Die Dolomiten gehören zu den spektakulärsten Gebirgszügen der Alpen - und der Lagazuoi hat sich seinen festen Platz unter den Publikumslieblingen verdient. Nicht ohne Grund: Hier kommt zusammen, was andernorts oft getrennt bleibt. Atemberaubende Hochgebirgskulisse und mühelose Erreichbarkeit bilden eine seltene Symbiose. Die Seilbahn vom Falzaregopass hinauf zum 2.752 Meter hohen Lagazuoi macht's möglich. In nur drei Minuten überwindet die Kabine gut 600 Höhenmeter. Und was für welche! Die Fahrt gleicht einem Flug über die zerklüftete Bergwelt der Dolomiten.
Der Ausgangspunkt für dieses Gipfelabenteuer könnte kaum komfortabler sein. Der Falzaregopass, auf einer Höhe von 2.105 Metern gelegen, ist per Auto oder Bus problemlos erreichbar. Die Passstraße zählt zu den beliebtesten Routen für Motorradfahrer und Cabriofahrer in den Sommermonaten. Parkplätze gibt's direkt an der Talstation zur Genüge, daneben ein Restaurant mit ordentlicher Südtiroler Küche. Von hier startet die Seilbahn-Kabine, die bis zu 50 Personen aufnehmen kann.
Im Winter ein Paradies für Skifahrer, zeigt der Lagazuoi in den schneefreien Monaten eine ganz andere Seite. Dann verwandeln sich die umliegenden Felsen in ein Wanderparadies für Naturliebhaber aller Fitness-Stufen. Die Gegend am Falzaregopass bildet die Grenze zwischen den beiden Provinzen Südtirol und Belluno, sprachlich trifft hier Ladinisch auf Italienisch. Die kulturelle Vielfalt spiegelt sich auch in der Küche wider, die in den Hütten oben und unten angeboten wird.
Die Fahrt nach oben
Die Kabine der Lagazuoi-Seilbahn setzt sich sanft in Bewegung. Links und rechts rücken die Felswände näher. Eine Besonderheit dieser Seilbahn: Sie fährt nicht über Stützen, sondern zieht in einer einzigen Strecke bis zur Bergstation. Das gibt einem das seltsame Gefühl, in einem gigantischen Aufzug zu stecken, der sich an der Felswand entlangschiebt. Mächtige Felsbrocken ziehen vorbei, die Vegetation wird zusehends karger. Die Baumgrenze bleibt schnell zurück.
Gleich zu Beginn der Fahrt fällt der Blick auf tiefe Schluchten, die der Falzaregopass durchschneidet. Mit jedem Höhenmeter erweitert sich der Horizont. Nach etwa einer Minute Fahrt taucht das erste Highlight auf: Der Blick schweift über die gewaltigen Felswände des Sass de Stria und des Col Gallina. Die Kabine gleitet weiter, während der Falzaregopass immer kleiner wird. Rund wird's in den Beinen erst, wenn die Seilbahn an den steilsten Abschnitten des Lagazuoi entlangführt – gefühlt im 90-Grad-Winkel zur Felswand. Auf den letzten Metern öffnet sich dann der Blick nach Norden, und das Panorama explodiert förmlich.
Die Seilbahn fährt ganzjährig, mit Ausnahme der Wartungszeiten im Mai und November. Im Hochsommer kann es an der Talstation zu Wartezeiten kommen – gerade mittags, wenn die Wanderer zurückkehren oder die Mittagsgäste zum Rifugio aufbrechen. Morgens oder am späten Nachmittag geht's meist schneller. Ein Tipp für Fotografiebegeisterte: Die Lichtverhältnisse sind kurz nach Sonnenaufgang und vor Sonnenuntergang besonders magisch. Die letzte Talfahrt ist je nach Saison unterschiedlich angesetzt, meist zwischen 16:30 und 17:30 Uhr. Sicher ist sicher – besser vorher informieren.
Ein 360-Grad-Panorama der Superlative
Kaum aus der Kabine gestiegen, greift man unwillkürlich zur Kamera. Fast zuviel für einen Blick: Nach Norden schweifen die Augen über die Fanesgruppe, nach Osten thront die berühmte Tofana di Rozes, südlich erheben sich Civetta und Monte Pelmo. An besonders klaren Tagen reicht die Sicht bis zur Marmolada mit ihrem schwindenden Gletscher und sogar bis zu den Österreichischen Alpen. Manche Besucher brauchen ein paar Minuten, um dieses Überangebot an Eindrücken zu verarbeiten.
Direkt vor der Bergstation und nur wenige Schritte entfernt liegt das Rifugio Lagazuoi – eine der höchstgelegenen Berghütten der Dolomiten. Die große Sonnenterrasse des Rifugios ist bei schönem Wetter regelmäßig rappelvoll. Trotzdem lohnt sich die Einkehr: Der Kaiserschmarrn hier oben schmeckt doppelt so gut, dazu ein starker Espresso oder ein herbes Bier – so lässt es sich aushalten. Von der Terrasse schweift der Blick über die bizarre Felswelt, während Dohlen und Alpendohlen keck um die Brotbrösel betteln.
Der moderne Bau des Rifugios fügt sich erstaunlich harmonisch in die karge Landschaft ein. Seit der Renovierung vor einigen Jahren verfügt die Hütte über 74 Schlafplätze in verschiedenen Zimmerkategorien. Reservieren sollte, wer hier übernachten will – spontane Besucher gehen häufig leer aus, besonders in der Hochsaison zwischen Juli und September. Die Übernachtung lohnt sich allein schon für das Erlebnis eines Sonnenuntergangs und -aufgangs in dieser Höhe. Wenn die letzten Seilbahn-Touristen verschwunden sind, kehrt eine fast unheimliche Stille ein, nur unterbrochen vom gelegentlichen Pfeifen der Murmeltiere.
Der Sky-View
Eine der Hauptattraktionen des Lagazuoi ist die relativ neue Panorama-Plattform, der sogenannte "Sky-View". Diese Konstruktion ragt wie ein überdimensionaler Balkon über den Abgrund hinaus und verspricht einen Adlerblick auf die umliegende Bergwelt. Mit einem Gitterboden ausgestattet, ist das Betreten für Menschen mit Höhenangst durchaus eine Herausforderung. Unter den Füßen geht es mehrere hundert Meter senkrecht nach unten – eine Erfahrung, die den Puls in die Höhe treibt.
Der Sky-View ist kostenlos zugänglich und Teil einer Reihe von ähnlichen Plattformen, die in den letzten Jahren in den Dolomiten entstanden sind. Am frühen Morgen oder später Nachmittag kann man hier oft für sich allein sein. Mittags hingegen bilden sich häufig kleine Schlangen, jeder will sein Foto auf der schwebenden Plattform machen. Das Selfie vor dieser Kulisse gehört mittlerweile zum Standard-Repertoire eines jeden Dolomiten-Besuchers.
Einige Meter weiter führt ein kurzer Pfad zu einem natürlichen Aussichtspunkt. Hier bietet sich ein etwas anderer Blickwinkel ohne die Stahlkonstruktion des Sky-Views – für Puristen vielleicht sogar der schönere Ausblick. Der Wind pfeift hier oben oft ordentlich, auch im Hochsommer ist eine Windjacke kein Fehlinvestition. Die Temperaturen liegen meist rund 10 Grad unter denen im Tal, und das Wetter kann innerhalb weniger Minuten umschlagen. Nebelfelder, die urplötzlich um die Berggipfel wabern, sind keine Seltenheit und können die Sicht binnen Minuten auf Null reduzieren.
Wandermöglichkeiten
Der Lagazuoi bietet einige der zugänglichsten Hochgebirgswanderungen der Dolomiten. Direkt an der Bergstation beginnen mehrere Wege unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. Der beliebteste darunter ist der sanfte Rundweg, der in etwa 30 Minuten um den Gipfelbereich führt. Er ist auch für Kinder und ältere Besucher gut machbar und erfordert keine spezielle Ausrüstung – feste Schuhe reichen vollkommen aus.
Ambitioniertere Wanderer nehmen den Weg zum Kleinen Lagazuoi unter die Füße. Der Weg führt über einen gut ausgebauten Steig, teilweise mit Drahtseilen gesichert, in etwa einer Stunde zum Nebengipfel. Die Mühe wird mit einer noch einsameren Aussicht belohnt – und dem guten Gefühl, nicht nur mit der Seilbahn nach oben gefahren zu sein. Die Route ist mit der üblichen rot-weißen Markierung gekennzeichnet und bei guter Witterung problemlos zu begehen.
Ein absolutes Highlight für geschichtlich Interessierte ist der Lagazuoi-Tunnelweg. Während des Ersten Weltkriegs war der Lagazuoi heftig umkämpft. Italienische und österreichische Truppen gruben Tunnel und Stellungen in den Berg. Diese sind heute als Freilichtmuseum zugänglich. Der Weg führt durch ehemalige Kriegsstollen – teilweise eng und dunkel – von der Bergstation bis hinunter zum Falzaregopass. Eine Taschenlampe und Trittsicherheit sind hier absolute Voraussetzung. Die Begehung dauert etwa zwei bis drei Stunden und ist bei nassem Wetter nicht zu empfehlen.
Für Langstreckenwanderer dient der Lagazuoi als Etappenziel oder Startpunkt für mehrtägige Touren. Der berühmte Dolomiten-Höhenweg Nr. 1 führt hier vorbei, ebenso wie mehrere lokale Fernwanderwege. Wer genug Zeit mitbringt, kann von hier aus in Richtung Fanes-Sennes-Prags Naturpark weiterwandern und dabei einige der spektakulärsten Landschaften der Dolomiten durchqueren.
Kriegsschauplatz Lagazuoi
Während man heute die friedliche Aussicht vom Lagazuoi genießt, herrschten hier vor gut hundert Jahren andere Zustände. Der Berg war während des Ersten Weltkriegs schwer umkämpft, als Teil der sogenannten Dolomitenfront zwischen Italien und Österreich-Ungarn. Die Soldaten beider Seiten litten unter extremen Bedingungen – im Winter bei Temperaturen von minus 30 Grad, unter ständiger Lawinengefahr und feindlichem Beschuss.
Die Kriegsgeschichte hat tiefe Spuren hinterlassen. Überall am Lagazuoi finden sich Reste von Stellungen, Stacheldraht und sogar Granatsplitter. Besonders eindrucksvoll sind die in den Fels getriebenen Tunnel und Kavernen. Die österreichischen Truppen hatten ihr Hauptquartier nahe der heutigen Bergstation, während die Italiener versuchten, durch Minengänge die gegnerischen Stellungen zu sprengen. Diese Sprengungen veränderten die Gestalt des Berges nachhaltig – ganze Felsbrocken wurden weggesprengt.
Heute ist der Lagazuoi Teil des Freilichtmuseums "Erster Weltkrieg in den Dolomiten". Informationstafeln entlang der Wege erklären die historischen Hintergründe. Besonders beeindruckend: An manchen Stellen kann man noch die original erhaltenen Unterstände und Schützengräben sehen. Im Rifugio gibt es zudem eine kleine Ausstellung mit Fundstücken und historischen Fotografien. Der Kontrast zwischen der heutigen touristischen Nutzung und der kriegerischen Vergangenheit könnte größer kaum sein.
Praktische Informationen für den Besuch
Die Seilbahn zum Lagazuoi ist in der Hauptsaison täglich von 9:00 bis 17:00 Uhr in Betrieb. Eine Fahrt kostet für Erwachsene rund 20 Euro für Berg- und Talfahrt, Kinder zahlen etwa die Hälfte. Vergünstigungen gibt es mit diversen Regionalkarten wie der Dolomiti Superskicard im Winter oder der Dolomiti Summer Card in der warmen Jahreszeit. Wer nur hinauf will und zu Fuß absteigen möchte, kann auch ein einfaches Ticket lösen.
Die Anreise erfolgt am besten mit dem Auto über die Großdolomitienstraße. Von Cortina d'Ampezzo sind es etwa 17 Kilometer bis zum Falzaregopass, von Südtiroler Seite kommend erreicht man den Pass über das Gadertal und den Valparolapass. In der Hochsaison verkehren auch regelmäßig Busse von den umliegenden Ortschaften zum Pass. Die Passstraße ist in der Regel ganzjährig geöffnet, kann aber nach starken Schneefällen vorübergehend gesperrt werden.
Das Rifugio Lagazuoi bietet neben der Restauration auch Übernachtungsmöglichkeiten in verschiedenen Kategorien – von einfachen Matratzenlagern bis hin zu komfortablen Doppelzimmern. Die Preise beginnen bei etwa 60 Euro pro Person mit Halbpension. Eine rechtzeitige Reservierung, besonders in der Hochsaison, ist dringend anzuraten. Die sanitären Einrichtungen sind für eine Berghütte dieser Höhe überraschend komfortabel, warme Duschen sind gegen eine kleine Gebühr verfügbar.
Die beste Reisezeit für einen Besuch des Lagazuoi liegt zwischen Juni und Oktober. In dieser Zeit sind die meisten Wege schneefrei und gut begehbar. Die Hauptsaison fällt auf Juli und August – wer es ruhiger mag, besucht den Berg besser im Juni oder September. Im Winter verwandelt sich die Region in ein Skigebiet, das vor allem für seine landschaftliche Schönheit und nicht für seine sportliche Herausforderung bekannt ist. Die leichten bis mittelschweren Pisten eignen sich hervorragend für Genussskifahrer und Familien.
Flora, Fauna und Geologie
Der Lagazuoi besteht hauptsächlich aus Dolomitgestein – einem Kalkstein, der durch seine charakteristische helle Färbung auffällt. Bei Sonnenauf- und -untergang sorgt dies für das berühmte "Alpenglühen", wenn die Bergflanken in zartem Rosa erstrahlen. Das poröse Gestein ist zudem verantwortlich für die bizarren Felsformationen, die den Lagazuoi umgeben. Geologisch Interessierte können an den freiliegenden Felswänden perfekt die verschiedenen Sedimentschichten studieren, die vor Millionen Jahren als Meeresablagerungen entstanden.
Trotz der kargen Umgebung hat sich am Lagazuoi eine erstaunlich vielfältige Pflanzenwelt entwickelt. In den Sommermonaten verwandeln Alpine Polsterpflanzen wie das Edelweiß, der Enzian und verschiedene Steinbrecharten die Geröllhalden in blühende Gärten. Diese Spezialisten haben sich perfekt an die extremen Bedingungen – starke Temperaturschwankungen, intensive UV-Strahlung und kurze Vegetationsperioden – angepasst. Besonders im Juni und Juli, kurz nach der Schneeschmelze, explodiert das botanische Leben förmlich.
Die Tierwelt am Lagazuoi ist typisch für die Hochlagen der Dolomiten. Murmeltiere haben hier ihre Bauten angelegt, und mit etwas Glück kann man ihr charakteristisches Pfeifen hören und die possierlichen Nager beim Sonnenbaden beobachten. Gämsen klettern elegant über die Felsformationen, während Alpendohlen und Kolkraben durch die Lüfte segeln. Mit dem Fernglas lassen sich zuweilen sogar Steinadler erspähen, die majestätisch ihre Kreise ziehen. Frühaufsteher haben die besten Chancen auf Tierbeobachtungen, bevor der Trubel des Tages beginnt.
Verpflegung am Berg
Das Rifugio Lagazuoi hat sich einen ausgezeichneten Ruf für seine Küche erarbeitet – keine Selbstverständlichkeit in dieser Höhe. Das Angebot reicht von einfachen Berghütten-Klassikern wie Gulaschsuppe und Spaghetti Bolognese bis hin zu regionalen Spezialitäten wie Hirschragout mit Polenta oder hausgemachten Canederli (Südtiroler Knödel). Die Portionen sind ordentlich, die Preise für die Lage überraschend moderat.
Kulinarisches Highlight ist der hauseigene Apfelstrudel, der nach einem alten Familienrezept zubereitet wird. Dazu ein Cappuccino oder ein Glas lokalen Rotwein – und das Bergerlebnis ist perfekt. Für den kleinen Hunger zwischendurch gibt es Panini und verschiedene Kuchen. Verpassen sollte man auch nicht den hausgemachten Bombardino – eine Art Eierlikör mit Sahnehaube, der besonders bei kühlem Wetter für wohlige Wärme sorgt.
Für längere Wanderungen empfiehlt sich dennoch ein Proviant im Rucksack. Wasser sollte ausreichend mitgenommen werden, da es abseits des Rifugios keine Nachfüllmöglichkeiten gibt. Ein kleiner Lebensmittelladen in der Hütte verkauft das Nötigste für Wanderer, allerdings zu entsprechenden Bergpreisen. Wer plant, in der Hütte zu übernachten, wird mit einem reichhaltigen Frühstücksbuffet und einem Drei-Gänge-Menü am Abend verwöhnt.