Am Zusammenfluss von Isère und Drac liegt Grenoble wie ein urbanes Juwel, eingebettet zwischen den majestätischen Bergketten des Vercors, der Chartreuse und der Belledonne. Mit rund 160.000 Einwohnern – in der Agglomeration sogar fast eine halbe Million – ist die "Hauptstadt der Alpen" die größte Stadt im französischen Bergland. Doch bei dieser Bezeichnung würde manch alteingesessener Grenoblois die Stirn runzeln. Sie sehen ihre Stadt eher als Wissenschaftsstandort mit Bergkulisse denn als touristisches Alpenzentrum.
Die Stadt atmet diese Dualität in jeder Faser. Ein nicht enden wollender Strom von Studenten und Forschern aus aller Herren Länder prägt das Stadtbild ebenso wie die allgegenwärtigen Berge, die sich hinter jedem Häuserblock aufzutürmen scheinen. Der Blick geht hier unweigerlich nach oben – sei es zu den Gipfeln oder zu den wissenschaftlichen Durchbrüchen, die in den zahlreichen Forschungszentren angestrebt werden.
Die Stadt hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Bereits zur Römerzeit existierte hier eine Siedlung namens Cularo, später Gratianopolis, woraus sich der heutige Name entwickelte. Im Mittelalter wuchs die Bedeutung als Hauptstadt des Dauphiné, einer historischen Provinz, deren Name später dem französischen Thronfolger seinen Titel verlieh. Die eigentliche Dynamik entfaltete sich jedoch erst im 20. Jahrhundert, als Grenoble zum Schauplatz der Olympischen Winterspiele 1968 wurde und sich parallel dazu als Wissenschaftsstandort etablierte.
Heutzutage gilt Grenoble als einer der wichtigsten Forschungsknotenpunkte Europas, insbesondere in den Bereichen Physik, Informatik und Nanotechnologie. Von den Grenoblois wird die Stadt manchmal augenzwinkernd als "französisches Silicon Valley" bezeichnet. Doch während amerikanische Tech-Hochburgen oft steril und gesichtslos wirken, hat Grenoble seinen unverwechselbaren Charakter bewahrt – nicht zuletzt dank des markanten alpinen Rahmens, der die Stadt umgibt.
Die emblematische Bastille
Sie dominiert das Stadtbild wie kaum ein anderes Bauwerk: Die Bastille, eine Festungsanlage aus dem 19. Jahrhundert, die auf einem Felssporn 264 Meter über der Stadt thront. Dorthin gelangt man entweder zu Fuß – über einen steilen, aber gut ausgebauten Weg – oder bequemer mit den berühmten "Bulles" (Kugeln), Frankreichs erster städtischer Seilbahn. Diese futuristisch anmutenden Gondeln schweben seit 1934 über die Dächer der Altstadt und bieten während der etwa fünfminütigen Fahrt atemberaubende Aussichten.
Oben angekommen, erschließt sich ein Panorama, das einen regelrecht umhaut. Die Stadt liegt einem zu Füßen wie ein architektonisches Modell, während sich ringsum die Bergmassive in ihrer vollen Pracht erheben. Bei klarem Wetter kann man sogar den schneebedeckten Mont Blanc in der Ferne erkennen. Kein Wunder, dass die Einheimischen diesen Ort liebevoll "la vue à 360° sur les Alpes" nennen – den 360-Grad-Blick auf die Alpen.
Die Festung selbst beherbergt heute ein kleines Museum zur Militärgeschichte sowie wechselnde Kunstausstellungen. Interessanter als die Ausstellungsstücke sind für viele Besucher jedoch die verwinkelten Gänge, Kasematten und Terrassen, die zum Erkunden einladen. Besonders abenteuerlich: der "Rasenweg" (chemin de ronde), der um die gesamte Festung führt und immer wieder neue Perspektiven eröffnet.
Ein Aufstieg zur Bastille lohnt zu verschiedenen Tageszeiten. Morgens, wenn die Stadt langsam erwacht und das Licht weich über die Täler streicht. Mittags, wenn das geschäftige Treiben unten in voller Fahrt ist. Oder abends – mein persönlicher Favorit – wenn die Lichter der Stadt allmählich aufleuchten und die Dämmerung die Bergsilhouetten in ein dramatisches Schwarz taucht. Für diesen Anblick nehmen Fotografen gerne auch den Fußweg in Kauf, der je nach Tempo etwa 40 Minuten dauert und vom Place Grenette durch den Jardin des Dauphins führt.
Wissenschaftsstadt mit globaler Strahlkraft
Wer durch Grenoble schlendert, begegnet früher oder später Wissenschaftlern aus aller Welt. Die Stadt beherbergt nicht nur eine der renommiertesten technischen Universitäten Frankreichs, sondern auch zahlreiche internationale Forschungseinrichtungen. Der Campus der Université Grenoble Alpes erstreckt sich im Süden der Stadt wie eine eigene kleine Metropole und bildet das akademische Herz, in dem rund 60.000 Studenten aus über 180 Nationen studieren.
Das absolute Aushängeschild der Wissenschaftsstadt ist jedoch das Europäische Synchrotron (ESRF) – eine gigantische Teilchenbeschleunigeranlage, in der Forscher aus ganz Europa die Struktur von Materialien bis auf Atomebene untersuchen. Daneben finden sich das Institut Laue-Langevin (ILL) mit seinem Hochflussreaktor und das Europäische Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL). Diese wissenschaftliche "Dreifaltigkeit" zieht jährlich tausende Wissenschaftler für Forschungsaufenthalte an.
Für Besucher bietet das "Wissenschaftsviertel" einen spannenden Einblick in die Forschungswelt. Mehrmals im Jahr – besonders während der europäischen Wissenschaftsnacht und der "Fête de la Science" im Oktober – öffnen sich die Türen der sonst abgeschirmten Labore für die Öffentlichkeit. Dann kann man Forschern über die Schulter schauen, an interaktiven Experimenten teilnehmen oder sich in Vorträgen neueste Erkenntnisse erklären lassen. Die Termine dafür hängen an den Schwarzen Brettern der Touristeninformation am Place Grenette aus.
Selbst außerhalb solcher Ereignisse ist der wissenschaftliche Geist in der Stadt spürbar. Das "Quartier Cambridge" neben dem Campus ist voll von internationalen Restaurants, in denen sich Doktoranden und Professoren bei Mittagessen oder Abendessen über ihre neuesten Forschungsergebnisse austauschen. In den Cafés der Innenstadt sitzen nicht selten Physiker neben ihren aufgeklappten Laptops, während sie komplizierte Gleichungen diskutieren. Diese kosmopolitische Atmosphäre verleiht Grenoble einen intellektuellen Puls, der für eine Stadt dieser Größe ungewöhnlich ist.
Urbanes Flair zwischen Tradition und Moderne
Die Altstadt von Grenoble – ein überschaubares Viertel mit engen Gassen und charakteristischen Stadthäusern – lädt zum gemütlichen Bummel ein. Ihr Mittelpunkt, der Place Grenette, war einst Marktplatz für Getreide (französisch: "grains"), woher sein Name rührt. Heute säumen Cafés und Restaurants den Platz, der besonders an Sommerabenden zu einem beliebten Treffpunkt wird.
Nur einen Steinwurf entfernt liegt der Place Saint-André mit dem gleichnamigen Justizpalast, einem eindrucksvollen Bau aus dem 15. Jahrhundert. Recht gegenüber steht die Kirche Saint-André, deren schlanker Glockenturm an italienische Vorbilder erinnert. An Markttagen – Dienstag, Donnerstag und Samstag – sollte man unbedingt dem Place aux Herbes einen Besuch abstatten. Hier breiten lokale Bauern ihre Waren aus: würziger Bergkäse, handgemachte Wurstwaren und Gemüse aus regionalem Anbau. Der Duft von frischem Brot und Kräutern liegt in der Luft, während sich Einheimische und Touristen gleichermaßen um die besten Stücke drängen.
Obwohl Grenoble keine Stadt der architektonischen Superlative ist – viele Gebäude mussten nach schweren Kriegszerstörungen neu errichtet werden – gibt es dennoch einige bauliche Perlen zu entdecken. Die Kathedrale Notre-Dame beispielsweise, deren Geschichte bis ins 11. Jahrhundert zurückreicht, besticht durch ihre schlichte Eleganz. Der Kontrast nicht weit davon: das hypermoderne Rathaus, ein umstrittener Betonbau aus den 1960er Jahren, der von den Grenoblois liebevoll-spöttisch "der Käfig" genannt wird.
Eine besondere Facette des Stadtlebens offenbart sich in den zahlreichen Street-Art-Werken, die seit einigen Jahren die Fassaden schmücken. Das Festival "Grenoble Street Art Fest" hat internationale Künstler in die Stadt gelockt, deren großformatige Murals besonders im Stadtteil Berriat zu bestaunen sind. Ein kurioser Blickfang ist das Wandgemälde "Le Colibri" von Nemo's an der Rue Génissieu – ein überdimensionaler Kolibri, der mit seinem Schnabel eine Glühbirne hält und symbolisch für die innovative Energie der Stadt steht.
Museumslandschaft mit Tiefgang
Für eine Stadt ihrer Größe verfügt Grenoble über eine erstaunlich vielfältige Museumslandschaft. Das Musée de Grenoble gehört zu den bedeutendsten Kunstmuseen Frankreichs außerhalb von Paris. Seine Sammlung umfasst Werke vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart, darunter Gemälde von Rubens, Matisse und Picasso. Bemerkenswert ist vor allem die Abteilung für zeitgenössische Kunst, die kontinuierlich durch Ankäufe erweitert wird. Der architektonisch gelungene Bau liegt direkt an der Isère und lässt durch große Glasflächen viel Tageslicht ins Innere.
Wer sich für regionale Geschichte interessiert, sollte dem Musée Dauphinois einen Besuch abstatten. In einem ehemaligen Kloster auf dem Hang unterhalb der Bastille untergebracht, dokumentiert es die Kultur und Traditionen der Dauphiné-Region. Besonders eindrucksvoll ist die Ausstellung über das Leben der Bergbauern, deren harte Existenz anschaulich dargestellt wird. Von der Terrasse des Museums aus bietet sich zudem ein fantastischer Blick auf die Stadt und das Isère-Tal.
Ein Highlight für Technikinteressierte ist das Musée de la Résistance et de la Déportation, das die Geschichte des französischen Widerstands gegen die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs beleuchtet. Grenoble spielte eine wichtige Rolle in der Résistance und wurde nach der Befreiung mit dem Kreuz der Légion d'Honneur ausgezeichnet. Die Ausstellung ist ergreifend gestaltet und verzichtet auf reißerische Effekte zugunsten einer authentischen Dokumentation der Ereignisse.
Für Familien empfiehlt sich ein Abstecher ins La Casemate, ein interaktives Wissenschaftsmuseum, das komplexe Phänomene spielerisch vermittelt. Hier darf experimentiert, getüftelt und entdeckt werden. Besonders beliebt: die "FabLab"-Werkstatt, in der Besucher unter Anleitung eigene kleine technische Projekte umsetzen können – vom 3D-gedruckten Souvenir bis zum programmierten Roboter.
Naturparadiese vor der Haustür
Der größte Trumpf Grenobles ist zweifellos die Nähe zu einigen der spektakulärsten Landschaften der französischen Alpen. Innerhalb einer Autostunde erreicht man drei Naturparks, die unterschiedlicher nicht sein könnten: den Parc Naturel Régional du Vercors im Westen, den Parc Naturel Régional de Chartreuse im Norden und den Parc National des Écrins im Südosten.
Das Vercors-Massiv mit seinen schroffen Kalksteinklippen und tiefen Schluchten ist ein Paradies für Kletterer und Höhlenforscher. Die Tropfsteinhöhlen von Choranche gehören zu den imposantesten Frankreichs und bieten mit ihren unterirdischen Seen und skurrilen Formationen eine faszinierende Unterwelt. Der Zugang ist gut erschlossen und auch für Kinder geeignet. Oben auf dem Plateau erstrecken sich weitläufige Almwiesen, auf denen im Sommer Kühe und Pferde grasen. Hier kann man tagelang wandern, ohne auf größere Menschenansammlungen zu stoßen.
Die Chartreuse nördlich von Grenoble ist benannt nach dem berühmten Kartäuserkloster Grande Chartreuse, in dem seit dem 11. Jahrhundert Mönche leben und den gleichnamigen Kräuterlikör herstellen. Das Kloster selbst kann nicht besichtigt werden, wohl aber ein Museum in der Nähe, das die Geschichte und Herstellung des Getränks dokumentiert. Die umliegenden Wälder sind von einer fast mystischen Dichte und Dunkelheit. Schmale Pfade führen durch Tannenwälder und über blumenübersäte Lichtungen zu versteckten Bergseen. An Wochenenden trifft man hier viele Grenoblois, die der Sommerhitze der Stadt entfliehen.
Der Nationalpark des Écrins schließlich repräsentiert die Hochalpen in ihrer ganzen Dramatik. Über 100 Gipfel erreichen hier Höhen von mehr als 3.000 Metern, darunter die Barre des Écrins (4.102 m) – der südlichste Viertausender der Alpen. Gletscher, reißende Gebirgsbäche und eine reiche Tierwelt mit Steinböcken, Murmeltieren und Gänsegeiern prägen dieses Naturschutzgebiet. Für Bergsteiger ist der Oisans, wie die Region auch genannt wird, ein wahres Eldorado. Aber auch weniger ambitionierte Wanderer finden gut markierte Wege, die zu spektakulären Aussichtspunkten führen.
Wer nicht selbst fahren möchte, kann die umliegenden Berge mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Regelmäßige Busverbindungen führen in die wichtigsten Täler, besonders während der Hauptsaison. Die Touristeninformation am Bahnhof hält detaillierte Fahrpläne und Wanderkarten bereit. Ein Geheimtipp: Die kleine Zahnradbahn von Saint-Georges-de-Commiers nach La Mure, die durch das malerische Tal der Drac führt und dabei 30 Tunnel und zahlreiche Viadukte passiert – ein technisches Wunderwerk aus dem frühen 20. Jahrhundert und gleichzeitig eine landschaftlich reizvolle Route.
Praktische Informationen und beste Reisezeit
Grenoble erreicht man am bequemsten mit dem TGV von Paris (etwa 3 Stunden) oder mit regionalen Zügen von Lyon oder Genf. Der kleine Flughafen Grenoble-Isère wird hauptsächlich im Winter von Charterflügen angeflogen. Alternativ bieten sich die internationalen Flughäfen von Lyon oder Genf an, von denen regelmäßige Shuttlebusse nach Grenoble verkehren.
Die Stadt selbst verfügt über ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz mit Straßenbahnen und Bussen. Besonders die fünf Tramlinien erschließen alle wichtigen Stadtteile und sind auch für Ortsunkundige leicht zu nutzen. Ein 24-Stunden-Ticket kostet etwa 5 Euro und lohnt sich bereits ab der dritten Fahrt. Für kürzere Strecken empfiehlt sich das Fahrrad – Grenoble gilt als eine der fahrradfreundlichsten Städte Frankreichs und verfügt über zahlreiche Radwege. Mit dem Leihfahrradsystem "Métrovélo" kann man sich unkompliziert ein Rad für Stunden oder Tage ausleihen.
Die Frage nach der besten Reisezeit für Grenoble lässt sich nicht pauschal beantworten – sie hängt stark von den persönlichen Interessen ab. Der Winter (Dezember bis März) eignet sich perfekt für Wintersportler, da mehrere Skigebiete in unmittelbarer Nähe liegen. Chamrousse, Les Sept Laux oder L'Alpe d'Huez sind in weniger als einer Stunde erreichbar und bieten Pisten für jedes Niveau.
Der Frühling (April/Mai) verwandelt die Bergwiesen in blühende Teppiche und bietet angenehme Temperaturen für Wanderungen im Mittelgebirge. Der Sommer (Juni bis August) kann in der Stadt durchaus heiß werden – nicht umsonst nennen die Franzosen Grenoble scherzhaft "la cuvette" (die Bratpfanne), da sich die Hitze zwischen den Bergen staut. Dann bietet sich eine Abkühlung an den Bergseen oder in den höheren Lagen an. Der Herbst schließlich (September/Oktober) lockt mit klarer Sicht, angenehmen Temperaturen und den farbenprächtigen Wäldern der Chartreuse.
Unabhängig vom Wetter findet das ganze Jahr über ein reges kulturelles Leben statt. Besonders erwähnenswert ist das Filmfestival von Grenoble im Juli, das sich dem Kurzfilm widmet, sowie die "Cabaret Frappé" im Sommer – eine Reihe von Freiluftkonzerten im Stadtgarten. Im Winter verwandelt sich der Place Victor Hugo in eine Eisbahn, umgeben von einem kleinen Weihnachtsmarkt mit regionalen Spezialitäten.
Wie in den meisten französischen Städten ist die Hotelkapazität in Grenoble begrenzt und die Preise können während großer Wissenschaftskonferenzen deutlich ansteigen. Eine rechtzeitige Buchung ist daher ratsam, besonders wenn man in der Nähe des Stadtzentrums übernachten möchte. Eine gute Alternative zu klassischen Hotels bieten die zahlreichen Ferienwohnungen, die oft von Universitätsangehörigen während ihrer Abwesenheit vermietet werden und einen authentischen Einblick in das Leben der Grenoblois ermöglichen.