Zwischen Lausanne und Montreux erstreckt sich auf knapp 30 Kilometern eine der eindrucksvollsten Kulturlandschaften Europas. Die terrassierten Weinberge des Lavaux trotzen seit dem 12. Jahrhundert den steilen Hängen über dem Genfersee. Eine Landschaft, die so besonders ist, dass die UNESCO sie 2007 zum Weltkulturerbe erklärte. Und das aus gutem Grund: Hier haben Generationen von Winzern in mühevoller Kleinarbeit über 10.000 Steinmauern errichtet und damit eine Symphonie aus Reben, Stein und Wasser geschaffen.
Die Landschaft des Lavaux wirkt fast unwirklich. Bis zu 40 Terrassen schieben sich vom Seeufer hinauf, bis auf 500 Meter über dem Meeresspiegel. Steil sind die Rebberge – bis zu 40 Grad Neigung. Die Stützmauern aus schiefergrauem Stein addieren sich insgesamt auf über 400 Kilometer Länge. Fast alle Arbeiten müssen hier noch in Handarbeit erledigt werden; Maschinen haben in den steilsten Lagen keine Chance.
Die Geschichte des Weinbaus beginnt hier vermutlich schon in römischer Zeit, systematisch wurde er aber erst im Mittelalter von Mönchen betrieben. Zu verdanken ist das vor allem den Zisterziensermönchen, die im 12. Jahrhundert mit dem Bau der ersten Mauern begannen. Ein gewisser Jean Gros, Bischof von Lausanne, gilt als Pionier, der den Weinbau im Lavaux förderte – heute erinnert in St-Saphorin ein Gedenkstein an ihn.
Trotz aller Herausforderungen gedeihen die Reben hier hervorragend, denn das Mikroklima ist einzigartig: Die steilen Hänge sind nach Süden ausgerichtet und fangen die Sonnenstrahlen optimal ein. Der Genfersee speichert die Wärme und gibt sie nachts wieder ab. Zudem reflektieren sowohl der See als auch die Steinmauern das Sonnenlicht – ein Effekt, den die Einheimischen stolz als "drei Sonnen" bezeichnen: Direkte Sonneneinstrahlung, Reflexion vom See und Wärmespeicherung in den Mauern.
Rebsorten und Weintradition
König der Rebsorten im Lavaux ist unangefochten der Chasselas. Etwa 80 Prozent der Rebfläche sind mit dieser weißen Traube bestockt, die hier ihre absolute Heimat gefunden hat. Die Weine aus Chasselas sind typischerweise frisch, leicht mineralisch und mit dezenten Fruchtaromen. Für Weinkenner das Besondere: Trotz identischer Rebsorte schmeckt der Wein je nach genauer Lage im Lavaux unterschiedlich – ein Effekt, den die Franzosen "terroir" nennen und der hier besonders ausgeprägt ist.
Insgesamt acht Appellationen umfasst das Weingebiet, jede mit eigenen Nuancen: Lutry, Villette, Epesses, Calamin, Dézaley, St-Saphorin, Chardonne und Vevey-Montreux. Besonders berühmt sind dabei Calamin und Dézaley, die als Grand Cru klassifiziert sind. Dézaley, ein komplett von Mauern umfasster Hang, bringt dabei besonders kräftige, komplexe Weine hervor, die sogar einige Jahre Lagerung vertragen – ungewöhnlich für einen Chasselas.
Wenn auch der Weißwein dominiert, gibt es im Lavaux durchaus Rotwein. Vor allem Pinot Noir und Gamay werden angebaut, manchmal auch als "Dôle" verschnitten. In den letzten Jahren haben einige innovative Winzer zudem internationale Sorten wie Merlot oder Cabernet Sauvignon angepflanzt.
Die Weinproduktion findet meist in kleinen Familienbetrieben statt, oft seit Generationen in denselben Händen. Bei den meisten Winzern kann man direkt verkosten und kaufen – ob in rustikalen Kellern oder modern gestalteten Verkostungsräumen. Geduld ist hier kein schlechter Ratgeber: Ein "Gläschen zum Probieren" verwandelt sich gerne in ein gemütliches Gespräch mit dem Winzer über Gott und die Welt, den Jahrgang und die Besonderheiten des Terroirs.
Zu Fuß durch die Reben
Wer das Lavaux wirklich kennenlernen will, muss es erwandern. Der markierte "Chemin des Vignes" führt auf etwa 32 Kilometern quer durch das gesamte Gebiet von Lausanne bis nach Montreux. Der geübte Wanderer schafft die Strecke an einem langen Tag, schöner ist es jedoch, sich Zeit zu nehmen und in Etappen zu gehen.
Besonders reizvoll ist der Abschnitt zwischen Cully und Epesses. Hier schlängelt sich der Weg durch die steilsten Rebberge, vorbei an jahrhundertealten Weinbauernhäusern und bietet ständig neue Ausblicke auf den See und die gegenüberliegenden Savoyer Alpen. Spektakulär zeigt sich das Lavaux von April bis Oktober: erst mit frischem Hellgrün der austreibenden Reben, dann mit satten Grüntönen im Sommer und schließlich mit goldgelben bis rötlichen Farben im Herbst.
Besonders im Herbst wird's lebendig in den Rebbergen. Die Weinlese, hier "vendanges" genannt, zieht sich meist durch den ganzen September. Dann herrscht geschäftiges Treiben, wenn die Trauben mit der Hand geerntet und in Körben oder kleinen Wagen transportiert werden. Mancherorts bieten Winzer sogar die Möglichkeit, bei der Lese mitzuhelfen – ein schweißtreibendes, aber authentisches Erlebnis.
Unterwegs auf den Wanderwegen findet man immer wieder Picknickplätze mit fantastischer Aussicht. An einigen Stellen stehen Automaten, die gekühlten Wein aus der unmittelbaren Umgebung anbieten – eine praktische Einrichtung für durstige Wanderer. Ein Taschenmesser und ein Becher sollten daher im Rucksack nicht fehlen.
Für Sportliche gibt es den Lavaux Marathon, der jährlich im Frühling stattfindet. Die Strecke führt durch die Weinberge und ist mit über 1.500 Höhenmetern kein Zuckerschlecken. Aber die Aussicht und das Glas Chasselas im Ziel entschädigen für alle Mühen.
Lausanne und Vevey – Die Tore zum Lavaux
Das Lavaux liegt zwischen zwei reizvollen Städten, die als ideale Ausgangspunkte für Erkundungen dienen. Im Westen begrenzt Lausanne, die Olympiastadt, das Weingebiet. Mit ihrer gotischen Kathedrale, dem olympischen Museum und einer lebendigen Kulturszene ist sie selbst einen mehrtägigen Aufenthalt wert. Besonders das Seeufer mit dem Ortsteil Ouchy bietet mediterranes Flair.
Am östlichen Ende des Lavaux liegt Vevey, eine charmante Kleinstadt mit prominenter Vergangenheit. Charlie Chaplin verbrachte hier seine letzten 25 Lebensjahre, woran das "Chaplin's World" Museum erinnert. Direkt an der Uferpromenade steht eine überdimensionale Gabel im Wasser – als Hinweis auf das hier ansässige Alimentarium, ein Museum zur Ernährung. Alle zwei Jahre verwandelt sich Vevey zudem in einen Rausch aus Farben und Festlichkeiten, wenn die "Fête des Vignerons" stattfindet, ein UNESCO-anerkanntes immaterielles Kulturerbe.
In beiden Städten finden sich zahlreiche Restaurants, die lokale Spezialitäten anbieten. Eine klassische Kombination ist Käsefondue mit einem Glas Chasselas, der mit seiner Säure die Schwere des Käses perfekt ausgleicht. Oder man probiert "Malakoff", frittierte Käsebällchen, eine Spezialität der Region.
Panoramatouren mit Zug und Schiff
Wo anderswo Bergbahnen an steilen Hängen verkehren, gibt es im Lavaux den "Train des Vignes" (Weinberg-Zug). Diese Lokalbahnlinie verbindet Vevey mit Puidoux und überwindet dabei knapp 400 Höhenmeter durch die Rebberge. Aus den Fenstern bieten sich spektakuläre Panoramen, die Fahrt selbst dauert nur etwa 15 Minuten. An den Zwischenstationen wie Chexbres kann man aussteigen und die Wanderung durch die Reben beginnen.
Eine besondre Attraktion ist der Lavaux Express, ein straßentauglicher Touristenzug mit offenen Wagen, der von April bis Oktober durch die engsten Weinbergswege zuckelt. Abfahrtsort ist entweder Cully oder Lutry. Währenddessen erläutert ein Guide Wissenswertes zur Region – meist auf Französisch und Englisch. Verpassen sollte man die Reservation nicht, denn der Zug ist oft ausgebucht.
Der Genfersee bietet eine weitere Perspektive auf das Lavaux. Die Schiffe der CGN (Compagnie Générale de Navigation) verbinden alle wichtigen Orte am Seeufer. Besonders eindrucksvoll sind die historischen Raddampfer, die sich majestätisch durchs Wasser pflügen. Von Bord aus erschließt sich das gesamte Panorama der terrassierten Hänge. Praktisch: Mit der Gästekarte, die viele Unterkünfte gratis ausgeben, sind Fahrten auf bestimmten Strecken kostenlos.
Übernachtung zwischen Reben – Wo der Wein zu Hause ist
Mitten in den Weinbergen zu übernachten hat seinen besonderen Reiz. Allerdings sind die Unterkünfte im eigentlichen Lavaux rar gesät – die meisten Weindörfer sind klein und bieten nur wenige Betten an. Eine Ausnahme bildet das "Auberge du Vigneron" in Epesses, ein traditionelles Gasthaus mit Zimmern und ausgezeichneter Küche, oder das "Le Baron Tavernier" in Chexbres mit seinem spektakulären Panoramarestaurant.
Mehr Auswahl findet sich in den umliegenden Städten wie Lausanne, Vevey oder Montreux. Hier gibt's von der einfachen Pension bis zum Fünfsternehotel alle Preisklassen. An der Uferpromenade von Montreux reihen sich historische Grandhotels aneinander, darunter das berühmte Montreux Palace, in dem schon Kaiser und Könige abstiegen.
Eine authentische Option ist die Übernachtung bei Winzern, die Gästezimmer anbieten. Einige Weingüter haben sich auf Agrotourismus spezialisiert und bieten "Chambres d'hôtes" (B&B) an. Hier schläft man quasi über dem Weinkeller und bekommt morgens ein Frühstück mit lokalen Produkten. Vorherige Anmeldung ist aber ein Muss, denn die wenigen Zimmer sind oft lange im Voraus ausgebucht.
Die beste Zeit für einen Besuch
Das Lavaux lässt sich prinzipiell ganzjährig besuchen, doch jede Jahreszeit hat ihren eigenen Reiz. Der Frühling (April/Mai) bringt milde Temperaturen und die ersten grünen Triebe an den Rebstöcken. Die Wanderwege sind noch nicht überlaufen, und die klare Luft erlaubt weite Blicke über den See bis zu den verschneiten Alpengipfeln.
Im Sommer lockt der See mit Bademöglichkeiten, allerdings kann es in den Rebbergen drückend heiß werden – nicht ohne Grund sind die Weinbergwege meist schmal und bieten kaum Schatten. Frühe Morgenstunden oder der späte Nachmittag sind dann die beste Zeit für Wanderungen.
Der Herbst gilt vielen als die Krönung. Von Mitte September bis Ende Oktober verwandeln sich die Rebberge in ein goldenes Meer, wenn die Blätter ihre Farbe wechseln. Zudem herrscht während der Weinlese überall geschäftiges Treiben, und in vielen Orten finden Weinfeste statt.
Selbst im Winter hat das Lavaux seinen stillen Charme. Die entlaubten Rebstöcke geben den Blick frei auf die akkurate Struktur der Terrassen. An klaren, kalten Tagen spiegeln sich die schneebedeckten Alpen im See, und in den Weinkellern ist mehr Zeit für ausgiebige Degustationen.
"Fête des Vignerons" – Das Fest der Winzer
Das wohl spektakulärste Ereignis im Lavaux ist die "Fête des Vignerons" (Winzerfest) in Vevey – allerdings findet es nur etwa alle 20 Jahre statt. Zuletzt wurde es 2019 gefeiert, die nächste Ausgabe wird voraussichtlich erst Ende der 2030er Jahre stattfinden. Das von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannte Fest reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück und wird von der Winzerbruderschaft "Confrérie des Vignerons" organisiert.
Während eines Monats verwandelt sich Vevey in eine riesige Festbühne. Herzstück ist ein temporäres Stadion, in dem über 1.000 Laiendarsteller den Jahreszyklus im Weinberg in einem aufwändigen Spektakel inszenieren. Drumherum finden Umzüge, Konzerte und natürlich reichlich Weinausschank statt. Die Tickets für die Hauptvorstellung sind heiß begehrt und meist schon Monate im Voraus vergriffen.
In den Jahren zwischen den großen Festen gibt es kleinere regionale Weinfeste. Besonders bekannt ist "Cully Jazz" im März/April, ein renommiertes Jazzfestival im Winzerdorf Cully. Oder das "Lavaux Passion" im Mai, bei dem Winzer aus dem gesamten Gebiet ihre Weine präsentieren.
Praktische Tipps für den Besuch
Die Anreise ins Lavaux gestaltet sich unkompliziert. Mit dem Zug erreicht man von Genf oder Bern aus die Städte Lausanne oder Vevey in weniger als einer Stunde. Die kleinen Winzerdörfer sind ebenfalls gut ans Bahnnetz angebunden oder per Bus erreichbar. Mit dem Auto gibt es zwar ein gutes Straßennetz, aber Parkplätze in den engen Dörfern sind Mangelware. Zudem lässt sich ein Glas Wein besser genießen, wenn man nicht mehr fahren muss.
Die Region ist zweisprachig, wobei Französisch dominiert. Mit Englisch kommt man in den touristischen Zentren gut durch, auf dem Land und bei älteren Winzern kann es aber dünn werden. Ein paar französische Grundbegriffe zur Weinverkostung können nicht schaden: "Dégustez-vous?" (Bieten Sie Verkostungen an?), "C'est délicieux!" (Das ist köstlich!) oder "Encore un verre, s'il vous plaît" (Noch ein Glas, bitte).
Die meisten Weinkeller sind nicht permanent geöffnet. Während größere Produzenten feste Öffnungszeiten haben, empfiehlt sich bei kleineren Winzern eine Voranmeldung. In jeder Gemeinde gibt es jedoch mindestens einen Ort, an dem man lokale Weine probieren kann, sei es im Gemeindehaus, in einer Vinothek oder im Restaurant.
Das Klima am Genfersee ist milder als im Rest der Schweiz, dennoch sollte man auf Wanderungen eine Kopfbedeckung und Sonnenschutz dabei haben. Die Wege sind gut ausgebaut, aber manchmal steil – festes Schuhwerk ist angebracht. An heißen Tagen ist eine Wasserflasche Pflicht, denn Trinkbrunnen sind rar in den Rebbergen.
Preislich bewegt sich das Lavaux im Schweizer Durchschnitt, also auf gehobenem Niveau. Ein Glas Chasselas kostet je nach Lokalität 5-8 Franken, eine Flasche im Direktverkauf ab 15 Franken aufwärts. Deutlich teurer sind die Grand Crus aus Dézaley oder Calamin. Restaurants bieten oft Mittagsmenüs für 20-25 Franken an, abends wird es substantiell teurer.