Die Ruinaulta – zu Deutsch "Schutthalde" – streckt sich wie eine tiefe Narbe durch die Landschaft Graubündens. Entstanden vor rund 10.000 Jahren durch den gigantischen Flimser Bergsturz, hat der Vorderrhein seither unermüdlich an seinem Bett gearbeitet. Bis zu 400 Meter tief hat er sich in die Landschaft gegraben und dabei eine der spektakulärsten Schluchten Europas geschaffen. Nicht umsonst trägt sie den Beinamen "Swiss Grand Canyon".
Zwischen Ilanz und Reichenau schlängelt sich der Fluss auf einer Länge von etwa 13 Kilometern durch die enge Schlucht. Flankiert wird er von imposanten Felswänden aus hellem Kalkstein, die sich schroff in den Himmel recken. Die Landschaft ist geprägt von bizarren Felsformationen, die wie versteinerte Riesen aus dem Wasser ragen. Der Anblick allein lohnt die Reise – doch das wahre Abenteuer erwartet dich auf dem Wasser selbst.
Die charakteristische grauweiße Farbe des Gesteins kontrastiert auf atemberaubende Weise mit dem türkisblauen Wasser des Rheins. Je nach Tageszeit und Wasserstand changiert das Farbenspiel zwischen sanftem Türkis und kräftigem Blaugrün. Wenn die Sonne in die Schlucht fällt, entsteht ein fast unwirkliches Lichtspiel an den Felswänden, das Fotografen in Verzückung versetzt und Rafting-Enthusiasten einen zusätzlichen visuellen Kick beschert.
Mit dem Schlauchboot durch die Wildnis
Das Rafting-Revier am Vorderrhein genießt unter Wassersportlern einen legendären Ruf. Die Strecke bietet Wildwasser der Schwierigkeitsgrade II bis III (bei Hochwasser auch IV), was sie sowohl für Einsteiger als auch für fortgeschrittene Paddler interessant macht. Der Fluss ist kein gnadenloses Monster, das nur auf Fehler wartet, sondern eher ein temperamentvoller Spielpartner, der dich herausfordert, ohne dich zu überfordern.
Die klassische Rafting-Route startet meist in Ilanz und führt bis nach Reichenau. Je nach Wasserstand und Können der Gruppe dauert die Tour zwischen zwei und vier Stunden. Unterwegs wechseln sich ruhigere Passagen mit packenden Stromschnellen ab, deren klangvolle Namen wie "Schwarzer Tod" oder "Versunkener Tisch" schon einen Vorgeschmack auf das Erlebnis geben. Wasser spritzt, das Boot tanzt über die Wellen, und die Gischt peitscht dir ins Gesicht – herrlicher kann ein Sommertag kaum sein.
Am Ufer flitzen derweil Eidechsen über die sonnengewärmten Steine, während Fischreiher majestätisch auf Felsbrocken im Fluss thronen und gleichmütig auf das nasse Treiben herabblicken. Wenn du Glück hast, erhaschst du zwischen zwei Stromschnellen einen Blick auf einen der scheuen Gämsen, die in den steilen Felshängen ihr Zuhause haben. Der Kontrast zwischen dem pulsierenden Adrenalinrausch auf dem Wasser und der stillen Wildnis ringsum schafft ein Erlebnis, das unter die Haut geht.
Für jeden was dabei: Die verschiedenen Touren-Optionen
Je nach Erfahrungslevel, Nervenkitzel-Bedürfnis und zur Verfügung stehender Zeit bieten die lokalen Anbieter verschiedene Touren an. Für blutjunge Rafting-Novizen empfiehlt sich die kürzere Strecke von Versam nach Reichenau. Diese dauert etwa zwei Stunden und enthält weniger anspruchsvolle Passagen. Wer's krachen lassen will und schon etwas Erfahrung mitbringt, sollte die komplette Tour ab Ilanz in Angriff nehmen.
Während der Sommermonate – von Mai bis September – herrschen optimale Bedingungen für das Wildwasserabenteuer. Der Wasserstand ist dann durch die Schneeschmelze und regelmäßige Regenfälle ausreichend hoch, ohne gleich bedrohlich zu werden. Im Frühjahr schwillt der Vorderrhein dank der Schneeschmelze besonders stark an. Das Wasser ist dann deutlich kälter, die Strömung heftiger und die Herausforderung größer – nichts für schwache Nerven oder beginnende Paddler!
Kaum ein anderes Rafting-Revier in Europa bietet eine derart gelungene Kombination aus Nervenkitzel und Naturgenuss. Während andernorts oft entweder die landschaftliche Kulisse oder die sportliche Herausforderung zu kurz kommt, harmonieren in der Ruinaulta beide Aspekte perfekt. An manchen Stellen verengt sich die Schlucht so stark, dass das Sonnenlicht kaum bis aufs Wasser dringt – ein mystischer Moment, der dich fast vergessen lässt, dass du gerade mit aller Kraft gegen die nächste Stromschnelle ankämpfst.
Gut zu wissen: Praktische Infos für dein Rafting-Abenteuer
Eine Rafting-Tour in der Rheinschlucht ist kein spontanes Unterfangen. Da die Touren geführt sind und in der Hochsaison rasch ausgebucht, solltest du mindestens einige Tage, besser noch Wochen im Voraus reservieren. Die Teilnahme kostet je nach Anbieter und Tourenlänge zwischen 100 und 150 Schweizer Franken pro Person – ein stolzer Preis, der sich angesichts des Erlebnisses aber mehr als rechtfertigt.
Fast alle Anbieter stellen die komplette Ausrüstung: Neoprenanzug, Helm, Schwimmweste und natürlich das Boot samt Paddel. Mitbringen musst du lediglich Badesachen für darunter, ein Handtuch für nachher und Schuhe, die nass werden dürfen. Brillenträger tun gut daran, ihre Sehhilfe mit einem Band zu sichern – ansonsten gilt: Was nicht nass werden darf, hat auf dem Boot nichts verloren!
Die örtlichen Veranstalter legen großen Wert auf Sicherheit. Vor jeder Tour gibt's eine ausführliche Einweisung, bei der die wichtigsten Kommandos und Verhaltensweisen erklärt werden. Jedes Boot wird von einem erfahrenen Guide gesteuert, der den Fluss wie seine Westentasche kennt. Trotzdem ist Rafting natürlich kein Spaziergang – eine gewisse körperliche Fitness und absolute Schwimmfähigkeit sind Grundvoraussetzungen für die Teilnahme. Kinder dürfen meist ab 12 Jahren (und mit Einverständniserklärung der Eltern) mitpaddeln.
Ein gern übersehener Aspekt ist die Temperatur des Wassers. Selbst im Hochsommer bleibt der Rhein erfrischend kühl – Wassertemperaturen über 15 Grad sind selten. Der Neoprenanzug hilft, doch bei einem unfreiwilligen Bad kann der erste Moment trotzdem atemraubend sein. Wer leicht friert, sollte an besonders warmen Tagen oder mittags starten, wenn die Sonne am höchsten steht und das Wasser seine Höchsttemperatur erreicht hat.
Die besten Anbieter für dein Wildwasser-Abenteuer
In der Region haben sich mehrere professionelle Anbieter etabliert, die Rafting- und Canyoning-Touren anbieten. Die bekanntesten unter ihnen sind Swissraft, Kanuschule Versam und Adventure Grischun. Alle arbeiten mit hochqualifizierten Guides, die nicht nur in Sachen Sicherheit top geschult sind, sondern auch allerhand Wissenswertes über die Schlucht, ihre Entstehung und die lokale Flora und Fauna zu erzählen wissen.
Besonders hervorzuheben ist die Kanuschule Versam, die schon seit den 1980er Jahren Touren in der Ruinaulta anbietet und damit zu den Pionieren des organisierten Raftings in der Schweiz zählt. Hier spürt man die jahrzehntelange Erfahrung in jedem Detail der Organisation. Auch Adventure Grischun hat sich einen Namen gemacht – nicht zuletzt durch seine Kombipakete, bei denen du Rafting mit anderen Aktivitäten wie Canyoning oder Klettern verbinden kannst.
Für alle Anbieter gilt: Frühzeitige Reservierung ist Trumpf, besonders an Wochenenden und in den Schulferien. Die meisten bieten ihre Touren in mehreren Sprachen an, wobei Deutsch, Englisch und Französisch Standard sind. Gelegentlich werden auch italienisch- oder holländischsprachige Touren angeboten – die Niederlande stellen nämlich ein überraschend großes Kontingent der Rafting-Touristen in der Region.
Planungstipps: Anreise und Übernachtung
Die Rheinschlucht liegt verkehrstechnisch durchaus günstig: Mit dem Auto erreichst du Ilanz von Zürich aus in etwa 1,5 Stunden, von Chur sind es nur 30 Minuten. Der öffentliche Verkehr ist ebenso leistungsfähig – die Rhätische Bahn verbindet Chur mit Ilanz im Stundentakt, die Fahrt dauert etwa 40 Minuten und führt teilweise direkt entlang der Schlucht.
Übernachtungsmöglichkeiten gibt's in allen Preisklassen. In Ilanz, dem "ersten Städtchen am Rhein", wie es sich selbst nennt, finden sich mehrere solide Hotels der Mittelklasse. Günstiger und charmanter geht's in den umliegenden Dörfern zu, wo zahlreiche Pensionen und Ferienwohnungen zur Verfügung stehen. Besonders empfehlenswert: das kleine Hotel Bellevue in Versam, das mit sensationellem Blick auf die Schlucht punktet.
Wer's rustikal mag, kampiert auf dem Campingplatz in Carrera oder dem etwas luxuriöseren Platz in Flims. Letzterer liegt direkt am kristallblauen Caumasee – perfekt für ein entspannendes Bad nach dem Rafting-Abenteuer. Apropos Flims: Der bekannte Ferienort ist nur wenige Kilometer von der Schlucht entfernt und bietet sich als Basislager an, wenn du neben dem Wildwasserabenteuer noch weitere Aktivitäten planst.
Die ideale Aufenthaltsdauer für ein Rafting-Abenteuer in der Ruinaulta beträgt zwei bis drei Tage. So hast du genügend Zeit für die eigentliche Tour, kannst einen Tag Pause einlegen, um die schmerzenden Muskeln zu erholen, und dann vielleicht noch eine Wanderung oder eine Canyoning-Tour dranhängen. Eilige können das Abenteuer allerdings auch als Tagestrip absolvieren – die frühen Morgentouren sind fertig, bevor sich die Hitze des Tages in der Schlucht staut.
Wann ist die beste Zeit für dein Wildwasserabenteuer?
Die klassische Rafting-Saison erstreckt sich von Mai bis September. Im Frühsommer, wenn die Schneeschmelze in den Alpen den Vorderrhein anschwellen lässt, herrschen die aufregendsten Bedingungen. Das Wasser fließt dann schneller, die Stromschnellen sind kraftvoller, und das Adrenalin schießt höher. Allerdings ist dann auch die Wassertemperatur am niedrigsten – ein unfreiwilliges Bad kann selbst mit Neoprenanzug zum Zähneklappern führen.
Der Hochsommer bringt wärmeres Wasser, aber oft auch niedrigere Pegelstände. Das macht die Tour etwas weniger wild, dafür aber technikorientierter, da mehr Steine und Felsen umschifft werden müssen. Ein guter Kompromiss sind die Monate Juni und September, wenn das Wasser noch bzw. schon hoch genug steht, die Temperaturen angenehm sind und die Touristenmassen überschaubarer.
Ein besonderes Schmankerl sind Rafting-Touren nach Gewitterregen. Der Wasserstand steigt dann rasch an, ohne dass die Temperatur gleich in den Keller geht. Das Ergebnis ist ein kraftvoller Fluss, der besonders für erfahrene Paddler ein Fest ist. Natürlich hängt die Durchführbarkeit vom Urteil der Guides ab – bei zu viel Wasser wird's auch für die Profis zu gefährlich, und die Touren werden abgesagt.
Wer einmal durch die Rheinschlucht gepaddelt ist, wird die Bilder so schnell nicht vergessen: Das kristallklare Wasser, das über die Felsen schäumt, die majestätischen Felswände, die links und rechts aufragen, das rhythmische Eintauchen der Paddel und der gemeinsame Kampf gegen die Strömung. Es sind diese Momente, in denen der Alltag völlig verschwimmt und nur noch das Hier und Jetzt zählt. Und genau dafür lohnt es sich, nasse Hosen zu riskieren.