Frankreich

Annecy – Das Venedig der Alpen: Altstadtcharme, Kanäle und kristallklarer See

Kristallklares Wasser umspült mittelalterliche Gemäuer. Blumengeschmückte Brücken überspannen schmale Kanäle, während im Hintergrund schneebedeckte Gipfel thronen. Annecy verbindet Alpenkulisse und südfranzösischem Flair.

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Zwischenablage

Am nördlichen Ende des gleichnamigen Sees liegt Annecy, Hauptstadt des Départements Haute-Savoie. Die Stadt mit ihren etwa 130.000 Einwohnern (Großraum) schmiegt sich zwischen den 1.535 Meter hohen Hausberg Semnoz und den türkisgrünen Lac d'Annecy, den saubersten See Europas. Die geografische Lage der Stadt – lediglich 35 Kilometer südlich von Genf, 40 Kilometer nördlich von Chambéry und knapp 150 Kilometer östlich von Lyon – macht sie zu einem idealen Ausgangspunkt für Erkundungen der französischen Alpen.

Die Landschaft um Annecy ist schlichtweg atemberaubend. Berge rahmen den langgestreckten See ein, der sich über 14 Kilometer nach Süden erstreckt. Der See selbst entstand vor etwa 18.000 Jahren beim Rückzug der Gletscher, die das Becken formten. Mit einer durchschnittlichen Tiefe von 41 Metern und einer maximalen Tiefe von 82 Metern ist er der zweitgrößte natürliche See Frankreichs. Seine Klarheit verdankt er strengen Umweltschutzmaßnahmen, die bereits in den 1960er Jahren eingeleitet wurden – lange bevor Umweltschutz anderswo auf der Agenda stand.

Annecy profitiert von einem besonders milden Mikroklima. Hohe Berge halten kalte Nordwinde fern, während der See als Temperaturregulator wirkt. So kann man hier durchaus mildere Temperaturen als im nahen Genf erleben. Besonders der Herbst zeigt sich oft von seiner goldenen Seite, wenn Morgennebel über dem See hängt und die Berge in der Sonne glänzen.

Geschichte: Von römischen Siedlern zur savoyischen Perle

Die ersten Siedler ließen sich bereits in prähistorischer Zeit an den Ufern des Sees nieder. Pfahlbausiedlungen aus der Bronzezeit belegen die frühe Anziehungskraft dieser Region. Im 1. Jahrhundert n.Chr. errichteten die Römer hier eine Siedlung namens Boutae, deren Reste man im heutigen Stadtteil Annecy-le-Vieux noch sehen kann. Nach dem Fall des Römischen Reiches geriet die Gegend unter burgundische Herrschaft.

Der eigentliche Aufschwung begann im 12. Jahrhundert, als die Grafen von Genf ihren Sitz nach Annecy verlegten. Sie bauten die erste Burg auf dem Hügel über der Stadt. Richtig bedeutend wurde Annecy jedoch erst unter der Herrschaft der Herzöge von Savoyen, die im 14. Jahrhundert die Kontrolle übernahmen. Die strategische Lage an der Handelsroute zwischen Italien und Nordeuropa bescherte der Stadt Wohlstand und Bedeutung.

Eine kuriose Wende nahm die Geschichte im 16. Jahrhundert: Als Genf protestantisch wurde, entwickelte sich Annecy zum katholischen Gegenpol. Viele katholische Flüchtlinge aus Genf ließen sich in Annecy nieder, darunter auch Franz von Sales, der später zum Stadtpatron wurde. Dieser religiöse Einfluss prägt die Stadt bis heute – sichtbar in zahlreichen Kirchen und religiösen Gebäuden.

Nach wechselhafter Geschichte wurde Savoyen 1860 schließlich Teil Frankreichs. Kaiser Napoleon III. hatte dem Königreich Sardinien-Piemont militärische Unterstützung gegen Österreich zugesagt – als Gegenleistung fielen Savoyen und Nizza an Frankreich. Die Bevölkerung stimmte in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit für den Anschluss an Frankreich. Seitdem ist Annecy französisch, hat aber seinen savoyischen Charakter nie verloren.

Altstadt: Ein Labyrinth aus Kanälen und Kopfsteinpflaster

Das Herz von Annecy ist die Altstadt – ein verwinkeltes Ensemble aus mittelalterlichen Häusern, engen Gassen und plätschernden Kanälen. Hier entspringt auch der Spitzname "Venedig der Alpen", der durchaus seine Berechtigung hat. Der Thiou, der dem See entspringt und durch die Stadt fließt, verzweigt sich in mehrere kleine Kanäle, die die Altstadt durchziehen. Über sie spannen sich blumengeschmückte Brücken, während die Hausfassaden teils direkt ins Wasser ragen.

Unweigerlich zieht es einen zum Palais de l'Île – einem mittelalterlichen Gebäude, das wie ein Schiffsbug aus dem Wasser ragt. Erbaut im 12. Jahrhundert diente es im Laufe der Geschichte als Gefängnis, Gerichtsgebäude und Verwaltungssitz. Heute beherbergt es ein Museum zur Stadtgeschichte. Seine ungewöhnliche Form macht es zum meistfotografierten Motiv der Stadt.

Genauso unverzichtbar: ein Bummel über den Rue Sainte-Claire mit ihren charakteristischen Arkadengängen. Diese überdachten Gehwege – hier "Traboules" genannt – boten früher Schutz vor Regen und Schnee. Heute beherbergen sie kleine Geschäfte, Kunsthandwerker und Cafés. Ein besonderer Tipp: Frühmorgens kommt die Stille der Altstadt besonders zur Geltung. Wenn das erste Sonnenlicht auf die pastellfarbenen Häuserfassaden fällt und nur vereinzelte Frühaufsteher in den Gassen unterwegs sind, entfaltet die Altstadt ihren vollen Zauber.

Wer genau hinschaut, entdeckt an vielen Hauswänden kunstvolle Wandmalereien, die von der Geschichte der Stadt erzählen. Besonders hübsch: die gemalten Fensterläden an manchen Fassaden, die selbst bei geschlossenen Fensterläden den Eindruck eines belebten Hauses vermitteln – ein schelmischer Trick aus vergangenen Zeiten.

Sehenswürdigkeiten: Zwischen Schloss und Kirchturm

Das Château d'Annecy thront über der Altstadt. Die Festung, deren älteste Teile aus dem 12. Jahrhundert stammen, wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach erweitert und umgebaut. Nach einem Brand im 18. Jahrhundert verfiel sie zusehends, bis sie 1953 von der Stadt erworben und restauriert wurde. Heute beherbergt sie das Museum für Alpenkunst und Volkskunde. Der Aufstieg zum Schloss lohnt allein schon wegen des grandiosen Panoramablicks über Stadt und See. Obendrein lässt sich im Inneren eine beeindruckende Sammlung savoyischer Möbel, Skulpturen und Gemälde bewundern.

Die Kathedrale Saint-Pierre im Herzen der Altstadt entstand im 16. Jahrhundert im spätgotischen Stil. Ihr Inneres überrascht mit einer ungewöhnlichen Mischung aus barocken und klassizistischen Elementen – ein Ergebnis mehrfacher Umbauten. Der Kirchturm aus dem 19. Jahrhundert ragt wie ein steinerner Finger über die Dächer der Altstadt.

Einen ungewöhnlichen Kontrast dazu bildet die moderne Basilika Visitation, die in den 1920er Jahren auf einem Hügel über der Stadt errichtet wurde. Sie ehrt die Heiligen Franz von Sales und Johanna Franziska von Chantal, die beide eng mit der Geschichte Annecys verbunden sind. Im Inneren funkeln Glasfenster und Mosaiken – künstlerische Meisterwerke des frühen 20. Jahrhunderts.

Weniger bekannt, aber mindestens genauso interessant ist das Musée du Film d'Animation. Annecy gilt als Hauptstadt des Animationsfilms und veranstaltet jedes Jahr im Juni ein internationales Festival, das Filmschaffende aus aller Welt anzieht. Das Museum dokumentiert die Geschichte des Animationsfilms von den ersten Bewegtbildern bis zu modernen Computeranimationen.

Der See: Blaues Juwel in Alpenfassung

Der Lac d'Annecy ist zweifellos der Star der Region. Mit seiner türkisblauen Farbe und der alpinen Kulisse bietet er eine Szenerie, die selbst Vielgereiste innehalten lässt. Der See ist nicht nur ein Augenschmaus, sondern auch ein Eldorado für Wassersportfans. Segelboote gleiten über die Wasseroberfläche, Windsurfer nutzen die thermischen Winde, die nachmittags regelmäßig aufkommen, und Paddler erkunden in Kajaks die versteckten Buchten.

Wer es gemütlicher mag, kann eine Rundfahrt mit einem der Ausflugsschiffe unternehmen. Die "Libellule" oder der "Cygne" (Schwan) bieten verschiedene Routen an – von der einstündigen Entdeckungstour bis zur ausgedehnten Seeumrundung. Dabei eröffnen sich immer wieder neue Perspektiven auf die umliegenden Berge und idyllischen Uferdörfer wie Talloires oder Menthon-Saint-Bernard.

Die Wasserqualität des Sees ist phänomenal. Dank frühzeitiger Schutzmaßnahmen gehört der Lac d'Annecy zu den saubersten Seen Europas. Badegäste können an zahlreichen Stränden die Erfrischung genießen – einer der schönsten ist der Plage de l'Impérial am Nordufer mit seinem feinen Sand und dem Blick auf das prachtvolle Hôtel l'Impérial. Früher ein Luxushotel der Belle Époque, heute ein Apartmenthaus mit historischer Fassade.

Rund um den See führt ein 42 Kilometer langer Radweg, der "Voie Verte" (Grüner Weg). Er folgt teilweise einer ehemaligen Bahntrasse und ist entsprechend flach – ideal für eine gemütliche Tagestour. Fahrräder kann man in Annecy an verschiedenen Stellen ausleihen. Einmal im Jahr, jeweils im Mai, wird die Uferstraße für den Autoverkehr gesperrt, und Tausende Radfahrer und Inline-Skater nutzen die Gelegenheit zur "Fête du Vélo" – ein buntes Spektakel, das die sportliche Seite der Region betont.

Kulinarik: Zwischen Käsespezialitäten und Seefischen

Die Küche Savoyens ist deftig und herzerwärmend – genau das Richtige nach einem Tag in den Bergen oder am See. Käse spielt dabei eine Hauptrolle. Der Reblochon, ein cremiger Weichkäse mit Rotkultur, ist wohl der bekannteste Vertreter. Er bildet die Grundlage für die "Tartiflette", einen herzhaften Auflauf mit Kartoffeln, Zwiebeln, Speck und eben jenem Reblochon. Einfach, aber sagenhaft gut.

In den traditionellen Restaurants der Altstadt, den "Bouchons Savoyards", wird noch im kupfernen Käse-Caquelon serviert. Hier probiert man am besten eine "Fondue Savoyarde" – geschmolzener Käse mit Weißwein und Knoblauch, in den man Brotstücke tunkt. Oder eine "Raclette", bei der der Käse am Tisch geschmolzen und über Kartoffeln gestrichen wird. Das Marc'Antonin in einer stillen Seitengasse der Altstadt gilt als Geheimtipp für authentische savoyische Küche ohne touristischen Aufschlag.

Als Kontrast zur deftigen Bergküche bietet der See frische Fischspezialitäten. Die lokale Felche, hier "Féra" genannt, ist ein Muss. Traditionell wird sie mit einer Sauce aus Weißwein und Schalotten serviert. Einheimische schwören auf das Restaurant "Le Café Bunna" direkt am Kanal – unscheinbar von außen, aber mit einer Terrasse, die zum Verweilen einlädt.

Süße Gemüter kommen bei den "Rissoles" auf ihre Kosten – kleine Gebäcktaschen mit Birnen- oder Pflaumenfüllung, die nach einem alten Rezept aus dem 16. Jahrhundert zubereitet werden. Perfekt zu einem "Café crème" in einem der kleinen Cafés entlang des Thiou.

Nicht zu vergessen: Die Weine aus Savoyen genießen zwar nicht den weltweiten Ruhm ihrer Kollegen aus Bordeaux oder Burgund, überzeugen jedoch durch ihre frische Mineralität. Besonders die weißen Sorten wie Roussette oder Altesse harmonieren perfekt mit den lokalen Fischgerichten. Eine gute Weinauswahl bietet die Bar à Vins "L'Abbaye" in der Nähe des Château.

Umgebung: Ausflüge in die alpine Nachbarschaft

Annecy eignet sich hervorragend als Basis für Ausflüge in die umliegenden Berge. Der Hausberg Semnoz ist ein beliebtes Ziel für Wanderer und Mountainbiker. Im Winter verwandelt er sich in ein familiäres Skigebiet. Von seinem Gipfel bietet sich ein spektakulärer Rundblick – bei klarem Wetter kannst du sogar den Mont Blanc erkennen, der mit 4.810 Metern den höchsten Punkt der Alpen markiert.

Das Naturschutzgebiet Massif des Bauges südlich von Annecy lockt mit wilden Schluchten und ursprünglichen Wäldern. Hier lassen sich Steinböcke, Murmeltiere und mit etwas Glück sogar Lämmergeier beobachten. Der 2.217 Meter hohe La Tournette am Ostufer des Sees ist der höchste Berg der unmittelbaren Umgebung. Die Wanderung zum Gipfel dauert etwa vier Stunden und wird mit einem grandiosen Panorama belohnt.

Ein absolutes Muss ist ein Besuch im mittelalterlichen Dorf Talloires am Ostufer des Sees. Das ehemalige Kloster wurde in ein luxuriöses Hotel umgewandelt, in dem schon Persönlichkeiten wie Mark Twain und Paul Cézanne logierten. Letzterer verewigte die Bucht von Talloires in mehreren Gemälden. Überhaupt hat die Region zahlreiche Künstler inspiriert – die besondere Lichtstimmung am See zieht seit jeher kreative Köpfe an.

Für einen Tagesausflug bietet sich auch Genf an. Die Schweizer Stadt ist mit dem Auto in knapp 40 Minuten erreichbar. Der Kontrast zwischen dem beschaulichen Annecy und der internationalen Atmosphäre Genfs ist beachtlich. Wer Zeit hat, sollte auch einen Abstecher nach Chamonix einplanen – das Alpensportzentrum am Fuße des Mont Blanc ist etwa eine Autostunde entfernt.

Praktische Informationen: Anreise, Unterkünfte und beste Reisezeit

Annecy ist gut erschlossen und leicht zu erreichen. Der nächste internationale Flughafen befindet sich in Genf, von dort verkehren regelmäßig Shuttlebusse nach Annecy. Alternativ kann man über Lyon anreisen. Mit dem Zug ist Annecy von Paris aus in knapp vier Stunden erreichbar – mit Umsteigen in Lyon oder Aix-les-Bains.

Die Unterkunftsmöglichkeiten reichen vom einfachen Campingplatz bis zum Luxushotel. In der Altstadt haben mehrere historische Gebäude eine Umwandlung in charmante Boutique-Hotels erfahren. Das "Hôtel du Palais de l'Isle" bietet Zimmer mit direktem Blick auf das gleichnamige Wahrzeichen. Etwas außerhalb, aber dafür mit Seeblick, liegt das "Impérial Palace" – ein Grandhotel im Stil der Belle Époque. Für Familien und längere Aufenthalte eignen sich die zahlreichen Ferienwohnungen im Umland.

Die beste Reisezeit für Annecy ist zwischen Mai und September. Im Frühsommer blühen die Blumen an den Kanälen, und die Temperaturen sind angenehm mild. Juli und August bringen Hochsommer mit Temperaturen um die 30 Grad – ideal für Badefreuden am See, aber auch die Zeit des größten Touristenandrangs. Der September zeigt sich oft von seiner goldenen Seite mit milden Temperaturen und weniger Besuchern. Die Herbstfärbung der Wälder an den Berghängen bietet dann ein besonders malerisches Schauspiel.

Ein besonderes Highlight im Kalender ist das Fête du Lac am ersten Samstag im August. Dann erleuchtet eines der größten Feuerwerke Europas den Nachthimmel über dem See – ein Spektakel, das jährlich über 200.000 Besucher anzieht. Wer es ruhiger mag, sollte dieses Wochenende meiden oder Unterkünfte weit im Voraus buchen.

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