Schweiz

Auf zwei Rädern durch die Alpen: Mountainbiken in Graubünden

Knirschender Schotter unter den Reifen, der Puls auf Betriebstemperatur, ringsum majestätische Alpengipfel. In Graubünden verwandelt sich jede Pedalumdrehung in ein Outdoor-Abenteuer der Extraklasse.

Schweiz  |  Natur & Aktivitäten
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Zwischenablage

Wenn es um alpines Mountainbiken geht, führt kein Weg an Graubünden vorbei. Der größte Kanton der Schweiz hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zur ersten Adresse für Geländeradler entwickelt. Nicht umsonst nennen Insider die Region "das Moab Europas" – ein Vergleich, der durchaus seine Berechtigung hat. Auf über 17.000 Quadratkilometern tummeln sich mehr als 4.000 Kilometer offizielle Mountainbike-Routen durch schroffe Berglandschaften, entlang kristallklarer Bergseen und durch urwüchsige Wälder. Der Kontrast könnte kaum größer sein: Moderne Liftanlagen befördern Bikes und Biker in schwindelerregende Höhen, während unten in den Tälern mittelalterliche Dörfer wie aus der Zeit gefallen wirken.

Besonders bemerkenswert: Graubünden hat früh verstanden, dass Mountainbiker andere Bedürfnisse haben als Wanderer. Das Resultat sind speziell angelegte Trails, die sich harmonisch in die Landschaft einfügen und das Naturerlebnis in den Vordergrund stellen. Hier radelt man nicht einfach nur – man taucht ein in eine Landschaft, die gleichzeitig herausfordernd und belohnend ist. Die Saison erstreckt sich typischerweise von Mai bis Oktober, wobei die Höhenlagen oft erst ab Juni schneefrei sind. Der Juli und August bieten optimale Bedingungen, während der September mit seinen klaren Tagen und der beginnenden Herbstfärbung für viele Locals die schönste Zeit darstellt.

Die Bike-Hotspots im Überblick

Davos-Klosters hat sich als wahre Bike-Metropole etabliert. Das Netzwerk an Trails sucht seinesgleichen: Vom familientauglichen Flowtrail bis hin zu technisch anspruchsvollen Naturtrails ist alles vertreten. Der Gotschna Freeride gilt als Klassiker – eine über 3 Kilometer lange Abfahrt mit Anliegern, Tabletops und Drops. Weniger bekannt, aber nicht minder spektakulär ist der Durannatrail, der sich durch lichte Lärchenwälder schlängelt und immer wieder atemberaubende Ausblicke auf die Bergkulisse freigibt.

Flims-Laax hat sich längst vom reinen Wintersportort zum ganzjährigen Action-Paradies gemausert. Herzstück ist der Runca Trail – mit über 7 Kilometern einer der längsten Flowtrails Europas. Die Route führt von der Bergstation Naraus durch Wälder und über offene Almwiesen und überwindet dabei rund 800 Höhenmeter. Hier hat man's kapiert: Die Anliegerkurven sind so gebaut, dass man mit minimaler Bremsaktion durch die Passagen rauschen kann. Ein Fest für Anfänger wie für Profis.

Das Engadin bietet mit St. Moritz als Zentrum eine Kulisse, die einem schier den Atem raubt. Die Corviglia-Flowtrails gehören zu den Vorzeigebeispielen moderner Trailplanung. Sau gut gelungen ist die WM-Strecke, die 2018 Teil der Mountainbike-Weltmeisterschaften war – ein abwechslungsreicher Mix aus natürlichem Terrain und künstlich angelegten Elementen. Einen Kontrapunkt setzt die Val Minor Route, die tief in den Schweizerischen Nationalpark hineinführt und Begegnungen mit Steinböcken, Gämsen und Murmeltieren verspricht. Hier wird der Begriff "Naturerlebnis" tatsächlich mit Leben gefüllt.

Lenzerheide hat in den letzten Jahren kräftig aufgeholt. Der Bikepark umfasst mittlerweile sechs verschiedene Strecken, die für jedes Können etwas bieten. Die schwarze Downhill-Strecke ist nichts für schwache Nerven – steil, verblockt und mit fiesen Wurzelpassagen gespickt. Zum Einstieg empfiehlt sich der blaue Flowtrail, der trotz seiner Einstufung als "leicht" genug Nervenkitzel bietet. Ein besonderes Highlight ist die Alpenbiketour, eine Tagestour, die über den Panoramaweg führt und die imposante Bergkulisse der Lenzerheide in ihrer ganzen Pracht zeigt.

Pässe und alpines Gelände – die großen Touren

Wer das echte Alpine-Feeling sucht, kommt an den Pässen nicht vorbei. Der Albula-Pass (2.315 m) verbindet das Albulatal mit dem Engadin und bietet eine anspruchsvolle, aber lohnenswerte Tour. Die Auffahrt von Bergün ist zwar schweißtreibend, doch oben angekommen, belohnt der Blick auf die Albula-Alpen für alle Mühen. Die Abfahrt nach La Punt verlangt solide Fahrtechnik – immer wieder durchsetzen verblockte Passagen die Strecke.

Der Scaletta-Pass (2.606 m) zwischen Davos und dem Engadin ist definitiv kein Zuckerschlecken. Hier steht man vor einer echten Herausforderung: steile Rampen, lose Steine und schwindelerregende Abgründe. Über weite Strecken musst du dein Bike tragen oder schieben – eine klassische "Bike & Hike"-Tour also. Die Belohnung folgt aber auf dem Fuß: Die Abfahrt nach S-chanf gehört zu den epischsten Trails der Alpen überhaupt. Hier fließt der Trail wie ein natürlicher Bachlauf durch die Landschaft – ein Traum für alle Technik-Enthusiasten.

Weniger bekannt, aber ebenso beeindruckend ist der Durannapass (2.116 m), der Davos mit Arosa verbindet. Die Tour bietet eine gelungene Mischung aus anspruchsvollen Anstiegen und flowigen Abfahrten. Besonders die spektakulären Ausblicke auf die Davoser Seenplatte bleiben lange in Erinnerung. Die Strecke lässt sich gut an einem Tag bewältigen und eignet sich perfekt als Einsteigertour ins alpine Bikerevier.

Für Ausdauerspezialisten bietet sich die mehrtägige Graubünden-Route an – eine 600 Kilometer lange Odyssee durch den gesamten Kanton. Von Chur aus geht's über den Oberalppass ins Surselva-Tal, weiter ins Engadin und schließlich zurück nach Chur. Die Tour lässt sich in acht bis zehn Etappen aufteilen, wobei jede für sich ein eigenes Abenteuer darstellt. Dabei werden insgesamt über 15.000 Höhenmeter überwunden – nix für Warmduscher also. Die Etappen sind so konzipiert, dass man abends in einem Ort mit Übernachtungsmöglichkeiten ankommt – von der einfachen Berghütte bis zum Vier-Sterne-Hotel ist alles dabei.

Die besten Bikeparks – Adrenalin auf Knopfdruck

Der Bikepark Lenzerheide hat sich in Windeseile zu einem der besten Parks der Alpen entwickelt. Mit vier Bergbahnen, die speziell für Biker ausgelegt sind, und über 900 Höhenmetern an Abfahrten bietet der Park eine enorme Vielfalt. Die Strecken sind farblich markiert: Blau für Einsteiger, rot für Fortgeschrittene und schwarz für Experten. Die "Motta Trail" eignet sich hervorragend zum Einrollen – moderate Sprünge und gutmütige Anliegerkurven sorgen für ein sicheres Erfolgserlebnis. Ganz anders die "Evil Eye Pro Line" – hier werden selbst Profis ins Schwitzen kommen. Gigantische Gaps und technisch anspruchsvolle Northshore-Elemente erfordern absolute Präzision und mentale Stärke.

Der Bikepark Davos Klosters spielt in einer ähnlichen Liga. Das Besondere hier: Die Strecken sind weitläufiger und verteilen sich über mehrere Berge. Das sorgt für kürzere Wartezeiten an den Liften und ein insgesamt entspannteres Fahrerlebnis. Ein absolutes Highlight ist der "Bahnentour Davos Klosters" – ein 75 Kilometer langer Rundkurs, der fünf Bergbahnen und neun verschiedene Singletrails miteinander verbindet. Dabei überwindet man spielerisch über 10.000 Höhenmeter – bergab, versteht sich. Das Ganze nennt sich "halbautomatisches Biken" und ist der heilige Gral für alle, die maximalen Abfahrtsspaß bei minimalem Aufstiegsaufwand suchen.

Der Bikepark Flims-Laax mag zwar der kleinste im Bunde sein, hat aber dennoch einiges zu bieten. Die Strecken sind weniger auf Hardcore-Action ausgelegt, sondern setzen mehr auf Flow und Naturerleben. Der bereits erwähnte Runca Trail ist das Aushängeschild des Parks – ein perfektes Beispiel dafür, wie gut durchdachtes Streckendesign aussehen kann. Die Anliegerkurven sind so konzipiert, dass sie fast ohne Bremsen durchfahren werden können – das pure Flowgefühl eben.

Unterkünfte und Infrastruktur – Ankommen und Wohlfühlen

Graubünden hat früh erkannt, dass Mountainbiker eine lukrative Zielgruppe sind, und entsprechend reagiert. Viele Hotels und Pensionen haben sich auf die Bedürfnisse von Bikern eingestellt. Das "Riders Hotel" in Laax beispielsweise ist komplett auf die Bedürfnisse von Mountainbikern zugeschnitten: Waschplätze für die Bikes, eine Werkstatt für kleinere Reparaturen und sogar ein eigener Trail, der direkt am Hotel endet. Ähnliches bietet das "Bike Hotel Mottahaus" in Lenzerheide – hier wohnt man praktisch direkt neben dem Lift.

Für den kleineren Geldbeutel gibt es zahlreiche Bike-freundliche Hostels und Pensionen. Das "Downtown Lodge" in Davos bietet günstige Übernachtungsmöglichkeiten und eine entspannte Atmosphäre – ideal, um nach einem harten Tag auf dem Trail mit Gleichgesinnten Erfahrungen auszutauschen. In Flims hat sich das "Bike Hostel" als Treffpunkt für die internationale Bike-Community etabliert.

Besonders praktisch: Viele Unterkünfte bieten inzwischen Shuttle-Services an, die dich und dein Bike zu den Startpunkten der beliebtesten Touren bringen. So kannst du auch abgelegenere Trails erkunden, ohne auf ein eigenes Auto angewiesen zu sein. Zudem gibt's in allen größeren Orten Bikeshops, die nicht nur Ersatzteile und Zubehör verkaufen, sondern auch Leihbikes und geführte Touren anbieten.

Trailkultur und Etikette – Respekt ist Pflicht

Graubünden hat zwar viel in die Bike-Infrastruktur investiert, aber die Berge gehören nicht den Bikern allein. Wanderer haben grundsätzlich Vorrang – das ist nicht nur eine Frage der Höflichkeit, sondern auch gesetzlich so geregelt. Ein freundlicher Gruß und gegebenenfalls das Anhalten, um Wanderer passieren zu lassen, gehören zum guten Ton. Die meisten Konflikte entstehen durch überhöhte Geschwindigkeit in unübersichtlichen Passagen – also: Runter vom Gas, wo's eng wird.

Was die Routenwahl betrifft: Nicht jeder Wanderweg ist automatisch auch eine Bikeroute. Es gibt klar ausgewiesene Bike-Routen, die mit dem entsprechenden Symbol gekennzeichnet sind. In Naturschutzgebieten, insbesondere im Schweizerischen Nationalpark, ist Biken nur auf speziell dafür freigegebenen Wegen erlaubt. Die Strafen für Verstöße können empfindlich sein – im Extremfall drohen Bußgelder von mehreren hundert Franken.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Der alpine Raum ist sensibel. Bleib auf den Wegen, hinterlasse keinen Müll und respektiere die Tierwelt. Besonders in den frühen Morgen- und Abendstunden sind viele Wildtiere aktiv – halte dann besonders Ausschau und fahre vorausschauend. Mit der richtigen Einstellung trägst du dazu bei, dass Mountainbiken in Graubünden auch in Zukunft willkommen ist.

Praktische Tipps für den perfekten Bike-Trip

Die richtige Vorbereitung entscheidet über Gelingen oder Scheitern deines Bike-Abenteuers. Das Wetter in den Bergen kann schnell umschlagen – auch im Hochsommer können die Temperaturen in den Höhenlagen auf den Gefrierpunkt fallen. Eine winddichte Jacke, Arm- und Beinlinge sowie Handschuhe sollten deshalb immer im Gepäck sein. Ebenso wichtig: ausreichend Flüssigkeit und Energieriegel für längere Touren. Die nächste Einkehrmöglichkeit ist in den Bergen oft weit entfernt.

Was die Ausrüstung angeht: Für die meisten Trails in Graubünden ist ein All-Mountain- oder Enduro-Bike mit mindestens 140 mm Federweg die beste Wahl. Die Strecken sind oft ruppig und verblockt – da ist ein robustes Bike mit ordentlich Federweg Gold wert. In den Bikeparks kannst du dir auch spezialisierte Downhill-Bikes leihen, die noch mehr Sicherheitsreserven bieten. Ein Helm ist natürlich Pflicht, für technisch anspruchsvolle Strecken empfehlen sich zusätzliche Protektoren für Knie und Ellbogen.

Besonderes Augenmerk solltest du auf die Routenplanung legen. Die Graubünden-App bietet detaillierte Informationen zu allen offiziellen Bike-Routen, inklusive Höhenprofile, Schwierigkeitsgrade und aktueller Streckenbedingungen. Alternativ gibt es zahlreiche GPS-basierte Apps, die speziell für Mountainbiker entwickelt wurden. Wichtig zu wissen: Der Handyempfang ist in den Bergen nicht überall gewährleistet. Ein ausgedruckter Routenplan oder eine offline verfügbare Karte sollte daher immer dabei sein.

Für Anfänger und Ortsunkundige bietet sich eine geführte Tour an. Lokale Guides kennen nicht nur die besten Trails, sondern auch die versteckten Einkehrmöglichkeiten und wissen, wie man typische Anfängerfehler vermeidet. Die Tourismusbüros der jeweiligen Orte vermitteln entsprechende Angebote. In der Hauptsaison empfiehlt sich eine frühzeitige Buchung.

Die beste Reisezeit – Wann nach Graubünden?

Die Bikesaison in Graubünden erstreckt sich typischerweise von Mai bis Oktober, wobei es deutliche Unterschiede je nach Höhenlage gibt. In den tieferen Lagen wie rund um Chur kann man oft schon ab April biken, während die hochalpinen Pässe teilweise erst im Juli schneefrei werden. Als Faustregel gilt: Je höher, desto später beginnt die Saison.

Der Frühsommer (Juni/Juli) lockt mit saftig grünen Wiesen und einer explosiven Blütenpracht. Die Temperaturen sind angenehm, die Tage lang, und die Berghütten haben ihren Betrieb aufgenommen. Allerdings kann es in dieser Zeit noch zu Schneeresten in höheren Lagen kommen, und manche Pässe sind möglicherweise noch nicht passierbar.

Der Hochsommer (August) bietet in der Regel die stabilsten Wetterbedingungen. Alle Pässe sind offen, die Lifte in vollem Betrieb. Der Nachteil: In dieser Zeit sind auch die meisten anderen Touristen unterwegs, und die Preise für Unterkünfte erreichen ihren Höhepunkt. Wenn du es in dieser Zeit etwas ruhiger haben möchtest, weiche auf die weniger bekannten Gebiete wie das Safiental oder das Calancatal aus.

Der Frühherbst (September/Anfang Oktober) hat seinen ganz eigenen Reiz. Die Ferienzeit ist vorbei, die Wanderwege und Trails sind weniger frequentiert. Die Lärchenwälder färben sich golden, und die klare Herbstluft bietet fantastische Fernsicht. Allerdings werden die Tage bereits merklich kürzer, und die Temperaturen können nachts empfindlich fallen. Die meisten Bergbahnen sind noch in Betrieb, reduzieren ihren Fahrplan aber teilweise schon.

Der späte Herbst (Mitte Oktober bis November) ist eine Übergangszeit. Die höheren Lagen können bereits den ersten Schnee sehen, während in den Tälern noch ideale Bedingungen herrschen können. Viele Lifte und Berghütten haben zu dieser Zeit bereits geschlossen oder fahren nur noch am Wochenende. Für spontane Biker, die wettertechnisch flexibel sind, kann diese Zeit jedoch ein echter Geheimtipp sein – leere Trails und magische Lichtstimmungen inklusive.

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