und Mürren sind autofrei.

Die Jahreszeiten zeigen das Tal in völlig unterschiedlichem Gewand. Im Frühling, wenn die Schneeschmelze einsetzt, verwandeln sich die Wasserfälle in tosende Naturgewalten. Der Sommer bietet stabiles Wanderwetter und üppig grüne Almwiesen. Der Herbst überzieht die Hänge mit Goldtönen und sorgt für klare Fernsicht. Und im Winter, wenn Schnee das Tal in Watte packt und manche Wasserfälle zu bizarren Eisskulpturen erstarren, zeigt sich die mystische Seite des Tals. Hohe Saison ist von Juni bis September sowie während der Wintermonate von Dezember bis März. Wer's ruhiger mag, plant seinen Besuch in den Zwischensaisons April/Mai oder Oktober/November – dann sind zwar nicht alle Bergbahnen in Betrieb, dafür ist man auf den Wanderwegen oft allein unterwegs.

Lauterbrunnen – Das Dorf im Schatten der Felsen

Der Hauptort Lauterbrunnen liegt auf 795 Metern über dem Meer und zählt gerade mal 2400 Einwohner. Die weiße Dorfkirche mit ihrem spitzen Turm gehört zu den meistfotografierten Motiven – im Hintergrund der Staubbachfall, der wie ein weißes Band über die Felswand fließt. Der Hauptort ist Ausgangspunkt für Wanderungen und Ausflüge in alle Himmelsrichtungen.

Entlang der Hauptstraße reihen sich Holzhäuser im typischen Berner Oberland-Stil, Restaurants und kleine Läden. Dabei geht es überraschend unaufgeregt zu – das Dorf hat sich trotz seiner Bekanntheit eine gewisse Authentizität bewahrt. Morgens kann man noch beobachten, wie Landwirte mit ihren Traktoren zu den umliegenden Höfen fahren, während an anderen Ecken schon Wanderer ihre Touren planen.

Das Talmuseum lohnt einen Besuch, besonders an Regentagen. Hier erfährt man alles über die Besiedlungsgeschichte des Tals, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht, und über die traditionelle Alpwirtschaft. Beeindruckend sind die Schicksale der Bergleute – das Tal war früher bekannt für seine Blei- und Zinkbergwerke, deren Stollen tief in die Felswände getrieben wurden.

Die spektakulären Wasserfälle

Ohne Zweifel sind die Wasserfälle das Herzstück des Lauterbrunnentals. Drei davon haben besondere Berühmtheit erlangt: der Staubbachfall, der Trümmelbachfall und der Mürrenbachfall.

Der Staubbachfall stürzt 297 Meter frei fallend direkt am Ortseingang von Lauterbrunnen über die Felswand. Charakteristisch ist, wie er sich bei Wind in feine Wassertröpfchen auflöst – daher sein Name. Im Sommer kann man über einen steilen Pfad hinter den Fall gelangen. Goethe widmete ihm sein Gedicht "Gesang der Geister über den Wassern" – eine Tafel am Aufstieg erinnert daran. Früh am Morgen, wenn die Sonne den Wasserstaub zum Leuchten bringt, wirkt der Fall besonders magisch.

Der Trümmelbachfall hingegen ist ein verstecktes Juwel. Während die meisten Wasserfälle des Tals gut sichtbar sind, hat sich der Trümmelbach über Jahrtausende durch den Fels gefressen und einen tiefen Schlund geschaffen. Zehn Kaskaden stürzen hier insgesamt 140 Meter in die Tiefe, transportieren bis zu 20.000 Liter Wasser pro Sekunde und entwässern dabei die gewaltigen Nordwände von Eiger, Mönch und Jungfrau. Ein Lift führt ins Innere des Berges, von wo aus Treppen und Tunnels zu verschiedenen Aussichtspunkten führen. Das donnernde Getöse und die unheimliche Atmosphäre in der feuchten, kühlen Schlucht sind fast unwirklich – selbst an heißen Sommertagen herrschen hier drinnen kaum mehr als 10 Grad.

Der Mürrenbachfall schließlich, mit einer Fallhöhe von 417 Metern, gilt als höchster Wasserfall der Schweiz. Er liegt etwas versteckt auf dem Weg nach Mürren und wird daher von vielen Besuchern übersehen. Dabei offenbart er sich in seiner vollen Pracht gerade auf der Fahrt mit der Bergbahn von Stechelberg nach Mürren.

Für Wasserfall-Enthusiasten gibt es den "Wasserfallweg", der von Lauterbrunnen nach Stechelberg führt. Auf diesem rund 10 Kilometer langen Spazierweg passiert man nicht weniger als 10 Wasserfälle – darunter auch einige kleinere, aber nicht minder schöne Kaskaden wie den Spissbach- und den Mattenbachfall. Der Weg ist flach und gut ausgebaut, eignet sich also auch für Familien mit Kindern oder weniger geübte Wanderer.

Wengen – Das Dorf mit dem Jungfrau-Panorama

Wengen klebt förmlich am westlichen Talhang auf 1274 Metern Höhe. Das komplett autofreie Dorf ist nur per Zahnradbahn von Lauterbrunnen aus erreichbar – eine Fahrt, die bereits zum Erlebnis wird, wenn der Zug stetig an Höhe gewinnt und der Blick ins Tal immer spektakulärer wird.

Sobald man aus dem Bahnhof tritt, empfängt einen eine andere Welt. Elektrische Karren transportieren Gepäck und Waren, Pferdekutschen stehen für romantische Rundfahrten bereit, und die holzverkleideten Hotels erinnern an die Belle Époque des alpinen Tourismus. Seit dem 19. Jahrhundert ist Wengen ein Zentrum des britischen Wintertourismus, was sich bis heute in einer gewissen anglophilen Atmosphäre niederschlägt – nicht umsonst findet hier jedes Jahr im Januar das legendäre Lauberhorn-Skirennen statt, eines der ältesten und längsten Abfahrtsrennen der Welt.

Der Blick von der Dorfpromenade auf das gegenüberliegende Dreigestirn aus Eiger, Mönch und Jungfrau ist atemberaubend. An klaren Tagen wirken die Berge zum Greifen nah. Diese Kulisse hat schon so manchen Besucher dazu verleitet, den geplanten Aufenthalt spontan zu verlängern.

Wengen ist ein idealer Ausgangspunkt für mittelschwere Wanderungen. Der Panoramaweg nach Kleine Scheidegg etwa führt durch blumenübersäte Almwiesen, vorbei an urigen Alphütten, während ständig das Panorama der Jungfrau-Gruppe im Blickfeld bleibt. Im Winter verwandelt sich das Dorf in ein beschauliches Skiresort, das vor allem Familien und Genuss-Skifahrer anspricht. Das Skigebiet Kleine Scheidegg-Männlichen bietet 110 Pistenkilometer mit überwiegend leichten bis mittelschweren Abfahrten.

Mürren – Am Rand des Abgrunds

Wer glaubt, Wengen biete bereits spektakuläre Ausblicke, der wird in Mürren eines Besseren belehrt. Das Dorf thront auf 1650 Metern Höhe auf einer natürlichen Terrasse direkt am Abgrund. Von hier stürzen die Felswände über 800 Meter senkrecht ins Tal hinab – ein Anblick, der selbst Schwindelfreien Respekt einflößt.

Auch Mürren ist autofrei und nur per Seilbahn erreichbar, entweder von Stechelberg im Talgrund oder über Gimmelwald, ein weiteres kleines Bergdorf, das wie aus der Zeit gefallen wirkt. Die Fahrt mit der Luftseilbahn ist nichts für schwache Nerven, bietet aber grandiose Ausblicke auf das Tal und seine Wasserfälle.

Mürren hat sich seinen dörflichen Charakter bewahrt. Holzchalets mit blumengeschmückten Balkonen säumen die wenigen Straßen. Trotz seiner bescheidenen Größe – gerade mal 450 Einwohner leben hier ganzjährig – bietet Mürren erstaunlich viele Annehmlichkeiten, von gemütlichen Cafés bis hin zu einem Schwimmbad mit Panoramablick.

Die Hauptattraktion ist zweifellos das Schilthorn (2970 m), das mit der Seilbahn in 20 Minuten erreichbar ist. Auf seinem Gipfel befindet sich das Drehrestaurant Piz Gloria, das durch seinen Auftritt im James-Bond-Film "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" Weltruhm erlangte. Bei gutem Wetter reicht der Blick vom Schilthorn über mehr als 200 Gipfel und bis zum Schwarzwald in Deutschland und den französischen Vogesen. Ein besonderes Erlebnis ist das "Bond World 007" – eine interaktive Ausstellung rund um die Dreharbeiten des Films.

Für Wanderer ist Mürren ein wahres Paradies. Der Nordwanderweg führt entlang der Kante des Abgrunds und bietet ständig neue Perspektiven auf die gegenüberliegende Bergkette. Der Blumenpfad im Sommer zeigt die erstaunliche Vielfalt der alpinen Flora. Und im Winter verwandelt sich die Region in ein schneesicheres Skigebiet abseits der Massenströme – hier kann man noch einsame Schwünge in unberührten Pulverschnee ziehen.

Aktivitäten für jeden Geschmack

Das Lauterbrunnental ist ein Aktivitäten-Eldorado, das weit über einfaches Wandern hinausgeht. Hier eine kleine Auswahl der Möglichkeiten:

Klettern gehört zu den Klassikern. Die senkrechten Kalksteinwände bieten über 500 Routen aller Schwierigkeitsgrade. Besonders beliebt ist die Felswand beim Staubbachfall, wo bereits Kletterlegenden wie Wolfgang Güllich neue Maßstäbe setzten. Mehrere Klettersteige, darunter der anspruchsvolle "Mürren-Klettersteig", ermöglichen auch Nicht-Extremkletterern vertikale Abenteuer.

Für Adrenalin-Junkies bietet das Tal Basejumping und Gleitschirmfliegen. Der "Ultimate Base"-Sprung von der über 700 Meter hohen Felsnadel "Mushroom" gilt als einer der spektakulärsten der Welt. Allerdings ist das Basejumpen nicht ungefährlich – zahlreiche Gedenkplaketten an den Felswänden zeugen von tödlichen Unfällen. Wer's etwas gemächlicher mag, kann im Tandem mit einem erfahrenen Piloten per Gleitschirm ins Tal schweben.

Mountain-Biker finden rund um Mürren und auf der gegenüberliegenden Talseite bei Wengen anspruchsvolle Trails. Der "Eiger Bike-Challenge" ist ein legendärer Marathon für ambitionierte Biker. In den Sommermonaten transportieren viele Bergbahnen auch Fahrräder.

Im Winter erweitert sich das Angebot um Skifahren, Snowboarden, Langlauf und Schneeschuhwandern. Das zusammenhängende Skigebiet umfasst die Bereiche Kleine Scheidegg-Männlichen und Mürren-Schilthorn mit insgesamt über 200 Pistenkilometern. Ein besonderes Highlight ist die 15 Kilometer lange Abfahrt von der Kleinen Scheidegg nach Wengen – hier fährt man auf der Original-Lauberhornabfahrt, der längsten Weltcup-Abfahrtsstrecke.

Für Familien mit Kindern bietet das Tal zahlreiche kindgerechte Erlebnisse: Vom Spielplatz in Wengen mit Blick auf die Jungfrau über den Wassererlebnispfad in Lauterbrunnen bis hin zum "Flower Park" auf der Allmendhubel-Alm oberhalb von Mürren, wo Kinder spielerisch die Alpenpflanzen kennenlernen können.

Kulinarische Höhepunkte

Nach einem Tag voller Aktivitäten will der Hunger gestillt werden – und das Lauterbrunnental enttäuscht auch kulinarisch nicht. Die Küche des Berner Oberlands ist deftig und regionalbezogen. In den zahlreichen Bergrestaurants und Alphütten kommen traditionelle Gerichte auf den Tisch.

Ein Muss ist das Käsefondue – geschmolzener Käse, in den man Brotstücke tunkt. Die lokale Variante wird oft mit Kirsch (Kirschwasser) verfeinert und kommt mit frischem Bauernbrot daher. Genauso typisch ist Raclette, bei dem Käse am Stück erhitzt und der geschmolzene Teil über Kartoffeln gestrichen wird. Die "Älplermagronen" – eine Art Makkaroni-Auflauf mit Kartoffeln, Zwiebeln, Rahm und Käse – waren ursprünglich das nahrhafte Essen der Sennen auf den Almen.

In Lauterbrunnen selbst bietet das Restaurant "Weidstübli" authentische Schweizer Küche in rustikalem Ambiente. Das "Hotel Oberland" serviert sein Fondue in einem über 300 Jahre alten Gebäude. In Wengen überzeugt das "Restaurant Eiger" mit gehobener alpiner Küche und Panoramafenstern. Und in Mürren ist das "Eigerview" bekannt für seine Rösti-Variationen und den unschlagbaren Blick auf – natürlich – den Eiger.

Für den süßen Zahn sind die "Vermicelles" ein Highlight – ein Dessert aus pürierten Maronen, das typischerweise mit Schlagsahne serviert wird. Nicht zu vergessen die weltberühmte Schweizer Schokolade, die man in kleinen Confiserien in allen Dörfern des Tals kaufen kann.

Übernachtungsmöglichkeiten für jeden Geldbeutel

Das Lauterbrunnental bietet Unterkunftsmöglichkeiten für jeden Geschmack und Geldbeutel. Von einfachen Berghütten über gemütliche B&Bs bis hin zu Luxushotels ist alles vertreten.

In Lauterbrunnen selbst gibt es mehrere Campingplätze, die zu den schönstgelegenen der Schweiz zählen – mit Blick auf die Wasserfälle. Das "Camping Jungfrau" liegt direkt am Eingang des Tals und bietet neben Stellplätzen auch kleine Holzhütten zur Miete an. Günstiger übernachtet man kaum im oft preisintensiven Tal.

Wer es komfortabler mag, findet in jedem Dorf familiengeführte Hotels und Pensionen. In Lauterbrunnen ist das "Hotel Staubbach" mit seiner über 100-jährigen Geschichte eine Institution. Das "Hotel Silberhorn" in Wengen besticht durch seine Panoramaterrasse und den Wellnessbereich. Und in Mürren bietet das "Hotel Eiger" Zimmer mit atemberaubendem Blick ins Tal.

Authentisch übernachtet man in den zahlreichen umgebauten Bauernhöfen und Chalets, die als Ferienwohnungen vermietet werden. Hier kann man selbst kochen und den Urlaub im eigenen Tempo gestalten. Das "Chalet Höhenblick" in Wengen etwa ist ein typisches Holzhaus mit modernem Komfort im Inneren.

Ein besonderes Erlebnis ist die Übernachtung in einer der Berghütten des Schweizer Alpenclubs (SAC). Die Rotstockhütte oberhalb von Mürren etwa ist nur zu Fuß erreichbar und bietet eine einmalige Atmosphäre – allerdings ohne den Komfort eines Hotels. Hier isst man gemeinsam mit anderen Bergsteigern am langen Tisch und teilt sich den einfachen Schlafsaal.

Tipps für den Besuch

Das Wetter im Tal kann schnell umschlagen. Selbst im Hochsommer empfiehlt sich eine warme Jacke für die Höhenlagen. Die Sonne brennt in den Bergen intensiver – Sonnenschutz ist Pflicht. Und gutes Schuhwerk ist selbst für einfache Wanderungen unerlässlich, da viele Wege steil und bei Nässe rutschig sein können.

Wer Menschenmassen meiden will, sollte die Hauptattraktionen wie die Trümmelbachfälle früh am Morgen oder am späten Nachmittag besuchen. Die meisten Tagestouristen treffen zwischen 10 und 15 Uhr ein. Ein weiterer Tipp: Viele der schönsten Spots liegen abseits der Hauptwege. Eine kleine Wanderung von 30 Minuten kann oft den Unterschied zwischen überlaufenem Aussichtspunkt und einsamer Naturidylle bedeuten.

Nicht zuletzt: Respektiere die Natur und die lokale Kultur. Die Schweizer legen großen Wert auf Ordnung und Sauberkeit. Abfall mitnehmen, Weidezäune schließen und Privatgrund respektieren gehören zum guten Ton.

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