Hoch über dem tiefblauen Königssee, wo der Watzmann seine markanten Felswände in den Himmel reckt, leben sie noch – die Murmeltiere des Nationalparks Berchtesgaden. In einer Zeit, in der alpine Wildtiere immer seltener werden, bietet Deutschlands einziger Alpen-Nationalpark einen der wenigen Orte, an denen man die pummeligen Nager noch regelmäßig antreffen kann. Dabei ist es kein Zufall, dass gerade diese Region zu ihrem Refugium geworden ist.
Der 210 Quadratkilometer große Nationalpark erstreckt sich zwischen 603 und 2713 Metern Höhe – ein Höhenspektrum, das den Murmeltieren ideale Lebensbedingungen bietet. Besonders in den Lagen zwischen 1200 und 2000 Metern fühlen sich die Alpentiere wohl. Hier finden sie die steinigen Hänge und kurzrasigen Almwiesen, die sie zum Überleben brauchen. Das raue Klima macht ihnen nichts aus – im Gegenteil, sie sind perfekt daran angepasst.
Spannend ist dabei, dass Murmeltiere ursprünglich Steppentiere waren. Erst die Eiszeiten drängten sie in die Berge, wo sie sich zu hochspezialisierten Alpenbewohnern entwickelten. In Berchtesgaden leben heute schätzungsweise mehrere hundert Exemplare – eine für deutsche Verhältnisse beachtliche Population.
Die besten Beobachtungsplätze
Gotzenalm und Priesbergalm – diese beiden Namen solltest du dir merken, wenn du Murmeltiere beobachten willst. Die Gotzenalm, erreichbar über eine kurvenreiche Mautstraße von Berchtesgaden aus, liegt auf 1685 Metern und bietet hervorragende Beobachtungsmöglichkeiten. Schon beim Parkplatz kannst du mit etwas Glück die ersten Pfiffe hören. Die Tiere nutzen die umliegenden Almflächen als Weidegründe und haben ihre Baue in den angrenzenden Geröllhalden.
Noch lohnender ist oft die Priesbergalm oberhalb von Ramsau. Der Aufstieg dauert etwa anderthalb Stunden, aber die Mühe zahlt sich aus. Die weitläufigen Almwiesen rund um die bewirtschaftete Hütte auf 1426 Metern sind ein Murmeltier-Hotspot. Besonders in den frühen Morgenstunden, wenn der Tau noch auf den Gräsern liegt, kommen die Tiere aus ihren Bauen und nutzen die ersten Sonnenstrahlen zum Aufwärmen.
Ein Geheimtipp ist das Gebiet um den Kärlingerhaus. Die Wanderung dorthin ist allerdings nichts für Gelegenheitswanderer – etwa vier Stunden musst du einplanen. Dafür wirst du mit einer der ursprünglichsten Murmeltier-Kolonien im gesamten Nationalpark belohnt. Hier oben, auf fast 2000 Metern, leben die Tiere noch weitgehend ungestört von Wanderern.
Auch rund um die Wimbachgrieshütte lassen sich regelmäßig Murmeltiere blicken. Der Weg führt durch das eindrucksvolle Wimbachtal – ein Erlebnis für sich. Nach etwa drei Stunden Wanderung erreichst du die Hütte auf 1327 Metern. Die Umgebung mit ihren sanften Grashängen und vereinzelten Felspartien entspricht genau dem, was Murmeltiere bevorzugen.
Lebensweise der Alpenbewohner
Murmeltiere sind wahre Überlebenskünstler. Von Oktober bis April halten sie Winterschlaf – und das hat seinen Grund. In dieser Zeit sinkt ihre Körpertemperatur auf wenige Grad über null, der Herzschlag verlangsamt sich dramatisch. So können sie bis zu sieben Monate ohne Nahrung überstehen. Diese Anpassung ist lebensnotwendig, denn in den Höhenlagen des Nationalparks liegt oft schon ab September Schnee.
Sobald im Frühjahr die ersten schneeffreien Stellen auftauchen, erwachen die Tiere aus ihrer Winterstarre. Dann heißt es: fressen, was das Zeug hält. Gräser, Kräuter, Wurzeln und gelegentlich auch Insekten stehen auf dem Speiseplan. Bis zu einem Kilogramm können sie täglich zunehmen – wichtige Fettreserven für den nächsten Winter.
Das Sozialleben der Murmeltiere ist komplex. Sie leben in Familienverbänden von fünf bis fünfzehn Tieren. Während die Jungen spielen und sich balgen, halten die Erwachsenen Wache. Ihr charakteristischer Pfiff dient als Warnsignal. Unterschiedliche Töne bedeuten unterschiedliche Gefahren – ein raffiniertes Kommunikationssystem, das über Jahrtausende perfektioniert wurde.
Ihre Baue können bis zu fünf Meter tief und über hundert Meter lang werden. Ein einziger Bau hat oft mehrere Eingänge – praktisch, wenn Flucht angesagt ist. Die Tiere sind übrigens nicht nur gute Gräber, sondern auch erstaunlich schnelle Läufer. Im Notfall erreichen sie Geschwindigkeiten von bis zu 30 Kilometern pro Stunde.
Wann und wie beobachten?
Juli bis September – das ist die Hauptsaison für Murmeltier-Beobachtungen. In dieser Zeit sind die Tiere am aktivsten und die Jungen haben ihre ersten Ausflüge aus dem Bau hinter sich. Früh am Morgen und am späten Nachmittag stehen die Chancen am besten. Dann nutzen die Tiere die angenehmen Temperaturen zur Nahrungssuche.
Ein gutes Fernglas ist unerlässlich. 8x42 oder 10x42 sind ideale Spezifikationen – sie bieten genug Vergrößerung bei noch handhabbarer Größe. Vergiss nicht, auch ein Stativ mitzunehmen, wenn du längere Beobachtungen planst. Die Arme werden sonst schnell müde.
Geduld ist das A und O. Murmeltiere sind scheue Tiere, die bei der geringsten Störung in ihren Bauen verschwinden. Such dir einen bequemen Platz in mindestens 50 Metern Entfernung zu bekannten Baueingängen und warte ab. Oft dauert es eine halbe Stunde oder länger, bis sich die Tiere wieder zeigen. Handy stumm schalten ist selbstverständlich – die Tiere haben ein ausgezeichnetes Gehör.
Bewegung solltest du auf ein Minimum reduzieren. Selbst kleine Gesten nehmen die aufmerksamen Nager wahr. Am besten suchst du dir einen Platz mit Rückendeckung – ein Felsen oder eine kleine Senke. Helle Kleidung ist tabu; gedeckte Farben helfen dabei, nicht aufzufallen.
Ausrüstung und Vorbereitung
Neben dem Fernglas gehört wetterfeste Kleidung zur Grundausstattung. Das Bergwetter kann schnell umschlagen, und in 2000 Metern Höhe ist es auch im Sommer oft empfindlich kühl. Eine warme Jacke sollte immer im Rucksack sein. Gute Wanderschuhe sind ebenfalls Pflicht – die Wege zu den Beobachtungsplätzen führen oft über unwegsames Gelände.
Ein Wanderstock kann hilfreich sein, besonders bei den längeren Anstiegen. Trittsicherheit ist gefragt, denn die Pfade sind nicht immer in bestem Zustand. Ausreichend Wasser und Proviant nicht vergessen – die Wanderungen können sich hinziehen, wenn man erst einmal Murmeltiere entdeckt hat.
Eine Kamera mit Teleobjektiv erweitert die Möglichkeiten erheblich. 300mm Brennweite sollten es mindestens sein, besser noch mehr. Die Tiere sind sehr fotogen, aber auch sehr weit entfernt. Ein Stativ für die Kamera ist fast schon Pflicht – freihändig bekommt man bei diesen Brennweiten selten scharfe Bilder hin.
Denk auch an Sonnenschutz. In der Höhe ist die UV-Strahlung intensiver, und oft sitzt man stundenlang in der prallen Sonne. Sonnencreme, Sonnenbrille und eine Kopfbedeckung gehören daher ebenfalls zur Standardausrüstung.
Anreise und Orientierung
Berchtesgaden ist der zentrale Ausgangspunkt für alle Murmeltier-Expeditionen. Mit dem Auto erreichst du die Stadt über die A8 bis zum Autobahnkreuz Salzburg, dann weiter auf der B20. Parkmöglichkeiten gibt es genug, allerdings können sie an schönen Wochenenden knapp werden.
Öffentlich geht es auch: Der Regionalzug RB nach Berchtesgaden fährt stündlich ab dem Salzburger Hauptbahnhof. Von München aus braucht man mit Umsteigen etwa zweieinhalb Stunden. Das Gute daran: Du musst dir keine Gedanken um Parkplätze machen und kannst die Fahrt zur Entspannung nutzen.
Die Gotzenalm erreichst du über die mautpflichtige Rossfeld-Höhenringstraße. Fünf Euro kostet die Fahrt pro Auto – ein fairer Preis für eine der schönsten Panoramastraßen der Alpen. Die Straße ist von Mai bis Oktober geöffnet, bei Wintereinbruch wird sie gesperrt. Zur Priesbergalm geht es über Ramsau – dort findest du auch die Parkplätze für den Aufstieg.
Eine gute Wanderkarte ist unverzichtbar. Die Kompass-Karte "Berchtesgadener Land" im Maßstab 1:25.000 zeigt alle relevanten Wege und Höhenlinien. Auch GPS-fähige Smartphones mit entsprechenden Apps können hilfreich sein, sollten aber nie die einzige Orientierungshilfe darstellen.
Verhaltensregeln und Naturschutz
Im Nationalpark gelten strenge Regeln – und das ist auch gut so. Die Wege dürfen nicht verlassen werden, Zelten und offenes Feuer sind verboten. Diese Beschränkungen dienen dem Schutz der empfindlichen Bergökosysteme und damit auch der Murmeltiere.
Besonders wichtig: Hunde müssen an der Leine bleiben. Auch der friedlichste Familienhund kann für Murmeltiere zur tödlichen Bedrohung werden. Die Tiere kennen Hunde als natürliche Feinde und reagieren entsprechend panisch. Stress schwächt ihre Immunabwehr und kann im Winter den Tod bedeuten.
Füttern ist selbstverständlich tabu. Menschliche Nahrung kann für Wildtiere schädlich oder sogar giftig sein. Außerdem macht Füttern die Tiere abhängig und verändert ihr natürliches Verhalten. Murmeltiere, die sich an Menschen gewöhnt haben, werden oft zu aufdringlich und müssen manchmal sogar getötet werden.
Lärm solltest du grundsätzlich vermeiden. Das gilt nicht nur für Murmeltiere, sondern für alle Wildtiere. Laute Gespräche, Musik oder gar Handy-Klingeltöne haben in der Natur nichts verloren. Die Bergwelt bietet genug eigene Geräusche – das Pfeifen der Murmeltiere, den Wind in den Latschen oder das Donnern eines fernen Wasserfalls.
Was tun bei schlechtem Wetter?
Regentage gehören in den Bergen dazu – und sie müssen kein Hindernis für Murmeltier-Beobachtungen sein. Oft sind die Tiere nach einem Schauer besonders aktiv. Mit der richtigen Regenausrüstung lassen sich auch bei Nieselwetter erfolgreiche Beobachtungen machen.
Das Nationalpark-Zentrum in Berchtesgaden bietet eine gute Alternative bei wirklich schlechtem Wetter. Hier erfährst du alles über die heimische Tierwelt, inklusive der Murmeltiere. Interactive Displays und ein kleines Kino mit Naturfilmen machen den Besuch kurzweilig. Der Eintritt ist frei – ein weiterer Pluspunkt.
Auch die Dokumentationsstelle Obersalzberg kann einen Regentag retten. Zwar geht es hier um Geschichte statt Natur, aber das moderne Museum ist sehenswert. Und wer weiß – vielleicht klart es ja während des Besuchs wieder auf.
Bei Gewitter heißt es: sofort Schutz suchen. Die exponierte Lage der Murmeltier-Beobachtungsplätze kann gefährlich werden. Hütten wie die Gotzenalm oder Priesbergalm bieten sicheren Unterschlupf. Im Notfall tut es auch eine Felswand – Hauptsache, du bist nicht der höchste Punkt in der Landschaft.
Murmeltiere und andere Alpentiere
Wo Murmeltiere leben, ist meist auch anderes Alpengetier nicht weit. Steinböcke haben in den letzten Jahren ihre Population im Nationalpark deutlich vergrößert. Mit etwas Glück siehst du sie in den steilen Felswänden oberhalb der Murmeltier-Kolonien. Ihre Kletterkünste sind beeindruckend – was für uns unüberwindbare Felswände sind, stellt für sie lediglich einen kleinen Umweg dar.
Gämsen sind häufiger zu sehen, aber auch scheuer. Sie bevorzugen die gleichen Höhenlagen wie Murmeltiere, meiden aber die offenen Almflächen. In den frühen Morgenstunden kannst du sie manchmal beim Äsen an den Waldrändern beobachten. Ihre Sprungkraft ist legendär – bis zu acht Meter weit und vier Meter hoch können sie springen.
Steinadler kreisen regelmäßig über den Murmeltier-Gebieten – kein Wunder, sind die Nager doch eine ihrer Hauptbeute. Ein erwachsenes Murmeltier kann einem Steinadler zwar meist entkommen, aber die Jungen sind gefährdet. Das charakteristische Pfeifen dient oft als Warnung vor den gefiederten Jägern.
Auch seltene Pflanzen findest du in den Murmeltier-Habitaten. Der Clusius-Enzian blüht nur in diesen Höhenlagen, ebenso das Edelweiß. Beide stehen unter strengem Schutz – pflücken ist verboten und wird mit empfindlichen Geldstrafen geahndet.