Auf 1.636 Metern Höhe, eingebettet in die sanften Hügel der Reiteralm bei Schladming, liegt ein kleines Naturwunder: der Spiegelsee. Unscheinbar in seinen Ausmaßen, gerade mal 150 Meter lang, hat sich dieser hochalpine Tümpel in den letzten Jahren zum fotografischen Superstar der Steiermark entwickelt. Der Grund dafür ist simpel und doch atemberaubend – bei Windstille verwandelt sich seine Oberfläche in eine makellose Spiegelfläche, auf der das mächtige Dachsteinmassiv Kopf steht. Die Spiegelung ist dabei so klar, dass viele Besucher ihre Fotos erst umdrehen müssen, um zu erkennen, was oben und was unten ist.
Der See ist kein natürliches Gewässer im eigentlichen Sinne, sondern ein künstlich angelegter Speicherteich, der ursprünglich für die Beschneiungsanlagen des Skigebiets Reiteralm geschaffen wurde. Aus der praktischen Notwendigkeit entstand unbeabsichtigt ein Ort von besonderer Strahlkraft. Besonders in den frühen Morgenstunden, wenn kein Lüftchen weht und das erste Sonnenlicht die Dachsteingipfel in warmes Gold taucht, entsteht hier eine fast unwirkliche Atmosphäre – rau und zart zugleich.
Der Weg zum perfekten Spiegelbild
Der Zugang zum Spiegelsee gestaltet sich erfreulich unkompliziert. Mit der Gondel der Reiteralm-Seilbahn schwebst du von Gleiming-Untertal hinauf zur Bergstation. Von dort führt ein gut ausgebauter, barrierearmer Panoramaweg in etwa 30 Minuten zum See. Die geringe Steigung macht den Weg auch für Familien mit Kindern oder weniger geübte Wanderer gut machbar. Alternativ kannst du auch von der Preunegg Jet Bergstation in knapp 45 Minuten zum See gelangen.
Für Wanderfüße mit mehr Ausdauer bietet sich der Aufstieg vom Parkplatz der Talstation durch das Preuneggtal an. Diese Route nimmt etwa zweieinhalb Stunden in Anspruch und überwindet gut 700 Höhenmeter – ein ordentlicher Zustieg, der mit herrlichen Waldpassagen und saftigen Almwiesen belohnt wird. Schnaufen gehört hier definitiv dazu, aber der Schweiß auf der Stirn trocknet schnell, wenn sich am Ziel der majestätische Dachstein im Wasser spiegelt.
Die Idealzeit für einen Besuch ist der frühe Morgen, idealerweise vor acht Uhr, wenn die Luft noch vollkommen still ist. Zu dieser Zeit hat man nicht nur die besten Chancen auf eine perfekte Spiegelung, sondern auch auf Einsamkeit – zumindest unter der Woche. An Wochenenden und in den Sommerferien kann es selbst zu früher Stunde schon lebhaft zugehen, besonders seitdem der See durch soziale Medien zum Geheimtipp wurde, der längst keiner mehr ist.
Fotografie am Spiegelsee – Mehr als nur ein Schnappschuss
Der Spiegelsee ist ein Ort, an dem selbst Handy-Knipser plötzlich zu ambitionierten Fotografen werden. Die Bedingungen für das perfekte Bild sind morgends oft wie gemalt: Das warme Licht der aufgehenden Sonne trifft auf die Dachsteingipfel, während der See wie poliertes Glas daliegt. Ein Bühnenbild, das die Natur täglich neu arrangiert – mal mit dramatischen Wolken, mal mit kristallklarem Himmel, mal mit herbstlichem Nebel, der sich langsam aus den Tälern schiebt.
Fotografisch interessant sind besonders die verschiedenen Perspektiven, die sich entlang des Seeufers bieten. Am westlichen Ende des Sees ragt ein kleiner Holzsteg ins Wasser – der absolute Hotspot für Selfies und Porträtaufnahmen. Die klassische Postkartenperspektive erhältst du dagegen vom östlichen Ufer, wo der gesamte See mit dem Dachsteinmassiv im Hintergrund ins Bild passt.
Wer mehr als nur den Standard-Schuss mit nach Hause nehmen möchte, kommt um eine gewisse Experimentierfreude nicht herum. Mit Langzeitbelichtungen lassen sich bei leichter Brise interessante Verwischungseffekte auf der Wasseroberfläche einfangen. Im Herbst sorgen einzelne gelb gefärbte Gräser am Ufer für zusätzliche Farbakzente, während Winterbesucher mit etwas Glück Spiegelungen im partiell zugefrorenen See erwischen können – ein seltenes Schauspiel, das nur bei ganz speziellen Wetterbedingungen entsteht.
Dass der See mittlerweile in nahezu jedem steirischen Bildband vertreten ist, hat seinen Grund nicht nur in der fotogenen Lage, sondern auch in der Zugänglichkeit des Motivs. Anders als viele hochalpine Fotospots erfordert der Spiegelsee weder stundenlange Anstiege noch professionelles Equipment, um eindrucksvolle Ergebnisse zu erzielen. Ein Handy reicht völlig – solange du früh genug aufstehst.
Die Reiteralm – Mehr als nur Kulisse
Der Spiegelsee mag der Star der Gegend sein, doch die Reiteralm selbst hat weit mehr zu bieten als nur den Rahmen für perfekte Fotos. Das weitläufige Almplateau zwischen Schladming und Haus im Ennstal zählt zu den schönsten Almgebieten der Steiermark und bietet ein dichtes Netz an Wanderwegen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade.
Besonders lohnend ist die Kombination des Spiegelsee-Besuchs mit einer ausgedehnteren Wanderung über die Alm. Der sogenannte "Gipfelweg" führt vom See aus weiter über mehrere aussichtsreiche Erhebungen wie den Gasselhöhe (1.819 m) oder den Schober (1.839 m). Von dort oben siehst du nicht nur die gesamte Reiteralm im Panorama, sondern bei klarer Sicht auch weit ins Ennstal hinein und hinüber zu den Schladminger Tauern.
Die Reiteralm lebt nicht nur von ihrer Landschaft, sondern auch von ihren Bewohnern. Während der Sommermonate bewirtschaften mehrere Almbauern die saftig grünen Weiden mit ihren Rindern. In den urigen Almhütten wie der Schnepfn Alm oder der Gasselhöhe Hütte finden hungrige Wanderer deftige steirische Kost – von der klassischen Brettljause bis zum selbstgemachten Kaspressknödel. Der Duft von frischem Almkäse und würzigem Bauernbrot mischt sich hier mit dem herben Aroma der Bergkräuter – sinnliche Eindrücke, die auf keinem Foto festgehalten werden können, aber mindestens genauso nachhaltig im Gedächtnis bleiben.
Die vier Jahreszeiten am Spiegelsee
Der See zeigt sich je nach Jahreszeit in völlig unterschiedlichen Stimmungen. Im Frühsommer, wenn die Schneegrenze gerade erst nach oben gewandert ist, sprießen um den See herum alpine Frühlingsblumen wie Enzian und Alpenrosen. Das saftige Grün der Almwiesen bildet dann einen reizvollen Kontrast zum noch schneebedeckten Dachsteinmassiv – eine Kombination, die von Ende Mai bis Anfang Juli am wahrscheinlichsten anzutreffen ist.
Der Hochsommer bringt strahlend blauen Himmel und intensive Farben, aber auch die meisten Besucher. Wer es in dieser Zeit ruhiger haben möchte, sollte unbedingt auf die frühen Morgenstunden ausweichen oder einen Regentag abwarten – oft klart es nach einem Sommergewitter für kurze Zeit auf, was zu dramatischen Lichtstimmungen führen kann.
Besonders magisch präsentiert sich der Spiegelsee im Herbst. Wenn die ersten Fröste die Vegetation verfärben und morgens Nebelschwaden über dem Wasser wabern, entsteht eine fast mystische Atmosphäre. Die tief stehende Herbstsonne zaubert zudem ein besonders warmes Licht auf die Felsen des Dachsteins. Mitte Oktober bis Anfang November ist die Chance auf solche Bedingungen am größten, danach wird's meist schon zapfig kalt hier oben.
Der Winter verwandelt den Spiegelsee schließlich in einen zugefrorenen, meist schneebedeckten Teich, der in dieser Zeit seine spiegelnden Eigenschaften verliert. Dafür verwandelt sich die Reiteralm in ein beliebtes Skigebiet, und der See verschwindet unter einer weißen Decke. Nur manchmal, bei einem plötzlichen Tauwetter oder zu Beginn der Saison, kann man das seltene Schauspiel eines teilweise gefrorenen Sees mit Spiegelungen erleben – ein Anblick, der selbst eingefleischte Spiegelsee-Fotografen staunen lässt.
Praktisches für die Planung
Die Reiteralm-Seilbahnen sind in der Sommersaison von Ende Mai bis Ende Oktober in Betrieb, wobei die genauen Öffnungszeiten je nach Witterung variieren können. In der Hauptsaison (Juli und August) fahren die Gondeln üblicherweise von 9:00 bis 16:30 Uhr. Für Frühaufsteher bedeutet das: Entweder schon am Vorabend auf einer der Hütten übernachten oder den Fußweg von unten auf sich nehmen, wenn man die morgendliche Spiegelung erleben möchte.
Eine praktische Alternative bieten die speziellen "Sunrise-Fahrten" der Seilbahn, die in den Sommermonaten an ausgewählten Tagen stattfinden. Diese frühen Gondelfahrten bringen Fotografen und Naturgenießer schon vor Sonnenaufgang auf den Berg – allerdings solltest du diese unbedingt vorab reservieren, da die Plätze stark begrenzt sind und schnell ausgebucht.
Die Anreise zum Ausgangspunkt gestaltet sich unkompliziert. Mit dem Auto erreichst du die Talstation der Reiteralmbahnen von Schladming aus in etwa 15 Minuten. Ausreichend Parkplätze stehen zur Verfügung, in der Hochsaison kann es allerdings eng werden. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist die Anreise etwas umständlicher: Von Schladming verkehren zwar Busse nach Gleiming-Untertal, jedoch mit eingeschränktem Fahrplan, besonders an Wochenenden. Hier empfiehlt sich eine frühzeitige Planung.
Was die Ausrüstung betrifft, reichen für den kurzen Weg zum See vom Lift aus normale Freizeitschuhe. Wer allerdings den Aufstieg von unten plant oder längere Touren unternehmen möchte, sollte auf festes Schuhwerk setzen. Nicht vergessen solltest du – neben der Kamera – ein Stativ für verwacklungsfreie Aufnahmen bei schlechtem Licht, eine Wasserflasche und Sonnenschutz, denn auf knapp 1.700 Metern ist die UV-Strahlung intensiv, selbst an bewölkten Tagen.
Jenseits des Selfie-Spots – Nachhaltiger Bergtourismus
Der wachsende Ansturm auf den Spiegelsee zeigt die Schattenseiten des Instagram-Tourismus: Überfüllte Hotspots, Müllprobleme und gelegentliche Konflikte zwischen Fotografen, die um die besten Plätze wetteifern. An manchen Sommermorgen bilden sich regelrechte Schlangen am beliebten Holzsteg, und nicht jeder bringt die nötige Geduld mit. Schad ist das.
Die Bergbahnen und die Gemeinde bemühen sich um ein nachhaltiges Besuchermanagement. Informationstafeln am See weisen auf die Empfindlichkeit des Ökosystems hin und bitten um rücksichtsvolles Verhalten. Trotzdem gilt: Als verantwortungsbewusster Besucher solltest du auf den markierten Wegen bleiben, keinen Müll hinterlassen und die Ruhe der Natur respektieren. Eine gewisse Portion Geduld und Rücksichtnahme gehört mittlerweile ebenso zur Ausrüstung wie die Kamera.
Wer dem Trubel entgehen möchte, findet übrigens in der näheren Umgebung mehrere kleinere, weniger bekannte Bergseen, die ebenfalls mit Spiegelungen aufwarten können – nur eben ohne den prominenten Dachstein im Hintergrund. Der Duisitzkarsee im benachbarten Obertal oder der etwas weiter entfernte Bodensee am Fuße des Hohen Dachsteins sind zwei solcher Alternativen, die zwar mehr Wanderaufwand erfordern, dafür aber mit deutlich mehr Einsamkeit belohnen.