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Névache und das Vallée de la Clarée: Frankreichs stiller Geheimtipp

Ein naturbelassenes Hochtal mit charmanten Dörfern, traditionellen Holzhäusern, blühenden Almen und ideal für ruhesuchende Wanderer und Radfahrer.

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Zwischenablage

Das Vallée de la Clarée liegt im östlichsten Zipfel Frankreichs, nahe der italienischen Grenze im Département Hautes-Alpes. Gekrönt wird das etwa 30 Kilometer lange Tal vom Gebirgsstock der Cerces-Gruppe, deren markante Gipfel bis auf 3.097 Meter ansteigen. Der glasklare Gebirgsfluss Clarée, dem das Tal seinen Namen verdankt, schlängelt sich durch die sanften Wiesen des Talgrundes und plätschert mancherorts über natürliche Steinstufen, bevor er bei Briançon in die Durance mündet.

Wer von Briançon aus nordwärts fährt, erreicht nach etwa 15 Kilometern den Taleingang. Die Straße, die D994G, windet sich von dort durch das untere Tal, vorbei an kleinen Ansiedlungen wie La Vachette und Val-des-Prés, bis sie schließlich das Hauptdorf Névache erreicht. Ab hier verengt sich das Tal zusehends und geht in das Hochtal, die Haute Vallée, über. Autofahrer müssen in den Sommermonaten hier einen Shuttle-Service nutzen oder zu Fuß weitergehen – eine Regelung, die maßgeblich zum Erhalt der landschaftlichen Idylle beiträgt.

Was das Vallée de la Clarée so besonders macht? Seine relative Unberührtheit. Während benachbarte Alpenregionen dem Massentourismus zum Opfer fielen, ist dieses Tal vom Bauboom der großen Skiressorts verschont geblieben. Seit 1992 steht das gesamte obere Tal unter Landschaftsschutz – ein Glücksfall für Naturliebhaber. Die alpine Kulturlandschaft mit ihren blühenden Almwiesen, traditionellen Holzhäusern und gemütlichen Dorfkernen ist hier noch Realität, nicht bloße Tourismus-Folklore.

Geschichte: Von Römerstraßen und harten Bergbauernleben

Das Vallée de la Clarée blickt auf eine lange Geschichte zurück. Bereits in der Römerzeit führte ein wichtiger Alpenübergang durch das Tal über den Col de l'Échelle (1.762 m) nach Italien. Davon zeugen heute noch Überreste römischer Meilensteine und alter Pflasterwege, die in Teilen erhalten sind. Im Mittelalter gehörte das Gebiet zum mächtigen Dauphiné und wurde 1349 an Frankreich angegliedert. Die strategische Lage als Grenzregion bedeutete für die Talbewohner immer wieder Unruhephasen, besonders während der zahlreichen Konflikte zwischen Frankreich und dem Herzogtum Savoyen.

Die Spuren dieser wechselvollen Geschichte sind bis heute sichtbar. Alte Bauernhöfe und Almhütten trotzen seit Jahrhunderten den harten Wintern. Besonders auffällig sind die für die Region typischen "fustes" – Blockhäuser aus massiven Lärchenholzstämmen mit flachen, mit Steinplatten beschwerten Dächern. Diese traditionelle Bauweise ist nicht nur pittoresk, sondern auch höchst funktional, um den schweren Schneemassen standzuhalten.

Von einem einstigen bescheidenen Wohlstand zeugen die reich verzierten Hausportale und geschnitzten Balkone in Névache. Der Reichtum kam hauptsächlich durch Silber- und Bleibergbau in die Region, der bis ins 19. Jahrhundert betrieben wurde. Auch die Bewirtschaftung der Hochweiden mit Schafen und die Herstellung von Käse brachten den Bewohnern ein karges, aber stetiges Einkommen. Zahlreiche kleine Kapellen und Wegekreuze, die man im gesamten Tal findet, erzählen von der tiefen Religiosität der Bevölkerung, für die der Glaube oft Halt in einem entbehrungsreichen Leben darstellte.

Névache: Das Herz des Tals

Névache ist nicht einfach nur das Hauptdorf des Tals – es verkörpert dessen Seele. Der Ort, auf etwa 1.600 Metern Höhe gelegen, besteht eigentlich aus mehreren kleinen Weilern, die sich über etwa drei Kilometer entlang der Clarée erstrecken: Ville Basse (Unterdorf), Ville Haute (Oberdorf) und Sallé. Zwischen diesen Siedlungsteilen liegen grüne Wiesen und kleine Felder – ein Dorf, das organisch mit seiner Umgebung verschmilzt.

Die Kirche Saint-Marcellin aus dem 16. Jahrhundert dominiert mit ihrem charakteristischen Zwiebelturm das Ortsbild. Das Gotteshaus ist mit bemerkenswerten Barockaltären ausgestattet, die von lokalen Künstlern geschaffen wurden. Richtig lebendig wird die Dorfgeschichte jedoch im kleinen Heimatmuseum "Musée Montagnard", untergebracht in einem traditionellen Holzhaus. Hier stehen keine sterilen Vitrinen mit verstaubten Exponaten – stattdessen wirst du in eine komplett eingerichtete Bergbauernstube mit offenem Herd und handgefertigten Möbeln versetzt. Die Sammlung bäuerlicher Arbeitsgeräte, alter Fotografien und traditioneller Kleidungsstücke erzählt vom Alltag vergangener Generationen. Bei näherem Hinsehen fällt auf, wie kreativ die Menschen hier mit Ressourcenknappheit umgingen – klar erkennbar am multifunktionalen Charakter vieler Gegenstände.

Für den kleinen Hunger zwischendurch bietet die örtliche Bäckerei selbstgebackenes Brot und "tourtes" an – saftige Teigtaschen gefüllt mit Spinat, Kartoffeln oder Käse. Authentischer geht's kaum. Ein paar Schritte weiter lockt der "Fromager" mit hausgemachtem Ziegenkäse und dem regionalen Quark "Brousse". Die Bewirtung von Gästen im Vallée de la Clarée ist übrigens keine anonyme Dienstleistung. In den kleinen Pensionen und Landgasthöfen wird man schnell als "der Deutsche mit dem roten Fahrrad" oder "die Fotografin aus Paris" bekannt – ein wohltuender Kontrast zur Anonymität großer Touristenzentren.

Das Haute Vallée: Alpines Naturparadies ohne Fahrzeuglärm

Oberhalb von Névache erstreckt sich das eigentliche Herzstück des Tals – das "Haute Vallée". Hier, wo zwischen Juni und September keine privaten Fahrzeuge mehr zugelassen sind, offenbart sich die Alpenlandschaft in ihrer ganzen Pracht. Der Talgrund weitet sich zu einem breiten, von Lärchen gesäumten Korridor, während zu beiden Seiten schroffe Felsgipfel aufragen. Ein Postkartenmotiv jagt das nächste.

Das Verbot von Privatfahrzeugen im Sommer mag für manche zunächst wie ein Nachteil klingen, entpuppt sich aber rasch als größter Vorteil des oberen Tals. Anstelle von Motorenlärm hörst du nur das Klirren von Kuhglocken, das Rauschen des Windes in den Lärchenkronen und das ständige Plätschern der Clarée. Shuttle-Busse verkehren regelmäßig zwischen Névache und dem Talschluss beim Refuge des Drayères. Wer mag, kann sein Gepäck auch per "Transport Bagages" zu einer der Berghütten vorausschicken – ein Service, den besonders Familien mit Kindern zu schätzen wissen.

Die ungestörte Natur dankt es mit einer überwältigenden Artenvielfalt. Je nach Jahreszeit verwandeln sich die Almwiesen in ein Blütenmeer aus Enzianen, Alpenrosen, Orchideen und Edelweiß. Mit etwas Glück und Geduld lassen sich Gämsen, Murmeltiere und sogar Steinadler beobachten. Ein kleiner Tipp am Rande: Für Tierbeobachtungen sind die frühen Morgenstunden vor der Ankunft der Tagesausflügler am ergiebigsten. In dieser magischen Zeit, wenn der erste Sonnenschein die Bergspitzen vergoldet und leichter Nebel über den Wiesen wabert, zeigt sich das Tal von seiner verwunschen-mystischen Seite.

Landschaftliche Höhepunkte des oberen Tals sind die "Lacs des Cerces" – eine Gruppe kleiner Bergseen auf rund 2.400 Metern Höhe – und die "Cascade de Fontcouverte", ein stimmungsvoller Wasserfall inmitten eines Lärchenwaldes. Uriger geht's nicht mehr. Zusätzlich zu diesen natürlichen Attraktionen finden sich im Hochtal mehrere bewirtschaftete Berghütten, allen voran das "Refuge du Chardonnet" und das "Refuge des Drayères", die einfache, aber herzhafte Mahlzeiten sowie Übernachtungsmöglichkeiten bieten.

Aktivitäten: Zwischen sanfter Entschleunigung und alpinem Abenteuer

Das Vallée de la Clarée bietet für nahezu jedes Aktivitätslevel passende Möglichkeiten – vorausgesetzt, man sucht nicht nach dem großen Party- und Eventprogramm. Im Vordergrund steht hier das unmittelbare Naturerlebnis, ob zu Fuß, mit dem Rad oder auf Skiern.

Wanderer finden ein gut ausgebautes Wegenetz mit Routen verschiedener Schwierigkeitsgrade. Familienfreundliche Spaziergänge führen entlang der Clarée zum Wasserfall von Fontcouverte (etwa zwei Stunden ab Névache). Ambitionierte Bergsteiger können sich an mehrtägigen Touren durch das angrenzende Cerces-Massiv versuchen oder den "Grande Traversée du Briançonnais" in Angriff nehmen, einen Weitwanderweg, der durch das gesamte Tal führt.

Radfahrer kommen auf der verkehrsarmen Talstraße und den gut gepflegten Forstwegen auf ihre Kosten. Besonders beliebt ist die Route von Briançon nach Névache – ein moderater Anstieg über etwa 20 Kilometer, der mit grandiosen Ausblicken belohnt wird. Mountainbiker wagen sich auf die anspruchsvolleren Pfade am Hang, während E-Bikes das Hochtal auch für weniger trainierte Radler erschließen. Überhaupt sind die Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung vielseitig: Von Klettersteigen an den Felswänden bei Plampinet bis hin zu Angelmöglichkeiten an ruhigen Abschnitten der Clarée reicht das Angebot.

Der Winter verwandelt das Tal in ein Paradies für Langläufer und Schneeschuhwanderer. Über 60 Kilometer gespurte Loipen durchziehen dann den Talgrund, und auf den höhergelegenen Hängen werden regelmäßig Schneeschuhtouren angeboten. Alpiner Skisport spielt hier nur eine untergeordnete Rolle – ein kleiner Schlepplift am Ortsrand von Névache ist alles, was an konventionelle Skigebiete erinnert. Stattdessen hat sich das Tal als Zentrum für Skitouren etabliert. Vom einfachen "Montée" zum Col des Thures bis hin zu anspruchsvollen Abfahrten vom Pic du Lac Blanc ist für jeden Könnensgrad etwas dabei.

Kulturell Interessierte können sich auf die Entdeckung der romanischen Kapellen in Val-des-Prés und Plampinet freuen oder an geführten Touren zu den Überresten des Bergbaus teilnehmen. Und manchmal sind es gerade die unscheinbaren Erlebnisse, die am längsten in Erinnerung bleiben: Der Duft von frisch gemähtem Bergheu, das Knacken des Kaminfeuers in einer rustikalen Berghütte oder der Geschmack eines kühlen Schlucks Quellwasser nach einer schweißtreibenden Wanderung.

Praktische Reisetipps und beste Reisezeit

Die Anreise ins Vallée de la Clarée gestaltet sich am einfachsten über Briançon, das mit dem Auto von Grenoble oder Turin (Italien) aus in etwa zwei Stunden erreichbar ist. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist Briançon per Zug über die malerische Strecke von Marseille oder Gap aus angebunden. Von Briançon verkehren regelmäßig Busse nach Névache, im Sommer auch weiter ins obere Tal. Wer mit schwerem Gepäck anreist, sollte allerdings bedenken, dass die Busverbindungen eingeschränkt sein können – hier lohnt sich eine vorherige Anfrage beim lokalen Tourismusbüro.

Die beste Reisezeit für das Tal hängt stark von den geplanten Aktivitäten ab. Für Wanderer und Radfahrer bieten sich die Monate Juni bis September an, wobei der Juni mit seiner explosiven Blütenpracht und den noch nicht so vollen Wegen besonders reizvoll ist. Der Juli kann in manchen Jahren bereits recht heiß werden, was Wanderungen in höhere Lagen empfehlenswert macht. Der Spätsommer und Frühherbst (Ende August bis Mitte Oktober) locken mit stabilem Wetter und den leuchtenden Farben der Lärchenwälder, die sich dann goldgelb färben. Im Winter ist das Tal ein Paradies für Langläufer und Schneeschuhwanderer, besonders von Dezember bis März, wenn eine zuverlässige Schneedecke liegt.

Wer das Tal besucht, sollte einige Besonderheiten beachten: In den Sommermonaten ist das obere Tal für den Privatverkehr gesperrt – eine Shuttle-Regelung, die auf den ersten Blick umständlich erscheinen mag, aber maßgeblich zum Erhalt der natürlichen Ruhe beiträgt. Die Shuttle-Busse fahren mehrmals täglich ab Névache und kosten etwa 5 Euro pro Person. Für Mountainbiker gelten spezielle Regelungen – nicht alle Wanderwege sind für Radfahrer freigegeben, um Konflikte und Erosionsschäden zu vermeiden.

Einkaufsmöglichkeiten sind im Tal begrenzt – in Névache gibt es einen kleinen Lebensmittelladen für das Nötigste, größere Besorgungen sollten jedoch in Briançon erledigt werden. Ein weiterer praktischer Tipp: Bargeld mitnehmen! Nicht alle Unterkünfte und Restaurants akzeptieren Kreditkarten, und der nächste Geldautomat steht in La Vachette oder Briançon.

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