In Mittersill, wo die Salzach gemächlich durch das Tauerntal fließt, erhebt sich ein moderner Bau, der auf den ersten Blick nicht verrät, was er beherbergt: den gesamten Alpenraum in konzentrierter Form. Das Nationalparkzentrum Hohe Tauern ist mehr als ein Museum – es ist ein Stück Berg unter Dach. Auf 1.800 Quadratmetern Ausstellungsfläche komprimiert sich alles, was die Alpenregion zwischen Gletscher und Tal ausmacht, ohne dass du selbst einen Bergschuh anziehen musst.
Der Nationalpark Hohe Tauern als flächenmäßig größtes Schutzgebiet in Mitteleuropa erstreckt sich über die drei Bundesländer Kärnten, Tirol und Salzburg. In Mittersill hat der Salzburger Teil seine Heimstätte gefunden – eine multidimensionale Ausstellung, die konsequent auf Interaktivität setzt. Anders als klassische Naturmuseen mit ihrer Vitrinenbeschaulichkeit, packt dich das Zentrum beim Kragen und zieht dich mitten in die alpine Wirklichkeit.
Die Architektur des Gebäudes selbst ist ein Statement: Glas und Holz dominieren, eine geschickte Anspielung auf Transparenz und Naturverbundenheit. Nicht wenige Besucher strubbeln sich erstmal verdattert durchs Haar, nachdem sie von der Entweder-oder-Logik des Hauses überrascht wurden – denn während sie eben noch unter einem Wasserfall standen, sitzen sie nun plötzlich in einem Murmeltierbau. So rasant wechseln hier die Perspektiven.
Von Gipfelkreuzen und digitalen Höhenflügen
Der Herzschlag des Zentrums ist die multimediale Dauerausstellung „Nationalparkwelten". Sie funktioniert nach dem Höhenprinzip, was so viel bedeutet wie: Du steigst Stockwerk für Stockwerk tiefer in die Bergwelt ein. Oben wird's gletschiergekrönt, unten tummelt sich die Talflora. Eine Inszenierung, die unaufdringlich der natürlichen Höhenstufung der Alpen folgt.
Statt trockener Schautafeln empfangen dich interaktive Stationen, die nicht nur Fakten liefern, sondern Begegnungen schaffen. Ein Highlight: die Adlerwarte. Eine 270-Grad-Projektion katapultiert dich mitten in den Flug eines Steinadlers über die Hohen Tauern. Die Kombination aus Surround-Sound und hochauflösenden Bildern lässt dich förmlich den Fahrtwind spüren. Bemerkenswerterweise stammt das Filmmaterial von einer Kamera, die tatsächlich auf dem Rücken eines Adlers montiert war – eine Perspektive, für die man sonst Flügel bräuchte.
Der Gletscherraum daneben hat es in sich. Eis, das vor Jahrhunderten fiel, wird hier begreifbar gemacht. Mit einem Handgriff kannst du einen virtuellen Gletscher durch die Jahrzehnte wandern lassen und seine Veränderung beobachten. Schlicht erschütternd, wie der weiße Riese innerhalb weniger Jahrzehnte zusammenschrumpft. Das Faszinosum: Die Ausstellung zeigt nicht nur die dramatischen Veränderungen, sondern macht durch eine Wärmebildkamera auch sichtbar, wie sich der Temperaturanstieg auf die Umgebung auswirkt.
Überraschend für ein technisch so ausgefeiltes Zentrum ist die Portion Selbstironie, mit der hier und da gearbeitet wird. „Wir sind nur ein schwacher Abklatsch", liest man an einer Stelle über die Nachbildung eines Hochmoors. Genau diese Ehrlichkeit macht das Zentrum glaubwürdig. Es erhebt nicht den Anspruch, die Natur zu ersetzen, sondern will Appetit auf sie machen.
Murmeltierbau und Adlerhorst: Tierwelten zum Anfassen
Ein unterirdischer Gang führt in den Murmeltierbau – und da wird's skurril. Auf allen vieren kriechend erfährst du, wie sich das Winterquartier dieser Alpenbewohner anfühlt. Eng, dunkel, überraschend warm. Der Duft von Heu steigt in die Nase. Eine Installation, die vor allem bei Kindern für Begeisterung sorgt, aber auch Erwachsene in ein seltsames Dilemma stürzt: Soll ich mich wie ein Tier verhalten oder meinem aufrechten Gang treu bleiben? Kinder zögern nicht lange und tauchen mit Kreischen in die Welt der Murmeltiere ab.
Fast zum Greifen nah sind die Steinadler in ihrer nachgebauten Lebenswelt. Anders als in vielen Museen geht es hier nicht um ausgestopfte Exemplare, sondern um eindrucksvolle Projektionen und Klangkulissen. Der Steinadler schreit dir förmlich ins Ohr, während du seine Jagdtechniken in einer beeindruckenden Animation verfolgen kannst. Das Kind im Manne freut sich spätestens dann, wenn man am Flugsimulator selbst zum Adler werden darf – wer hat nicht schon mal davon geträumt, mit der eigenen Flügelspannweite über die Alpen zu segeln?
Auch die kleineren Tiere bekommen ihre Bühne. In Mikroskopstationen lassen sich Insekten unter die Lupe nehmen, dabei stellt man mit Erstaunen fest, dass selbst die kleinsten Tiere im Naturhaushalt der Alpen enorme Aufgaben übernehmen. Bemerkenswert an der gesamten Tierwelt-Ausstellung ist der Fokus auf Wechselbeziehungen statt auf isolierte Arten. Nichts steht für sich allein, alles ist verbunden – eine Lektion, die das Zentrum ohne erhobenen Zeigefinger vermittelt.
Klimawandel ohne Moralapostel-Getue
Wenn's um den Klimawandel geht, wird in den meisten Ausstellungen gerne mal der didaktische Hammer ausgepackt. Nicht so hier. Das Nationalparkzentrum präsentiert die Fakten zur Klimaveränderung in den Alpen mit einer nüchternen Klarheit, die mehr beeindruckt als jeder Alarmismus. Eine Zeitreihe von Gletscherfotos aus den letzten 100 Jahren spricht Bände. Daneben stehen Messdaten zu Temperatur, Niederschlag und Biodiversität.
Besonders gelungen ist die "Klimawaage" – eine interaktive Installation, bei der die Besucher selbst die Faktoren für Klimaschutz und Klimabelastung in Balance bringen müssen. Schon kleikne Veränderungen lassen die Waage in die eine oder andere Richtung kippen. Ein simples, aber effektives Bild, das hängen bleibt. Statt mit dem Zeigefinger zu drohen, setzt die Ausstellung auf Verständnis und Einordnung. Die Alpen sind Klimawandel-Hotspot – hier vollzieht sich die Erwärmung doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Diese Tatsache wird nicht dramatisiert, sondern einfach sichtbar gemacht.
Es ist diese sachliche Herangehensweise, die nachdenklich macht. Die schmerzhafte Erkenntnis: Viele der gezeigten Landschaften werden für kommende Generationen nicht mehr existieren. Trotzdem schafft es das Zentrum, einen Hoffnungsschimmer zu bewahren, indem es auf die Regenerationsfähigkeit der Natur verweist – vorausgesetzt, wir geben ihr die Chance dazu.
Geschichten vom Berg – multimedial aufbereitet
Mensch und Berg – eine Geschichte voller Missverständnisse, Eroberungen und Anpassungen. Das Nationalparkzentrum widmet der Kulturgeschichte des Alpenraums einen eigenen Bereich. Hier geht's um mehr als um Jodeln und Lederhosen. Wie hat sich das Verhältnis zwischen Mensch und Bergwelt im Laufe der Jahrhunderte entwickelt? Von der Angst vor den Bergen als unbezwingbare Ungeheuer bis hin zur touristischen Erschließung spannt sich der Bogen.
Besonders gut gelungen ist die "Stimmen vom Berg" Installation. In einer Art Telefonzelle kannst du den Erzählungen von Bergbauern, Jägern, Almwirten und Naturschützern lauschen – ungeschminkte Berichte aus erster Hand, die mal amüsieren, mal nachdenklich stimmen. Ein alter Bergbauer berichtet davon, wie er als Kind noch barfuß über die Almen lief, während heute die Wanderer mit High-Tech-Ausrüstung unterwegs sind. Solche Zeitzeugenberichte geben der Ausstellung eine menschliche Tiefe, die über das reine Faktenwissen hinausgeht.
Die multimediale Aufbereitung setzt durchweg auf Qualität statt auf Effekthascherei. Besonders die Klanginstallationen haben es in sich. Mit geschlossenen Augen durch den "Klangwald" zu wandern, ist ein faszinierendes Erlebnis. Vom Rauschen des Windes in den Baumwipfeln bis zum Klopfen des Spechts erschafft diese Installation eine auditive Landschaft, die fast realer wirkt als die Natur selbst.
Praxistipps für den Besuch
Ein Besuch im Nationalparkzentrum Hohe Tauern will gut geplant sein. Mindestens drei Stunden solltest du einplanen, um alle Bereiche in Ruhe zu erkunden. Für Familien mit Kindern ist ein Vormittag ideal, da die interaktiven Stationen dann meist weniger frequentiert sind als am Nachmittag. Während der Hochsaison im Sommer kann es manchmal etwas voller werden, aber selbst dann bleibt genügend Raum zum Entdecken.
Der Eintritt liegt bei 12 Euro für Erwachsene, Kinder zahlen 6 Euro. Es gibt Familienkarten und verschiedene Kombinationstickets, die sich lohnen, wenn du länger in der Region bleibst. Mit der Nationalpark Sommercard, die viele Unterkünfte in der Region anbieten, ist der Eintritt kostenlos. In den Sommermonaten finden regelmäßig Führungen statt, die im Eintrittspreis inbegriffen sind – ein Schmankerl, das du dir nicht entgehen lassen solltest.
Die Anreise nach Mittersill gelingt am besten mit dem Auto über die Großglockner Hochalpenstraße oder die Gerlos Alpenstraße. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Zentrum ebenfalls gut zu erreichen: Der Bahnhof Mittersill liegt nur wenige Gehminuten entfernt. Im Winter bietet sich die Kombination mit einem Besuch im nahegelegenen Skigebiet Kitzbühel an.
Von Mittersill aus lassen sich auch hervorragend Ausflüge in den tatsächlichen Nationalpark unternehmen. Das Zentrum bietet Infomaterial zu verschiedenen Wanderrouten, die von leichten Spaziergängen bis zu anspruchsvollen Bergtouren reichen. Besonders zu empfehlen ist der Weg zum Krimmler Wasserfall, der mit 380 Metern Fallhöhe zu den höchsten Wasserfällen Europas zählt. Nach einem Tag im Nationalparkzentrum wird der Blick auf die echte Natur geschärft sein – garantiert.
Mehr als nur ein schlechtes Wetter-Programm
Das Nationalparkzentrum ist mitnichten eine reine Schlechtwetter-Alternative. Natürlich, wenn die Wolken tief hängen und der Regen an die Scheiben klatscht, bietet das Zentrum einen willkommenen Unterschlupf. Aber es ist mehr als das. Es ist ein idealer Ausgangspunkt, um die Region zu verstehen, bevor man sich ins Abenteuer stürzt. Oder um das Erlebte nachzubereiten, wenn man bereits einige Tage in den Bergen verbracht hat.
Besonders wertvoll wird der Besuch, wenn du ihn als Vorbereitung für Wanderungen im Nationalpark nutzt. Die Ausstellung schärft den Blick für Details, die einem sonst vielleicht entgehen würden. Wer weiß schon, wie man die Spuren eines Steinadlers von denen eines Bartgeiers unterscheidet? Oder wie alt ein Gletscher an einer bestimmten Stelle ist? Mit diesem Wissen im Gepäck wird der anschließende Ausflug in die Natur zu einem tieferen Erlebnis.
Dieses Ineinandergreifen von Information und Erfahrung macht das Nationalparkzentrum zu einem sinnvollen Bestandteil jeder Reise in die Hohen Tauern. Es ist kein Ersatz für die Natur – aber ein verdammt guter Reiseführer durch sie.