Im Muotatal, zwischen schroffen Kalksteinfelsen und saftigen Alpwiesen, verläuft eines der beeindruckendsten Naturdokumente der Schweiz – und zwar unter der Erde. Das Hölloch, mit über 200 Kilometern vermessenen Gängen und Hallen, zählt zu den längsten Höhlensystemen Europas und belegt weltweit einen respektablen Platz unter den Top 10. Nur die Mammuthöhle in Kentucky übertrifft sie in Europa deutlich an Ausdehnung. Als eines der komplexesten Karstsysteme des Kontinents schlängelt sich dieses unterirdische Labyrinth durch den Kleinen Schijen im Kanton Schwyz.
Entstanden ist das Hölloch über Jahrmillionen. Regenwasser sickerte durch den porösen Kalkstein und löste dabei langsam das Gestein auf – ein Prozess, der bis heute andauert. Grund dafür ist die natürliche Kohlensäure im Regenwasser, die den Kalk angreift und nach und nach wegspült. Diese Auslaugung schuf ein verschachteltes System aus Gängen, Hallen und Schluchten, das in mehreren Etagen angelegt ist und Höhenunterschiede von mehr als 900 Metern überwindet.
Der Name "Hölloch" hat übrigens nichts mit der Hölle zu tun. Er leitet sich vom althochdeutschen "hol" (Loch) und "hell" (glänzend, tönend) ab – also ein tönendes, hallendes Loch. Und tatsächlich: Wer sich in die tieferen Bereiche der Höhle vorwagt, erlebt eine akustische Besonderheit. Das ständige Tropfen des Wassers, das Echo der Stimmen und das gelegentliche Rauschen unterirdischer Bäche erschaffen eine ganz eigene Klangwelt, die im Zusammenspiel mit der absoluten Dunkelheit ein einzigartiges Sinneserlebnis bietet.
Geschichte der Erforschung
Die Geschichte der Hölloch-Erkundung liest sich wie ein Abenteuerroman. Als Alois Ulrich, ein Bauer aus dem nahe gelegenen Höll-Hof, im Jahr 1875 erstmals in die Höhle eindrang, ahnte noch niemand, welche Dimensionen sich hier verbergen würden. Er suchte eigentlich nur nach einer neuen Wasserquelle für seinen Hof. Was folgte, waren Jahrzehnte zunehmend professioneller Expeditionen, die das gigantische Ausmaß des Höhlensystems stückweise enthüllten.
Ein dramatisches Kapitel schrieb die Höhle im August 1952, als acht Forscher durch plötzliches Hochwasser eingeschlossen wurden. Tagelang harrten sie in der sogenannten Bösen Wand aus, bevor sie gerettet werden konnten. Das Drama machte weltweit Schlagzeilen und lenkte die Aufmerksamkeit auf das Hölloch. Noch heute erinnern Markierungen in der Höhle an die Wasserstandshöhen – ein stummer Zeuge der gewaltigen Kräfte, die hier wirken können.
Seit den 1960er Jahren betreibt die Höllochforschungsgruppe AGH (Arbeitsgemeinschaft Höllochforschung) systematische Erkundungen des Systems. Fast jedes Wochenende sind Höhlenforscher unterwegs, um neue Gänge zu entdecken und zu vermessen. Das Ende ist noch lange nicht in Sicht – Experten schätzen die tatsächliche Gesamtlänge auf weit über 300 Kilometer. Jährlich kommen mehrere Kilometer neu entdeckte Passagen hinzu. Ein wahres Lebenswerk für die beteiligten Forscher, von denen manche seit über 40 Jahren im Hölloch unterwegs sind.
Tourenangebote – Vom Schnupperkurs bis zur Extremtour
Wer das Hölloch erkunden möchte, hat verschiedene Möglichkeiten – je nach persönlicher Fitness, Abenteuerlust und zeitlichem Budget. Die Tullinger-Schachthöhle Betriebsgesellschaft bietet als offizieller Anbieter unterschiedliche Touren an. Für Einsteiger und Familien mit Kindern ab sechs Jahren eignet sich die zweistündige Kurztour besonders gut. Hier geht's über befestigte Wege durch beleuchtete Bereiche der Höhle, wobei du die wichtigsten Formationen und die Entstehungsgeschichte des Karstsystems kennenlernst.
Wesentlich anspruchsvoller präsentieren sich die Abenteuertouren. Bei der vierstündigen Variante kriechen, klettern und steigen die Teilnehmer bereits durch unausgebaute Höhlenabschnitte. Hier kommt auch die Stirnlampe zum Einsatz – ohne künstliche Beleuchtung herrscht absolute Finsternis. Die Tagestouren (7-8 Stunden) führen dann noch tiefer ins System hinein. Schmale Schlufstellen, an denen du dich seitlich durchzwängen musst, wechseln sich ab mit imposanten Hallen, in denen problemlos ein mehrstöckiges Haus Platz fände.
"Da musst durchpassen, sonst bleibst stecken" – diesen Satz hört man von den erfahrenen Höhlenführern öfter. Und ja, manchmal wird's eng. An einigen Stellen müssen Teilnehmer den Helm abnehmen, um durch die schmalen Felsspalten zu kommen. Doch genau diese Herausforderungen machen den besonderen Reiz aus. Das Gefühl, wenn sich nach einer Engstelle plötzlich ein riesiger Dom öffnet, in dem die Stirnlampen kaum bis zur Decke leuchten, bleibt unvergesslich.
Für echte Extremsportler bietet sich die zweitägige Bivaktour an. Hier übernachten die Teilnehmer tief in der Höhle, in speziell dafür eingerichteten Biwakplätzen. Die absolute Stille und Dunkelheit während der Nacht ist eine Erfahrung, die unter die Haut geht. Wer auf einer solchen Tour dabei war, versteht, warum Höhlenforscher süchtig werden nach dieser unterirdischen Welt.
Ausrüstung und praktische Hinweise
In der Höhle herrschen ganzjährig Temperaturen um die 6 Grad Celsius – unabhängig von der Jahreszeit. Die Luftfeuchtigkeit nähert sich konstant den 100 Prozent, was bedeutet: Es ist kalt und nass. Entsprechende Kleidung ist daher Pflicht. Für die Einsteigertour reichen feste Wanderschuhe und warme Kleidung. Bei längeren Touren stellt der Veranstalter spezielle Höhlenoveralls, Helme mit Stirnlampen und bei Bedarf auch Kletterausrüstung zur Verfügung.
Unterschätze die körperlichen Anforderungen nicht. Schon die vierstündige Abenteuertour verlangt eine grundlegende Fitness und Beweglichkeit. Knieprobleme oder Platzangst sind ein No-Go für die anspruchsvolleren Routen. Ein ehrliches Selbsteinschätzungsvermögen hilft, die passende Tour auszuwählen. Die erfahrenen Guides achten jedoch penibel darauf, dass sich niemand übernimmt.
Fotografieren in der Höhle? Knifflige Angelegenheit. Die hohe Luftfeuchtigkeit und die extremen Lichtverhältnisse stellen besondere Anforderungen an die Fototechnik. Für die Kurztour reicht eine wasserfeste Kompaktkamera. Bei längeren Touren solltest du dir vorher gut überlegen, ob du wertvolle Ausrüstung mitnehmen willst – der Transport durch enge Stellen kann heikel werden. In jedem Fall gehört die Kamera in eine wasserdichte Hülle.
Die Höhlentouren finden fast das ganze Jahr über statt. Einzig bei extremen Witterungsbedingungen oder Hochwassergefahr werden Führungen abgesagt. Insbesondere nach längeren Regenperioden oder während der Schneeschmelze kann es zu Einschränkungen kommen. Ein Blick auf die Website des Betreibers lohnt sich vor der Anreise immer.
Die faszinierende Höhlenwelt
Das Hölloch ist nicht nur ein sportliches Abenteuer, sondern auch ein einzigartiges Naturwunder. Die Vielfalt der Formationen beeindruckt selbst geologisch unbedarfte Besucher. Besonders markant sind die sogenannten Sinterformationen – Ablagerungen von Kalk, die über Jahrtausende durch tropfendes Wasser entstanden sind. Sie bilden teils bizarre Gestalten, von denen viele Namen tragen: Der "Elefant", die "Orgel" oder die "Kristallkammer" gehören zu den bekanntesten.
Tropfsteine wachsen übrigens extrem langsam – etwa einen Millimeter in zehn Jahren. Die imposanten Säulen und Stalaktiten, die du in der Höhle bestaunen kannst, sind also Zeugen einer unvorstellbar langen Entwicklung. Manche der Formationen haben ein Alter von mehreren hunderttausend Jahren. Dieses Wissen verleiht dem Höhlenbesuch eine zusätzliche zeitliche Dimension.
Nicht weniger faszinierend ist die Tierwelt im Hölloch. Auf den ersten Blick erscheint die Höhle leblos, doch bei genauerem Hinsehen entdeckst du spezialisierte Organismen, die sich perfekt an die lichtlosen Bedingungen angepasst haben. Höhlenkrebse, blinde Käfer und verschiedene Mikroorganismen haben hier ihre ökologische Nische gefunden. Die Guides weisen während der Tour auf diese oft übersehenen Bewohner hin.
Ein besonderes Phänomen sind die unterirdischen Flüsse, die das Höhlensystem durchziehen. Bei starkem Regen können sie innerhalb weniger Stunden zu reißenden Strömen anschwellen und ganze Höhlenabschnitte fluten. Diese dynamische Wasserwelt formt die Höhle bis heute weiter und erinnert daran, dass das Hölloch kein statisches Gebilde ist, sondern ein lebendiges, sich ständig veränderndes System.
Anreise und Umgebung
Das Hölloch liegt im Muotatal im Kanton Schwyz, etwa eine Stunde Autofahrt von Zürich entfernt. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichst du das Tal per Bahn bis Schwyz und anschließend mit dem Postauto bis zur Haltestelle "Stalden, Hölloch". Von dort sind es nur wenige Gehminuten bis zum Höhleneingang und zum Besucherzentrum.
Die Anreise mit dem eigenen PKW gestaltet sich ebenfalls unkompliziert. Von Zürich oder Luzern fährst du über die A4 Richtung Schwyz und folgst ab dort der Beschilderung ins Muotatal. Direkt am Höhleneingang stehen ausreichend Parkplätze zur Verfügung. Da es sich bei längeren Touren empfiehlt, frische Kleidung zum Wechseln dabeizuhaben, bietet sich die Anreise mit dem Auto an.
Mach doch gleich einen mehrtägigen Ausflug draus! Das Muotatal und die umliegende Region bieten nämlich weitaus mehr als nur die Höhle. Das idyllische Bergtal mit seinen traditionellen Bauernhöfen, ursprünglichen Dörfern und der unberührten Natur lädt zu ausgedehnten Wanderungen ein. Besonders die Höhenwege entlang der Bergflanken eröffnen atemberaubende Panoramen. Nach einem Tag unter der Erde tut die frische Bergluft doppelt gut.
Kulinarisch hat die Region ebenfalls einiges zu bieten. Urige Gasthäuser servieren deftige Schweizer Spezialitäten wie Älplermagronen (eine Art Makkaroniauflauf), Käsefondue oder Raclette. Besonders bekannt ist das Muotatal für seinen würzigen Bergkäse, der in kleinen Sennereien nach traditionellen Rezepten hergestellt wird. Für einen Einkehrschwung nach der Höhlentour empfiehlt sich das Restaurant "Höllgrotten" direkt am Höhleneingang oder der "Hirschen" im nahen Muotathal.
Wann ist die beste Besuchszeit?
Da im Hölloch ganzjährig konstante Temperaturen herrschen, kannst du die Höhle theoretisch zu jeder Jahreszeit besuchen. Der Winter bietet sogar einen besonderen Reiz: Während draußen Schnee und Eis die Landschaft prägen, tauchst du ein in die ewig gleichbleibende Welt der Höhle. Der Temperaturunterschied ist dann besonders ausgeprägt – von vielleicht minus 10 Grad an der Oberfläche zu plus 6 Grad unter der Erde.
Dennoch gibt es jahreszeitliche Einschränkungen. Im Frühjahr, während der Schneeschmelze, steigt die Hochwassergefahr in der Höhle deutlich an. In dieser Zeit werden manche Touren eingeschränkt oder fallen ganz aus. Ähnliches gilt für Perioden mit starkem Regen. Die stabilsten Bedingungen herrschen in der Regel von Juni bis Oktober sowie in kalten, trockenen Winterwochen.
Die Hauptsaison liegt in den Sommermonaten und in den Schweizer Schulferien. Wer es ruhiger mag und mehr Aufmerksamkeit der Guides genießen möchte, bucht besser außerhalb dieser Zeiten. Insbesondere an Wochenenden im Sommer kann es bei den kürzeren Touren recht voll werden. Für die längeren Abenteuertouren ist eine Reservierung ohnehin weit im Voraus empfehlenswert – sie sind oft über Wochen ausgebucht.