Courmayeur, das italienische Pendant zu Chamonix, liegt auf 1.224 Metern Höhe und atmet die Bergluft des höchsten Massivs der Alpen. Der Mont Blanc – oder Monte Bianco, wie ihn die Einheimischen nennen – scheint zum Greifen nah. Die schmalen Gassen des historischen Zentrums erzählen Geschichten von jahrhundertealter Bergkultur, während in den gemütlichen Trattorien der Duft von Polenta und Fontina die Luft erfüllt.
Auf den Spuren der Alpinpioniere
Lange bevor Courmayeur zum beliebten Ski- und Wanderziel avancierte, war es ein bescheidenes Bergdorf mit heißen Quellen, die schon in der Römerzeit geschätzt wurden. Die thermischen Wasser im benachbarten Pré-Saint-Didier lockten bereits im 17. Jahrhundert wohlhabende Besucher an. Der eigentliche Aufschwung kam jedoch mit der Geburt des Alpinismus im 19. Jahrhundert. Pioniere wie Edward Whymper, der Erstbesteiger des Matterhorns, nutzten Courmayeur als Ausgangspunkt für ihre waghalsigen Unternehmungen.
Heute erinnert das Alpine Museum in der zentralen Via Roma an diese goldene Ära. Zwischen vergilbten Fotografien und antiker Ausrüstung lässt sich nachvollziehen, wie sich die Bergsteigerei von einer Exzentrik der Oberschicht zu einem Volkssport entwickelte. Überraschenderweise stammen viele der berühmtesten Bergführer der Region aus nur wenigen Familien – die Namen Grivel, Ollier und Petigax tauchen immer wieder auf, Generationen von Berglern, die ihr Wissen vom Vater zum Sohn weitergaben.
Der Drang nach oben hat in Courmayeur Tradition. Wer die Geschichte der Mont-Blanc-Besteigungen nachvollziehen möchte, findet im Dorfzentrum eine Gedenkstätte für die Bergführer, die ihr Leben am Berg gelassen haben. Denkmäler dieser Art sind in der Alpenregion keine Seltenheit – allein die schiere Anzahl aber lässt einen schlucken. Die Berge schenken Leben und nehmen es auch.
Der Mont Blanc – eine Grenze, zwei Welten
Mit seinen 4.809 Metern bildet der Mont Blanc nicht nur die natürliche Grenze zwischen Italien und Frankreich, sondern auch zwischen zwei grundverschiedenen Mentalitäten. Während Chamonix auf der französischen Seite als Mekka für extreme Sportarten und internationale Events pulsiert, geht es in Courmayeur gemächlicher, irgendwie italienischer zu. Hier versteht man unter Sport nicht nur die Herausforderung, sondern auch den anschließenden Aperitivo auf der sonnigen Terrasse.
Die Skyway Monte Bianco, eine architektonisch beeindruckende Seilbahn, bringt Besucher in wenigen Minuten auf die Punta Helbronner (3.466 m). Die futuristisch anmutenden Gondeln rotieren während der Fahrt um 360 Grad und offenbaren ein Panorama, das einem den Atem raubt. Die Bergstation beherbergt neben einer Aussichtsplattform auch ein kleines Kristallmuseum, das die mineralogischen Schätze der Region präsentiert. An klaren Tagen reicht der Blick bis zum Matterhorn und zum Gran Paradiso – ein alpines Schaulaufen der Superlative.
Wer den Mont Blanc selbst bezwingen möchte, sollte sich der Herausforderung bewusst sein. Die Normalroute von Courmayeur aus verläuft über den Miage-Gletscher und die Gonella-Hütte – technisch weniger anspruchsvoll als andere Anstiege, aber dennoch ein ernstzunehmendes alpinistisches Unternehmen. Die meisten Aspiranten nehmen die Dienste eines lokalen Bergführers in Anspruch, deren Expertise buchstäblich lebensrettend sein kann. Überhaupt: Der Berg verzeiht keine Fehler. Schon manch einer hat die weiße Pracht unterschätzt und ist dabei in ernste Schwierigkeiten geraten.
Vier Jahreszeiten, vier Gesichter
Im Winter verwandelt sich Courmayeur in ein Schneeparadies. Das Skigebiet mag mit seinen rund 100 Pistenkilometern kleiner sein als manch anderes in den Alpen, doch was ihm an Quantität fehlt, macht es mit Qualität wett. Die Checrouit-Seite bietet sonnenverwöhnte Hänge mit Blick auf den Mont Blanc, während die Val Veny-Seite durch ihre waldreichen Abfahrten besticht. Besonders das Freeride-Potenzial lockt Tiefschneeliebhaber aus aller Welt an. Die Youla-Abfahrt gilt als lokaler Geheimtipp – hier hat man bei Neuschnee das Gefühl, durch unberührte Welten zu gleiten.
Der Frühling zeigt sich von seiner launischen Seite. Während in den Tälern bereits die ersten Blumen sprießen, kann man in den Höhenlagen noch problemlos Ski fahren. Diese Zeit nutzen viele für Skitouren, insbesondere die legendäre Haute Route, die von Chamonix nach Zermatt führt und Courmayeur als wichtigen Etappenort einschließt. Die Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht können drastisch sein – morgens noch in der Daunenjacke fröstelnd, sitzt man mittags schon im T-Shirt vor der Berghütte.
Der Sommer gehört den Wanderern und Bergsteigern. Das weitverzweigte Wegenetz bietet Routen für jedes Können, vom gemütlichen Spaziergang bis zur anspruchsvollen Bergtour. Der Tour du Mont Blanc, ein etwa 170 Kilometer langer Fernwanderweg, der das Massiv umrundet, zählt zu den bekanntesten Trekkingstrecken Europas. In elf Tagesetappen durchquert man dabei drei Länder – eine beeindruckende Erfahrung, selbst für erfahrene Wanderer. Die Hütten entlang der Route sind oft Monate im Voraus ausgebucht, 'ne rechtzeitige Planung ist daher unerlässlich.
Der Herbst schließlich, von den Einheimischen als schönste Jahreszeit gepriesen, taucht die Landschaft in warme Farben. Die Lärchenwälder leuchten goldgelb, die Berggipfel tragen bereits ihre ersten Schneekappen, und in den Tälern werden die Kastanien geerntet. Diese Zeit eignet sich hervorragend für kulinarische Entdeckungen – die Restaurants servieren Wildgerichte und Pilzspezialitäten, die die Aromen der Region perfekt einfangen.
Kulinarisches Grenzland
Die Küche Courmayeurs spiegelt seine geographische Lage wider – eine faszinierende Mischung aus alpinen Traditionen und italienischer Finesse. Die Nähe zu Frankreich und zur Schweiz hat ebenfalls ihre Spuren hinterlassen. Fontina, der cremige Käse aus dem Aostatal, findet sich in zahlreichen Gerichten wieder, allen voran in der Fonduta, dem italienischen Pendant zum Schweizer Käsefondue.
Polenta concia, mit reichlich Butter und Käse verfeinert, steht exemplarisch für die deftige Bergküche, die jahrhundertelang die Bewohner durch harte Winter brachte. Carbonada, ein herzhafter Fleischeintopf mit Rotwein, wärmt auch heute noch von innen. Zu den lokalen Spezialitäten zählt zudem die Zuppa Valdostana, eine kräftige Suppe mit Weißkohl, Kastanien und Speck, die in einem ausgehöhlten Brotlaib serviert wird – rustikaler geht's kaum.
Im Gegensatz zu vielen anderen Touristenorten hat Courmayeur seine kulinarische Integrität bewahrt. Statt standardisierter Berghüttenkost findet man auch auf 2.000 Metern Höhe authentische Gerichte mit regionalen Zutaten. Die Rifugio Maison Vieille etwa, erreichbar mit den Skiern oder zu Fuß, serviert handgemachte Pasta und Wildragout, das langsam vor sich hin köchelt, während draußen der Wind um die Holzbalken pfeift.
Im Ortszentrum befinden sich Restaurants unterschiedlicher Preisklassen. Von der gehobenen Küche im Pierre Alexis 1877 bis zum familiären Trattoria-Ambiente im La Terrazza gibt es für jeden Geschmack etwas. Wer es deftig mag, kehrt im La Piazzetta ein, wo die Pizzen im Holzofen backen und der Rotwein großzügig ausgeschenkt wird. Die Preise sind für eine Touristenregion überraschend moderat – jedenfalls solange man sich vom Zentrum wegbewegt und den kleinen Lokalen mit den kartenlosen Menüs eine Chance gibt.
Zwischen Tradition und Jetset
Courmayeur hat sich seinen ursprünglichen Charakter bewahrt, trotz des Touristenstroms, der Jahr für Jahr über den kleinen Ort hereinbricht. Die Bausubstanz im historischen Zentrum ist weitgehend erhalten geblieben – steinerne Häuser mit Holzbalkonen und schmiedeeisernen Details prägen das Stadtbild. Die Via Roma, die Haupteinkaufsstraße, säumen kleine Boutiquen, Sportgeschäfte und Feinkostläden.
Gleichzeitig hat der Ort in den letzten Jahrzehnten einen gewissen Grad an Exklusivität entwickelt. An Winterwochenenden füllen sich die Straßen mit wohlhabenden Mailändern, die dem Stadttrubel entfliehen und ihre Designer-Skibekleidung ausführen. Die eleganten Villen am Ortsrand zeugen vom Wohlstand ihrer Besitzer, und in manchen Restaurants wird mehr über Aktienkurse als über Schneebedingungen gesprochen.
Diese Mischung aus bodenständiger Bergkultur und mondänem Flair macht einen besonderen Reiz aus. In der Bar Roma treffen Bergsteiger in abgewetzten Daunenjacken auf Damen in Pelzmänteln, und beide Seiten scheinen sich prächtig zu verstehen. Während der Modewoche Milano Moda hört man im Ort mehr Mailänder Dialekt als den lokalen Patois, den franko-provenzalischen Dialekt, der noch in einigen abgelegenen Tälern gesprochen wird.
Zu den gesellschaftlichen Höhepunkten zählt das jährliche Mountain Film Festival, das internationale Filmemacher und Bergbegeisterte anzieht. Auch der Torino-Courmayeur-Ultramarathon, ein Laufwettbewerb über 100 Kilometer mit 7.000 Höhenmetern, hat sich als prestigeträchtiges Event etabliert. Bei solchen Gelegenheiten zeigt sich, wie sehr der Ort zwischen Tradition und Moderne balanciert – mit erstaunlicher Leichtigkeit.
Praktische Informationen
Die Anreise nach Courmayeur gestaltet sich vielseitig. Mit dem Auto erreicht man den Ort über die Autobahn A5 von Turin oder Mailand aus. Alternativ führt der Weg durch den Mont-Blanc-Tunnel von Chamonix her – eine Mautstrecke, die mit rund 50 Euro zu Buche schlägt, dafür aber eine spektakuläre Abkürzung darstellt. Die nächsten Flughäfen liegen in Turin (150 km) und Genf (100 km), von beiden verkehren regelmäßig Shuttlebusse in die Skiregion.
Die Unterkunftsmöglichkeiten reichen von luxuriösen Hotels bis zu gemütlichen Pensionen. Das Grand Hotel Royal e Golf besticht durch seine Belle-Époque-Architektur und seinen historischen Charme. Preiswerter, aber nicht weniger gemütlich präsentiert sich das Bouton d'Or, eine familiengeführte Pension nahe dem Zentrum. Wer es rustikal mag, findet in den umliegenden Dörfern wie Entrèves oder La Palud renovierte Bauernhäuser und Chalets zur Miete.
Die beste Reisezeit hängt stark von den persönlichen Vorlieben ab. Die Wintersaison erstreckt sich von Dezember bis April, wobei Januar und Februar die schneesichersten Monate sind. Der Sommer (Juni bis September) lockt mit angenehmen Temperaturen und brillanter Fernsicht. Die Nebensaison im Mai und Oktober bietet reduzierte Preise, allerdings sind viele Seilbahnen und Restaurants geschlossen.
Die Skyway Monte Bianco fährt ganzjährig, abhängig von den Wetterbedingungen. Die Fahrt kostet etwa 60 Euro für Hin- und Rückfahrt – nicht gerade ein Schnäppchen, aber eine Investition, die sich lohnt. Alternativ kann man mit dem Bus oder dem eigenen Auto ins Val Veny oder Val Ferret fahren, wo zahlreiche Wanderwege beginnen.
Ausflüge in die Umgebung
Courmayeur eignet sich hervorragend als Basis für Erkundungen des Aostatals. Die historische Stadt Aosta, nur 30 Kilometer entfernt, beeindruckt mit römischen Ruinen und mittelalterlichen Kirchen. Das antike Theater und der Augustusbogen zeugen von der strategischen Bedeutung dieses Alpenübergangs seit über 2.000 Jahren.
Das Schloss Sarre, einst Sommerresidenz der italienischen Königsfamilie, gewährt Einblicke in das höfische Leben vergangener Zeiten. Die prunkvolle Innenausstattung kontrastiert mit der rauen Berglandschaft, die das Anwesen umgibt. Ein Spaziergang durch den englischen Garten lohnt zu jeder Jahreszeit.
Naturliebhaber sollten einen Abstecher in den Nationalpark Gran Paradiso einplanen. Das älteste Schutzgebiet Italiens beherbergt eine vielfältige Flora und Fauna, darunter Steinböcke, Gämsen und Murmeltiere. Mit etwas Glück lassen sich auch Bartgeier oder Steinadler am Himmel beobachten.
Die thermischen Bäder von Pré-Saint-Didier, nur wenige Kilometer von Courmayeur entfernt, bieten eine willkommene Entspannung nach anstrengenden Bergtagen. Die historische Therme wurde aufwendig restauriert und um moderne Wellness-Einrichtungen ergänzt. In den Außenbecken zu liegen, während der Dampf in die kalte Bergluft aufsteigt und der Blick über die schneebedeckten Gipfel schweift – das hat schon was Meditatives.