Italien

Cogne: Vom Eisenerz-Bergbaudorf zum Alpendorf im Nationalpark Gran Paradiso

Einst ein Zentrum des Eisenerzabbaus, heute ein beschaulicher alpiner Ort mit Zugang zu einem der ältesten Nationalparks Italiens.

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Zwischenablage

Eingebettet in das Aostatal, etwa 25 Kilometer von der Regionalhauptstadt Aosta entfernt, liegt Cogne – ein Dorf, das seinen Platz zwischen steilen Bergflanken gefunden hat. Der kleine Ort auf rund 1.534 Metern Höhe schmiegt sich in ein weites, sonnenverwöhntes Hochtal, das von mächtigen Dreitausendern der Grajischen Alpen umrahmt wird. Besonders imposant thront der Gran Paradiso mit seinen 4.061 Metern im Süden. Cogne ist jedoch mehr als nur ein weiteres pittoreskes Alpendorf. Seine Geschichte ist untrennbar mit dem Abbau von Eisenerz verbunden, der über Jahrhunderte das Leben der Bewohner prägte. Heute dagegen kennt man den Ort vornehmlich als Tor zum gleichnamigen Nationalpark.

Die Gemeinde Cogne selbst besteht aus dem Hauptort und dreizehn kleinen Fraktionen, die über das Hochtal verstreut liegen. Wer durch die schmalen Gassen schlendert, dem fallen sofort die charakteristischen Steinhäuser auf, deren graue, massive Bauweise vom kargen Leben in den Bergen zeugt. Alte Bergmannshäuser stehen neben renovierten Wohngebäuden, modern eingerichtete Restaurants neben traditionellen Käsereien. Der optische Kontrast verrät die zwei Seelen Cognes: industrielle Vergangenheit und touristische Gegenwart.

Mit gerade mal etwa 1.400 Einwohnern wirkt der Ort während der Nebensaison verschlafen – fast wie in Zeitlupe. Sobald die sommerliche Wandersaison oder der Winterschnee die Urlauber anlockt, erwacht Cogne zu neuem Leben. Dennoch hat es sich eine angenehme Gelassenheit bewahrt, die wohltuend mit dem hektischen Treiben in größeren Alpendestinationen kontrastiert. Hier gibt's keine Massenbetriebe, keine überlaufenen Attraktionen – stattdessen ein Alpendorf, das sein eigenes Tempo gefunden hat.

Die Bergbaugeschichte

Cognes Vergangenheit liegt buchstäblich im Berg vergraben. Bereits seit dem Mittelalter wurde hier Eisenerz abgebaut, doch die große Zeit des Bergbaus begann erst im 19. Jahrhundert. Ab 1865 betrieb eine belgische Gesellschaft einen industriellen Tagebau am Larsine-Berg, später übernahm die italienische Cogne-Gesellschaft das Ruder. Die Minen von Cogne galten lange als die höchstgelegenen Europas – Stollen bis auf 2.700 Meter Höhe wurden in den Berg getrieben. Das Erz aus Cogne war für seine ausgezeichnete Qualität berühmt.

Der Großteil der Bevölkerung arbeitete direkt oder indirekt für die Mine. Die Männer schufteten in den Stollen, während die Frauen die landwirtschaftlichen Betriebe führten. Die Bergbauindustrie brachte neben Arbeit auch Infrastruktur: Eine Seilbahn wurde gebaut, um das Erz ins Tal zu transportieren, Straßen entstanden, und die elektrische Versorgung erreichte das abgelegene Tal früher als andere vergleichbare Orte. Cogne wuchs, prosperierte und entwickelte eine ganz eigene Identität zwischen bäuerlicher Alpenkultur und industriellem Selbstverständnis.

Doch wie so oft kam irgendwann das Ende. In den 1970er Jahren wurde der Abbau unrentabel – billigere Importe und erschöpfte Vorkommen forderten ihren Tribut. 1979 schloss die Mine endgültig ihre Tore. Zurück blieben arbeitslose Bergleute und eine Gemeinde, die sich neu erfinden musste. Spuren dieser Industriezeit lassen sich noch heute im Ortsbild erkennen: Die ehemaligen Verwaltungsgebäude der Minengesellschaft, stillgelegte Bergwerksanlagen und nicht zuletzt das Bergbaumuseum von Cogne erzählen von dieser Epoche. Im Ortsteil Costa del Pino sind zudem noch Überreste der alten Seilbahnen zu sehen. Besonders spannend dabei: Die Minen haben das kollektive Gedächtnis der Cogneins so nachhaltig geprägt, dass sie noch heute in Erzählungen und lokalen Bräuchen präsent sind.

Der Nationalpark Gran Paradiso

Nach dem Ende des Bergbaus wandte sich Cogne einem Schatz zu, den es schon immer besessen hatte: der atemberaubenden Natur ringsum. Der Nationalpark Gran Paradiso, einer der ältesten Schutzgebiete Italiens, wurde bereits 1922 gegründet. Seine Entstehungsgeschichte ist kurios: Er ging aus einem königlichen Jagdrevier hervor, das König Viktor Emanuel II. im 19. Jahrhundert eingerichtet hatte – um den damals vom Aussterben bedrohten Alpensteinbock zu schützen. Ironischerweise tat er dies vor allem, um selbst weiterhin jagen zu können. Aus dieser seltsamen Mischung aus Jagdleidenschaft und frühem Naturschutzgedanken entstand schließlich der erste Nationalpark Italiens.

Das rund 70.000 Hektar große Schutzgebiet erstreckt sich über die Regionen Piemont und Aostatal. Cogne liegt dabei wie ein natürliches Eingangstor an seiner nördlichen Grenze. Die beeindruckende Bergwelt rund um den Park bietet Lebensraum für zahlreiche Alpentiere: Der Steinbock ist längst zum Symbol des Parks geworden, aber auch Gämsen, Murmeltiere, Alpenschneehühner und mit etwas Glück sogar Steinadler lassen sich beobachten. Die Pflanzenwelt zeigt die typische Vielfalt der Hochalpen – von Lärchen- und Fichtenwäldern in den tieferen Lagen bis hin zur alpinen Matten mit ihrer artenreichen Flora in den Hochlagen.

Im Park kreuzt man immer wieder kleine Schäferhütten und Almwiesen, auf denen im Sommer die Kühe grasen. Diese Almen sind noch immer bewirtschaftet und produzieren den bekannten Fontina-Käse, eine regionale Spezialität. Bei einem Besuch eines dieser traditionellen Betriebe bekommt man schnell ein Gespür dafür, wie eng Naturschutz und nachhaltige Landwirtschaft hier verzahnt sind. Die Bauern leben von und mit der Natur, betreiben eine Form der Tierhaltung, die seit Jahrhunderten praktiziert wird. Trotz mancher Konflikte zwischen landwirtschaftlichen Interessen und Naturschutz hat sich hier ein erstaunlich harmonisches Miteinander entwickelt.

Was den Gran Paradiso von manch anderem Alpenpark unterscheidet, ist seine relative Unberührtheit. Während anderswo Gondeln und Skilifte die Berge erschließen, setzt man hier konsequent auf sanften Tourismus. Motorisierter Verkehr ist stark eingeschränkt, und die meisten Gebiete sind nur zu Fuß erreichbar. Das mag für manche unbequem erscheinen – doch genau das macht den besonderen Reiz dieser Region aus.

Wandern im Valnontey

Das vielleicht schönste der drei Haupttäler, die von Cogne ausgehen, ist das Valnontey. Ein ziemlicher Kracher für Wanderbegeisterte. Hier führt eine gut ausgebaute Straße etwa vier Kilometer taleinwärts, bis sie am gleichnamigen Weiler endet. Ab dort heißt es: Wanderschuhe schnüren. Das Tal wird zunehmend wilder, die Landschaft ursprünglicher. Der Weg folgt dem rauschenden Gebirgsbach, dessen klares Wasser direkt von den Gletschern des Gran Paradiso stammt.

Eine der beliebtesten Routen führt zum Rifugio Vittorio Sella auf 2.584 Metern. Die Schutzhütte bietet eine grandiose Aussicht auf die umliegenden Berggipfel und ist ein idealer Ausgangspunkt für weitere Touren. Der Weg dorthin ist gut markiert und auch für Familien mit etwas Wandererfahrung machbar. Unterwegs passiert man blühende Almwiesen, die im Frühjahr und Frühsommer einem farbenfrohen Teppich gleichen. Edelweiß, Enzian und Alpenrosen behaupten sich hier trotzig zwischen Felsen und karger Erde.

Für ambitionierte Bergsteiger bietet die Region um Cogne noch ganz andere Kaliber. Die Besteigung des Gran Paradiso selbst erfordert alpinistische Erfahrung und sollte nur mit Führer oder entsprechender Ausrüstung und Können angegangen werden. Wer's noch extremer mag: Die Felswände im Valnontey sind bei Eiskletterern europaweit bekannt. Wenn im Winter die gefrorenen Wasserfälle bläulich schimmern, verwandeln sich die steilen Flanken in ein Eldorado für Kletterer mit starken Nerven. Die Eisrouten gehören zu den anspruchsvollsten der Alpen – nix für schwache Nerven, aber ein Spektakel auch für Zuschauer.

Weniger nervenaufreibend, aber nicht minder eindrucksvoll ist die Botanik des Tals. Das Paradiso-Gamander, eine endemische Pflanze, die nur hier vorkommt, blüht im Spätsommer violett zwischen Geröll und Felsen. Überhaupt ist die Artenvielfalt beeindruckend – über 1.000 Pflanzenarten wurden im Park dokumentiert. Für Botanik-Fans ein wahres Schlaraffenland, besonders im Juni und Juli, wenn die Alpenflora in voller Blüte steht.

Zwischen Tradition und Moderne

Zurück im Dorf angekommen, lohnt ein Blick in die Pfarrkirche Sant'Orso, deren Ursprünge bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. Der Kirchturm mit seiner charakteristischen Zwiebelhaube ist das Wahrzeichen Cognes und von weitem sichtbar. Im Inneren beeindrucken Fresken aus dem 16. Jahrhundert und ein prächtiger Barockaltar. Die Kirche ist mehr als ein touristisches Ziel – sie ist nach wie vor spiritueller Mittelpunkt der Gemeinde, in der religiöse Feste und Prozessionen einen festen Platz im Jahreslauf haben.

Gleich nebenan liegt das Heimatmuseum "Maison Gérard-Dayné", ein typisches Beispiele für die traditionelle Walser-Architektur der Region. Hier erfährt man viel über das ursprüngliche Leben im Tal, die Bräuche und Handwerkstechniken der Bergbauern. Die authentisch erhaltenen Räume mit ihren alten Holzvertäfelungen, Möbeln und Gerätschaften vermitteln ein lebendiges Bild vergangener Zeiten. Besonders der große Kamin in der Küche – hier wurde früher für die ganze Familie gekocht und der einzig wirklich warme Ort im Winter – hat etwas Magisches.

Ein besonderes Juwel ist das "Les Dentellières", ein kleines, etwas versteckt liegendes Museum, das der traditionellen Klöppelkunst gewidmet ist. Die filigranen Spitzenarbeiten, die hier ausgestellt sind, stehen im krassen Gegensatz zur rauen Bergwelt und dem harten Leben der Bergleute. Klöppeln war für die Frauen von Cogne nicht nur Zeitvertreib, sondern auch eine Möglichkeit, zum Familieneinkommen beizutragen. In den langen Wintermonaten, wenn draußen Schnee und Eis das Leben lähmten, entstanden kunstvolle Muster aus feinen Fäden. Diese Tradition wird bis heute gepflegt – manchmal kann man den Frauen bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen.

Die kulinarische Seite Cognes spiegelt die bäuerlichen Wurzeln der Region wider. Deftige Speisen dominieren die Menükarten der Restaurants und Gasthäuser. Lokale Spezialitäten wie Polenta concia (Polenta mit geschmolzenem Fontina-Käse), Carbonada (Schmorfleisch mit Rotwein) oder Zuppa di Cogne (eine herzhafte Suppe mit Brot, Fontina und Wirsingkohl) wärmen nach langen Wanderungen von innen. Die Küche ist bodenständig, aber durchaus raffiniert – und basiert überwiegend auf regionalen Produkten. Die Käserei im Ort produziert noch immer nach traditionellen Methoden den würzigen Fontina, der DOP-geschützt ist und einen festen Platz in der italienischen Käsetradition hat.

Die vier Jahreszeiten in Cogne

Anders als manche Touristenorte, die nur saisonal aktiv sind, hat Cogne das ganze Jahr über seinen Reiz. Jede Jahreszeit zeigt das Tal in einem anderen Licht. Der Frühling kommt spät in diese Höhenlagen – wenn im Tal die Obstbäume bereits blühen, liegt hier oft noch Schnee. Doch sobald die Temperaturen steigen, explodiert die Natur förmlich. Innerhalb weniger Wochen verwandeln sich die braunen Wiesen in ein Meer aus Blüten. Mai und Juni sind ideal für Naturbeobachtungen – die Tierwelt ist besonders aktiv, Vogelsänger trällern um die Wette.

Der Sommer bringt angenehme Temperaturen, die selten über 25 Grad steigen – eine willkommene Abkühlung, wenn in den italienischen Städten die Hitze brütet. Die langen Tage sind perfekt für ausgedehnte Wanderungen. Im August kann es allerdings voll werden – dann suchen viele Italiener Zuflucht vor der Sommerhitze in den Bergen. Wem's möglich ist, der weicht auf Juni, Juli oder September aus.

Der Herbst überzieht die Berghänge mit warmen Farben. Die Lärchenwälder leuchten golden, und bei klarem Wetter reicht die Sicht bis zu den schneebedeckten Gipfeln der Walliser Alpen. Die Luft wird zunehmend kühler und klarer, ideale Bedingungen für Fotografen. Im Oktober wird es merklich ruhiger im Ort – viele Hotels und Restaurants nutzen die Zwischensaison für Renovierungen. Wer Stille sucht, ist jetzt richtig.

Wenn der Winter einzieht, verwandelt sich Cogne in ein Winterwunderland eigener Art. Anders als viele Nachbargemeinden hat man hier bewusst auf den Ausbau zu einem großen Skigebiet verzichtet. Stattdessen konzentriert man sich auf Langlauf – mehr als 80 Kilometer gespurte Loipen durchziehen das Hochtal und machen Cogne zu einem der besten nordischen Skizentren Italiens. Die "Gran Paradiso Ski" zieht jedes Jahr zahlreiche Langläufer an. Für Alpinskifahrer gibt es nur eine kleine, überschaubare Anlage – wer große Pisten sucht, wird in den benachbarten Tälern fündig.

Schneeschuhwanderungen durch die verschneite Landschaft gehören zu den stillen Höhepunkten eines Winterbesuchs. Wenn die Schneeflocken tanzen und die einzigen Geräusche das Knirschen der Schneeschuhe und der eigene Atem sind, entfaltet die Bergwelt eine fast meditative Wirkung. Ein Tipp für Hartgesottene: Auch Eisklettern kann man hier lernen – es gibt mehrere Guides, die Anfängerkurse anbieten.

Praktische Informationen für den Besuch

Die Anreise nach Cogne erfolgt in der Regel über Aosta, das mit dem Auto von Turin in etwa 1,5 Stunden zu erreichen ist. Von Aosta führt eine kurvenreiche, aber gut ausgebaute Straße in weiteren 30 Minuten nach Cogne. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln wird es etwas umständlicher – vom Bahnhof Aosta fahren Busse mehrmals täglich ins Tal. In der Nebensaison ist der Fahrplan allerdings stark ausgedünnt, da lohnt sich ein Blick auf die aktuellen Zeiten.

Übernachten kann man in verschiedenen Kategorien. Vom einfachen B&B bis zum 4-Sterne-Hotel ist alles vertreten. Das "Hotel Bellevue" gilt als erste Adresse am Platz und bietet neben komfortablen Zimmern auch ein ausgezeichnetes Restaurant und einen Wellnessbereich. Gemütlicher und etwas günstiger sind die zahlreichen kleinen Pensionen und Ferienwohnungen, die oft von Familien geführt werden. Wer es ursprünglich mag: In den Sommermonaten sind einige der Berghütten bewirtschaftet und bieten einfache, aber authentische Übernachtungsmöglichkeiten.

Im Nationalpark selbst gelten strenge Regeln. Campen ist nur an ausgewiesenen Plätzen erlaubt, Feuer machen generell verboten. Hunde müssen an der Leine geführt werden und dürfen in manche Bereiche gar nicht mit. Die Besucherzentren in Cogne und den umliegenden Gemeinden informieren über aktuelle Bestimmungen und geben wertvolle Tipps für Wanderungen. Im Besucherzentrum von Cogne gibt's übrigens auch sehr gute Karten und Broschüren – teils kostenlos, teils zu moderaten Preisen.

Ein Wort zum Klima: Aufgrund der Höhenlage sollte man auch im Sommer stets eine warme Jacke und Regenschutz dabei haben. Das Wetter kann schnell umschlagen, und in den Bergen ist es generell kühler als im Tal. Im Winter sind die Temperaturen oft einstellig im Minusbereich, können aber bei Sonnenschein tagsüber durchaus angenehm sein. Die Schneesicherheit ist von Dezember bis März gegeben.

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