Seit Juli 2017 überspannt sie das Grabengufer bei Randa im Kanton Wallis – die Charles Kuonen Hängebrücke, ein schmales Band aus Stahl und Drahtseilen, das sich 494 Meter lang zwischen zwei Bergflanken erstreckt. Mit dieser beeindruckenden Spannweite löste sie die damals längste Fußgängerbrücke "Titan-RT" im Harz ab und sicherte sich den Titel als längste Fußgänger-Hängebrücke Europas. Wobei längste nicht unbedingt breiteste bedeutet – gerade mal 65 Zentimeter misst die Gehfläche in der Breite. Wer über die Brücke schreitet, spürt jeden Windhauch durch leichte Schwankungen. Unter den Füßen liegt eine Gitterroststruktur, die den Blick nach unten freigibt. Nichts für zittrige Knie.
Nach mehreren Bergrutschen am Grabengufer musste der ursprüngliche Europaweg zwischen Grächen und Zermatt umgeleitet werden. Die Brücke schaffte Abhilfe und verkürzt die Wegstrecke erheblich – statt einem zweistündigen Umweg benötigst du für die Überquerung nur etwa zehn Minuten. Namensgebend für die Konstruktion war Charles Kuonen, ein Psychologe und Unternehmer aus Zermatt, der als Hauptsponsor fungierte. Die Kosten von rund 750.000 Schweizer Franken wurden größtenteils durch private Spenden gedeckt.
Die schwebende Passage ist nicht nur ein Hingucker, sondern auch eine technische Glanzleistung. Die Brücke wiegt insgesamt 58 Tonnen und hängt an Stahlseilen, die jeweils aus 53 Einzeldrähten bestehen. In die Felswände beiderseits des Grabengufers wurden massive Anker eingelassen, die das gesamte Gewicht und die auftretenden Kräfte aufnehmen. Besonders hervorzuheben: Die Brücke wurde in nur zehn Wochen errichtet – eine logistische Meisterleistung, zumal das gesamte Material per Helikopter eingeflogen werden musste.
Im Gegensatz zu anderen Hängebrücken in den Alpen verfügt die Charles Kuonen Brücke über relativ hohe Seitenwände aus Drahtgeflecht, die Sicherheit bieten, ohne die Aussicht zu beeinträchtigen. Die Ingenieure von Swissrope, einem auf Seilbahnen und Hängebrücken spezialisierten Unternehmen aus dem Wallis, haben die Konstruktion so konzipiert, dass sie Windgeschwindigkeiten bis zu 200 km/h und erheblichen Schneelasten standhält. Zudem kann die Brücke bis zu 250 Personen gleichzeitig tragen – was im Hochsommer durchaus vorkommen kann.
Ein Clou der Konstruktion: Der Belag besteht aus einem speziellen Gitterrost, der nicht nur das Gewicht reduziert, sondern auch Schnee und Regen durchlässt. Dies verringert die Windlast und verhindert gefährliche Eisbildung. Die Gitterstruktur sorgt allerdings auch dafür, dass man beim Überqueren stets den Abgrund unter sich sieht – nichts für schwache Nerven!
Atemberaubende Aussichten
Der eigentliche Star ist jedoch nicht die Brücke selbst, sondern die Aussicht, die sie bietet. Während du über dem Abgrund schwebst, entfaltet sich ein 360-Grad-Panorama der Walliser Alpen. Im Süden thront das ikonische Matterhorn (4.478 m), dessen charakteristische Pyramidenform selbst aus dieser Entfernung noch beeindruckt. Nach Westen blickst du auf das mächtige Weißhorn (4.505 m), dessen vergletscherte Flanken in der Sonne glitzern. An klaren Tagen kannst du sogar bis zum Dom (4.545 m), dem höchsten Berg, der vollständig auf Schweizer Territorium liegt, sehen.
Besonders beeindruckend ist der Blick in die Tiefe. Etwa 85 Meter unter dir liegt das Grabengufer, eine wilde Schlucht, die durch wiederholte Bergstürze entstanden ist. Das Rauschen des Baches dringt nur gedämpft nach oben. Die Vegetation wechselt je nach Höhenlage und Jahreszeit – von dunkelgrünen Arven und Lärchen über blühende Alpenwiesen bis hin zu kargen Felslandschaften.
Fotografen kommen hier voll auf ihre Kosten. Frühmorgens und am späten Nachmittag taucht das Licht die umliegenden Gipfel in warme Farben und schafft dramatische Kontraste. Die Brücke selbst bietet sich als Vordergrund für spektakuläre Landschaftsaufnahmen an. Allerdings ist bei starkem Wind auf der schwankenden Konstruktion ein Stativ kaum zu gebrauchen – besser auf eine kurze Belichtungszeit setzen oder die Kamera gut festhalten.
Der Europaweg
Die Charles Kuonen Hängebrücke ist kein isoliertes Ausflugsziel, sondern Teil des Europawegs, einer der spektakulärsten Höhenwanderungen der Alpen. Dieser anspruchsvolle Trail führt über 30 Kilometer von Grächen nach Zermatt und verläuft größtenteils zwischen 1.600 und 2.700 Metern Höhe. Der gesamte Weg lässt sich in zwei anstrengenden Tagesetappen bewältigen, wobei die Europahütte auf 2.265 Metern eine willkommene Übernachtungsmöglichkeit bietet.
Die Hängebrücke liegt etwa auf halbem Weg zwischen den beiden Ortschaften und stellt für viele Wanderer den unbestrittenen Höhepunkt dar. Vor ihrem Bau mussten Wanderer nach mehreren Erdrutschen am Grabengufer einen langen, mühsamen Umweg ins Tal hinunter und wieder hinauf in Kauf nehmen. Mit der Brücke wurde der Europaweg nicht nur wiederhergestellt, sondern um eine Attraktion reicher.
Doch die Wanderung bietet weit mehr als nur die Brücke. Auf dem gesamten Europaweg erwarten dich grandiose Ausblicke auf nicht weniger als 29 Viertausender, darunter so bekannte Gipfel wie Monte Rosa, Matterhorn und Weißhorn. Der Weg führt durch unterschiedlichste Alpine Landschaften – mal durch lichte Lärchenwälder, mal über steinige Geröllhalden, dann wieder über saftige Alpenwiesen, die im Frühsommer in allen Farben blühen. G'spässig: Immer wieder kreuzen neugierige Murmeltiere deinen Weg und verschwinden pfeifend in ihren Bauten, sobald du dich näherst.
Praktische Informationen für deinen Besuch
Die Brücke ist von Ende Mai bis Mitte Oktober begehbar, abhängig von den Schneeverhältnissen in höheren Lagen. In den Sommermonaten Juli und August kann es besonders am Wochenende recht voll werden. Willst du die Brücke weitgehend für dich haben, empfiehlt sich ein früher Start am Morgen oder ein Besuch unter der Woche.
Anreisen kannst du entweder von Randa, Grächen oder Zermatt aus. Die einfachste und kürzeste Route beginnt in Randa, einem kleinen Ort im Mattertal, der mit der Matterhorn-Gotthard-Bahn bequem erreichbar ist. Vom Bahnhof Randa folge den Wegweisern Richtung "Europaweg" und "Hängebrücke". Der Aufstieg zur Brücke dauert etwa zwei bis zweieinhalb Stunden und überwindet rund 1.000 Höhenmeter – eine ordentliche Steigung.
Alternativ kannst du die Brücke im Rahmen einer längeren Wanderung auf dem Europaweg erreichen. Von Grächen aus benötigst du etwa vier bis fünf Stunden bis zur Brücke, von Zermatt aus sind es etwa sechs bis sieben Stunden – in beiden Fällen sind Übernachtungen unterwegs sinnvoll.
Eine wichtige Angelegenheit: Festes Schuhwerk ist für den Aufstieg unbedingt erforderlich. Die Wege sind teilweise steil und können bei Nässe rutschig sein. Auch auf der Brücke selbst sorgen Wanderschuhe für den nötigen Halt. Packe außerdem ausreichend Wasser ein – auf dem Weg zur Brücke gibt es kaum Möglichkeiten zum Auffüllen.
Sicherheit und Verhaltensregeln
Trotz der beeindruckenden Höhe und Länge ist die Charles Kuonen Hängebrücke äußerst sicher konzipiert. Die Tragfähigkeit von 250 Personen wird selten ausgeschöpft, und regelmäßige Wartungsarbeiten garantieren die Integrität der Konstruktion. Dennoch solltest du einige grundlegende Verhaltensregeln beachten.
Bei starkem Wind oder während eines Gewitters ist von einer Überquerung abzusehen. Die Brücke kann bei extremen Wetterbedingungen erheblich schwanken, was nicht nur unangenehm, sondern potenziell gefährlich ist. Auch bei Schneefall oder Vereisung bleibt die Brücke gesperrt.
Während der Überquerung solltest du dich stets am Handlauf festhalten und in ruhigem Tempo gehen. Hüpfen oder absichtliches Schwanken sind nicht nur rücksichtslos gegenüber anderen Besuchern, sondern können auch zu Unfällen führen. Für Menschen mit ausgeprägter Höhenangst kann die Überquerung eine echte Herausforderung darstellen – die transparente Gitterstruktur des Bodens verstärkt das Gefühl, über dem Abgrund zu schweben.
Hunde dürfen die Brücke überqueren, sollten aber unbedingt an der Leine geführt werden. Für manche Vierbeiner kann das Schwanken der Brücke und der Blick durch den Gitterboden verunsichernd sein. Im Zweifelsfall solltest du deinen Hund lieber tragen oder einen alternativen Weg wählen.
Beste Besuchszeit und jahreszeitliche Besonderheiten
Die optimale Zeit für einen Besuch der Charles Kuonen Hängebrücke liegt zwischen Juni und September. In diesen Monaten sind die Wege meist schneefrei und gut begehbar. Der Juni besticht durch die prachtvolle Alpenflora – zahlreiche Enziane, Alpenrosen und Edelweiße verwandeln die Hänge in bunte Blütenteppiche. Im Hochsommer, besonders im August, erreichst du die Brücke bei stabilem Wetter und angenehmen Temperaturen, musst allerdings mit mehr Besuchern rechnen.
Der September bietet oft kristallklare Fernsicht nach den ersten Kaltfronten und weniger Andrang als in der Hauptsaison. Die Lärchen beginnen sich langsam gelb zu färben, was dem Landschaftsbild eine besondere Note verleiht. In manchen Jahren kann die Brücke bis in den Oktober hinein begangen werden, doch ist dann bereits mit ersten Schneefällen in höheren Lagen zu rechnen.
Die Wetterbedingungen im Hochgebirge können sich schnell ändern. Selbst an sonnigen Sommertagen kann es plötzlich zu Gewittern kommen. Deshalb ist es ratsam, vor dem Aufbruch einen Blick auf die lokale Wettervorhersage zu werfen. Die Webseite des Tourismusbüros Randa oder die App "MeteoSchweiz" liefern zuverlässige Informationen.
Ein besonderes Schauspiel bietet sich an klaren Frühlingsmorgen, wenn die umliegenden Viertausender im ersten Sonnenlicht erglühen, während das Tal noch im Schatten liegt. Fotografen sollten für solche Momente früh aufstehen – der Anmarsch im Dunkeln lohnt sich für diese magischen Lichtstimmungen allemal.