Am Fuße des Gotthardmassivs gelegen, umgeben von schroffen Gipfeln und am Kreuzungspunkt wichtiger Alpenpässe, hat sich Andermatt in den letzten zwei Jahrzehnten radikal gewandelt. Der einst verschlafene Militärstandort im Herzen der Schweizer Alpen wurde zum Symbol für einen bemerkenswerten Strukturwandel: vom strategischen Armeestützpunkt zum mondänen Luxusresort mit internationaler Strahlkraft. Die Entwicklung dieses Ortes liest sich wie ein modernes Alpenmärchen – allerdings eines, das sowohl Licht- als auch Schattenseiten zeigt.
Eine Geschichte zwischen Soldaten und Säumern
Andermatt liegt im Urserntal auf 1.444 Metern Höhe, eingebettet zwischen Gotthardpass, Oberalppass und Furkapass. Seine Lage machte den Ort seit jeher strategisch bedeutsam. Schon im Mittelalter zogen Handelszüge durch das Tal, und die Säumer, die mit ihren Maultieren Waren über die Alpen transportierten, prägten die Wirtschaft. Auf dem Gotthardpass, dessen Nordrampe direkt bei Andermatt beginnt, wurden schon vor mehr als 800 Jahren Waren und Kulturen ausgetauscht.
Die militärische Bedeutung des Ortes begann spätestens im 19. Jahrhundert deutlich zuzunehmen. Nach dem Ersten Weltkrieg errichtete die Schweizer Armee hier wichtige Befestigungsanlagen des Reduits, jener legendären Alpenfestung, die während des Zweiten Weltkriegs als letzte Verteidigungslinie der Schweiz dienen sollte. Dies prägte Andermatt nachhaltig: Kasernen, Bunker und militärische Infrastruktur bestimmten das Ortsbild, und die Armee war jahrzehntelang der größte Arbeitgeber. Bis in die 1990er Jahre hinein war der Anblick von Uniformierten im Dorf völlig normal. Die militärischen Anlagen auf dem Gotthard waren strategisch so bedeutsam, dass sie zu den bestgehüteten Geheimnissen der Schweiz zählten.
Als das Ende des Kalten Krieges die geopolitische Landkarte umkrempelte, begann auch für Andermatt eine Phase des Umbruchs. Die Schweizer Armee reduzierte ihre Präsenz sukzessive, und mit dem Armeereformprogramm „Armee XXI" verschwand ein Großteil der Truppen aus dem Urserntal. Zurück blieben leere Kasernen, arbeitslose Einheimische und ein Ort auf der Suche nach einer neuen Identität.
Der ägyptische Investor und sein alpiner Traum
Die Zeitenwende für Andermatt kam in Gestalt eines Mannes, dessen Erscheinen in dem kleinen Alpendorf zunächst für ungläubiges Staunen sorgte: Samih Sawiris, ägyptischer Immobilienmagnat und Sohn des Bauunternehmers Onsi Sawiris. Mit seinem Luxusresort-Imperium Orascom hatte er bereits Tourismusprojekte in Ägypten und am Roten Meer entwickelt.
Die Geschichte, wie Sawiris auf Andermatt aufmerksam wurde, ist mittlerweile zur lokalen Legende geworden. Angeblich habe der damalige Urner Regierungsrat dem Investor zunächst Fotos des Urserntals gezeigt. Sawiris, auf der Suche nach Expandierungsmöglichkeiten in Europa, sei dann persönlich angereist – und vom Potenzial des Ortes sofort überzeugt gewesen. Die riesigen Militärareale, die zum Verkauf standen, boten ideale Voraussetzungen für ein zusammenhängendes Großprojekt. So zumindest die kolportierte Version.
2005 präsentierte Sawiris seine Vision für "Andermatt Swiss Alps": Ein integriertes Tourismusresort mit Luxushotels, Apartmenthäusern, Villen, einem 18-Loch-Golfplatz und erweiterten Skigebieten. Das Investitionsvolumen: ursprünglich 1,8 Milliarden Schweizer Franken. Ein Projekt dieser Größenordnung hatte die Schweizer Alpen noch nicht gesehen. Für den Ort bedeutete es nicht weniger als die Chance auf eine völlig neue wirtschaftliche Grundlage.
Nach jahrelangen Planungen und Bewilligungsverfahren begannen 2009 die Bauarbeiten. Was folgte, war eine der größten privaten Investitionen in der Geschichte der Schweizer Alpen. Das 2013 eröffnete Fünf-Sterne-Hotel "The Chedi Andermatt" wurde zum neuen Wahrzeichen des Ortes – eine Mischung aus traditionellem Alpen-Chalet und asiatischem Luxus-Resort. Es folgten Apartmenthäuser, das Vier-Sterne-Hotel "Radisson Blu", der Golfplatz und die Verbindung der Skigebiete Andermatt und Sedrun zum größten Skigebiet der Zentralschweiz.
Zwischen Tradition und Transformation
Andermatt zeigt sich heute als Ort der Kontraste. Im historischen Dorfkern mit seinen wettergegerbten Holzhäusern und der barocken Pfarrkirche St. Peter und Paul pulsiert noch das ursprüngliche Leben. Die Einheimischen pflegen ihre Traditionen, sprechen ihren unverkennbaren Urner Dialekt und betreiben weiterhin Landwirtschaft in dem kargen Hochtal. Nur einen Steinwurf entfernt erhebt sich das neue Andermatt mit seinen Luxusbauten, internationalen Restaurants und Designerläden.
Die Transformation ist allgegenwärtig. Wo früher Militärlastwagen durch die engen Gassen fuhren, parken heute Porsches und Teslas. Die alten Stallungen im Dorfkern wurden zu schicken Ferienwohnungen umgebaut. Neue Restaurants bieten internationale Küche an, Baristas servieren Single-Origin-Espresso, und in den Hotelbars werden Cocktails gemixt, von denen die alten Andermatters nicht einmal die Namen kennen.
Diese Verwandlung hat freilich ihren Preis. Die Immobilienpreise sind nahezu explodiert – manch alteingesessene Familie kann sich das Leben im eigenen Dorf kaum noch leisten. "D'Riche sin cho, und d'Arme göhn", brummt ein älterer Herr im lokalen Café – die Reichen kommen, die Armen gehen. Dieser Satz fällt öfter, wenn man mit Einheimischen spricht. Gleichzeitig entstanden durch das Projekt hunderte neuer Arbeitsplätze in einer Region, die wirtschaftlich am Abgrund stand.
Immerhin: Anders als befürchtet ist Andermatt kein seelenloser "Geisterort" geworden, wie man sie aus anderen Alpenregionen mit hohem Zweitwohnungsanteil kennt. Das Resort wird ganzjährig bespielt, und besonders in der Hochsaison herrscht ein internationales Flair, das dem kleinen Ort eine überraschende Weltläufigkeit verleiht.
Natur und Outdoor: Die wahren Stars von Andermatt
Bei allen Diskussionen um Luxus und Wandel bleibt eines unverändert: die atemberaubende Naturkulisse, die Andermatt umgibt. Das Urserntal präsentiert sich als klassische U-Form – ein Zeugnis eiszeitlicher Gletschertätigkeit. Es wird eingerahmt von mächtigen Dreitausendern, darunter der markante Gemsstock (2.961 m), Hausberg und Wahrzeichen der Region.
Das Skigebiet Andermatt-Sedrun-Disentis ist mittlerweile das größte in der Zentralschweiz. Es bietet 180 Pistenkilometer auf beiden Seiten des Oberalppasses und verbindet damit die Kantone Uri und Graubünden. Besonders der Gemsstock ist bei Freeridern legendär – seine steilen Nordhänge bieten Tiefschneeabfahrten, die zu den besten der Alpen zählen. Bei Pulverschnee sieht man hier regelmäßig internationale Freerider und Filmteams, die die anspruchsvollen Hänge in Szene setzen.
Im Sommer verwandelt sich die Region in ein Paradies für Wanderer und Bergsteiger. Der 65 Kilometer lange "Vier-Quellen-Weg" verbindet die Ursprünge von Rhein, Reuss, Ticino und Rhone – und führt mitten durch das Urserntal. Die Tremola, die historische Passstraße auf der Südseite des Gotthards, gilt als schönstes Straßenbaudenkmal der Schweiz und lockt Motorrad- und Oldtimerfahrer aus ganz Europa an. Mit ihren 24 Kehren windet sie sich hinab ins Tessin und bietet ein unvergleichliches Fahrerlebnis. Hoch über Andermatt thront das Naturschutzgebiet Göscheneralp mit seiner wildromantischen Berglandschaft und dem türkisgrünen Stausee.
Das Urserntal ist zudem Quellgebiet der Reuss, die später durch Luzern fließt und schließlich in die Aare mündet. Das klare Bergwasser des Flusses eignet sich hervorragend zum Fliegenfischen – eine Tätigkeit, der man in aller Ruhe nachgehen kann, während sich hinter einem der Tourismusbetrieb entfaltet. Vornehme Zurückhaltung inmitten der Betriebsamkeit – typisch schweizerisch.
Kulturelle Highlights zwischen alt und neu
Bei all den natürlichen Attraktionen übersieht man leicht die kulturellen Schätze Andermatts. Die barocke Pfarrkirche St. Peter und Paul, erbaut 1602 und später im Rokoko-Stil umgestaltet, bildet das geistige Zentrum des historischen Dorfkerns. Im Talmuseum Ursern in Andermatt wird die Geschichte der Region lebendig – von der Säumerzeit über die strategische Bedeutung der Alpenpässe bis hin zur militärischen Geschichte. Besonders interessant: die Ausstellung über das Leben im "Reduit", der alpinen Festung während des Zweiten Weltkriegs.
Ein kulturelles Glanzlicht neueren Datums ist der Konzertsaal im "Radisson Blu Hotel Reussen". Hier finden regelmäßig klassische Konzerte statt, unter anderem im Rahmen des "Andermatt Swiss Alps Classical Music Festival", das internationale Künstler in das Bergdorf lockt. Die Akustik des Saals gilt als hervorragend – nicht selbstverständlich in einem Ort, in dem bis vor Kurzem eher der Klang von Militärjeeps das akustische Bild prägte.
Historisch Interessierte können auf dem "Weg der Schweiz" am Urnersee, etwa eine Autostunde von Andermatt entfernt, in die Gründungsgeschichte der Eidgenossenschaft eintauchen. Der Weg führt durch die Orte, die laut Überlieferung Schauplatz des Rütlischwurs und der Taten von Wilhelm Tell waren – Geschichten, die bis heute die schweizerische Identität prägen.
Kulinarische Überraschungen im Hochtal
Die kulinarische Landschaft Andermatts hat sich mit dem Wandel des Ortes komplett verändert. Neben traditionellen Berggasthäusern, in denen deftige Urner Spezialitäten wie Chabis mit Schaffleisch (Kohl mit Hammelfleisch) serviert werden, haben sich Restaurants mit internationaler Ausrichtung etabliert.
Das "The Japanese" im Chedi-Hotel besitzt einen Michelin-Stern und serviert erstklassiges Sushi und Sashimi – auf 1.444 Metern Höhe, Hunderte Kilometer vom nächsten Meer entfernt. Ein kulinarisches Erlebnis der besonderen Art, bei dem die frischen Zutaten täglich eingeflogen werden. Daneben betreibt das Hotel einen der größten Käsekeller der Schweiz, in dem Raclette und Fondue mit seltenen Käsesorten angeboten werden.
Im historischen Dorfkern hat sich das "Bären" einen Namen gemacht – ein uriges Gasthaus, in dem moderne Interpretationen lokaler Gerichte auf den Tisch kommen. Der Wirt bezieht viele Zutaten direkt von den Bauern des Urserntals. Im Winter besonders beliebt: das "Restaurant Nätschen", das nur mit der Gondelbahn zu erreichen ist und einen spektakulären Blick über das Tal bietet. Die Küche ist bodenständig alpin, aber mit kreativen Einflüssen.
Für den schnellen Hunger zwischendurch empfiehlt sich ein Besuch bei der "Sennerei Andermatt", wo Urner Alpkäse und selbstgemachtes Brot angeboten werden. Die perfekte Stärkung für eine Wanderung – unaufdringlich authentisch, ohne folkloristische Übertreibungen.
Praktische Informationen und Anreise
Andermatt ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Der Bahnhof wird von der Matterhorn-Gotthard-Bahn bedient, die Andermatt mit Brig im Wallis und Disentis in Graubünden verbindet. Von Zürich oder Luzern reist man mit der SBB bis Göschenen und steigt dort auf die Schmalspurbahn um. Die Fahrt von Göschenen nach Andermatt, bei der der Zug in engen Kehren an Höhe gewinnt, ist bereits ein Erlebnis für sich.
Mit dem Auto erreicht man Andermatt über den Gotthardpass (im Winter oft geschlossen), die Gotthard-Autobahn (Ausfahrt Göschenen), den Furkapass oder den Oberalppass. Die Passstraßen sind in der Regel von Juni bis Oktober geöffnet – die genauen Daten hängen von den Schneeverhältnissen ab. Von Dezember bis April ist Schneekettenpflicht keine Seltenheit.
Die Preise in Andermatt bewegen sich auf gehobenem Schweizer Niveau. Eine Übernachtung im Fünf-Sterne-Hotel "The Chedi" kostet je nach Saison zwischen 600 und 1.500 Schweizer Franken. Deutlich günstiger sind die Gasthaus-Pensionen im alten Dorfkern oder Unterkünfte in den umliegenden Ortschaften wie Hospental oder Realp. Ein Tagesskipass für das gesamte Gebiet Andermatt-Sedrun-Disentis schlägt mit rund 75 Franken zu Buche.
Die beste Reisezeit hängt von den individuellen Interessen ab: Der Winter (Dezember bis April) bietet hervorragende Skibedingungen, besonders am Gemsstock hält sich der Schnee oft bis weit in den Frühling hinein. Der Sommer (Juni bis September) ist ideal für Wanderungen und Bergtouren. Der Herbst überzeugt mit seiner Farbenpracht und angenehmen Temperaturen für Aktivitäten in mittleren Höhenlagen. Im Frühjahr (April/Mai) kann es im Tal bereits frühlingshaft sein, während in den Bergen noch Wintersportbedingungen herrschen – eine interessante Zeit für Aktivurlauber, die mehrere Sportarten kombinieren möchten.