Der Col du Galibier verbindet als einer der höchsten befahrbaren Pässe Europas die Täler der Maurienne und der Briançonnais in den Départements Savoie und Hautes-Alpes. Seine nahezu mythische Bedeutung verdankt er nicht nur der atemberaubenden Landschaft, sondern vor allem seiner Rolle als einer der härtesten und prestigeträchtigsten Anstiege der Tour de France. Der Galibier ist kein gewöhnlicher Pass – er ist ein Monument des Radsports, eine Herausforderung für Motorradfahrer und ein landschaftliches Juwel für jeden Alpenreisenden.
Die schmale Straße windet sich durch eine Landschaft, die mit jedem Höhenmeter karger und ursprünglicher wird. Unten noch von saftigen Alpenwiesen und vereinzelten Wäldern geprägt, weicht die Vegetation in den oberen Bereichen alpinen Raritäten, die zwischen den Gesteinsbrocken um jeden Sonnenstrahl kämpfen. Die Luft wird dünner, der Ausblick weiter. Bei guter Sicht reicht der Blick bis zum Mont Blanc, dem höchsten Berg der Alpen. Der Galibier treibt nicht nur Sportlern den Schweiß auf die Stirn, sondern auch manchem Autofahrer, wenn die Kehren immer enger und die Abhänge immer steiler werden.
Die Geschichte des Col du Galibier als Verkehrsweg reicht weit zurück. Schon die Römer nutzten Pfade in dieser Region, doch der moderne Pass entstand erst im 19. Jahrhundert. Die erste richtige Straße über den Galibier wurde zwischen 1876 und 1891 gebaut – ein kühnes Unterfangen in dieser Höhe und mit den damaligen technischen Mitteln. Der Initiator dieses Projekts war kein Geringerer als Napoléon Bonaparte, der die strategische Bedeutung der Alpenübergänge erkannte. In den Anfängen war die Passstraße noch ungeteert und deutlich schmaler als heute.
Der ursprüngliche Weg führte durch einen 365 Meter langen Tunnel etwas unterhalb des heutigen Scheitelpunkts. Dieser Tunnel, 1891 eröffnet, diente jahrzehntelang als höchster Punkt der Route, bis 1976 die neue, offene Passstraße bis zum eigentlichen Scheitelpunkt gebaut wurde. Der alte Tunnel existiert noch immer, wird aber nur noch selten genutzt – ein faszinierendes Relikt vergangener Zeiten. Wer ihn durchquert, spürt förmlich die Geschichte dieses Ortes: kühl, dunkel und ein bisschen unheimlich muten die feuchten Wände an, wenn das Tageslicht langsam verschwindet.
Den Namen erhielt der Pass vermutlich vom nahegelegenen Berg "Le Galibier" (3.228 m), dessen Ursprung wiederum im savoyardischen Dialekt liegt und auf das Wort "galibié" zurückgeht, was so viel wie "Fels" oder "Geröll" bedeutet – ein passender Name angesichts der kargen, felsigen Landschaft, die den Pass umgibt.
Der Mythos Tour de France
Die Beziehung zwischen dem Col du Galibier und der Tour de France ist eine der großen Liebesgeschichten des Sports – wenn auch eine schmerzhafte. Erstmals wurde der Pass 1911 in die Strecke der Tour aufgenommen, als der legendäre Tour-Organisator Henri Desgrange beschloss, die Rundfahrt mit immer anspruchsvolleren Bergprüfungen zu würzen. Der erste Fahrer, der den Galibier bei der Tour bezwang, war der Franzose Émile Georget – er kam jedoch zu Fuß oben an, da die Steigung mit den damaligen Rädern kaum zu bewältigen war.
Seitdem hat der Pass mehr als 60 Mal im Streckenverlauf der Tour gelegen. Die größten Namen des Radsports haben hier Geschichte geschrieben: Fausto Coppi, Eddy Merckx, Marco Pantani, Lance Armstrong und in neuerer Zeit Fahrer wie Nairo Quintana oder Jonas Vingegaard. Der Galibier gilt als einer der "hors catégorie"-Anstiege – jenseits jeder Kategorie, die härteste Einstufung, die es bei der Tour gibt. Wenn die Fahrer im Juli den Pass erklimmen, säumen Tausende von Fans die Straße, verwandeln die sonst so stille Bergwelt in einen kochenden Hexenkessel der Emotion.
2011, zum hundertjährigen Jubiläum der ersten Überquerung, war der Col du Galibier sogar Zielort einer Etappe – das höchstgelegene Ziel in der Geschichte der Tour de France. Der Luxemburger Andy Schleck schrieb an diesem Tag Geschichte mit einer 60 Kilometer langen Soloflucht, die in die Annalen des Radsports einging. Solche epischen Momente haben den Ruf des Passes als "Richter" der Tour begründet, wo Tourtriumphe erschaffen und vernichtet werden.
Am Pass selbst erinnert heute ein Denkmal an Henri Desgrange, den Vater der Tour. Von hier aus hat man nicht nur einen fantastischen Blick auf die umliegenden Gipfel, sondern spürt auch den Geist all jener Athleten, die sich hier bis zur völligen Erschöpfung verausgabt haben. Nicht selten entscheiden sich hier die Geschicke der Tour – wer am Galibier schwächelt, wird es schwer haben, Paris im Gelben Trikot zu erreichen.
Alpine Vegetation und Naturwunder
Die Fahrt zum Col du Galibier ist zugleich eine Reise durch verschiedene Vegetationszonen. Während in den Tälern noch üppige Wälder und saftige Wiesen dominieren, wandelt sich die Landschaft mit jedem Höhenmeter. Ab etwa 1.800 Metern werden die Bäume kleiner und lichter, bis sie schließlich ganz verschwinden. Was folgt, ist das Reich der alpinen Matten – kurze, aber intensive Sommer ermöglichen hier eine erstaunliche Blütenpracht.
Gerade im Juni und Juli, wenn der Schnee gerade geschmolzen ist, explodiert die scheinbar karge Landschaft in einem Farbenrausch: Blauer Enzian, gelber Hahnenfuß, violette Akelei, und die seltenen Edelweiße – für die man allerdings ein geübtes Auge braucht – trotzen hier den extremen Bedingungen. Besonders beeindruckend sind die Alpenrosen, die ganze Hänge in leuchtendes Pink tauchen. Zwischen den Felsspalten haben sich spezialisierte Polsterpflanzen angesiedelt, die dem rauen Klima mit minimaler Angriffsfläche begegnen.
Die Tierwelt ist ebenfalls an die extremen Bedingungen angepasst. Murmeltiere pfeifen zur Warnung, wenn sich Wanderer nähern, und mit etwas Glück kann man Gämsen an den steilen Hängen klettern sehen. Adler ziehen ihre Kreise hoch über dem Pass, während robuste Bergschafe die kargen Weiden abgrasen.
Der botanisch interessierte Reisende sollte unbedingt einen kurzen Abstecher zum "Jardin Alpin du Lautaret" einplanen, einem botanischen Garten auf 2.100 Metern Höhe am Fuße des eigentlichen Galibier-Anstiegs. Hier werden auf 2 Hektaren über 2.000 Pflanzenarten aus verschiedenen Gebirgsregionen der Welt kultiviert – eine einzigartige Sammlung, die seit 1899 besteht und von der Universität Grenoble betrieben wird. Zwischen Juni und September geöffnet, bietet der Garten nicht nur botanische Raritäten, sondern auch einen fantastischen Panoramablick.
Praktische Informationen und beste Reisezeit
Der Col du Galibier ist kein Ganzjahresziel – die Passhöhe ist in der Regel nur von Juni bis Oktober schneefrei und für den Verkehr geöffnet. In besonders milden Wintern kann die Saison etwas länger sein, doch generell sollte man vor einem Besuch im Frühjahr oder Herbst unbedingt die aktuelle Situation prüfen. Die Information zur Befahrbarkeit findet sich auf den Webseiten der lokalen Tourismusbüros oder unter inforoute.fr.
Die Anfahrt zum Pass erfolgt entweder von Norden über den Col du Télégraphe und Saint-Michel-de-Maurienne oder von Süden über den Col du Lautaret und Briançon. Beide Routen haben ihren eigenen Charakter: Die Nordauffahrt ist mit insgesamt 35 Kilometern länger und technisch anspruchsvoller, die Südauffahrt etwas kürzer (23 km), aber nicht minder eindrucksvoll.
Wettermäßig muss man selbst im Hochsommer auf alles gefasst sein. Was unten im Tal als angenehm warmer Tag beginnt, kann sich oben am Pass schnell in Nebel, Regen oder gar Schneeregen verwandeln. Die Temperaturdifferenz zwischen Tal und Pass kann leicht 15 Grad betragen. Entsprechend sollte die Ausrüstung angepasst werden – Schichten sind das A und O, egal ob man mit dem Fahrrad, Motorrad oder Auto unterwegs ist.
Die beste Reisezeit für den Col du Galibier liegt zwischen Mitte Juni und Mitte September. Der Juli bietet die längsten Tage und meist stabiles Wetter, allerdings auch den meisten Verkehr – vor allem wenn die Tour de France in der Nähe ist. Der August ist traditionell Ferienzeit in Frankreich, was ebenfalls zu erhöhtem Verkehrsaufkommen führt. Die Randzeiten Juni und September bieten oft die angenehmste Kombination aus guten Wetterbedingungen und moderatem Verkehr.
Mit dem Rad auf den Galibier
Für Radsportfans ist der Galibier ein Muss – ein Gipfel, den man einmal im Leben bezwungen haben sollte. Die Auffahrt von der Nordseite über Saint-Michel-de-Maurienne gilt als besonders herausfordernd: Erst muss der Col du Télégraphe (1.566 m) überwunden werden, dann folgt nach einer kurzen Abfahrt nach Valloire der eigentliche Anstieg zum Galibier. Insgesamt sind das etwa 35 Kilometer mit rund 2.000 Höhenmetern bei einer durchschnittlichen Steigung von 5,5% – wobei die letzten Kilometer deutlich steiler sind und Rampen bis zu 12% aufweisen. Die Südauffahrt von Briançon über den Col du Lautaret ist mit 23 Kilometern und einer durchschnittlichen Steigung von 4,9% etwas gnädiger – aber immer noch eine ordentliche Herausforderung.
Eine hochwirksame Motivation bieten die zahlreichen Markierungen am Straßenrand, die die verbleibende Distanz zum Gipfel und die aktuelle Steigung anzeigen. Tückisch am Galibier ist die Höhe: Auf über 2.000 Metern macht sich der Sauerstoffmangel deutlich bemerkbar, die Beine werden schwerer, der Atem kürzer. Manch ein ambitionierter Hobbyradler, der unten noch flott unterwegs war, kriecht auf den letzten Kilometern im Schneckentempo dem Gipfel entgegen.
Die Belohnung für die Mühen ist grenzenlos: das Gefühl, etwas wirklich Besonderes geschafft zu haben, der spektakuläre Rundumblick und natürlich das obligatorische Gipfelfoto am Denkmal. Für die Abfahrt gilt: Vorsicht ist geboten! Die steilen Kurven, unvorhersehbare Windböen und der dünne Belag können tückisch sein. Eine Windjacke ist selbst im Hochsommer Pflicht – die Abfahrt kann empfindlich kalt werden.
Mit dem Auto oder Motorrad unterwegs
Mit dem motorisierten Gefährt ist der Col du Galibier zwar weniger schweißtreibend zu erreichen, aber keineswegs weniger beeindruckend. Die kurvige Strecke zählt zu den landschaftlich schönsten Passstraßen der Alpen und ist besonders bei Motorradfahrern beliebt. Die Straße ist gut ausgebaut, aber stellenweise recht schmal, besonders im oberen Bereich. Ausweichstellen gibt es zwar regelmäßig, dennoch ist bei Gegenverkehr Vorsicht geboten.
Entlang der Strecke finden sich immer wieder Parkbuchten, die zum Anhalten und Fotografieren einladen – und das aus gutem Grund: Die Panoramen sind atemberaubend. Ein besonders fotogener Blick bietet sich vom Gipfel Richtung Süden, wo man die Serpentinen der Passstraße vor der Kulisse der umliegenden Berge sehen kann.
Für Motorradfahrer ist der Galibier ein wahrer Traum: endlose Kurven, guter Asphalt und eine wunderbare Verbindung zu anderen legendären Pässen wie dem Col d'Izoard oder dem Col de la Croix de Fer. Zusammen bilden sie eine der spektakulärsten Motorradrouten Europas. Wobei selbst hartgesottene Biker zugeben müssen, dass die Temperatur am Pass selbst im Hochsommer empfindlich frisch sein kann – die Lederkombination wird also kaum zu warm.
Wer mit dem Auto unterwegs ist, kann den Pass gut in eine größere Rundtour durch die französischen Alpen einbinden. Eine beliebte Route führt von Grenoble über den Col du Lautaret zum Galibier, dann hinunter nach Saint-Michel-de-Maurienne und zurück über den Col de la Croix de Fer und Alpe d'Huez – eine Strecke, die praktisch alle Highlights der Region verbindet und sich gut für einen langen Sommertag eignet.
Übernachtung und Verpflegung
Direkt am Col du Galibier gibt es keine Übernachtungsmöglichkeiten. Lediglich ein kleiner Souvenirladen mit Imbiss steht während der Saison zur Verfügung – hier bekommt man einfache Snacks, Getränke und natürlich die obligatorischen T-Shirts und Andenken. Für eine richtige Mahlzeit oder Übernachtung muss man ins Tal absteigen.
In Valloire auf der Nordseite finden sich zahlreiche Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen in allen Preisklassen. Das ehemalige Bergbauerndorf hat sich zu einem beliebten Wintersportort entwickelt, bietet aber auch im Sommer eine gute Infrastruktur für Touristen. Besonders charmant sind die alten Holzchalets im Ortskern, die trotz des touristischen Ausbaus den ursprünglichen Charakter bewahrt haben. Das Restaurant "La Ferme" serviert hervorragende savoyardische Spezialitäten wie Fondue, Raclette und Tartiflette – perfekt, um die am Pass verbrannten Kalorien wieder aufzufüllen.
Auf der Südseite bietet sich Briançon als Basis an – eine historische Festungsstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Die von Vauban entworfenen Befestigungsanlagen sind für sich allein schon einen Besuch wert. Die Altstadt mit ihren engen Gassen und bunten Häusern bildet einen angenehmen Kontrast zur rauen Bergwelt des Galibier. Kulinarisch ist Briançon ebenfalls einen Abstecher wert – im "Le Pêché Gourmand" in der Altstadt wird alpine Küche auf höchstem Niveau zelebriert.
Eine besondere Übernachtungsmöglichkeit bietet das "Refuge du Col du Lautaret" unweit des botanischen Gartens. Diese einfache, aber gemütliche Berghütte liegt auf 2.057 Metern und bietet einen perfekten Ausgangspunkt für die letzte Etappe zum Galibier. Hier erlebt man alpine Atmosphäre pur – und kann morgens als Erster auf dem Pass sein, bevor der Tagestrubel einsetzt.