Schweiz

Château de Chillon: Märchenschloss mit fast tausendjähriger Geschichte

Die mittelalterliche Silhouette spiegelt sich im türkisblauen Genfersee. Mauern, die Dichter inspirierten und Herzöge beherbergten. Das Château de Chillon vereint alpine Kulisse mit mediterranem Flair.

Schweiz  |  Sehenswertes & Attraktionen
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Zwischenablage

Am östlichen Ende des Genfersees, wo die Alpen beinahe ins Wasser fallen, thront das Château de Chillon auf einem Felseneiland. Nur eine schmale Landzunge verbindet die mittelalterliche Festung mit dem Ufer. Der Kontrast könnte kaum markanter sein: Auf der einen Seite ragen die schroffen Hänge der Waadtländer Alpen steil empor, auf der anderen Seite öffnet sich der weitläufige See, der hier seine größte Tiefe erreicht. Diese strategisch kluge Position machte das Schloss jahrhundertelang zu einem unüberwindbaren Bollwerk – und heute zu einem der meistbesuchten historischen Bauwerke der Schweiz.

Zwischen Montreux und Villeneuve gelegen, scheint die Burg direkt aus dem Wasser zu wachsen. Die Anreise gestaltet sich angenehm unkompliziert. Von Montreux aus führt ein etwa einstündiger Spaziergang entlang der Uferpromenade zum Schloss – ein Weg, den schon Lord Byron nahm, als er hier 1816 seine berühmten Verse über den "Gefangenen von Chillon" schrieb. Mit dem Auto erreicht man das Château über die Uferstraße, Parkplätze sind vorhanden, wenn auch an Spitzentagen schnell besetzt. Wer die romantischere Variante bevorzugt, steigt in eines der Kursschiffe, die regelmäßig zwischen den Ortschaften am See verkehren und direkt am schlosseigenen Bootsanleger halten.

Der erste Anblick der Burg hat etwas Irreales. Die ockerfarbenen Mauern heben sich vom tiefblauen Wasser ab, die runden Türme spiegeln sich an klaren Tagen in der glatten Seeoberfläche. Je nach Tageszeit und Wetterlage wechselt das Château seine Stimmung: Im Morgenlicht wirkt es sanft und verträumt, bei Sonnenuntergang taucht sich die Fassade in warmes Orange, und bei aufziehendem Gewitter verleiht die dramatische Kulisse dem Gemäuer etwas gespenstisch Dunkles. Ein fotografischer Glücksfall – und deshalb auch ein beliebtes Motiv für Hobbyfotografen, die sich gerne auf den Felsen nahe des Ufers positionieren.

Von Herzögen und Vögten – Die Geschichte des Wasserschlosses

Die Geschichte von Chillon reicht weit zurück. Archäologische Funde belegen, dass der Felsenvorsprung bereits in der Bronzezeit besiedelt war. Die erste urkundliche Erwähnung des Schlosses stammt jedoch aus dem Jahr 1150. Über die Jahrhunderte hinweg diente die Festung unterschiedlichen Herrschern als Residenz, Verwaltungssitz und Gefängnis. Die Burg erlebte ihre erste Blütezeit unter den Grafen von Savoyen, die ab dem 12. Jahrhundert hier residierten und das Bauwerk kontinuierlich erweiterten.

Besonders Peter II. von Savoyen, der "kleine Karl der Große", hinterließ seine Spuren. Unter seiner Herrschaft im 13. Jahrhundert erhielt das Château viele der noch heute sichtbaren architektonischen Elemente. Die strategische Lage erlaubte es den Savoyern, den lukrativen Handelsweg zwischen Italien und Nordeuropa zu kontrollieren – und ordentlich abzukassieren. Mit der Zeit wurde aus der reinen Wehranlage ein repräsentativer Adelssitz mit komfortablen Wohnräumen.

Ein drastischer Wendepunkt in der Geschichte Chillons kam 1536, als die Berner das Waadtland eroberten und die Savoyer vertrieben. Fast drei Jahrhunderte lang diente das Schloss nun als Sitz der Berner Landvögte, als Waffenarsenal und als Staatsgefängnis. Der wohl berühmteste Insasse war François Bonivard, Prior von Saint-Victor in Genf und glühender Verfechter der Unabhängigkeit seiner Stadt. Von 1530 bis 1536 schmachtete er in den Kellergewölben, angekettet an einen Pfeiler – ein Schicksal, das Lord Byron später in seinem Gedicht "The Prisoner of Chillon" verewigte und damit dem Schloss zu internationaler Bekanntheit verhalf.

Nach dem Ende der Berner Herrschaft 1798 wechselte das Schloss in den Besitz des neu gegründeten Kantons Waadt. Jahrzehntelang als Lagerhaus und Kaserne genutzt, drohte die historische Substanz zu verfallen. Erst im späten 19. Jahrhundert erkannte man den kulturellen Wert der Anlage. Eine umfassende Restaurierung begann, die bis heute in regelmäßigen Abständen fortgeführt wird. Seit 1887 ist das Château de Chillon für Besucher geöffnet und entwickelte sich rasch zu einer der Hauptattraktionen der Schweiz. Heute zieht es jährlich über 400.000 Neugierige an – Tendenz steigend.

Architektonisches Meisterwerk – Rundgang durch die Burg

Das Château de Chillon ist kein einheitliches Bauwerk, sondern vielmehr ein Komplex aus etwa 25 miteinander verbundenen Gebäuden, die sich um drei Innenhöfe gruppieren. Die Anlage erstreckt sich über eine Länge von 110 Metern und eine Breite von bis zu 50 Metern, was sie zur größten mittelalterlichen Burg der Schweiz macht. Die Architektur spiegelt die verschiedenen Epochen wider, in denen an ihr gebaut wurde, von romanischen Elementen bis zu gotischen Ergänzungen.

Der Rundgang beginnt typischerweise im ersten Innenhof, der von mächtigen Wehrmauern umgeben ist. Von hier aus gelangt man in den zweiten Hof, das eigentliche Zentrum der Anlage, wo sich der imposante Bergfried erhebt. Im dritten Hof schließlich befinden sich die ehemaligen Wohngebäude der Grafen. Besonders beeindruckend sind die großen Säle mit ihren hölzernen Kassettendecken und den offenen Kaminen, die einen guten Eindruck vom höfischen Leben im Mittelalter vermitteln.

Zu den Höhepunkten zählt zweifelsohne die Große Halle, in der einst rauschende Feste gefeiert wurden. Die gotischen Fenster bieten einen spektakulären Blick auf den See und die Berge – eine Kulisse, die schon damals die adligen Gäste beeindruckt haben dürfte. Gleich daneben liegt die Schlosskapelle mit ihren teils noch erhaltenen mittelalterlichen Wandmalereien, stumme Zeugen einer längst vergangenen Frömmigkeit.

Treppen führen hinab in die düsteren Kellergewölbe, wo einst Wein und Vorräte lagerten. Hier befindet sich auch das berühmte Verlies, in dem Bonivard gefangen gehalten wurde. Man sieht noch die Rillen im Steinboden, die seine Ketten im Laufe der Jahre hinterlassen haben sollen. Die klamme Luft und das spärliche Licht, das durch schmale Fenster dringt, lassen ahnen, wie trostlos das Dasein der Gefangenen gewesen sein muss.

Die Waffenkammer zeugt vom militärischen Charakter der Anlage. Hier sind Schwerter, Hellebarden und Rüstungen ausgestellt – allerdings meist Repliken, da die Originale während der Revolution von den Bernern abtransportiert wurden. Sehenswert sind außerdem die rekonstruierten Küchen mit ihren mächtigen Feuerstellen und die privaten Gemächer der Herzöge, die ein Gefühl für den damaligen Luxus vermitteln.

Ein besonderes architektonisches Detail sind die hölzernen Wehrgänge, die an der Außenmauer entlanglaufen und einen hervorragenden Blick auf den See bieten. Von hier aus konnten die Wachen früher herannahende Schiffe beobachten. Heute stehen Besucher hier Schlange, um das perfekte Foto zu schießen. Überhaupt ist das Schloss ein wahres Paradies für Architekturliebhaber – kaum ein anderes Gebäude in der Schweiz vereint so viele verschiedene Baustile auf engstem Raum.

Kulturelles Erbe und moderne Nutzung

Das Château de Chillon ist weit mehr als ein verstaubtes Museum. Es pulsiert förmlich vor kulturellem Leben. Über die Jahrzehnte hat sich die Burg zu einem vielseitigen Veranstaltungsort entwickelt, in dem Geschichte lebendig wird. In den Sommermonaten finden regelmäßig Konzerte in der Großen Halle statt – von klassischer Kammermusik bis zu Jazz-Abenden. Die außergewöhnliche Akustik und das historische Ambiente sorgen für unvergessliche Klangerlebnisse.

Die Stiftung, die das Schloss verwaltet, bemüht sich um eine zeitgemäße Präsentation der Geschichte. Multimedia-Guides in mehreren Sprachen liefern interessante Hintergrundinformationen, ohne aufdringlich zu wirken. In regelmäßigen Abständen werden Sonderausstellungen organisiert, die verschiedene Aspekte des mittelalterlichen Lebens beleuchten oder zeitgenössische Kunst in Dialog mit dem historischen Raum bringen. Manchmal wirkt der Kontrast zwischen den jahrhundertealten Mauern und modernen Installationen zuerst befremdlich, doch genau diese Spannung macht den Reiz aus.

Für Familien mit Kindern gibt es spezielle Angebote: Kostümführungen, bei denen ein als Ritter oder Burgfräulein verkleideter Guide durch die Gemäuer führt, oder Schatzsuchen, die die jüngeren Besucher auf spielerische Weise mit der Geschichte vertraut machen. In den Schulferien werden zudem Workshops angeboten, in denen Kinder mittelalterliche Handwerkstechniken oder die Kunst der Kalligraphie erlernen können.

Besonders stimmungsvoll geht es im Dezember zu, wenn im Innenhof ein kleiner, aber feiner Weihnachtsmarkt stattfindet. Die beleuchteten Mauern, der Duft von Glühwein und Zimt und das Echo von Weihnachtsliedern schaffen eine geradezu zauberhafte Atmosphäre. Weniger romantisch, aber nicht minder interessant sind die regelmäßig stattfindenden historischen Fechtturniere und Mittelalterspektakel, bei denen Darsteller in originalgetreuen Kostümen das Leben vergangener Zeiten nachstellen.

Eine Kuriosität am Rande: Das Château diente über die Jahre auch immer wieder als Filmkulisse. Mehrere internationale Produktionen nutzten die fotogene Lage und die gut erhaltene mittelalterliche Architektur. Am bekanntesten ist wohl der Auftritt der Burg in "Rätsel der Sandbank", einer BBC-Verfilmung des gleichnamigen Spionageromans. Die Filmemacher schätzten besonders die Tatsache, dass kaum moderne Eingriffe in die Umgebung sichtbar sind – von bestimmten Blickwinkeln aus könnte man meinen, die Zeit sei stehengeblieben.

Praktische Informationen für Besucher

Das Château de Chillon ist ganzjährig geöffnet, mit Ausnahme des 25. Dezember und 1. Januar. Von April bis September empfiehlt sich ein früher Besuch am Morgen oder später am Nachmittag, um dem größten Besucherandrang zu entgehen. Die Hochsaison bringt regelmäßig Touristenbusse, die gegen 11 Uhr eintreffen und das Schloss für ein paar Stunden in eine ziemliche Trubelbude verwandeln. Im Winter dagegen kann man mitunter fast allein durch die Gänge streifen, was dem Erlebnis eine besondere Intimität verleiht.

Für einen umfassenden Besuch sollte man mindestens zwei Stunden einplanen, Fotografie-Enthusiasten brauchen eher drei. Das Schloss ist relativ gut für Menschen mit eingeschränkter Mobilität zugänglich, allerdings sind nicht alle Bereiche mit dem Rollstuhl erreichbar – die vielen Treppen und engen Wendelgänge stammen eben aus einer Zeit, in der Barrierefreiheit kein Thema war. Der Audioguide ist sein Geld wert, besonders für Geschichtsinteressierte, die tiefer in die Materie eintauchen möchten. Alternativ finden mehrmals täglich Führungen in verschiedenen Sprachen statt.

Die Umgebung – Mehr als nur das Schloss

So sehenswert das Château de Chillon auch ist – es wäre schade, nur für das Schloss in die Gegend zu kommen und die umgebenden Schönheiten zu verpassen. Die Region um den östlichen Genfersee, auch als Schweizer Riviera bekannt, gehört zu den landschaftlich reizvollsten der Schweiz. Das milde Klima, beeinflusst vom See und geschützt durch die Berge, lässt hier sogar Palmen und andere mediterrane Pflanzen gedeihen.

Montreux, etwa drei Kilometer westlich des Schlosses, ist ein mondäner Kurort mit Belle-Époque-Charme. Die Uferpromenade, gesäumt von blühenden Gärten und luxuriösen Hotels, lädt zum Flanieren ein. Die Stadt ist vor allem für ihr jährliches Jazz-Festival bekannt, das jeweils im Juli stattfindet und Musikgrößen aus aller Welt anzieht. Ein bronzenes Denkmal erinnert an Freddie Mercury, den verstorbenen Sänger der Rockband Queen, der hier zeitweise lebte und arbeitete. In den Weinbergen oberhalb von Montreux schlängelt sich der "Chemin des Vignes" (Weinweg) durch die Terrassenlandschaft des Lavaux, das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Die Aussicht von hier oben auf See und Berge ist schlichtweg atemberaubend.

In östlicher Richtung liegt Villeneuve, ein beschauliches Städtchen mit mittelalterlichem Kern und einem kleinen Hafen. Hier mündet die Rhone in den Genfersee, bevor sie ihren langen Weg zum Mittelmeer fortsetzt. Feinschmecker schätzen die lokalen Restaurants, die fangfrische Fischspezialitäten servieren – der Felchen aus dem See gilt als besondere Delikatesse. Am ersten Augustwochenende findet hier das traditionelle Seefest statt, bei dem kunstvolle Feuerwerke den nächtlichen Himmel erhellen.

Naturfreunde kommen in den Bergen oberhalb des Sees auf ihre Kosten. Mit der Zahnradbahn erreicht man von Montreux aus die Rochers de Naye, einen 2042 Meter hohen Gipfel mit spektakulärer Aussicht. Bei klarem Wetter reicht der Blick bis zum Mont Blanc und tief in die Walliser Alpen hinein. Im Winter verwandelt sich das Gebiet in ein kleines, familienfreundliches Skigebiet. Wer es weniger steil mag, erkundet das Hinterland auf einem der zahlreichen Wanderwege, die durch Wälder und über sanfte Hügel führen.

Ein besonderes Erlebnis ist eine Fahrt mit einem der historischen Raddampfer, die den See befahren. Diese schwimmenden Denkmäler aus der Belle Époque wurden liebevoll restauriert und bieten eine elegante Möglichkeit, die Landschaft vom Wasser aus zu betrachten. Die Route von Montreux nach Lausanne, vorbei am Château de Chillon, gehört zu den schönsten Schiffsstrecken Europas. Bei Sonnenuntergang, wenn sich das Licht golden auf dem Wasser bricht und die schneebedeckten Gipfel in der Ferne rosa leuchten, wird einem klar, warum Künstler und Schriftsteller seit Jahrhunderten von dieser Gegend schwärmen.

Die Magie des Ortes – Persönliche Eindrücke

Es gibt Orte, die ihre Wirkung auf den Besucher auch nach mehrmaligem Besuch nicht verfehlen. Das Château de Chillon gehört zweifellos dazu. Die Verschmelzung von Natur und Baukunst erzeugt eine Stimmung, die schwer in Worte zu fassen ist. Vielleicht ist es die Kombination aus der Beständigkeit des Steins und der ständigen Bewegung des Wassers, die eine so besondere Atmosphäre schafft.

Blecherne Töne vom Souvenirstand mischen sich mit dem leisen Plätschern der Wellen an den Mauern. Zwar pilgern jährlich Hunderttausende durch die alten Gemäuer, doch wer abseits der Hauptrouten wandelt oder in einer ruhigen Ecke verweilt, kann durchaus noch Momente der Stille und Kontemplation finden. Besonders eindrücklich ist der Anblick des Schlosses vom Wasser aus – sei es vom Uferweg oder von einem Boot. Die massiven Mauern, die direkt aus dem See aufzusteigen scheinen, wirken gleichzeitig abweisend und anziehend.

Merkwürdig auch, wie sich die Wahrnehmung des Ortes mit den Jahreszeiten wandelt. Im Hochsommer, wenn sich Sonnenhungrige am Ufer räkeln und die Segelboote kreuzen, strahlt das Château eine fast mediterrane Leichtigkeit aus. An nebligen Herbsttagen dagegen, wenn die Konturen verschwimmen und die Geräusche gedämpft werden, umgibt das Schloss eine melancholische, fast gespenstische Aura. Im Winter wiederum, wenn Schnee die Türmchen bedeckt und Eisschollen am Ufer treiben, wirkt es wie aus einem Märchenbuch entsprungen.

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