Italien

Rovereto: Ein Besuch bei der weltweit größten Friedensglocke "Maria Dolens"

Jeden Abend um halb neun erklingen hundert Glockenschläge über Rovereto – ein Ritual, das seit fast einem Jahrhundert nie unterbrochen wurde. Aus Kriegskanonen hergestellt, ruft sie heute nach Frieden und mahnt zur Versöhnung.

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Zwischenablage

Wer von Norden her ins Trentino reist, wird meist an Rovereto vorbeifahren, ohne groß Notiz zu nehmen. Das ist ein Fehler – denn diese Stadt trägt eine der bewegendsten Friedensbotschaften Europas in sich. Auf dem Hügel Miravalle, oberhalb der Altstadt, thront die "Campana dei Caduti", die Gefallenenglocke. Maria Dolens, wie sie auch genannt wird, ist kein gewöhnliches Denkmal. Sie ist mit 22,6 Tonnen Gewicht und 3,36 Metern Höhe die größte Glocke der Welt mit einem gedehnten, intensiven Klang.

Die Geschichte dieser bronzenen Botschafterin beginnt 1924, als Don Antonio Rossaro, ein Priester aus Rovereto, eine Vision hatte. Aus den Kanonen, die im Ersten Weltkrieg Tod und Zerstörung gebracht hatten, sollte etwas entstehen, das zum Frieden mahnt. Die verschiedenen Nationen, die sich eben noch bekämpft hatten, spendeten Bronze aus ihren Geschützen. Italienische, österreichisch-ungarische, deutsche und französische Kanonen wurden eingeschmolzen – ein Akt der Versöhnung, der damals alles andere als selbstverständlich war.

Das Schicksal der Glocke spiegelt die wechselvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts wider. Dreimal musste Maria Dolens neu gegossen werden: 1939 zweimal, um den Klang zu verbessern, und in den 1960er Jahren wegen eines Risses, der nicht mehr zu reparieren war. Die heutige Version wurde von Papst Paul VI. geweiht und trägt neoklassizistische Flachreliefs des Trentiner Bildhauers Stefano Zuech.

Hundert Schläge für den Frieden

Jeden Abend um 20.30 Uhr in der Sommerzeit und um 21.30 Uhr im Winter erklingt Maria Dolens genau hundert Mal über Rovereto. Sonntags um 12 Uhr ertönt sie zusätzlich. Diese hundert Schläge sind kein Zufall – sie stehen für die hundert Nationen der Welt und sollen an alle Gefallenen aller Kriege erinnern, unabhängig von ihrer Nationalität. Ein kleiner Haken: Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt schweigt die Glocke, um Schäden durch die Kälte zu vermeiden. Selbst das mächtigste Friedenssymbol hat seine praktischen Grenzen.

Der Klang trägt weit über die Stadt hinaus. Wer zum ersten Mal diese hundert Schläge hört, wird unweigerlich still. Da ist etwas Feierliches, fast Sakrales in diesem Ritual. Die Glocke ruft nicht nur zum Gedenken auf, sondern mahnt auch zur Versöhnung zwischen den Völkern. Eine Botschaft, die gerade in unseren Zeiten nichts an Aktualität eingebüßt hat.

Der Weg hinauf zur Friedensglocke

Von der Altstadt Roveretos führt ein Weg hinauf zum Hügel Miravalle. Die Allee zur Glocke ist mit Flaggen gesäumt – ein buntes Meer aus Nationalfahnen, aber auch Bannern von Organisationen und Gemeinschaften, die sich dem Frieden verschrieben haben. Hier wird deutlich: Maria Dolens ist längst mehr als ein lokales Denkmal geworden. Sie ist zum internationalen Symbol für Versöhnung gewachsen.

Der Museumsbereich rund um die Glocke bietet eine Fotoausstellung zur Geschichte des Ortes und des Friedenssymbols. Besonders beeindruckend sind die Aufnahmen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, als diese Gegend noch Schlachtfeld war. Die Nähe zu Castel Dante, wo heute rund 20.000 italienische und österreichisch-ungarische Soldaten ruhen, macht die Transformation vom Ort des Todes zu einem Ort des Friedens besonders spürbar.

Ein Waldpfad verbindet die Friedensglocke mit der Gedenkstätte Castel Dante. Der Spaziergang durch den Wald ist eine kleine Meditation für sich – vom Symbol des Friedens zu den Gräbern derer, die keinen Frieden fanden. Wer diesen Weg geht, versteht die Botschaft von Maria Dolens noch tiefer.

Rovereto – Mehr als nur die Friedensglocke

Die Stadt selbst verdient durchaus einen längeren Aufenthalt. Rovereto liegt strategisch günstig im Etschtal, umgeben von Weinbergen und Bergen. Die Altstadt mit ihren venezianischen Palästen und den Arkaden der Via della Terra erzählt von einer bewegten Vergangenheit. Hier war einst die Grenze zwischen der Habsburgermonarchie und Italien, später zwischen Österreich-Ungarn und dem Königreich Italien.

Das Kriegsmuseum von Rovereto, das sich im Schloss der Stadt befindet, ergänzt den Besuch bei der Friedensglocke perfekt. Die Sammlung zur Geschichte des Ersten Weltkriegs ist eine der umfangreichsten in Italien. Besonders die Abteilung über den Gebirgskrieg in den Dolomiten zeigt eindringlich, unter welchen Bedingungen hier gekämpft wurde. Soldaten gruben sich in Eis und Fels ein, manchmal nur wenige Meter voneinander entfernt.

Auch das MART, das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, hat Rovereto überregional bekannt gemacht. Der spektakuläre Bau von Mario Botta zieht Kunstliebhaber aus ganz Europa an. Dass ausgerechnet in einer Stadt, die so eng mit Krieg und Frieden verbunden ist, eines der wichtigsten Kunstmuseen Italiens steht, ist kein Zufall. Kunst und Frieden gehören zusammen – beide schaffen Brücken zwischen den Menschen.

Praktische Hinweise für den Besuch

Die Anreise nach Rovereto gestaltet sich unkompliziert. Mit dem Zug erreicht man die Stadt bequem von Trient oder Verona aus. Die Brennerautobahn führt direkt vorbei, und wer mit dem Auto kommt, findet genügend Parkplätze in der Nähe der Altstadt. Von dort ist es ein etwa 20-minütiger Spaziergang hinauf zur Friedensglocke – alternativ verkehren auch Busse.

Bei schlechtem Wetter, besonders im Winter, sollte man sich telefonisch erkundigen, ob der Museumsbereich geöffnet ist. Die Friedensglocke selbst ist natürlich immer zu sehen, aber die Ausstellung kann bei extremen Witterungsbedingungen geschlossen sein. Die beste Zeit für einen Besuch ist der späte Nachmittag, wenn man das abendliche Läuten der Glocke miterleben kann. Punkt halb neun (im Sommer) oder halb zehn (im Winter) sollte man sich einen Platz in der Nähe der Glocke suchen. Die hundert Schläge zu hören, während die Sonne über dem Etschtal untergeht, ist ein Erlebnis, das man nicht vergisst.

Castel Dante und die Gräber der Versöhnung

Unweit der Friedensglocke liegt Castel Dante, benannt nach dem großen Dichter, der hier einst Gastfreundschaft genoss. Heute ist es ein Friedhof der besonderen Art: Italienische und österreichisch-ungarische Soldaten ruhen hier gemeinsam, ehemalige Feinde Seite an Seite. Nach dem Krieg entschied man sich bewusst für diese Form des Gedenkens. Keine Trennung nach Nationalitäten, sondern ein gemeinsames Grab für alle, die ihr Leben ließen.

Die Atmosphäre auf diesem Friedhof ist eigenartig berührend. Zwischen den Gräbern wächst Gras, Wildblumen blühen im Frühling. Die Natur hat sich das Schlachtfeld zurückerobert. Nur die Kreuze und Steine erinnern noch daran, was hier geschah. Viele Besucher bleiben länger als geplant, setzen sich auf eine der Bänke und lassen die Stille auf sich wirken.

Von Castel Dante aus hat man einen weiten Blick über das Trentino. Die Berge, die einst Festungen waren, sind heute Wanderziele. Die Täler, durch die Soldaten marschierten, durchziehen heute Radwege. Diese Landschaft erzählt von der Macht der Zeit und der Möglichkeit zur Versöhnung. Was einmal Grenze war, ist heute Brücke.

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