In einer Zeit, wo Restaurants ihre Speisekarten täglich auf Instagram posten, wirken Südtirols bäuerliche Schankbetriebe wie aus der Zeit gefallen. Hier gibt's keine Sterne-Ambitionen oder ausgefallene Fusion-Küche. Stattdessen sitzt du in getäfelten Bauernstuben, während draußen die Weinreben oder Apfelbäume vor sich hin wachsen. Die Speisekarte? Oft gibt's gar keine – es wird serviert, was Saison hat und am Hof gedeiht.
Diese Schankbetriebe sind tief in der Südtiroler Tradition verwurzelt. Schon seit Jahrhunderten bewirten Bauernfamilien müde Wanderer und durstige Nachbarn in ihren Stuben. Was früher aus purer Notwendigkeit entstand – schließlich gab es nicht an jeder Ecke ein Gasthaus – hat sich zu einer eigenen Genusskultur entwickelt. Hier lernst du Südtirol von seiner authentischsten Seite kennen, fernab vom Touristentrubel der großen Hotels.
Hofschank oder Buschenschank – wo liegt der Unterschied?
Verwirrend ist die Sache erst mal schon: Manche heißen Hofschank, andere Buschenschank. Der Unterschied liegt in der Geografie. Hofschänken befinden sich außerhalb der sieben offiziellen Weinbaugebiete Südtirols. Logisch also, dass sie keinen eigenen Wein produzieren können. Trotzdem musst du auf ein Glas verzichten – die Gastgeber zapfen dir gerne ausgewählte Tropfen aus regionalen Kellereien.
Anders die Buschenschänken: Sie liegen mittendrin in den Weinregionen und keltern ihre eigenen Weine. Hier hat auch das berühmte Törggelen seinen Ursprung. Diese Tradition geht auf die Zeit zurück, als Winzer nach der Herbstlese Weinhändler und Genießer in ihre Keller luden, um die neuen Jahrgänge zu verkosten. Eine deftige Marende mit Speck, Käse und warmen Gerichten machte aus der Weinprobe ein geselliges Ereignis. Von Oktober bis Ende November lebt diese Tradition in den Buschenschänken wieder auf.
Was den Teller füllt
Vergiss komplizierte Menüfolgen und molekulare Spielereien. In bäuerlichen Schankbetrieben kommt auf den Teller, was die Jahreszeit hergibt und was der Hof produziert. Im Frühling sind es oft Bärlauch- oder Brennnesselknödel, die Spargelzeit bringt duftende Spargelsuppen und -strudel hervor. Der Herbst trumpft mit Kastanien-, Kürbis- und Gerstensuppen auf, dazu gibt's geröstete Kastanien und süßen Most.
Ganzjährig stehen die Klassiker auf dem Programm: Speckknödel in klarer Brühe, Schlutzer (das sind mit Topfen gefüllte Teigtaschen), hausgemachte Würste und der berühmte Südtiroler Speck. Dazu kommt frisches Bauernbrot, oft noch warm aus dem eigenen Ofen. Bei manchen Höfen stammt sogar das Fleisch von den eigenen Tieren – regionaler geht's kaum.
Besonders authentisch wird's bei den Getränken: Selbst gepresste Säfte aus Äpfeln, Holunder oder Johannisbeeren, hausgebrannte Schnäpse und in den Buschenschänken natürlich der eigene Wein. Der schmeckt oft rauer als die polierten Tropfen aus den großen Kellereien, hat dafür aber Charakter und erzählt die Geschichte des Bodens, auf dem er gewachsen ist.
Zwischen Sonnenterrasse und Bauernstube
Die Atmosphäre in diesen Betrieben lässt sich schwer beschreiben – man muss sie erlebt haben. Da ist zum einen die Architektur: alte Bauernhäuser mit niedrigen Decken, dunklem Holz und oft einem Kachelofen in der Ecke. Die Tische sind gedeckt mit karierten Tischdecken, die Stühle knarren leise, wenn du dich hinsetzt. Durch kleine Fenster fällt warmes Licht herein und draußen hörst du vielleicht das Läuten der Kuhglocken.
Viele Schankbetriebe haben zusätzlich Sonnenterrassen, die spektakuläre Ausblicke bieten. Vom Niedermairhof am Trumsberg blickst du weit ins Vinschgau und ins Martelltal hinein. Der Steidlerhof über Bozen bietet ein Panorama vom Rosengarten bis zum Mendelgebirge. Hier sitzt du unter alten Kastanienbäumen oder Nusssbäumen und lässt die Seele baumeln.
Was diese Orte aber wirklich besonders macht, ist die Gastfreundschaft. Oft bewirtet dich noch die Bäuerin höchstpersönlich, erklärt dir, woher die Zutaten kommen und erzählt Geschichten vom Hof. Das Personal? Meist die eigene Familie. Der Service ist herzlich, aber nicht aufdringlich – man lässt dir Zeit zum Genießen.
Von der Lana bis Alta Badia – eine Reise durch die Regionen
Jede Ecke Südtirols hat ihre eigenen bäuerlichen Schankbetriebe, und jeder erzählt eine andere Geschichte. Im Vinschgau, hoch oben am Trumsberg, liegt der Niedermoar. Hier oben, dem Himmel schon ziemlich nah, serviert Familie Kaserer ihre hofeigenen Produkte mit fantastischem Weitblick. Die getäfelten Bauernstuben laden besonders an kühleren Tagen zum Verweilen ein.
Ganz anders präsentiert sich der Lüch de Survisc in Alta Badia. In dem ehemaligen Stall verbindet sich ladinische Tradition mit unverfälschtem Geschmack. Mama Annamaria zaubert aus frischen Produkten aus dem eigenen Garten Gerichte, die die Geschichte des Hofes erzählen. Das Panorama mit dem Sas dla Crusc als Kulisse macht jeden Moment unvergesslich.
Im Eisacktal wartet der Winklerhof, bereits 1314 erstmals urkundlich erwähnt. Hier am Keschtnweg serviert man typische Eisacktaler Gerichte aus eigenem Anbau. Der Herbst ist die beste Zeit für einen Besuch – dann riecht es in den urigen Stuben nach gerösteten Kastanien und jungem Wein.
Richtig gemütlich wird's beim Hubenbauer in Vahrn. Zur Törggelzeit duftet es hier nach süßem Most, Speck und Kaminwurzen. Seit 2010 braut der Betrieb sogar sein eigenes Bier nach bayrischem Reinheitsgebot – eine gelungene Ergänzung zur traditionellen Küche.
Praktische Tipps für den Besuch
So authentisch diese Betriebe auch sind – ganz ohne Planung solltest du nicht hinfahren. Viele haben nur saisonal geöffnet oder spezielle Ruhetage. Der Steidlerhof etwa ist nur von Mitte März bis Anfang Juni und dann wieder von Mitte September bis Anfang Dezember offen. Andere, wie der Lüch de Survisc, öffnen ausschließlich auf Vorbestellung.
Reservieren ist generell eine gute Idee, besonders am Wochenende oder zur Törggelzeit im Herbst. Manche Betriebe nehmen nur größere Gruppen ab 10 oder 15 Personen an. Andere wiederum freuen sich über jeden einzelnen Gast. Am besten rufst du vorher an – das gehört sowieso zum authentischen Erlebnis dazu.
Die Preise sind meist moderat. Schließlich handelt es sich nicht um Gourmettempel, sondern um ehrliche Bauernküche. Dafür stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis: Große Portionen, frische Zutaten und eine Atmosphäre, die unbezahlbar ist.
Anfahrt kann manchmal abenteuerlich werden. Viele Höfe liegen abseits der Hauptstraßen, manche nur über Feldwege erreichbar. GPS hilft, aber verlass dich nicht blind darauf – manchmal führen die Wege auch durch Privatgrundstücke. Ein kurzer Anruf beim Gastgeber klärt meist alle Fragen zur Anfahrt.
Mehr als nur Essen und Trinken
Was viele nicht wissen: Einige bäuerliche Schankbetriebe bieten mehr als nur Einkehr. Der Winklerhof etwa vermietet auch Zimmer für "Urlaub auf dem Bauernhof". Hier kannst du hautnah miterleben, wie ein funktionierender Hof läuft, beim Füttern der Tiere helfen oder einfach die Ruhe genießen.
Andere Betriebe haben sich auf spezielle Angebote spezialisiert. Der Ebnerhof am Ritten lockt sonntags mit einem köstlichen Bauernbrunch, bei dem Florians Weine perfekt zu den Kreationen seiner Frau passen – sie ist gelernte Konditorin und verwöhnt die Gäste nicht nur mit herzhaften Gerichten.
Wieder andere Höfe bieten Führungen durch die Produktion an. Beim Hubenbauer kannst du die hofeigene Brauerei besichtigen und erfahren, wie aus Hopfen und Malz das Bier entsteht. In den Buschenschänken zur Weinlese ist oft der Kellerbesuch mit dabei – dort siehst du, wo der Wein reift, den du gerade trinkst.
Ein Stück gelebte Kultur
Bäuerliche Schankbetriebe sind mehr als Restaurants – sie sind lebendige Kulturzentren. Hier treffen sich Einheimische nach Feierabend, hier feiert man Geburtstage und hier lernen Kinder noch, woher das Essen wirklich kommt. In einer Zeit der Globalisierung bewahren diese Betriebe ein Stück authentische Regionalität.
Jeder Besuch ist auch eine kleine Zeitreise. Die Rezepte werden oft seit Generationen überliefert, die Arbeitsabläufe haben sich kaum verändert. Wenn du in einer dieser Stuben sitzt, spürst du noch die Verbindung zur Vergangenheit – ohne nostalgische Verklärung, sondern als gelebte Realität.
Gleichzeitig sind diese Betriebe keine Museen. Sie entwickeln sich weiter, passen sich an, ohne ihre Seele zu verlieren. Der hausgebraute Hopfentropfen beim Hubenbauer oder der Bauernbrunch am Ebnerhof zeigen: Tradition und Innovation können Hand in Hand gehen.
Wer Südtirol wirklich verstehen will, kommt an den bäuerlichen Schankbetrieben nicht vorbei. Hier schmeckst du nicht nur die Region, sondern erlebst sie mit allen Sinnen. Zwischen Speckknödel und Eigenbauwein findest du das, was moderne Gastronomie oft vermissen lässt: Authentizität ohne Aufgesetztes, Gastfreundschaft ohne Kalkül.