Österreich

Schroffe Gipfel, dampfende Becken: Die zwei Gesichter des Ötztals

Im Ötztal liegen die Gegensätze nur einen Katzensprung voneinander entfernt. Hier donnern Wasserfälle durch enge Schluchten, während wenige Kilometer weiter Thermalbecken unter freiem Himmel dampfen.

Österreich  |  Regionen & Orte
Lesezeit: ca. 11 Min.
Kommentare
Teilen
Facebook
Pocket
E-Mail
0
Kommentare
Facebook
Pocket
E-Mail
Zwischenablage

Das Ötztal schlängelt sich über 65 Kilometer von Haiming im Inntal bis hinauf zum Timmelsjoch an der italienischen Grenze. Auf dieser erstaunlich kurzen Strecke reihen sich alpine Extreme aneinander, die in Tirol ihresgleichen suchen. Der Höhenunterschied zwischen Taleingang (ca. 700 m) und den höchsten bewirtschafteten Almen (über 2.500 m) beträgt beinahe 2.000 Meter. Die Landschaft wechselt entsprechend radikal: Von den sommerwarmen Obstgärten bei Ötz über die rauen Hochtäler bei Längenfeld bis zu den vergletscherten Gipfeln um Obergurgl.

Sechs Dreitausender, darunter die Wildspitze mit 3.774 Metern als zweithöchster Berg Österreichs, wachen über das Tal. Doch nicht nur die vertikalen Dimensionen beeindrucken. Besonders faszinierend sind die klimatischen und kulturellen Kontraste. Im Hochsommer kann man vormittags am Gletscher Ski fahren und nachmittags im Tal bei 25 Grad in einem Bergsee schwimmen. Kaum ein anderes Alpental bietet eine solche Bandbreite – vom hoch technisierten Sölden mit seinen Après-Ski-Tempeln bis zum beschaulichen Vent, wo die Zeit in mancher Hinsicht stehen geblieben zu sein scheint.

Berühmt wurde das Tal auch durch seinen berühmtesten „Bewohner": Der Gletschermann Ötzi, dessen mumifizierte Überreste 1991 am Tisenjoch gefunden wurden. Der über 5.300 Jahre alte Körper aus der Kupferzeit gibt bis heute Rätsel auf. Obwohl der Fund knapp auf italienischem Staatsgebiet lag, trägt er den Namen des Ötztals – und hat dem ganzen Tal zu internationaler Berühmtheit verholfen.

Das untere Ötztal – Zwischen Wasserkraft und Tradition

Die Reise durchs Ötztal beginnt typischerweise in Ötz, dem namensgebenden Hauptort des unteren Talabschnitts. Hier dominieren noch moderate Höhen und ein mildes Klima. Die Ötztaler Ache, der Hauptfluss des Tals, zeigt sich hier bereits als respekteinflößendes Gewässer. Bei der Fahrt taleinwärts säumen schroffe Felswände die enge Straße – ein erster Vorgeschmack auf die alpine Dramatik, die einen erwartet.

In Umhausen empfiehlt sich ein Abstecher zum Stuibenfall, Tirols höchstem Wasserfall. 159 Meter stürzt das Wasser in die Tiefe. Ein gut ausgebauter Steig führt in rund einer Stunde zum Aussichtspunkt am Fuß des Falls. Wer nah dran sein möchte, sollte eine Regenjacke einpacken – die Gischt ist selbst bei Sonnenschein spürbar. Besonders fotogen: der Wasserfall im Spätwinter, wenn sich fantastische Eiszapfengebilde an den Felswänden bilden.

Kultur und Geschichte des Tals lassen sich im Ötztal Heimat- und Freilichtmuseum in Längenfeld erkunden. Der ursprüngliche Bauernhof „Lehnhof" aus dem 16. Jahrhundert gibt authentische Einblicke in das frühere Leben der Talbewohner. Harte Arbeit prägte den Alltag der Ötztaler, die dem kargen Boden und dem rauen Klima ihre Existenz abtrotzen mussten. Die Ausstellungsstücke – von alten Webstühlen bis zu Buttermodeln – dokumentieren das einfache, aber erfinderische Leben der Bergbauern. G'spannt sein darf man auf die traditionellen Ötztaler Mundartausdrücke, die selbst für andere Tiroler manchmal unverständlich sind. Die eigenartige sprachliche Abgeschiedenheit des Tals spiegelt seine geografische Isolation wider.

Wellnessparadies Längenfeld – Wo das Thermalwasser sprudelt

Mitten im Ötztal, auf rund 1.200 Metern Höhe, liegt Längenfeld. Das Dorf verdankt seine Bekanntheit vor allem der Aqua Dome Therme. Fast schon außerirdisch muten die drei dampfenden Außenbecken an, die wie Schüsseln über dem Boden zu schweben scheinen. Umrahmt von der massiven Bergkulisse bilden sie eine surreale Oase der Entspannung. Das Thermalwasser sprudelt mit etwa 40 Grad aus 1.865 Metern Tiefe und ist reich an Schwefel, Natrium und Calcium.

Die Therme selbst ist architektonisch ein Hingucker. Glas und Holz dominieren, große Fensterfronten öffnen den Blick auf die Berggipfel. Der Kontrast zwischen der eisigen Winterlandschaft und dem warmen Wasser schafft ein besonderes Erlebnis. Mein Geheimtipp: ein Besuch in der Abenddämmerung, wenn die Becken stimmungsvoll beleuchtet werden und sich der Sternenhimmel über dem Tal öffnet.

Neben dem Badebereich umfasst der Aqua Dome einen weitläufigen Saunabereich mit verschiedenen Themensaunen. Die Kräutersauna mit lokalen Alpenkräutern ist besonders beliebt. Wer's waghaltig mag, probiert den eiskalten „Gletscherbach" nach dem Saunagang – ein echter Adrenalinkick für den Kreislauf. Übrigens finden auch Sportler hier optimale Regenerationsmöglichkeiten. Das erklärt, warum internationale Skimannschaften den Aqua Dome regelmäßig als Trainingsbasis nutzen.

Um die Thermalquellen ranken sich zahlreiche Sagen. Angeblich wurden sie erst in den 1970er Jahren bei einer Bohrung nach Trinkwasser entdeckt. Doch alte Aufzeichnungen belegen, dass die heilenden Quellen schon im 16. Jahrhundert bekannt waren. Warum das Wissen um sie zwischenzeitlich verloren ging, bleibt rätselhaft – fast so mysteriös wie das Wasser selbst, das aus den Tiefen der Ötztaler Alpen emporsteigt.

Sölden – Wo der Berg zum Playground wird

Weiter taleinwärts erreicht man Sölden, das sich vom einstigen Bauerndorf zum alpinen Hotspot gewandelt hat. Hier schlagen zwei Herzen in einer Brust: Einerseits ist Sölden Österreichs Party-Hauptstadt der Berge mit legendären Après-Ski-Lokalen, andererseits Ausgangspunkt für anspruchsvolle Hochtouren auf die umliegenden Dreitausender. Der Ort ist gesegnet mit einem der besten Skigebiete der Alpen – und dem absoluten Alleinstellungsmerkmal, gleich drei Berge über 3.000 Meter per Lift erschlossen zu haben.

Die BIG3 – Gaislachkogl (3.058 m), Tiefenbachkogl (3.309 m) und Schwarze Schneid (3.340 m) – bilden das Rückgrat des Skigebiets. Selbst im Hochsommer kann man auf dem Tiefenbachgletscher und dem Rettenbachgletscher Ski fahren. Hier, wo jedes Jahr der Auftakt des alpinen Ski-Weltcups stattfindet, teilen sich Hobbyfahrer die Pisten mit Profisportlern aus aller Welt, die das schneesichere Terrain für ihr Training nutzen.

Auf dem Gaislachkogl thront seit 2015 das futuristische „007 Elements" – eine cineastische Installation, die an den James-Bond-Film „Spectre" erinnert, der teilweise in Sölden gedreht wurde. Die unterirdische Ausstellung ist spektakulär in den Berg gebaut und erzählt von der Entstehung der Filmszenen. Gleich nebenan befindet sich das Restaurant „ice Q", das im Film als Hochgebirgsklinik diente und heute mit Haubenküche auf 3.000 Metern aufwartet. Die Aussichtsterrasse bietet einen der atemberaubendsten Rundblicke Tirols – bei klarem Wetter reicht die Sicht bis zur Zugspitze.

In puncto Action hat sich Sölden in den letzten Jahren enorm entwickelt. Der „Area 47" am Taleingang des Ötztals fehlt's an nichts: Vom Canyoning über die längste Flying Fox Strecke Europas bis hin zu abenteuerlichen Wasserschanzen und Kletterrouten ist für jeden Adrenalinjunkie etwas dabei. Selbst hartgesottene Bergsportler kommen hier ins Schwitzen. Wer's lieber bodenständig mag, findet in den umliegenden Bergen zahlreiche markierte Wanderwege aller Schwierigkeitsgrade.

Der verzauberte Talschluss – Obergurgl und Vent

Hinter Sölden teilt sich das Ötztal. Rechterhand führt die Straße nach Obergurgl und weiter zum Hochgurgler Talschluss. Linkerhand gelangt man nach Vent, einem der höchstgelegenen Kirchdörfer Österreichs. Beide Orte könnten unterschiedlicher kaum sein, obwohl sie nur wenige Kilometer Luftlinie voneinander entfernt liegen.

Obergurgl-Hochgurgl, manchmal auch als „Diamant der Alpen" bezeichnet, ist ein exklusives Skigebiet mit garantiertem Naturschnee von November bis Mai. Das Dorf liegt auf 1.930 Metern und ist damit eines der höchstgelegenen Wintersportzentren Österreichs. Die Höhenlage hat Vor- und Nachteile: Schneesicherheit auf der einen, häufige Wetterumschwünge auf der anderen Seite. Die Wolken können hier buchstäblich von einer Minute auf die andere einfallen und die Sicht auf null reduzieren. Fix ist: Die Natur gibt in Obergurgl noch immer den Ton an.

Besonders eindrucksvoll ist das Naturschutzgebiet Rotmoos, ein alpines Moor mit seltenen Pflanzen und Tieren. Der Rotmoosbach schlängelt sich durch die idyllische Landschaft, während im Hintergrund die vergletscherten Gipfel der Ötztaler Alpen thronen. Der einfache Wanderweg durchs Tal eignet sich perfekt für einen Familienausflug und führt bis zur Schönwieshütte, wo eine deftige Brettljause mit selbstgemachtem Speck und Käse auf hungrige Wanderer wartet.

Vent hingegen repräsentiert das ursprüngliche, fast unberührte Ötztal. Auf 1.900 Metern gelegen und umgeben von über 80 Dreitausendern, ist das kleine Dorf ein Paradies für Bergsteiger und Naturliebhaber. Hier begann Franz Senn, der Mitbegründer des Deutschen Alpenvereins, seine Karriere als Bergpfarrer. Sein Vermächtnis ist in der kleinen, aber feinen Kirche zu spüren, die wie ein Fels in der Brandung inmitten des Dorfes steht.

Von Vent aus starten anspruchsvolle Touren zur Wildspitze oder über das Niederjoch zur Martin-Busch-Hütte – und weiter zur Similaunhütte nahe der Fundstelle des Ötzi. Die mehrtägige „Ötztaler Urweg"-Rundwanderung gilt als eine der schönsten Hüttenwanderungen der Ostalpen. Auf 100 Kilometern verbindet sie traditionelle Almen, hochalpine Pässe und gemütliche Berghütten. Abseits der ausgetretenen Pfade erlebt man hier die unverfälschte Bergwelt, wie sie seit Jahrhunderten besteht.

Die Gletscher – Schwindende Riesen des Ötztals

Die Gletscher sind seit jeher das Herzstück des Ötztals. Noch heute bedecken sie etwa 10 Prozent der Talfläche – Tendenz allerdings rapide sinkend. Der Klimawandel hinterlässt deutliche Spuren. Der Vernagtferner, einst einer der größten Gletscher des Tals, hat seit Beginn der Messungen im Jahr 1889 mehr als die Hälfte seiner Masse verloren. Alte Fotografien im Gletscherkundlichen Führerwerk zeigen erschreckend deutlich, wie weit die Eismassen zurückgewichen sind.

Am faszinierendsten erleben lässt sich die Gletscherwelt auf der „Gletscherstraße" hinauf zum Rettenbachferner. Die mautpflichtige Panoramastraße schraubt sich in engen Kehren hinauf bis auf 2.800 Meter. Sie ist die zweithöchste asphaltierte Straße Europas und nur im Sommer und zur Skiweltcup-Zeit geöffnet. Oben angekommen, eröffnet sich ein surrealer Anblick: Zwischen kargen Felsen erstreckt sich das ewige Eis, darauf Sommerskifahrer in T-Shirts.

Besonders spannend ist dabei, dass unter dem Eis des Rettenbachgletschers ein gewaltiger Speichersee verborgen liegt. Er fasst 1,5 Millionen Kubikmeter Wasser und dient der Beschneiung der Pisten. Die technischen Dimensionen der Anlage sind enorm – genauso wie die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt. Jahr für Jahr müssen immer größere Flächen des Gletschers mit speziellen Folien abgedeckt werden, um sie vor dem Abschmelzen zu schützen.

Für Nicht-Skifahrer lohnt sich eine geführte Gletscherwanderung. Mit Steigeisen und unter kundiger Führung geht es über das Eis, vorbei an türkisblauen Gletscherspalten und bizarren Eisformationen. Die Guides erklären dabei die Entstehung und den Rückgang der Gletscher. Wer Glück hat, kann sogar einen Blick in eine Gletschermühle werfen – jene tiefen Schächte, die das Schmelzwasser in das Eis bohrt. Der donnernde Klang des fallenden Wassers hallt unheimlich aus der Tiefe wider.

Praktische Reisetipps für das Ötztal

Die beste Reisezeit für das Ötztal hängt stark von den geplanten Aktivitäten ab. Für Wanderer sind die Monate Juni bis September ideal, wobei im Juni noch Schneereste in höheren Lagen liegen können. Der September bietet oft stabiles Wetter und weniger Touristen. Die Wintersaison erstreckt sich von Ende November bis Anfang Mai, wobei die Schneesicherheit in Obergurgl-Hochgurgl und auf den Gletschern am höchsten ist.

Die Anreise erfolgt am einfachsten mit dem Auto über die Inntalautobahn A12, Ausfahrt Ötztal. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln reist man bis Ötztal Bahnhof und steigt dort in den regelmäßig verkehrenden Postbus um, der das gesamte Tal erschließt. Im Tal selbst ist der Ötztal Express eine praktische Verbindung zwischen den Orten. Mit der Ötztal Card, die bei vielen Unterkünften inklusive ist, kann man diesen Bus kostenlos nutzen.

Bei der Unterkunftswahl bietet das Ötztal die gesamte Bandbreite – vom einfachen Bauernhof bis zum Fünf-Sterne-Hotel. Faustregel: Je weiter taleinwärts, desto höher die Preise. In Sölden und Obergurgl dominieren größere Hotels und Appartementanlagen, während in Längenfeld und Umhausen noch viele familiengeführte Pensionen zu finden sind. Vent bietet mit seinen kleinen, persönlichen Unterkünften ein authentisches Alpenerlebnis.

Ein Wort zur Ausrüstung: Das Wetter im Ötztal kann schnell umschlagen. Selbst im Hochsommer sind warme Kleidung, Regenschutz und feste Schuhe Pflicht. Die UV-Strahlung in den Höhenlagen ist extrem – Sonnenschutz mit hohem Lichtschutzfaktor ist unerlässlich. Wer Wanderungen plant, sollte zudem an ausreichend Wasser und energiereiche Snacks denken. Die Mobilfunkabdeckung ist in weiten Teilen des Tals überraschend gut, bricht aber in einigen Seitentälern komplett ab.

Für Familien mit Kindern bietet das Ötztal zahlreiche Attraktionen. Neben kindgerechten Wanderungen wie dem „Zirbenpark" in Hochgurgl oder dem „Widiversum" in Sölden gibt es geführte Erlebnistouren speziell für die Kleinen. Der „Kids Park" in der Aqua Dome Therme ist bei schlechtem Wetter eine willkommene Abwechslung. Wichtig zu wissen: Viele Berghütten bieten spezielle Kinderportionen an, und mit der Ötztal Card sind zahlreiche Attraktionen für Kinder kostenlos oder stark ermäßigt.

Schreibe einen Kommentar
Bitte anmelden, um einen Kommentar zu schreiben.
 
Du 

Bisher keine Kommentare
Entdecke mehr:
Nach oben scrollen