Frankreich

Die Olympiastadt von 1992: Albertville und das Umland in den Tälern der Tarentaise

Wo einst Olympioniken um Gold kämpften, schlängeln sich heute Wanderwege durch unberührte Almwiesen. Das Tarentaise-Tal verbindet mondäne Skiorte mit verschlafenen Bergdörfern und lässt die Gegensätze zur perfekten Symbiose verschmelzen.

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Zwischenablage

An der Konfluenz von Arly und Isère liegt Albertville – eine Stadt, deren Name für immer mit den Olympischen Winterspielen 1992 verbunden bleibt. Doch wer einen typischen Wintersportort erwartet, wird überrascht. Albertville selbst ist weniger Skistation als vielmehr das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Tarentaise-Tals. Mit knapp 19.000 Einwohnern wirkt die Stadt zunächst unscheinbar, steckt aber voller Geschichte und Charakter.

Die mittelalterlich geprägte Altstadt von Conflans thront auf einem Hügel über der modernen Unterstadt. Kopfsteinpflaster, ockerfarben getünchte Häuser und schmale Gassen vermitteln ein Gefühl, als wäre die Zeit hier stehen geblieben. Die strategische Lage an der Kreuzung bedeutender Handelsrouten bescherte dem Ort seit dem Mittelalter wirtschaftlichen Aufschwung. Spannend ist dabei, dass viele der Gebäude in Conflans noch immer die Fresken und Verzierungen aus dem 14. und 15. Jahrhundert tragen. Das Museum "Maison Rouge" in einem Renaissance-Herrenhaus dokumentiert die Geschichte der Region mit besonderem Augenmerk auf die savoyische Kultur.

Beim Schlendern durch die Unterstadt offenbart sich ein anderes Gesicht Albertvilles. Hier dominieren zweckmäßige Nachkriegsarchitektur und ein betriebsames Allttagsleben. Das Herzstück bildet die Rue de la République mit ihren Cafés, Bäckereien und lokalen Geschäften. Donnerstags findet hier der Wochenmarkt statt – für Feinschmecker ein absolutes Muss. Da tummeln sich Käsehändler mit dem lokalen Beaufort neben Wurstmachern, die ihre hausgemachte Saucisson anpreisen.

Das olympische Erbe durchzieht die Stadt wie ein roter Faden. Der Parc Olympique mit seinem futuristisch anmutenden Théâtre des Cérémonies (heutzutage "Le Dôme" genannt) diente als Austragungsort der Eröffnungs- und Abschlussfeier. Die Halle wurde inzwischen in ein Kongresszentrum umgewandelt, doch die olympische Flamme und verschiedene Skulpturen erinnern noch an die Winterspiele. Die Olympiahalle "Halle Olympique" wird nach umfassender Renovierung inzwischen für Konzerte und Sportveranstaltungen genutzt. Das kleinere "Musée Olympique" in der Nähe präsentiert Memorabilia, Fotos und interaktive Installationen zu den Spielen von 1992 – ein bisschen nostalgisch, aber genau deswegen charmant.

Das Tarentaise-Tal – Alpine Landschaften zwischen Tradition und Tourismus

Das Tarentaise-Tal erstreckt sich entlang des Flusses Isère von Albertville bis zum Col de l'Iseran, dem höchsten asphaltierten Alpenpass Europas. Die Landschaft ist dramatisch: Steile Berghänge ragen zu beiden Seiten des Flusstals auf, grüne Almen im Sommer, verschneite Pisten im Winter. Die Gegend punktet mit einer gelungenen Mischung aus traditionellem Landleben und hochentwickelter Tourismusinfrastruktur.

Die Dörfer im Tal erzählen ihre eigene Geschichte. Moutiers, die inoffizielle Hauptstadt der Tarentaise, beherbergt eine sehenswerte Kathedrale aus dem 11. Jahrhundert und war über Jahrhunderte Sitz der Erzbischöfe. Weiter talaufwärts liegt Aime mit seinen römischen Ruinen und der romanischen Basilika Saint-Martin. Jedes dieser Dörfer bewahrt seine Eigenheiten – sei es in Form lokaler Bräuche, kulinarischer Spezialitäten oder typischer Architektur mit massiven Steinhäusern, die den Witterungen trotzen.

Die berühmten Skistationen der Tarentaise erscheinen wie Inseln der Modernität zwischen diesen traditionellen Siedlungen. La Plagne, Les Arcs, Tignes, Val d'Isère – Namen, die Wintersportlern weltweit ein Begriff sind. Doch während diese Orte im Winter vor Aktivität vibrieren, kehrt im Sommer eine fast kontemplative Ruhe ein. Dann wandern Kühe auf denselben Hängen, über die im Winter Tausende Skifahrer gleiten. Berghütten servieren deftige Tartiflette statt Après-Ski-Drinks. Es feels almost schizophrenic, dieser Kontrast zwischen den Jahreszeiten.

Das Beaufortain, ein Seitental der Tarentaise, hat sich seine ursprüngliche Identität besonders bewahrt. Die Region ist berühmt für ihren Beaufort-Käse, einen würzigen Hartkäse, der in traditionellen Sennereien hergestellt wird. In Beaufort selbst lässt sich der Produktionsprozess in der Kooperative besichtigen – ein faszinierendes Erlebnis für alle, die verstehen wollen, warum dieser Käse als "Prinz der Gruyères" gilt. Die steilen Almwiesen werden noch immer von Tarine- und Abondance-Kühen beweidet, deren Milch dem Käse seinen unverwechselbaren Geschmack verleiht.

Die Olympischen Sportstätten – Vom Ruhm zur Neuerfindung

Die Olympischen Winterspiele 1992 haben die Tarentaise nachhaltig geprägt. Insgesamt 13 Gemeinden beherbergten damals Wettkampfstätten, was zu einer beispiellosen infrastrukturellen Entwicklung führte. Anders als bei manch anderen Olympia-Austragungsorten werden die meisten Anlagen noch immer genutzt – wenn auch teils mit veränderter Funktion.

In Courchevel fanden die Skisprungwettbewerbe statt. Die imposante Anlage mit ihren 90- und 120-Meter-Schanzen thront noch immer über dem Tal und wird für nationale und internationale Wettbewerbe genutzt. Im Sommer kannst du hier beim "Saut à l'élastique" (Bungee-Jumping) von der Schanze einen Adrenalinkick erleben – nicht unbedingt was für schwache Nerven.

Méribel war Schauplatz der Eishockeyturniere und beheimatet nach wie vor ein erstklassiges Eissportzentrum. Die Piste für den Riesenslalom der Frauen ist heute als "Piste des Jeux Olympiques" ein beliebter Hang für ambitionierte Skifahrer. Du merkst beim Runterfahren schnell, warum hier Olympiasiegerinnen gekürt wurden – die Strecke hat es in sich.

Les Menuires und Val Thorens, Teil des riesigen Skigebiets "Les Trois Vallées", richteten die Abfahrtsrennen aus. Die "Face de Belleville" bleibt eine Herausforderung für jeden Skifahrer. Die Bobbahnanlage in La Plagne zählt zu den technisch anspruchsvollsten der Welt und wird noch für internationale Wettbewerbe genutzt. Ein besonderes Erlebnis: Im "Bob-Raft" kannst du selbst die Olympiabahn hinunterjagen – eine Minute purer Adrenalinrausch mit Geschwindigkeiten bis zu 80 km/h.

Tignes, wo die Freestyle-Wettbewerbe stattfanden, hat sich zum Mekka für Freestyler und Snowboarder entwickelt. Im Sommer bietet der Gletscher Grand Motte eine der wenigen Möglichkeiten in den Alpen, auch außerhalb der Wintersaison Ski zu fahren. Das liegt auf 3.456 Metern und die Aussicht allein ist den Ausflug wert, selbst wenn du die Skier zu Hause lässt.

Die Skigebiete – Weltklasse-Pisten mit unterschiedlichem Charakter

Die Tarentaise beherbergt einige der größten zusammenhängenden Skigebiete der Welt. "Paradiski" verbindet Les Arcs mit La Plagne und umfasst über 425 Kilometer Pisten. Die 200 Meter hohe Vanoise-Express-Seilbahn, die die beiden Gebiete verbindet, ist ein technisches Meisterwerk und eine Attraktion für sich. Die Landschaft ist vielfältig: Von windgeschützten Waldabfahrten bis zu exponierten Gletscherabfahrten findet jeder Skifahrer sein Terrain.

Les Arcs besteht aus vier architektonisch unterschiedlichen Stationen auf verschiedenen Höhen (1600, 1800, 1950 und 2000 Meter). Arc 1600, die älteste Station, wurde in den 1960er Jahren nach avantgardistischen Plänen gebaut, mit terrassenförmigen Gebäuden, die sich in die Landschaft einfügen. Die Beton-Bauten mögen auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig erscheinen, gelten heute aber als herausragendes Beispiel für alpine Architektur jener Zeit. Arc 1950 hingegen wurde erst nach der Jahrtausendwende errichtet und imitiert den traditionellen Baustil mit modernen Mitteln – ein bisschen "Disney-Alpen", aber durchaus gemütlich.

La Plagne zeigt sich als Zusammenschluss von elf Siedlungen mit ganz unterschiedlichem Flair, von authentischen Bergdörfern wie Montchavin bis zu futuristischen Hochgebirgsstationen wie Aime La Plagne. Die Pisten sind größtenteils leicht bis mittelschwer und ideal für Familien und Genussskifahrer. Pistenkilometerfresser kommen auf den langen, weitläufigen Abfahrten voll auf ihre Kosten.

Abseits dieser Giganten haben kleinere Skigebiete wie Valmorel oder Sainte-Foy-Tarentaise ihren eigenen Charme. Hier geht's entspannter zu, die Liftpreise sind moderater und die Atmosphäre familiärer. Sainte-Foy gilt als Geheimtipp für Freerider – die Nordosthänge halten oft tagelang Pulverschnee, wenn anderswo schon alles zerfahren ist. Das hat sich mittlerweile rumgesprochen, also früh aufstehen lohnt sich.

Sommeraktivitäten

Obwohl die Tarentaise vor allem für den Wintersport bekannt ist, präsentiert sich die Region im Sommer von einer ganz anderen Seite. Die Hänge verwandeln sich in blühende Almwiesen, die Bergspitzen sind schneller erreichbar und zahlreiche Outdoor-Aktivitäten locken Naturliebhaber.

Der Vanoise-Nationalpark, Frankreichs erster Nationalpark, grenzt direkt an das Tal. Über 500 Kilometer markierte Wanderwege durchziehen das Schutzgebiet, von leichten Spaziergängen bis zu anspruchsvollen Mehrtagestouren. Das Netzwerk von Berghütten (Refuges) ermöglicht Trekkingtouren ohne schweres Gepäck. Die Fauna ist beeindruckend – mit etwas Glück erspähst du Steinböcke, Murmeltiere oder den majestätischen Bartgeier. Die Flora steht dem in nichts nach: Im Hochsommer explodiert die alpine Vegetation förmlich in einem Meer aus Farben. Besonders die Edelweißbestände und verschiedene Enzianarten sind bemerkenswert.

Mountainbiker finden im ehemaligen Olympiagebiet ein Paradies vor. Die Skigebiete haben sich auf die Sommersaison eingestellt und bieten speziell angelegte Trails für alle Schwierigkeitsgrade. Die Lifte transportieren Bikes und Reiter bequem in die Höhe, sodass mehr Zeit für die Abfahrt bleibt. Les Arcs hat besonders in die Mountainbike-Infrastruktur investiert, mit einem "Bike Park", der über 180 Kilometer Strecken umfasst. Da tummeln sich im Sommer fast so viele Zweiradakrobaten wie Skifahrer im Winter.

Wassersportarten haben in der Tarentaise ebenfalls Tradition. Der Oberlauf der Isère gilt als eines der besten Wildwasserreviere Frankreichs. Rafting, Canyoning und Hydrospeed (eine Art Wildwasser-Bodyboarding) bieten Abkühlung an heißen Sommertagen. Der Roselend-Stausee im Beaufortain mit seinem türkisblauen Wasser lädt zum Segeln oder Stand-Up-Paddling ein – umgeben von einer spektakulären Bergkulisse.

Für Kletterfreunde gibt es zahlreiche Felswände und Klettersteige (Via Ferrata). Besonders bekannt ist die Via Ferrata von Notre-Dame du Pré, die verschiedene Schwierigkeitsgrade kombiniert und atemberaubende Ausblicke bietet. Anfänger können in einer der vielen Kletterschulen erste Erfahrungen sammeln.

Praktische Tipps für Reisende

Die Anreise ins Tarentaise-Tal gestaltet sich vergleichsweise einfach. Die nächstgelegenen Flughäfen sind Chambéry (eine Stunde Fahrt), Genf und Lyon (jeweils etwa zwei Stunden). Während der Wintersaison gibt es direkte Shuttles von diesen Flughäfen zu den wichtigsten Skigebieten. Mit der Bahn erreichst du Albertville oder Moutiers über Chambéry, von dort fahren regelmäßig Busse in die verschiedenen Täler.

Für die Fortbewegung vor Ort empfiehlt sich in den Skigebieten das gut ausgebaute Busnetz. Wer abgelegenere Dörfer erkunden möchte, ist jedoch auf ein Auto angewiesen. Die Straßen sind gut ausgebaut, aber im Winter sind Schneeketten oder Winterreifen Pflicht. Manche Pässe (wie der Col de l'Iseran) sind von November bis Mai geschlossen.

Die beste Reisezeit hängt stark von deinen Interessen ab. Die Hochsaison für Wintersport erstreckt sich von Dezember bis April, wobei Januar und Februar die schneereichsten, aber auch die teuersten und vollsten Monate sind. Der März bietet oft die perfekte Kombination aus stabilen Schneeverhältnissen, längeren Tagen und wärmeren Temperaturen. Im Sommer locken von Juni bis September angenehme Temperaturen und ein umfangreiches Outdoor-Angebot. Die Nebensaison im Mai und Oktober/November bietet günstigere Preise, allerdings sind dann viele Lifte und Restaurants geschlossen.

Unterkunftsmöglichkeiten gibt es in allen Preisklassen. Die großen Skiresorts bieten alles von Luxuschalets bis zu funktionalen Apartments. In den traditionellen Dörfern findest du familiengeführte Hotels und Pensionen, oft mit persönlicherem Service. Eine besondere Erfahrung sind die "Chambres d'hôtes" (B&Bs) in renovierten Bauernhäusern, wo du hautnah die lokale Lebensweise kennenlernst. Für Naturliebhaber gibt es Campingplätze, die meisten allerdings nur im Sommer geöffnet.

Beim Einkaufen lohnt es sich, lokale Produkte direkt von den Erzeugern zu beziehen. Viele Käsereien verkaufen ab Hof, und wöchentliche Märkte in Albertville, Moutiers und anderen Orten bieten frische regionale Produkte. Ein Tipp: Der Génépi-Likör ist ein beliebtes Souvenir, aber achte auf die Qualität. Die handgemachten Versionen lokaler Produzenten sind den industriell hergestellten Varianten geschmacklich weit überlegen.

Kulturelle Einblicke und Veranstaltungen

Das kulturelle Leben in der Tarentaise ist stark von den Jahreszeiten geprägt. Im Winter stehen sportliche Events im Vordergrund, etwa der "Kandahar" in Val d'Isère, ein Klassiker des alpinen Skiweltcups. Die "Grande Odyssée", ein internationales Schlittenhunderennen, führt jedes Jahr im Januar durch verschiedene Orte der Tarentaise und zieht Zuschauer aus aller Welt an. Das Spektakel, wenn die Hundegespanne durch verschneite Bergdörfer rasen, hat was Magisches.

Im Sommer dominieren traditionelle Feste den Kalender. Besonders sehenswert ist das "Fête de l'Alpage" in verschiedenen Dörfern, bei dem die Rückkehr der Viehherden von den Hochalmen gefeiert wird. Bunt geschmückte Kühe, traditionelle Trachten und lokale Musik schaffen eine authentische Atmosphäre fernab vom Massentourismus. Das "Festival de Musique Baroque de Tarentaise" in verschiedenen historischen Kirchen des Tals bringt internationale Künstler in die Region und nutzt die hervorragende Akustik dieser alten Gemäuer.

Das handwerkliche Erbe der Region wird in verschiedenen Museen lebendig gehalten. Das "Musée des Traditions Populaires" in Moutiers dokumentiert das Alltagsleben früherer Generationen, während das "Maison du Patrimoine" in Beaufort sich auf die Geschichte der Käseherstellung konzentriert. In Aime zeigt das "Centre d'Interprétation du Patrimoine" archäologische Funde aus der römischen und mittelalterlichen Periode.

Die religiöse Architektur der Tarentaise ist bemerkenswert reich für eine so abgelegene Gebirgsregion. Die Kathedrale Saint-Pierre in Moutiers mit ihren romanischen Elementen zeugt vom einstigen Reichtum des Erzbistums. Zahlreiche Bergkapellen, oft an spektakulären Aussichtspunkten errichtet, lohnen einen Besuch – nicht nur für ihre Spiritualität, sondern auch für ihre kunsthistorische Bedeutung mit barocken Schnitzaltären und Fresken lokaler Künstler.

Die zeitgenössische Kunst hat ebenfalls ihren Platz gefunden. Das "Dôme Théâtre" in Albertville bietet ein vielfältiges Programm an Theateraufführungen, Konzerten und Tanzveranstaltungen. In den Wintersportorten finden regelmäßig Ausstellungen zeitgenössischer Künstler statt, besonders in Les Arcs, das für seine avantgardistische Architektur bekannt ist und diesen Geist auch in seinem Kulturprogramm weiterträgt.

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