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Wanderparadies Nationalpark Gesäuse: Steile Wände und wilde Wasser

Spektakuläre Felstürme ragen wie steinerne Wächter über dem smaragdgrünen Wasser der Enns. Im Nationalpark Gesäuse prallen Extreme aufeinander – sanfte Pfade treffen auf alpine Herausforderungen, schäumende Gischt auf jahrhundertealte Stille.

Österreich  |  Natur & Aktivitäten
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Zwischenablage

Der 1993 gegründete und seit 2002 als Nationalpark ausgewiesene Gesäuse-Naturraum liegt im Herzen der Steiermark und gehört zu den jüngsten Schutzgebieten Österreichs. Seine 11.000 Hektar umfassen eine der letzten wirklich wilden Landschaften der Ostalpen. Warum "Gesäuse"? Der Name stammt vom "Sausen" und "Brausen" der Enns, die sich hier durch ein enges Tal zwängt und dabei einen ohrenbetäubenden Lärm erzeugt – besonders nach Regenfällen oder während der Schneeschmelze. Zwischen Admont und Hieflau hat sich der Fluss über Jahrtausende seinen Weg durch den harten Kalkstein gefräst und dabei eine enge Schlucht geschaffen, gesäumt von gewaltigen Felswänden.

Das Nordgesicht des Hochtor-Massivs erhebt sich fast 1.800 Meter über dem Talboden – eine nahezu senkrechte Wand, die Alpinisten aus ganz Europa anzieht. Die Gebirgsstöcke der Buchsteingruppe und der Hochtorgruppe prägen das Gebiet mit ihren markanten Kalkfelsen und bieten eine atemberaubende Kulisse für Wanderungen jeglicher Schwierigkeitsgrade. Seltene Pflanzenarten wie der Clusius-Enzian oder das Edelweiß haben in den kargen Hochlagen ihr Zuhause gefunden, während in den tiefer gelegenen Mischwäldern Spechte und andere Waldvögel für Leben sorgen.

Die alpine Landschaft des Gesäuses stellt sich als Naturerlebnis der besonderen Art dar – mal karg und abweisend, mal überraschend farbenfroh durch Almwiesen und Latschenkieferfelder. Anders als in manch überlaufenem Wandergebiet der Alpen geht's hier noch vergleichsweise ruhig zu. Selbst an Wochenenden im Hochsommer lässt sich Einsamkeit finden, wenn man nur ein paar Schritte von den Hauptwegen abrückt.

Paradies für jeden Wandertyp

Das Gesäuse bietet eine Vielfalt an Wanderwegen, die auch verwöhnte Bergfexe nicht so schnell anderswo finden. Hier treffen Extreme aufeinander: Von einfachen, familientauglichen Wegen entlang der tosenden Enns bis hin zu hochalpinen Grattouren mit ausgesetzten Kletterpassagen ist alles vorhanden. Die unterschiedlichen Seehöhen von 490 Metern am Talgrund bis 2.369 Metern am Hochtor machen eine enorme Bandbreite an Vegetationszonen und entsprechend abwechslungsreiche Wanderungen möglich.

Auffallend ist der Kontrast zwischen den tiefen Waldschluchten, wo Moos und Farne in der feuchten Luft gedeihen, und den sonnenüberfluteten Gipfelregionen mit ihren kargen Steinlandschaften. Dieser schnelle Wechsel der Landschaften ermöglicht es, binnen weniger Stunden durch völlig unterschiedliche Naturräume zu wandern – vom üppigen Bergwald über blumenreiche Almwiesen bis hin zu alpinen Steinwüsten.

Für Familien und Einsteiger sind besonders die Wege im Talbereich geeignet. Der Nationalpark-Themenweg "WasserLeben" führt durch den Hartelsgraben und zeigt die Kraft des Wassers in all seinen Erscheinungsformen. Der leicht begehbare Weg ist mit Infotafeln bestückt und auch für Kinder spannend gestaltet. Fast durchgehend eben und damit auch für ältere Wanderer gut zu bewältigen ist der Rauchbodenweg, der entlang der Enns führt und immer wieder Ausblicke auf die umgebenden Felswände bietet. Die Wasserfallwege im Johnsbach oder die übersichtliche Rundwanderung über die Kölblalm bieten weitere Möglichkeiten für einen gemütlichen Einstieg ins Wandern im Gesäuse.

Auf den Spuren der Bergpioniere

Die Gesäuseberge haben eine lange alpinistische Geschichte. Schon Ende des 19. Jahrhunderts machten sich mutige Männer und Frauen daran, die scheinbar unbezwingbaren Felswände zu erklimmen. Die Kletterrouten, die sie damals in die Felsen legten, zählen heute zu den Klassikern des Alpinsports. Die "Rosskuppe-Dachl-Überschreitung" oder die Besteigung des Großen Ödsteins über den "Peternpfad" sind legendäre Touren, deren Erstbegehungen in die Pionierzeit des Alpinismus zurückreichen.

Wer heute auf den Spuren dieser Bergpioniere wandeln will, findet im Gesäuse ein reiches Angebot an anspruchsvollen Hochtouren. Der "Peternpfad" auf den Großen Ödstein (2.335 m) gilt als einer der ältesten gesicherten Klettersteige der Ostalpen und wurde bereits 1897 teilweise mit Eisenstiften und Drahtseilen ausgestattet. Die Tour verlangt alpine Erfahrung und Schwindelfreiheit – belohnt aber mit atemberaubenden Tiefblicken und einem Panorama, das bis zum Dachstein und zu den Niederen Tauern reicht.

Anspruchsvoller, aber für erfahrene Bergsteiger machbar, zeigt sich die Überschreitung des Hochtors (2.369 m), des höchsten Gipfels im Gesäuse. Der Weg führt über den ausgesetzten Südwestgrat und erfordert Trittsicherheit und Erfahrung im Klettern im zweiten Schwierigkeitsgrad. Bei diesem alpinen Abenteuer sollten selbst alte Hasen nicht auf die Sicherung verzichten – beeindruckend sind die steilen Abbrüche in die Nordwand, die einem den Atem rauben.

Die Hüttentour: Von der Hesshütte zur Haindlkarhütte

Eine der beliebtesten Mehrtagestouren im Gesäuse führt von der auf 1.699 Metern gelegenen Hesshütte über den Hochtor-Gipfel zur Haindlkarhütte. Die Hesshütte, ursprünglich 1893 erbaut und mehrfach renoviert, steckt mitten in einer spektakulären Hochgebirgslandschaft und dient als perfekter Ausgangspunkt für Touren in der Hochtorgruppe. Als Stützpunkt des Österreichischen Alpenvereins bietet sie Bergwanderern einen gemütlichen Zufluchtsort mit typisch österreichischer Hüttenküche – die Kasnocken hier haben schon so manchem erschöpften Wanderer wieder auf die Beine geholfen.

Von der Hesshütte aus kann man entweder über den Josefinensteig direkt zum Hochtor aufsteigen oder den etwas leichteren Weg über die Planspitze nehmen. Beide Routen verlangen alpine Erfahrung und Trittsicherheit. Der Josefinensteig verdient besondere Aufmerksamkeit: Teilweise mit Drahtseilen gesichert, führt er durch felsiges Gelände und abschüssige Schotterfelder. Bei Nebel oder Schnee ist diese Route nichts für schwache Nerven und sollte gemieden werden.

Nach der Überschreitung des Hochtors folgt der Abstieg zur Haindlkarhütte (1.121 m). Dabei durchquert man die botanisch äußerst interessante Region des Haindlkars mit seinen artenreichen Bergwiesen. Die Hütte selbst liegt direkt unterhalb der beeindruckenden Planspitz-Nordwand und ist ein idealer Ort, um den Sonnenuntergang zu beobachten, wenn die Abendsonne die Felswände in goldenes Licht taucht.

Ein besonderes Erlebnis bietet diese Hüttentour im Frühsommer, wenn auf den Hochflächen die Alpenrosen und andere Bergblumen in voller Blüte stehen. Die Schneeschmelze lässt zudem zahlreiche Wasserfälle über die Felswände stürzen – ein Naturschauspiel der Extraklasse, das man nicht so leicht vergisst.

Entlang der tosenden Enns

Das Gesäuse ohne die Enns zu erwähnen, wäre wie Venedig ohne Kanäle zu beschreiben. Der Fluss ist das pulsierende Herz des Nationalparks und hat die Landschaft über Jahrtausende geformt. Die Kraft des Wassers zeigt sich besonders eindrucksvoll in der nur sechs Kilometer langen, aber landschaftlich atemberaubenden Gesäuseschlucht zwischen Admont und Hieflau.

Der "Ennsweg" führt entlang des Flussufers und ist eine ideale Wanderung für heiße Sommertage, da die Gischt für angenehme Kühlung sorgt. Dieser Weg ist nicht nur leicht zu begehen, sondern auch ein Paradies für Naturfotografen. Die Kontraste zwischen dem türkisgrünen Wasser, den grauen Kalkfelsen und dem satten Grün der Wälder bieten Motive zuhauf. Wirklich packend wird's bei Hochwasser, wenn sich die Enns in ein tosendes Ungetüm verwandelt – allerdings sollte man dann aus Sicherheitsgründen Abstand halten.

Ein besonderes Highlight am Ennsweg sind die "Großen Ennsprallhänge" – eine eindrucksvolle geologische Formation, wo der Fluss auf harte Felsbarrieren trifft und gezwungen wird, seine Richtung abrupt zu ändern. Die daraus resultierende Erosion hat über die Jahrhunderte bizarre Felsformationen geschaffen. Hier kann man hautnah erleben, wie die Kraft des Wassers auch den härtesten Fels bezwingt – ein Geologie-Unterricht der praktischen Art.

Für Naturbeobachter bietet der Ennsweg auch ornithologische Leckerbissen: Mit etwas Glück und Geduld kann man hier Wasseramseln beobachten, die kopfüber in die Strömung tauchen, um Insektenlarven zu jagen. Auch der seltene Flussuferläufer hat in den ruhigeren Abschnitten des Flusses sein Revier.

Die Johnsbacher Almenrunde – Sanftes Wandern mit alpinem Flair

Nicht immer muss es steil und ausgesetzt sein – das Gesäuse hat auch sanftere Seiten zu bieten. Die Johnsbacher Almenrunde zählt zu den landschaftlich reizvollsten Mittelgebirgstouren im Nationalpark. Diese Rundwanderung führt über mehrere bewirtschaftete Almen und bietet nicht nur kulinarische Genüsse, sondern auch herrliche Ausblicke auf die umgebende Bergwelt.

Startpunkt ist das idyllische Bergdorf Johnsbach, dessen kleiner Bergfriedhof mit den schmiedeeisernen Grabkreuzen als "Friedhof der Bergsteiger" bekannt ist. Hier fanden viele Alpinisten ihre letzte Ruhe, die in den Gesäusebergen verunglückt sind – ein stiller Zeuge der Gefahren, die das Hochgebirge birgt.

Der Aufstieg zur Kölblalm verläuft gemächlich durch lichten Bergwald und über blumenreiche Bergwiesen. Von der Alm aus bietet sich ein prächtiger Blick auf die Hochtorgruppe. Die urige Hütte ist bekannt für ihre herzhaften Jausen mit regionalen Produkten – der selbstgemachte Almkäse ist eine wahre Delikatesse. Nach einer Stärkung geht es weiter zur Ebneralm und schließlich über die Wolfbauernhochalm wieder zurück ins Tal. Die gesamte Runde lässt sich in etwa 5-6 Stunden gemütlich bewältigen und ist auch für Familien mit größeren Kindern geeignet.

Besonders im Frühsommer, wenn die Almwiesen in voller Blüte stehen, zeigt diese Tour ihre ganze Pracht. Der Kontrast zwischen den sanften, grünen Almböden und den schroffen Felswänden im Hintergrund macht den besonderen Reiz dieser Wanderung aus. Zudem bietet die Route zahlreiche Möglichkeiten, die alpine Flora und Fauna zu beobachten – Gämsen sind hier keine Seltenheit und mit etwas Glück kann man sogar Steinadler am Himmel kreisen sehen.

Praktische Tipps für deinen Besuch im Gesäuse

Die beste Wanderzeit im Gesäuse liegt zwischen Mai und Oktober. In den Hochlagen kann allerdings bis in den Juni hinein noch Schnee liegen, und ab Mitte September ist in den höheren Regionen bereits wieder mit ersten Schneefällen zu rechnen. Der Juli und August bieten die stabilsten Wetterverhältnisse, sind aber auch die Monate mit den meisten Besuchern.

Das Wetter im Gesäuse kann tückisch sein – Gewitter bilden sich hier oft überraschend schnell und können in den Bergen lebensgefährlich werden. Eine gute Wettervorhersage ist daher unerlässlich, genauso wie eine angemessene Ausrüstung. Selbst im Hochsommer kann es in den Gipfelregionen empfindlich kalt werden, weshalb warme Kleidung, Regenschutz und ausreichend Proviant in keinem Rucksack fehlen sollten.

Als Basislager für Wanderungen eignen sich besonders die Orte Admont, Johnsbach oder Gstatterboden. In Admont lohnt sich übrigens ein Besuch des Benediktinerstifts mit seiner weltberühmten Bibliothek – ein kulturelles Highlight, das einen schönen Kontrast zum Naturerlebnis bildet. Das Nationalpark-Zentrum in Weng bietet interessante Ausstellungen zur Natur- und Kulturgeschichte des Gesäuses und ist ein guter Startpunkt, um sich über aktuelle Wegverhältnisse zu informieren.

Die Anreise ins Gesäuse erfolgt am besten mit der Bahn bis Admont oder mit dem Auto über die Gesäusestraße (B146). Von Wien aus ist das Gebiet in etwa drei Stunden erreichbar, von Graz aus in knapp zwei Stunden. Innerhalb des Nationalparks verkehren im Sommer Wanderbusse, die verschiedene Ausgangspunkte für Touren anfahren – eine umweltfreundliche Alternative zum eigenen Fahrzeug.

Bei der Tourenplanung sollte man die eigenen Fähigkeiten realistisch einschätzen. Was anderswo als "mittelschwer" gilt, kann im Gesäuse durchaus anspruchsvoll sein. Die alpinen Touren erfordern Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und Erfahrung im Umgang mit Klettersteigsets. Für Einsteiger empfiehlt sich eine Führung durch einen der Nationalpark-Ranger oder einen lokalen Bergführer – so lernt man nicht nur die sichersten Wege kennen, sondern erfährt auch viel Wissenswertes über die Natur und Geschichte der Region.

Das ungebändigte Naturerlebnis

Was das Gesäuse von vielen anderen Wandergebieten unterscheidet, ist sein rauer, ungeschliffener Charakter. Hier wurde die Natur nicht für den Tourismus zurechtgestutzt – sie zeigt sich in ihrer ursprünglichen, manchmal auch unbequemen Form. Genau das ist es, was Naturliebhaber an diesem Flecken Erde so schätzen.

Die steilen Felswände, die tosenden Wasserfälle und die kargen Hochflächen vermitteln ein Gefühl von Wildnis, das in den Alpen selten geworden ist. Während einer mehrtägigen Tour durch das Gesäuse kann man den Alltag wirklich hinter sich lassen und eintauchen in eine Welt, die nach ihren eigenen Gesetzen funktioniert – den Gesetzen der Natur.

Besonders eindrucksvoll zeigt sich diese Ursprünglichkeit im Hartelsgraben, einer tief eingeschnittenen Schlucht mit zahlreichen Wasserfällen. Der Weg durch diese Schlucht führt über Stege und Brücken entlang des rauschenden Baches und vermittelt ein Gefühl dafür, wie die Landschaft seit Jahrtausenden vom Wasser geformt wird. Nirgendwo sonst im Gesäuse wird die Kraft der Erosion so deutlich sichtbar wie hier.

Ein weiteres Highlight für Naturfreunde ist der "Lettmairau"-Urwald – ein Stück ursprünglicher Auwald, der seit Jahrzehnten sich selbst überlassen bleibt. Auf einem gut angelegten Themenweg kann man dieses Ökosystem erkunden und beobachten, wie umgestürzte Bäume als Lebensraum für unzählige Insekten, Pilze und neue Pflanzen dienen. Dieser Kreislauf aus Werden und Vergehen macht den besonderen Reiz dieses Waldstücks aus.

Wer das Gesäuse besucht, sollte sich Zeit nehmen – Zeit zum Schauen, zum Hören, zum Riechen. Die Morgenstunden, wenn die ersten Sonnenstrahlen die Felsenwände in goldenes Licht tauchen, oder die Abendstunden, wenn die untergehende Sonne den Himmel über den Bergen rot färbt, sind magische Momente, die dem Besucher lange in Erinnerung bleiben werden.

Im Gesäuse gibt es keine spektakulären Aussichtsplattformen, keine Seilbahnen und keine künstlichen Attraktionen. Was es gibt, ist eine Landschaft von archaischer Schönheit, die den Menschen klein erscheinen lässt angesichts der gewaltigen Naturkräfte, die hier am Werk sind. Genau das macht den Reiz dieses Nationalparks aus – er ist ein Stück echte, unverfälschte Wildnis mitten in Europa.

Die Wege durch diese Wildnis sind manchmal steil und beschwerlich, aber die Mühe lohnt sich. Wer einmal auf dem Gipfel des Hochtors gestanden und den Blick über das Meer aus Felsen schweifen lassen hat, wer durch die kühlen Schluchten entlang der Enns gewandert ist oder auf einer der aussichtsreichen Almen eine Rast eingelegt hat, wird verstehen, warum das Gesäuse zu den eindrucksvollsten Naturlandschaften der Ostalpen zählt. Es ist ein Ort, an dem die Natur noch die Oberhand behält – und genau das macht seinen besonderen Zauber aus.

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