Schweiz

Treno Gottardo: Eine Bahnfahrt auf der legendärsten Strecke der Schweiz

Der Treno Gottardo verbindet nicht nur Nord und Süd – er verbindet Welten. In vier Stunden von den Alpen zu den Palmen, durch Tunnel, die Geschichte schrieben, und vorbei an Burgen, die Märchen erzählen könnten.

Schweiz  |  Sehenswertes & Attraktionen
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Zwischenablage

Manche Zugfahrten sind Transport, andere sind Erlebnis. Der Treno Gottardo gehört definitiv zur zweiten Kategorie. Stündlich rollt dieser kupferfarbene Geselle alternierend von Zürich, Basel oder Luzern los und nimmt dich mit auf eine Reise, die schon beim ersten Kilometer klar macht: Hier geht's nicht nur um Ankommen, sondern ums Unterwegs-Sein.

Die 293 Kilometer von Basel nach Locarno sind mehr als nur Strecke – sie sind ein Querschnitt durch die Schweiz, wie sie leibt und lebt. Vier Stunden und 21 Minuten dauert diese Zeitreise, bei der du vom deutschsprachigen Norden in den italienischsprachigen Süden gleitest, ohne je das Gefühl zu haben, dass es zu lange dauert. Eher im Gegenteil: Manchmal wünschst du dir, die Fahrt würde noch ein bisschen länger dauern.

Der Treno Gottardo der Schweizerischen Südostbahn (SOB) fährt nicht nur stündlich alternierend – er fährt schlau. Während andere Züge hetzen, nimmt er sich Zeit für die schönen Momente. "Chi va piano, va sano e va lontano" sagen die Tessiner: Eile mit Weile. Und genau diese Philosophie steckt in jeder Minute dieser Fahrt.

Vom Vierwaldstättersee zum Urnersee: Wenn Blau zu Türkis wird

Schon kurz nach dem Start zeigt sich, warum diese Strecke zu den schönsten Bahnverbindungen Europas zählt. Ab Brunnen verwandelt sich der blau schimmernde Vierwaldstättersee wie durch Zauberhand in den türkisfarbenen Urnersee. Das ist nicht nur ein Farbwechsel – das ist Theater für die Augen.

Die großen Fenster der modernen Niederflurtriebzüge des Typs Traverso sind wie Kinoleinwände, durch die sich das Panorama entfaltet. Hell und freundlich ist das Interieur, kupferfarben die Außenhaut – ein Zug, der sich nicht verstecken muss und das auch nicht will. In der ersten Klasse sitzt du wie ein König, aber ehrlich gesagt: Auch die zweite Klasse lässt keine Wünsche offen.

Der Urnersee lässt den Blick weit in die Ferne schweifen, während draußen die Berge vorbeiwandern wie stille Wächter. Hier spürst du schon: Das wird eine Fahrt, die in Erinnerung bleibt. Nicht nur wegen der Landschaft, sondern wegen dieses besonderen Gefühls von Entschleunigung, das sich schon nach wenigen Kilometern einstellt.

Wassen und das berühmte "Chileli": Dreimal grüßt das Murmeltier

Dann kommt Wassen – und mit ihm eines der berühmtesten Bahnspektakel der Schweiz. Die Kehrtunnel sind ein Meisterwerk der Ingenieurskunst aus dem 19. Jahrhundert, und sie sorgen für ein Erlebnis, das du so schnell nicht vergisst. Gleich mehrmals siehst du das „Chileli vo Wassen", die kleine Kirche des Ortes, von verschiedenen Seiten und aus unterschiedlichen Höhen.

Spannend ist dabei, dass du praktisch im Kreis fährst, ohne es zu merken. Der Zug schraubt sich spiralförmig durch den Berg, gewinnt dabei an Höhe und eröffnet immer neue Perspektiven auf dasselbe Motiv. Touristen zücken hier regelmäßig ihre Kameras, aber auch Einheimische schauen gerne nochmal hin. Denn diese Streckenführung ist einfach genial – und ein bisschen verrückt.

Die Steigung beträgt hier bis zu 27 Promille – das klingt nicht nach viel, aber für eine Eisenbahn ist das schon ordentlich steil. Trotzdem merkst du davon kaum etwas. Der Treno Gottardo klettert gleichmäßig und ruhig bergauf, während draußen die Landschaft immer alpiner wird.

Durch den Gotthard: Ein Tunnel mit Geschichte

Dann ist es soweit: Der namensgebende Gotthardtunnel schluckt den Zug. 15 Kilometer Finsternis, 15 Kilometer Geschichte. Als der Tunnel 1882 eröffnet wurde, war er der längste Eisenbahntunnel der Welt – ein Superlativ, der heute fast vergessen ist, aber damals eine Sensation war.

Während du durch die Dunkelheit rollst, kannst du dir vorstellen, wie die Arbeiter damals dieses Loch durch den Berg getrieben haben. Mit Dynamit, Muskelkraft und unglaublichem Durchhaltewillen. Hunderte haben bei diesem Projekt ihr Leben gelassen. Der Gotthard ist nicht nur ein Tunnel – er ist ein Denkmal für menschlichen Pioniergeist.

Das Nordportal liegt bei Göschenen, das Südportal bei Airolo. Dazwischen wechselst du nicht nur die Seite des Berges, sondern auch die Welt. Nördlich des Gotthard ist die Schweiz noch herb und kantig, südlich wird sie schon weicher, mediterraner. Du merkst es sofort, wenn der Zug wieder ins Tageslicht rollt.

Airolo: Höchster Bahnhof mit Tessiner Flair

Airolo empfängt dich auf 1141 Metern über Meer – das ist der höchstgelegene SBB-Bahnhof der Schweiz. Aber Airolo ist mehr als nur ein Rekord. Hier beginnt das Tessin, hier riechst du schon den ersten Hauch von Italien. Die Luft ist anders, die Häuser sind anders, selbst das Licht scheint anders zu sein.

Wenn du magst, steig hier aus und trink einen Espresso. Die Tessiner verstehen was von Kaffee, und in Airolo gibt es eine regionale Käserei, die einen Besuch wert ist. Der Treno Gottardo kommt ja stündlich wieder vorbei – perfekt für eine kleine Verschnaufpause im Hop-on-hop-off-Stil.

Von Airolo aus geht's bergab ins Bleniotal, eine der sonnenverwöhntesten Gegenden der Schweiz. Die Fahrt durch die Leventina ist pure Entspannung. Der Zug rollt gemächlich talwärts, draußen werden die Bäume wieder grüner, die Häuser wieder bunter. Hier merkst du: Du näherst dich dem Süden.

Bellinzona: Burgen und Dolce Vita

Bellinzona ist ein Höhepunkt der Fahrt – im wahrsten Sinne des Wortes. Die drei Burgen der Stadt thronen wie aus einem Märchenbuch über der Leventina: Castelgrande, Castello di Montebello und Castello di Sasso Corbaro. Alle drei gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe, und das völlig zu Recht.

Diese zinnenbestückten Mauern haben Geschichte geschrieben. Jahrhundertelang kontrollierten sie den Zugang zu den Alpenpässen, waren Bollwerk gegen Invasoren und Zeichen der Macht. Heute sind sie friedliche Zeitzeugen, die von einer Zeit erzählen, als Burgen noch mehr waren als touristische Attraktionen.

Aber Bellinzona ist nicht nur Geschichte. Die Stadt überrascht mit echtem Dolce Vita, mit engen Gassen, bunten Häusern und einem der schönsten Märkte der Schweiz. Samstags herrscht hier lebendiges Treiben, und die Luft duftet nach frischen Tomaten, Käse und italienischen Spezialitäten. Auch hier lohnt sich ein Zwischenstopp – der Treno Gottardo wartet schließlich stündlich auf dich.

Locarno: Palmen und Palazzi

Spätestens in Locarno wird das Riviera-Gefühl richtig greifbar. Palmen säumen die Straßen, elegante Palazzi spiegeln sich im Lago Maggiore, und die Luft hat diese besondere mediterrane Leichtigkeit. Nach vier Stunden Fahrt ist das wie ein kleines Wunder: Du bist noch in der Schweiz, aber es fühlt sich an wie Italien.

Der Bahnhof Tenero liegt auf nur 197 Metern über Meer – ein krasser Gegensatz zu den 1141 Metern in Airolo. Dieser Höhenunterschied von fast 1000 Metern in so kurzer Distanz ist beeindruckend und macht die Fahrt zu einem echten Höhenerlebnis – im doppelten Sinne.

Locarno selbst ist ein Juwel. Die Piazza Grande mit ihren Arkaden, die verwinkelten Gassen der Altstadt, die Wallfahrtskirche Madonna del Sasso hoch über der Stadt – hier kannst du Stunden verbringen, ohne dass es langweilig wird. Und wenn du genug von der Stadt hast, ist der See nur wenige Schritte entfernt.

Praktische Tipps für die Fahrt

Der Treno Gottardo ist unkompliziert zu buchen und zu benutzen. Ein normales SBB-Billett reicht, GA-Besitzer fahren ohnehin kostenlos mit. Eine Sitzplatzreservierung ist nicht zwingend nötig, kann aber für fünf Franken dazugebucht werden – besonders an Wochenenden eine gute Idee.

Zwei Bistrozonen im Zug sorgen für das leibliche Wohl. Die Automaten nehmen Schweizer Franken, Euro und alle gängigen Karten – auch Twint, Apple Pay und Amex funktionieren problemlos. Die Preise sind zugfair, also nicht gerade günstig, aber für Schweizer Verhältnisse okay.

Besonders praktisch: Du kannst dein Velo mitnehmen. Ein Velobillett kostet extra, aber dafür hast du am Zielort gleich die perfekte Möglichkeit, die Gegend zu erkunden. Eine Platzreservation für Velos gibt's allerdings nicht – first come, first served.

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