Manchmal braucht es gar nicht viel für einen perfekten Wandertag. Der Vernagt-Stausee im Schnalstal beweist das eindrucksvoll. Keine spektakulären Gipfelstürme, keine schweißtreibenden Kletterpassagen – dafür eine entspannte Runde um türkisblaues Wasser, eingebettet zwischen sanfte Hänge und schroff aufragende Gletschergipfel.
Etwa 15 Kilometer taleinwärts im Schnalstal gelegen, versorgt der künstliche See das Wasserkraftwerk Naturns mit dem nötigen Nass. Beeindruckend dabei: Das Wasser überwindet eine Fallhöhe von stolzen 1135 Metern. Am See selbst merkt man von dieser Technik allerdings herzlich wenig. Bis auf Staumauer und Überlaufbauwerk bleibt die Natur weitgehend unberührt.
Die Seerunde eignet sich prima zur Akklimatisierung, falls du längere Zeit im Schnalstal verbringst. Aber auch als spontaner Abstecher lohnt sich die Tour allemal, wenn du im Vinschgau unterwegs bist. Knapp 10 Kilometer Wegstrecke und moderate 240 Höhenmeter – das schafft so ziemlich jeder.
Anreise ins Schnalstal
Der klassische Startpunkt liegt im Dorf Unser Frau in Schnals, etwas unterhalb des eigentlichen Stausees. Natürlich kannst du auch direkt am Wasser beginnen und nur den reinen Seerundweg wandern – dann wird's aber deutlich kürzer.
Mit dem Auto nimmst du bei Naturns den Abzweig von der Staatsstraße SS 38 ins Schnalstal. Knapp 15 kurvenreiche Kilometer später erreichst du Unser Frau, bekannter unter dem italienischen Namen Madonna de Senales. Parkmöglichkeiten findest du nahe der Wallfahrtskirche oder beim archeoParc Schnals. Besonders an Wochenenden kann's hier allerdings eng werden – früh losfahren zahlt sich aus.
Wer aufs Auto verzichten möchte: Von Naturns fährt stündlich der Bus 261 ins Schnalstal. Die Linie startet am Bahnhof Naturns, und du findest alle aktuellen Fahrpläne auf der Website der SAD (www.sad.it). Praktisch, wenn du mit dem Zug anreist oder in Naturns übernachtest.
Los geht's: Vom Dorf zum Staudamm
Hinter dem archeoParc startet der Wanderweg Nummer 15. Ein Hinweisschild weist den Weg – schwer zu verfehlen ist er ohnehin nicht. Zunächst führt der Pfad über einen breiten Forstweg, bevor er sich zu einem schmäleren Waldpfad verengt. Hier beginnt auch der stetigste Anstieg der gesamten Tour.
Durch dichten Fichtenwald schlängelst du dich bergauf. Der Duft von Nadeln und feuchter Erde liegt in der Luft, ab und zu knackt ein Ast unter deinen Füßen. Nach etwa 45 Minuten erreichst du das südliche Ende des Staudammes – und damit den ersten Wow-Moment der Wanderung.
Das türkisblaue Wasser schimmert regelrecht zwischen den bewaldeten Hängen hindurch. An sonnigen Tagen wirkt die Farbe fast unwirklich intensiv. Grund dafür sind winzige Gesteinspartikel, die das Gletscherwasser mit sich führt und die das Licht auf ganz besondere Weise brechen.
Seerundweg im Uhrzeigersinn
Ab jetzt folgst du dem eigentlichen Seerundweg. Die Markierung führt dich im Uhrzeigersinn ums Wasser – theoretisch ginge auch die andere Richtung, aber so hast du die schönsten Fotomotive zur rechten Zeit im richtigen Licht.
Am Südufer startet die Runde mit einem kurzen Anstieg. Danach wanderst du im Hang oberhalb der Uferlinie durch lichten Lärchenwald. Besonders im Herbst zeigt sich diese Strecke von ihrer schönsten Seite, wenn sich die Nadelbäume golden färben und ihre Nadeln wie ein weicher Teppich den Boden bedecken.
Der Weg schlängelt sich mal näher ans Wasser, mal etwas höher am Hang entlang. Immer wieder öffnen sich Lichtungen mit fantastischen Ausblicken auf die gegenüberliegende Seeseite und die dahinter aufragenden Gipfel der Ötztaler Alpen.
Hängebrücken und Bergpanorama
Am westlichen Zipfel des Sees erwartet dich das erste kleine Abenteuer: eine Hängebrücke über den Schnalsbach. Der Bach speist den Stausee mit frischem Gletscherwasser und sorgt für einen konstanten Wasserstand. Die Konstruktion schwankt leicht unter deinen Schritten – wer Höhenangst hat, sollte nicht nach unten schauen.
Nach der Brücke wanderst du bergab zum flacheren Nordufer. Hier zeigt sich der See von seiner ruhigeren Seite. Das Wasser plätschert sanft ans Ufer, Wasservögel ziehen ihre Kreise, und mit etwas Glück entdeckst du sogar Forellen im klaren Wasser.
Der Weg in Richtung Vernagt verläuft größtenteils eben und bietet perfekte Gelegenheiten für eine längere Pause. Bänke laden zum Verweilen ein, und der Blick schweift über das gesamte Gewässer bis hin zu den vergletscherten Gipfeln am Talschluss.
Noch eine Hängebrücke wartet auf dich – diesmal über die Mündung des Finailbaches. Auch hier schwingt die Konstruktion leicht, aber das gehört einfach dazu. Rechts und links rauscht das Wasser über bemooste Felsen, eine kleine Oase der Ruhe.
Variante über die Bergbauernhöfe
Wer Lust auf einen kleinen Umweg hat, kann nach der ersten Hängebrücke eine reizvolle Alternative wählen. Statt dem direkten Seerundweg zu folgen, biegst du auf den Wanderweg Nummer 8 ab und steigst hinauf zum Finailhof.
Die zusätzlichen Höhenmeter lohnen sich: Der traditionelle Bergbauernhof thront malerisch oberhalb des Nordufers und bietet nicht nur eine urige Einkehrmöglichkeit, sondern auch grandiose Aussichten auf den See und das umgebende Bergpanorama.
Vom Finailhof führt der Weg Nummer 7 weiter zum Tisenhof, einer weiteren authentischen Jausenstation. Hier oben schmecken Speck und Schüttelbrot gleich nochmal so gut – wahrscheinlich liegt's an der dünnen Bergluft und dem weiten Blick ins Tal.
Von beiden Höfen führen markierte Wege zurück nach Vernagt, wo du wieder auf die Hauptroute triffst. Diese Variante verlängert die Tour um etwa 2 Kilometer und 150 zusätzliche Höhenmeter, lohnt sich aber definitiv für alle, die mehr Zeit mitbringen.
Durchs Dorf Vernagt
Kurz vor der Staumauer erreichst du das kleine Dorf Vernagt. Der Ort wirkt verschlafen und beschaulich – ein paar traditionelle Bauernhäuser, eine kleine Kirche, dazwischen gackernde Hühner und das ein oder andere Kätzchen, das in der Sonne döst.
Hier verlässt du offiziell den Seerundweg. Statt über die Staumauer zu gehen, führt der Rückweg unterhalb der imposanten Betonkonstruktion entlang. Der Pfad schneidet dabei die Serpentinen der Straße ab und spart so einige Meter Asphalt.
Besonders beeindruckend zeigt sich die Staumauer von unten: 64 Meter hoch und 312 Meter lang, eine imposante Demonstration menschlicher Ingenieurskunst. Das türkisfarbene Wasser schimmert zwischen den grauen Betonwänden hindurch – ein faszinierender Kontrast.
Zurück nach Unser Frau
Der Abstieg nach Unser Frau verläuft größtenteils über befestigte Wege. Teilweise geht's über Asphalt, teilweise über geschotterte Forstwege. Spektakulär ist anders, aber nach der Seerunde reicht die entspannte Wanderung durch den Wald völlig aus.
Links und rechts des Weges plätschern kleine Bäche talwärts, Eichhörnchen huschen durch die Äste, und mit etwas Glück entdeckst du sogar Rehe am Waldrand. Die letzten 2 Kilometer vergehen wie im Flug, und ehe du's merkst, stehst du wieder am archeoParc.
Insgesamt brauchst du für die komplette Runde etwa 3 bis 4 Stunden, je nachdem wie viele Fotopausen du einlegst und ob du die Variante über die Bergbauernhöfe wählst. Konditionell ist die Tour auch für Familien mit älteren Kindern machbar – die beiden Hängebrücken sorgen für zusätzlichen Spaß bei den Kleinen.
Beste Jahreszeit und Ausrüstung
Prinzipiell ist die Seerunde von Mai bis Oktober begehbar. Im Frühsommer zeigt sich die Landschaft besonders grün und saftig, während der Herbst mit seiner Lärchenfärbung punktet. Auch an heißen Sommertagen bleibt die Tour angenehm – der See sorgt für kühlende Brisen, und die Waldabschnitte spenden ausreichend Schatten.
Winter-Wanderungen sind theoretisch möglich, setzen aber entsprechende Ausrüstung voraus. Schneeschuhe oder Grödel können nötig werden, und die Hängebrücken können vereist sein. Besser ist's, zwischen November und April auf andere Touren auszuweichen.
An Ausrüstung brauchst du nicht viel: Normale Wanderschuhe reichen völlig aus, der Weg ist durchweg gut begehbar. Eine Regenjacke gehört in jeden Rucksack – das Wetter in den Bergen kann schnell umschlagen. Ausreichend Wasser und eine kleine Brotzeit für unterwegs schaden ebenfalls nicht, auch wenn mehrere Einkehrmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Einkehr und Verpflegung
Hungrig musst du nach der Tour nicht bleiben. In Vernagt und Unser Frau findest du verschiedene Einkehrmöglichkeiten – von der traditionellen Gastwirtschaft bis zum gemütlichen Café.
Wer den Umweg über die Bergbauernhöfe macht, sollte unbedingt am Finailhof oder Tisenhof einkehren. Beide Jausenstationen servieren bodenständige Südtiroler Küche: hausgemachter Speck, würziger Bergkäse, frisches Schüttelbrot und dazu einen ordentlichen Schluck vom selbstgebrannten Schnaps.
Der Tisenhof hat sich übrigens einen Namen für seine hausgemachten Knödel gemacht. Die Portionen sind deftig, die Preise fair, und die Aussicht gibt's gratis dazu. Reservierung ist besonders an Wochenenden empfehlenswert – der Geheimtipp hat sich mittlerweile rumgesprochen.
Praktische Tipps
Für die Navigation reicht eine einfache Wanderkarte völlig aus. Die Kompass Wanderkarte "Naturns, Latsch, Schnalstal" im Maßstab 1:25.000 deckt das gesamte Gebiet ab und passt in jeden Rucksack. Alternativ hilft die "Outdoor Südtirol App" bei der Orientierung – funktioniert auch offline, wenn du die Karten vorab herunterlädst.
Ein Wort zur Parksituation: Besonders an schönen Wochenenden wird's eng mit den Stellplätzen. Wer früh dran ist, findet meist noch einen Platz nahe der Wallfahrtskirche. Alternativ gibt's etwas weiter talauswärts zusätzliche Parkflächen – ein paar Meter mehr Fußmarsch schaden auch nicht.
Die Tour lässt sich übrigens perfekt mit einem Besuch im archeoParc Schnals kombinieren. Das Museum widmet sich der Jungsteinzeit und präsentiert spannende Funde aus der Region – auch Ötzi hat hier seine Spuren hinterlassen. Nach der körperlichen Anstrengung eine willkommene geistige Abwechslung.