Kaum zu glauben, aber noch 1950 war Velenje nicht mehr als ein verschlafenes Nest mit knapp 1.000 Einwohnern. Heute leben hier über 25.000 Menschen in einer Stadt, die buchstäblich aus dem Boden gestampft wurde. Der Grund dafür liegt tief unter der Erde: Kohle, und zwar jede Menge davon. Rund 400 Millionen Tonnen schlummern hier in einem der mächtigsten Kohleflöze der Welt - auch wenn die Qualität, nun ja, eher bescheiden ist.
Josip Broz Tito hatte große Pläne für Jugoslawien. Das Land sollte autark werden, sich selbst versorgen können. Da kam die Velenje-Kohle wie gerufen. Schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde hier gebuddelt, aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg ging es richtig los. Mit dem Ausbau der Förderung entstand auch ein Kraftwerk, Menschen strömten aus allen Teilen des Landes herbei. Nur: Wo sollten sie alle wohnen?
Sozialistische Träume in Beton gegossen
Nestl Zgank war der Mann der Stunde. Unter seiner Regie entstand zwischen den 1950er und 1970er Jahren eine sozialistische Modellstadt, die ihresgleichen suchte. Rund um den zentralen Tito-Platz - der übrigens auch heute noch so heißt - wuchsen moderne Wohnblocks, ein Kulturzentrum, Geschäfte und Verwaltungsgebäude aus dem Boden. Nichts mit den üblichen dunklen Bergarbeitersiedlungen! Die Apartments sollten lichtdurchflutet sein, den rauen Alltag unter Tage vergessen lassen.
Vinko Mihelak, Historiker und Kurator des Museums im Schloss Velenje, kann davon ein Lied singen. Er wuchs selbst in einem dieser Blocks auf, in einer kleinen Zweizimmerwohnung. "Damals herrschte eine echte Aufbruchstimmung", erzählt er, und in seiner Stimme schwingt noch heute etwas von der Begeisterung jener Zeit mit. "Alles schien möglich."
Tatsächlich funktionierte das System eine Weile erstaunlich gut. Arbeit, Brot und Unterkunft waren quasi garantiert - eine Art Staatsgarantie, die heute höchstens noch Großbanken genießen. Selbst die Frauen sollten nicht zu kurz kommen: Für sie wurde die Produktion von Backöfen angeschoben, anfangs in einer kleinen Manufaktur im Dorf Gorenje.
Gorenje: Vom Dorf zur Weltmarke
Aus dieser bescheidenen Anfängen entwickelte sich ein europäischer Riese. Gorenje - benannt nach dem kleinen Dorf, in dem alles begann - gehört heute zu den führenden Herstellern von Haushaltsgeräten in Europa. 6.000 Menschen arbeiten mittlerweile in den Fabrikhallen von Velenje, die stetig wuchsen und sich ausbreiteten.
Spannend ist dabei, dass Gorenje alle Stürme überstanden hat: den Zerfall Jugoslawiens, die Wirren der Transformation, Wirtschaftskrisen. 2018 übernahm der chinesische Elektronikkonzern Hisense das Unternehmen - mitsamt der legendären Design-Abteilung. In einer kleinen Ausstellung im Stadtzentrum lässt sich wunderbar nachvollziehen, wie sehr das Gorenje-Design vom jeweiligen Zeitgeist geprägt war. Vom Schriftzug bis zum äußeren Erscheinungsbild der Geräte - alles folgte den Moden der Zeit. Trotzdem zieht sich eine klare Linie durch: die Reduktion auf das Wesentliche.
Die aktuellen Modelle bringen diese optische Klarheit buchstäblich auf den Punkt. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet in einer slowenischen Industriestadt Kühlschränke entstehen, die in New Yorker Lofts genauso gut aussehen wie in Münchner Altbauwohnungen?
Titos letzter Auftritt
Velenje ist eine der wenigen Städte im ehemaligen Jugoslawien, wo Tito noch immer präsent ist - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Statue, eine der größten im ehemaligen Jugoslawien, steht nach wie vor am zentralen Platz. Während anderswo die Denkmäler des Marschalls längst verschwunden sind, gehört er in Velenje einfach dazu. Kein Wunder: Die Stadt verdankt ihm praktisch ihre Existenz.
Das liegt auch daran, dass Velenje das Schicksal vieler anderer sozialistischer Modellstädte erspart blieb. Während Eisenhüttenstadt oder Schwedt nach der Wende um ihre Zukunft kämpfen mussten, läuft hier der Laden weiter. Die Kohle wird nach wie vor gefördert, das Kraftwerk produziert Strom, Gorenje stellt Haushaltsgeräte her. Ganz so einfach ist es allerdings nicht.
Kohle: Fluch und Segen zugleich
Die Diskussionen über Sinn und Unsinn der Kohleförderung werden auch in Slowenien geführt, keine Frage. Trotzdem entschied man sich kürzlich für den Bau eines neuen Kraftwerks, das einen Drittel des slowenischen Strombedarfs decken soll. Die Argumente liegen auf der Hand: Arbeitsplätze, Energiesicherheit, regionale Wertschöpfung. Weitere 2.000 Menschen arbeiten direkt in den Minen und im Kraftwerk - das sind in einer Stadt wie Velenje ernsthafte Zahlen.
Der Kohleabbau hinterlässt allerdings Spuren, die weit über rauchende Schlote hinausgehen. Da die Förderung in 300 Metern Tiefe stattfindet, senkt sich allmählich die Oberfläche ab. Daraus machte man eine Tugend: Die entstehenden Mulden wurden geflutet und in Naherholungsgebiete verwandelt. Drei hübsche Seen sind so entstanden, an denen nichts darauf hindeutet, dass sie künstlicher Natur sind.
Doch der Preis ist hoch. Nicht nur wertvolles Ackerland verschwindet, sondern ganze Dörfer. Die Kuratorin einer Ausstellung im slowenischen Museum des Kohlebergwerks hat Fotos und Erinnerungen zusammengetragen, um sie für die Nachwelt zu bewahren. "Nur noch die Alten können sich daran erinnern, wie es in ihren Dörfern einst aussah", sagt sie nachdenklich. Was nach dem Ende der Ausstellung damit geschieht, weiß sie nicht. Geld für ein richtiges Museum ist keines da - kultureller Alltag, nicht nur in Velenje.
Zwischen Burg und Betonklotz
Der Blick vom Schloss Velenje ist ein Lehrstück in Kontrasten. Die Burg selbst, eine der schönsten in Slowenien, thront über einer sanften Hügellandschaft mit verstreuten Höfen und saftigen Weiden. Unten im Tal gruppieren sich die Wohnblocks um den riesigen Platz, dazwischen breite Straßen, das ausgedehnte Fabrikgelände von Gorenje und im Hintergrund die rauchenden Schlote des Kraftwerks.
Im Schloss selbst hat Vinko Mihelak eine sehenswerte Ausstellung eingerichtet, die an die Aufbauzeit der Stadt erinnert. Arbeiter am Werk, Einweihungsfeierlichkeiten, Paraden - man staunt über die Modernität jener ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte. Die schlichte Schönheit dieser funktionalen Architektur kommt einem bekannt vor; kein Wunder, sie ist gerade wieder voll in Mode.
Besonders eindrucksvoll ist ein rekonstruiertes Sitzungszimmer aus den 1960er Jahren. Büromobiliar, Telefone, akribisch von Hand gezeichnete Geschäftsgrafiken, das obligate Tito-Bild an der Wand und darüber ein Propagandaspruch, der die Leistungen der Arbeiter preist. Mihelak will nichts beschönigen - er zeigt die Epoche, wie sie war: geprägt von Aufbruchstimmung und Mief zugleich.
Kunst zwischen den Zeiten
Gleich nebenan befindet sich das Museum für zeitgenössische slowenische Kunst mit einer der bedeutendsten Sammlungen des Landes. In einigen Werken aus der damaligen Zeit lassen sich die Widersprüche jener Epoche im Rückblick wunderbar herauslesen. Zwischen offizieller Kunstlinie und subversiven Untertönen, zwischen sozialistischem Realismus und modernen Einflüssen.
Die Kunst spiegelt wider, was auch sonst in Velenje zu spüren ist: eine eigentümliche Gleichzeitigkeit verschiedener Epochen. Hier rauchen noch die Schlote einer Schwerindustrie aus den 1950er Jahren, dort entstehen High-Tech-Haushaltsgeräte für den Weltmarkt. Die sozialistische Stadtplanung prägt nach wie vor das Gesicht der Stadt, aber chinesische Investoren bestimmen die Zukunft von Gorenje.
Velenje heute: Pragmatismus statt Nostalgie
Was Velenje von anderen postsozialistischen Städten unterscheidet, ist eine gewisse Pragmatik im Umgang mit der eigenen Geschichte. Man versteckt die Vergangenheit nicht, aber man verklärt sie auch nicht. Tito steht noch da, weil er eben dazu gehört. Die Wohnblocks werden renoviert, weil die Menschen darin leben. Das Kraftwerk läuft weiter, weil es Arbeitsplätze sichert.
Diese unaufgeregte Haltung macht Velenje zu einem ungewöhnlichen Reiseziel. Hier gibt es keine Altstadt zum Bummeln, keine pittoresken Gassen zum Flanieren. Stattdessen bekommt man ein Stück europäische Industriegeschichte zu sehen, das anderswo längst verschwunden ist. Die Stadt ist ein lebendiges Museum ihrer selbst - nur dass die Menschen hier eben wirklich leben und arbeiten, statt Folklore für Touristen aufzuführen.
Wer sich darauf einlässt, entdeckt eine ganz eigene Ästhetik. Die funktionale Architektur der 1960er Jahre wirkt heute wieder frisch, die klaren Linien der Stadtplanung haben etwas Beruhigendes. Und die Mischung aus Industrie und Natur, wie sie vom Schloss aus zu sehen ist, erzählt eine Geschichte, die es so nur hier gibt.
Praktische Hinweise
Velenje liegt etwa auf halber Strecke zwischen Ljubljana und Maribor und ist mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Das Schloss mit seinen Museen ist definitiv einen Besuch wert, ebenso die kleine Gorenje-Ausstellung im Stadtzentrum - falls sie noch läuft. Die drei künstlichen Seen eignen sich für einen entspannten Spaziergang oder eine kleine Radtour.
Wer länger bleiben möchte, findet in der Stadt durchaus ordentliche Hotels und Restaurants. Allerdings sollte man keine kulinarischen Offenbarungen erwarten - dafür ist Velenje zu bodenständig. Aber genau das macht auch den Charme aus: eine Stadt, die ist, was sie ist, ohne große Worte oder touristische Verkleidung.