Wer vom Vierwaldstättersee nach Süden blickt, dem fällt er sofort ins Auge: der Pilatus. Mit seinen markanten Felswänden und dem charakteristischen Gipfelkamm thront er keine zehn Kilometer von Luzern entfernt und prägt die Landschaft wie kaum ein anderer Berg der Voralpen. Das Tomlishorn mit 2128,5 Metern bildet dabei die höchste Erhebung dieses verzweigten Bergmassivs, das sich über die Kantone Luzern, Nidwalden und Obwalden erstreckt.
Schon der Name verrät, dass hier mehr als nur Geologie im Spiel ist. Eine uralte Sage spannt den Bogen von der Antike in die Jetztzeit und erzählt davon, wie Pontius Pilatus, jener römische Statthalter, der Jesus Christus zum Tode verurteilte, hier seine letzte Ruhe fand. Ob's stimmt? Egal. Die Geschichte klebt am Berg wie Harsch an den Skiern und macht ihn zu einem der sagenreichsten Gipfel der Schweiz.
Ein Bergmassiv mit vielen Gesichtern
Der Pilatus ist kein einfacher Gipfel, sondern ein komplexes Gebirge mit mehreren markanten Erhebungen. Teil des Pilatus sind die Gipfel Risetestock (1759 m), Stäfeliflue (1922,2 m), der Mittaggüpfi (1916,6 m), das Widderfeld (2075,2 m), das Tomlishorn (2128,5 m), das Oberhaupt (2106 m), der Esel (2118,7 m) das Matthorn (2041,3 m), das Klimsenhorn (1907,2 m), die Rosegg (1972 m) und das Steiglihorn (1968 m). Eine ganze Reihe von Zweitausendern also, die zusammen ein imposantes Panorama bilden.
Besonders markant sind die senkrecht aufragenden Kalksteinwände der Nordseite. Hier zeigt sich der Pilatus von seiner schroffen Seite – eine Wand, die selbst erfahrene Kletterer respektvoll betrachten. Wer hingegen von Süden kommt, erlebt einen völlig anderen Berg: sanftere Hänge, grüne Alpweiden und ein Gelände, das zum Wandern einlädt.
Das Massiv erstreckt sich zwischen verschiedenen Gewässern: dem Vierwaldstättersee im Norden, der Sarner Aa im Süden und kleineren Bächen dazwischen. Diese Lage macht den Pilatus zu einem klimatischen Grenzbereich, wo sich mediterrane und alpine Einflüsse treffen.
Die steilste Zahnradbahn der Welt
1889 war ein Jahr, das den Pilatus für immer veränderte. In diesem Jahr wurde die steilste Zahnradbahn der Welt in Betrieb genommen, mit einer Steigung von bis zu 48 Prozent und rund 30 Minuten Fahrzeit von Alpnachstad hinauf nach Pilatus Kulm. Was heute wie eine Selbstverständlichkeit wirkt, war damals eine technische Sensation.
Die Idee stammte von Ingenieuren, die viele für verrückt hielten. Eine Zahnradbahn auf einen derart steilen Berg? Unmöglich, sagten die Skeptiker. Heute, mehr als 130 Jahre später, rattert die rote Bahn immer noch zuverlässig den Berg hinauf und bringt täglich hunderte Besucher zum Gipfel. 1889 wurde die 4618 m lange Bahnstrecke von Alpnachstad nach Pilatus Kulm eröffnet, und sie hält bis heute den Weltrekord.
Spannend ist dabei, dass die Bahn nicht nur ein Transportmittel ist, sondern selbst zur Attraktion wurde. Die Fahrt führt durch verschiedene Vegetationszonen, vorbei an Alpwiesen, durch lichte Wälder und schließlich in die schroffe Gipfelregion. An klaren Tagen eröffnet sich bereits während der Fahrt ein spektakulärer Blick über die Zentralschweiz.
Moderne Seilbahntechnik als Alternative
Wer nicht von Alpnachstad aus anreisen möchte, hat seit den 1950er Jahren eine Alternative: Zwei Seilbahnen erschließen den Berg auch von Kriens aus. Die erste Etappe führt als Panorama-Gondelbahn zur Zwischenstation Fräkmüntegg, von dort geht's mit der Luftseilbahn weiter zum Kulm.
Ein cockpitähnlicher Kabinenaufbau, bodentiefe Fenster und viel Platz – in der Luftseilbahn «Dragon Ride» haben Sie das Gefühl, zu fliegen. In dreieinhalb Minuten schweben Sie von der Fräkmüntegg auf den Gipfel – mit atemberaubender Aussicht in alle Himmelsrichtungen. Der Name ist kein Zufall: Die Bahn überwindet spektakuläre Felswände und bietet ein Erlebnis, das tatsächlich an Fliegen erinnert.
Praktisch ist die Kombination beider Aufstiegsvarianten: Wer mag, fährt mit der Zahnradbahn hinauf und nimmt die Seilbahn für den Abstieg – oder umgekehrt. Diese "Golden Round Trip" genannte Rundfahrt lässt sich sogar mit einer Schifffahrt auf dem Vierwaldstättersee kombinieren.
Fräkmüntegg – mehr als nur eine Zwischenstation
Auf 1416 Metern Höhe liegt die Fräkmüntegg, und hier ist definitiv mehr los als an einer gewöhnlichen Bahnstation. Der grösste Seilpark der Zentralschweiz befindet sich hier und lockt Adrenalinjunkies in die Bäume. Zwischen Tannen und Fichten wurden Parcours in verschiedenen Schwierigkeitsgraden angelegt – vom Kinderparcours bis zur Herausforderung für geübte Kletterer.
Wer's gemütlicher mag, findet hier auch den Startpunkt für verschiedene Wanderungen. Der Weg zur nahen Krienseregg etwa bietet herrliche Ausblicke ohne allzu große Anstrengung. Restaurants und eine Sonnenterrasse laden zum Verweilen ein, bevor's weiter hinauf zum Kulm geht.
Besonders im Winter zeigt sich die Fräkmüntegg von einer anderen Seite: Als Wintersportgebiet mit Skipisten und Schlittelbahn wird sie zum Tummelplatz für Familien und Schneesportler. Die Nähe zu Luzern macht sie zu einem beliebten Ausflugsziel für alle, denen die großen Skigebiete zu weit oder zu teuer sind.
Pilatus Kulm – der Gipfel und seine Geschichten
Auf 2132 Metern über Meer liegt Pilatus Kulm, der touristische Höhepunkt des Bergmassivs. Hier oben pfeift der Wind anders, die Luft ist dünner und der Blick reicht an klaren Tagen bis zu den Berner und Walliser Alpen. Zwei Hotels, fünf Restaurants sorgen dafür, dass auch Komfortliebhaber nicht zu kurz kommen.
Der Kulm ist nicht nur Endstation der Bahnen, sondern auch Ausgangspunkt für verschiedene Wanderungen. Der Drachenweg etwa führt zu Aussichtspunkten, die selbst hartgesottene Bergwanderer beeindrucken. Weniger anspruchsvoll, aber nicht weniger reizvoll ist der Blumenpfad, der besonders im Frühsommer mit einer erstaunlichen Vielfalt alpiner Pflanzen aufwartet.
Geschichtsträchtig ist der Kulm allemal: Eine der ersten belegbaren Erstbesteigungen des Massivs erfolgte 1518 durch eine Gruppe um Joachim von Watt, besser bekannt als Joachim Vadian. Damals war eine Bergbesteigung noch ein echtes Abenteuer – heute sorgen Bahnen und Wege dafür, dass auch Ungeübte sicher hinaufkommen.
Der verschwundene Pilatussee und andere Kuriositäten
Zu den kurioseren Kapiteln der Pilatus-Geschichte gehört der ehemalige Pilatussee. Im Jahr 1842 kamen noch Pilger von Rom nach Luzern, um diesen See und den Berg zu besuchen. Der kleine Bergsee auf der Oberalp wurde lange Zeit mit der Pilatus-Sage in Verbindung gebracht – angeblich ruhte hier der Leichnam des römischen Statthalters.
Dumm nur, dass der See irgendwann verschwand. Ob durch natürliche Verlandung oder menschlichen Eingriff, ist nicht mehr zu klären. Die Oberalp mit dem ehemaligen Pilatussee lässt sich nur zu Fuss erreichen. Heute ist nur noch eine feuchte Mulde zu sehen – aber die Sage lebt weiter.
Überhaupt sind die Geschichten rund um den Pilatus mindestens so faszinierend wie der Berg selbst. Jahrhundertelang galt er als verwunschen und gefährlich. Drachen sollen hier gehaust haben, Geister ihr Unwesen getrieben haben. Dass ausgerechnet dieser sagenumwobene Berg zur touristischen Attraktion wurde, ist schon eine Ironie der Geschichte.
Wandern zwischen Aussicht und Abgrund
Der Pilatus ist ein Wanderberg für verschiedenste Ansprüche. Wer konditionell fit ist und Bergerfahrung mitbringt, kann das gesamte Massiv zu Fuß erkunden. Die klassische Überschreitung von Alpnachstad über den Kulm nach Kriens ist eine anspruchsvolle Tagestour, die sowohl Kondition als auch Schwindelfreiheit erfordert.
Gemütlicher geht's auf den markierten Wegen rund um die Bergstationen. Der Weg vom Kulm zur nahegelegenen Esel-Spitze etwa ist auch für Familien machbar und bietet trotzdem spektakuläre Ausblicke. Besonders schön ist die Aussicht hinunter zum Vierwaldstättersee und hinüber zu den Berner Alpen.
Vorsicht ist jedoch geboten: Der Pilatus ist ein Kalksteinberg mit teils brüchigem Gestein. Abseits der markierten Wege kann's schnell gefährlich werden. Wetterumschwünge sind in dieser Höhe keine Seltenheit, und was morgens als gemütliche Wanderung beginnt, kann nachmittags im Nebel enden.
Trotzdem – oder gerade deshalb – hat der Berg seinen besonderen Reiz. Hier spürt man noch, dass die Alpen nicht nur eine Touristenattraktion sind, sondern ursprüngliche, wilde Natur.
Anreise und praktische Tipps
Aufgrund der zentralen Lage in der Nähe von Luzern ist der Pilatus gut zu erreichen – sowohl mit öffentlichen Verkehrsmitteln als auch mit dem Auto.
Für die Zahnradbahn-Variante fährt man nach Alpnachstad, das sowohl per Bahn als auch per Schiff von Luzern aus erreichbar ist. Die Kombination aus Schifffahrt und Zahnradbahn gilt als besonders reizvoll und wird oft als "Golden Round Trip" vermarktet.
Wer die Seilbahn-Route bevorzugt, startet in Kriens. Hier gibt's auch Parkplätze für Autofahrer, allerdings können die an schönen Wochenenden schnell voll werden. Besser ist's, früh am Morgen zu kommen oder gleich mit dem Bus aus Luzern anzureisen.
Wichtig zu wissen: Die Bahnen fahren nicht das ganze Jahr. Im Winter ist meist nur die Strecke bis Fräkmüntegg in Betrieb, der Kulm bleibt wegen der extremen Witterungsbedingungen oft geschlossen. Aktuelle Fahrpläne und Betriebszeiten sollte man vor der Anreise checken.
Preislich bewegt sich eine Pilatus-Fahrt im oberen Segment der Schweizer Bergbahnen. Die Kombination aus Zahn- und Seilbahn kostet für Erwachsene um die 75 Franken, Kinder zahlen etwa die Hälfte. Wer nur eine Strecke fahren möchte, kommt etwas günstiger weg.