Eingebettet zwischen den majestätischen Gipfeln der französischen Voralpen liegt der Lac d'Annecy – ein geologisches Wunderwerk, dessen Entstehung auf die Eiszeit zurückgeht. Mit seinen 14,6 Quadratkilometern Fläche mag er nicht zu den größten Alpenseen zählen, doch seine Tiefe von 82 Metern und vor allem seine bemerkenswerte Wasserqualität machen ihn zu etwas Besonderem. Seit den 1960er Jahren sorgen strenge Umweltauflagen und eine konsequente Abwasserreinigung dafür, dass der See heute als einer der saubersten Europas gilt. Man muss kein Wasserfachmann sein, um das zu erkennen – die Sichttiefe von oft mehr als 10 Metern spricht für sich.
Die geologische Entstehungsgeschichte des Sees ist typisch für die Alpenregion: Während der letzten Eiszeit formten gewaltige Gletscher das Tal, in dem sich nach deren Rückzug das Schmelzwasser sammelte. Daher stammt auch die langgezogene, von Nord nach Süd verlaufende Form. Das umliegende Bergpanorama – mit den Bauges-Bergen im Westen und der Bornes-Kette im Osten – rahmt den See wie eine natürliche Arena ein und bietet gleichzeitig Schutz vor rauem Wetter. Dies beschert der Region ein überraschend mildes Mikroklima, was sie besonders im Frühjahr und Herbst zu einem angenehmen Reiseziel macht.
Die namensgebende Stadt Annecy liegt am nördlichen Ende des Sees. Mit ihren verwinkelten Gassen, den blumengeschmückten Kanälen und dem mittelalterlichen Flair wird sie nicht umsonst als "Venedig der Alpen" bezeichnet. Ihr historischer Kern, die Altstadt (Vieil Annecy), gehört zu den besterhaltenen Frankreichs. Schlendert man an einem Sommerabend über den Quai de l'Évêché, während die letzten Sonnenstrahlen den See in goldenes Licht tauchen, versteht man sofort, warum der Maler Paul Cézanne diesen Ort als "Perle der französischen Alpen" verewigte.
Das kristallklare Gewässer – ein Wassersport-Eldorado
Der See selbst stellt das pulsierende Herz der Region dar. Seine Wassertemperatur erreicht im Hochsommer angenehme 24 Grad – genügend, um auch längere Schwimmausflüge zu unternehmen. Die wahrscheinlich größte Besonderheit: Man kann praktisch überall im See baden, ohne sich Sorgen um die Wasserqualität machen zu müssen. Dafür sorgen nicht nur die strengen Umweltvorschriften, sondern auch das natürliche Ökosystem des Sees, dessen Quellwasser aus den umliegenden Bergen kontinuierlich für Frische sorgt.
Wassersportler aller Couleur finden hier ideale Bedingungen vor. Morgens, wenn der See noch spiegelglatt daliegt, ist die perfekte Zeit für Stand-Up-Paddling oder eine ruhige Kajaktour. Besonders beliebt: die Umrundung der kleinen Insel Île des Cygnes bei Duingt. Der "Diamant des Sees", wie die Einheimischen sie nennen, bietet mit dem pittoresken Château de Duingt einen fotogenen Blickfang. Nachmittags sorgt der thermische Wind "La Bise" für verlässliche Bedingungen zum Segeln und Windsurfen. Fortgeschrittene wagen sich in die Bucht von Talloires, wo die Windverhältnisse durch die Bergtopographie besonders interessant werden.
Taucher aufgepasst: Der Lac d'Annecy ist ein Unterwasser-Naturschutzgebiet mit faszinierender Fauna und Flora. Die Sichtweiten sind erstaunlich, und mit etwas Glück begegnet man einer der 20 heimischen Fischarten. Als Besonderheit gelten die alten Pfahlbauten aus der Bronze- und Eisenzeit, die am Seeboden noch teilweise sichtbar sind und von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Für Anfänger gibt es mehrere Tauchschulen, die Schnupperkurse anbieten – ein besonderes Erlebnis, das man nicht so schnell vergisst.
Für alle, die lieber an Land bleiben: Der 42 Kilometer lange Radweg "Voie Verte" umrundet den See fast vollständig und bietet dabei atemberaubende Ausblicke. Wem das zu anstrengend ist, der nutzt die regelmäßig verkehrenden Ausflugsboote, die zwischen April und Oktober mehrere Rundfahrten täglich anbieten. Die zweistündige "Grand Tour" lohnt sich besonders – sie hält an den malerischsten Dörfern und bietet einen einzigartigen Blick auf die umliegende Bergwelt.
Die Bergwelt rund um den See – ein Wanderer-Traum
Der Lac d'Annecy wäre nur halb so reizvoll ohne sein alpines Umfeld. Die umliegenden Bergketten erheben sich bis auf über 2000 Meter und bieten Wanderrouten für jeden Anspruch. Fast alle Touren haben eines gemeinsam: spektakuläre Aussichten auf den türkisblauen See. Besonders beliebt ist der Aufstieg zum Mont Baron (1299 m), der trotz moderater Steigung mit einem 360-Grad-Panorama belohnt. Man erblickt nicht nur den gesamten See, sondern bei klarem Wetter sogar den Mont Blanc.
Fordernder, aber mindestens genauso lohnend ist die Besteigung der Tournette (2351 m). Der markante Gipfel dominiert die östliche Seeseite und ist an seinem charakteristischen "Zahn" schon von weitem erkennbar. Die Tour führt durch verschiedene Vegetationszonen – von Laubwäldern über Almwiesen bis hin zu alpinen Felsformationen. Oben angekommen hat man das Gefühl, über dem See zu schweben. Nicht selten kreisen Steinadler über dem Gipfel – ein magischer Moment für Naturliebhaber. Eine Besonderheit dieser Route: Auf halber Strecke liegt der Refuge de la Tournette, eine bewirtschaftete Berghütte, wo man bei einem Stück hausgemachter Tarte aux Myrtilles (Heidelbeerkuchen) neue Energie tanken kann.
Im Winter verwandelt sich die Region in ein kleines, aber feines Skigebiet. Die Stationen La Sambuy, Le Semnoz und Le Grand-Bornand bieten zusammen über 100 Pistenkilometer. Ein Geheimtipp für Langläufer ist das Plateau des Glières – hier finden sich 30 Kilometer perfekt präparierte Loipen inmitten einer verschneiten Hochebene. Praktisch: Man kann vormittags auf der Piste stehen und nachmittags in Annecy einen Glühwein am See genießen – die Nähe macht's möglich.
Für Adrenalin-Junkies hat die Region einen ganz besonderen Trumpf im Ärmel: Das Massiv des Col de la Forclaz gilt als eines der besten Paragliding-Reviere Europas. Die thermischen Bedingungen sind nahezu ideal, und der Höhenunterschied von fast 1000 Metern garantiert lange Flüge. Wer selbst nicht fliegen kann, bucht einen Tandemflug – ein unvergessliches Erlebnis, bei dem man den See aus der Vogelperspektive bestaunen kann. Wenn Dutzende bunter Schirme über dem tiefblauen Wasser kreisen, entsteht ein Bild, das auf keiner Postkarte fehlen darf.
Praktische Informationen – Anreise, Unterkunft und beste Reisezeit
Der Lac d'Annecy ist gut erreichbar: Der nächste internationale Flughafen befindet sich in Genf (Schweiz), etwa 40 Kilometer nördlich. Von dort verkehren regelmäßig Shuttlebusse nach Annecy. Wer mit dem Auto anreist, erreicht den See von Lyon aus in etwa zwei Stunden über die Autobahn A41. Mit der Bahn gelangt man über Chambéry oder Aix-les-Bains nach Annecy, von wo aus lokale Busse die Seeufer-Ortschaften anfahren.
Bei der Wahl der Unterkunft hat man die Qual der Wahl: Am nördlichen Seeufer, in und um Annecy, findet man das größte Angebot an Hotels und Pensionen in allen Preisklassen. Wer es ruhiger mag, quartiert sich in einem der Dörfer am Ostufer ein – Menthon-Saint-Bernard und Talloires bieten charmante Boutique-Hotels mit direktem Seezugang. Für Familien eignen sich die zahlreichen Campingplätze, besonders der "Camping La Nublière" in Doussard am Südufer, der mit seinem flach abfallenden Sandstrand punktet. Alternativ gibt es mittlerweile auch viele private Ferienwohnungen, die man über gängige Plattformen buchen kann.
Die beste Reisezeit hängt stark von den geplanten Aktivitäten ab. Für Wassersport und Baden sind die Monate Juli und August ideal, wenn die Wassertemperaturen am höchsten sind. Allerdings muss man in dieser Zeit mit deutlich mehr Touristen rechnen. Ein Geheimtipp ist der Juni, wenn das Wasser bereits angenehm, aber der große Ansturm noch nicht eingetroffen ist. Für Wanderer und Mountainbiker empfehlen sich die Randsaisonen Mai/Juni und September/Oktober – dann zeigt sich die Natur entweder in voller Blüte oder in spektakulären Herbstfarben. Außerdem sind dann die Temperaturen zum Wandern angenehmer.
Platzknappheit kann in der Hochsaison durchaus zum Problem werden – sowohl bei Unterkünften als auch an den beliebten Badestellen. Eine frühzeitige Buchung, idealerweise drei bis sechs Monate im Voraus, ist daher ratsam. Das gilt besonders für die Zeit des "Fête du Lac" (Seefest) am ersten Augustwochenende, wenn ein spektakuläres Feuerwerk über dem See den Nachthimmel erleuchtet und Besucher aus ganz Europa anlockt.
Sehenswürdigkeiten abseits der ausgetretenen Pfade
Abseits der bekannten Highlights gibt es rund um den Lac d'Annecy noch viele versteckte Schätze zu entdecken. Das Château de Menthon-Saint-Bernard thront seit mehr als 1000 Jahren über dem Ostufer des Sees. Das noch immer bewohnte Schloss öffnet von April bis November seine Tore für Besucher. Mit seinen 105 Räumen, Türmen und Erkern soll es angeblich sogar Walt Disney zu seinem berühmten Dornröschenschloss inspiriert haben. Besonders interessant ist die Bibliothek mit über 12.000 Bänden aus dem Mittelalter und der Renaissance.
Ein wahres Naturwunder verbirgt sich einige Kilometer südlich des Sees: Die Gorges du Fier. In dieser schmalen Schlucht hat sich der Fluss Fier über Jahrtausende bis zu 30 Meter tief in den Kalkstein eingegraben. Ein spektakulärer Steg, der direkt an der Felswand befestigt ist, führt 300 Meter durch die Schlucht. Das Tosen des Wassers unter den Füßen und die glattpolierten, teils überhängenden Felswände erzeugen eine fast mystische Atmosphäre. Ein besonderer Nervenkitzel für Kinder und junggebliebene Erwachsene.
Kulturinteressierte sollten dem Musée du Film d'Animation in Annecy einen Besuch abstatten. Die Stadt gilt als Zentrum des europäischen Animationsfilms und veranstaltet jährlich ein renommiertes Festival. Das Museum zeigt die Entwicklung der Animationskunst von den ersten optischen Spielzeugen bis hin zu modernen Computeranimationen. Absolut sehenswert und eine willkommene Alternative bei schlechtem Wetter.
Ein Juwel für Naturfreunde ist das Réserve Naturelle du Bout du Lac, ein Feuchtgebiet am südlichen Ende des Sees. Auf gut ausgebauten Holzstegen führt ein Naturlehrpfad durch Schilfgürtel und Auenwälder. Mit etwas Glück lassen sich hier Biber, Eisvögel und zahlreiche Wasservögel beobachten. Die Morgen- und Abendstunden sind dafür am besten geeignet, wenn die Tierwelt am aktivsten ist. Vergiss das Fernglas nicht!
Für einen Ausflug in die Vergangenheit empfiehlt sich ein Besuch des Écomusée du Lac d'Annecy in Sevrier. Hier wird auf anschauliche Weise das traditionelle Leben der Fischer, Bauern und Handwerker rund um den See dargestellt. Besonders beeindruckend sind die rekonstruierten Pfahlbauten und die Vorführungen alter Handwerkstechniken. Das Museum ist familienfreundlich gestaltet und bietet interaktive Elemente, die auch Kinder begeistern.
Nachhaltigkeit und Umweltschutz am Lac d'Annecy
Der traumhafte Zustand des Lac d'Annecy ist kein Zufall, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Schutzmaßnahmen. Bereits in den 1950er Jahren zeichnete sich ab, dass der zunehmende Tourismus und die wachsende Bevölkerung den See gefährdeten. In einer für damalige Zeiten revolutionären Entscheidung wurde 1957 der Bau einer Ringleitung um den gesamten See beschlossen, die sämtliche Abwässer auffängt und zu einer zentralen Kläranlage leitet. Diese kostspielige Investition zahlt sich bis heute aus – der See ist einer der saubersten Europas.
Als Besucher kann man durchaus seinen Beitrag zum Erhalt dieses Naturparadieses leisten. Die öffentlichen Verkehrsmittel rund um den See sind gut ausgebaut. Während der Sommermonate verkehrt die "Navette lacustre", ein Bootsshuttle, der die wichtigsten Orte am See verbindet und eine umweltfreundliche Alternative zum Auto darstellt. Nicht bloß ein praktisches Fortbewegungsmittel, sondern gleichzeitig ein Erlebnis mit herrlichen Ausblicken.
Auch bei Outdoor-Aktivitäten gilt: Hinterlasse nichts außer Fußabdrücken, nimm nichts mit außer Erinnerungen. Die sensiblen Ökosysteme der Berghänge und Seeufer reagieren empfindlich auf Störungen. Besonders in den Naturschutzgebieten rund um den See sollten markierte Wege nicht verlassen werden. Steinadler, Gämsen und sogar Luchse sind in den höheren Lagen heimisch – doch nur, wenn man ihnen den nötigen Freiraum lässt.
Ein interessantes Nachhaltigkeitsprojekt ist die "Charte du Lac d'Annecy", der sich viele lokale Restaurants und Hotels angeschlossen haben. Sie verpflichten sich, bevorzugt regionale Produkte zu verwenden und Ressourcen zu schonen. Achte bei der Wahl von Restaurants und Unterkünften auf entsprechende Hinweise oder frage ruhig nach – du unterstützt damit nicht nur die lokale Wirtschaft, sondern trägst auch zum Erhalt der einzigartigen Kulturlandschaft bei.
In den letzten Jahren hat man zudem begonnen, verloren geglaubte Fischarten wieder im See anzusiedeln. Die "Omble chevalier" (Seesaibling) war fast verschwunden, doch dank gezielter Zucht- und Aussetzungsprogramme erholt sich der Bestand langsam wieder. Ein gutes Beispiel dafür, wie nachhaltiges Management funktionieren kann. Wer sich für solche ökologischen Zusammenhänge interessiert, findet im "Observatoire du Lac" in Sevrier spannende Ausstellungen und regelmäßige Führungen.