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Berchtesgaden: Wo die Natur dramatisch und die Geschichte schwer wiegt

Steile Felsen, spiegelglattes Wasser, tiefe Stollen. Berchtesgaden ist schön, ja. Aber auch komplex, vielschichtig. Eine Region, die dich nicht nur mit ihren Postkartenmotiven einnimmt, sondern auch mit einer Schwere, die unter der Oberfläche liegt.

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Zwischenablage

Berchtesgaden – der Name allein ruft Bilder hervor. Ganz klar dominiert wird das Panorama vom Watzmann. Er ist nicht nur ein Berg, sondern eine Präsenz, ein Wahrzeichen, das fast von überall sichtbar ist. Diese markante Form, die sogenannte „Watzmann-Jungfrau" und die Kinder, wenn man die umliegenden Gipfel mit einbezieht, hat unzählige Sagen inspiriert. Aber jenseits der Mythologie ist er eine ernsthafte Herausforderung. Die berühmte Ostwand etwa ist die höchste Felswand der Ostalpen, ein Magnet für Bergsteiger, aber auch ein Ort, der Respekt einflößt. Schon mancher ist hier am Berg geblieben. Wenn man auf der anderen Seite des Tals sitzt, vielleicht bei einer deftigen Brotzeit auf einer Alm, und der Blick schweift zur Ostwand, wird einem die schiere Dimension dieser Natur bewusst. Das ist alpine Dramatik pur.

Unten im Tal liegt der Königssee, oft als der Inbegriff deutscher Alpenromantik bezeichnet. Und ja, das stimmt. Dieses tiefgrüne, fast schon smaragdgrüne Wasser, umrahmt von steil aufragenden Felswänden, wirkt unwirklich ruhig. Motorboote sind verboten, nur Elektroboote und Ruderboote dürfen den See befahren, was eine angenehme Stille gewährleistet. Die Bootsfahrt zur Wallfahrtskirche St. Bartholomä auf der schmalen Halbinsel ist ein Muss. Unterwegs hält der Bootsführer oft kurz an, um mit einer Trompete oder einem Flügelhorn das berühmte Echo von der Echowand zu demonstrieren. Das Geräusch hallt mehrfach zurück, klar und eindringlich. St. Bartholomä selbst ist mit seinen roten Zwiebelhauben ein weltbekanntes Motiv, eingebettet zwischen Berg und See, ein Ort des Friedens und der Einkehr.

Von St. Bartholomä aus führt ein leichter Wanderweg zum Obersee, der noch unberührter wirkt als der Königssee. Hier ist das Wasser noch klarer, spiegelglatt, und am hinteren Ende stürzt der Röthbachfall, Deutschlands höchster Wasserfall, über eine Felswand hinab. Manchmal, wenn das Wetter passt, sieht man dort hinten auf den Almen Kühe grasen, umrahmt von dieser imposanten Bergkulisse. Das ist diese alpine Romantik, die keine Kitschpostkarte ersetzen kann – es ist das Geräusch der Kuhglocken, der Duft von Almkräutern, die reine Luft.

Die gesamte Region ist Teil des Nationalparks Berchtesgaden, dem einzigen deutschen Alpen-Nationalpark. Die Gründung 1978 war ein wichtiger Schritt, um diese einzigartige Landschaft zu schützen und zu erhalten. Hier geht es darum, der Natur ihren Lauf zu lassen. Das bedeutet, dass viele Wege nur auf ausgewiesenen Pfaden begangen werden dürfen und die Regeln streng sind. Aber dafür bietet der Park unzählige Wandermöglichkeiten, von einfachen Spaziergängen am Seeufer bis hin zu anspruchsvollen Hochgebirgstouren. Mit etwas Glück kann man hier Steinböcke, Gämsen oder gar Murmeltiere beobachten.

Nicht zu vergessen sind kleinere, aber nicht minder reizvolle Orte wie Ramsau. Die Pfarrkirche St. Sebastian mit ihrer malerischen Brücke über den Gebirgsbach ist ein weiteres oft fotografiertes Motiv. Von Ramsau aus ist es nicht weit zum Hintersee und dem angrenzenden Zauberwald. Dieser Wald, durch den die Ramsauer Ache fließt, ist ein Gewirr aus riesigen Felsbrocken, die vor langer Zeit vom Hochkalter abgerutscht sind, durchsetzt mit uralten Bäumen und moosbewachsenen Steinen. Besonders im Herbst, wenn das Licht weich wird, wirkt er tatsächlich ein wenig magisch, fast verwunschen.

Salz, Fürsten und Schatten: Die geschichtliche Tiefe

Die Geschichte Berchtesgadens reicht weit zurück und ist eng mit einem Bodenschatz verbunden: dem Salz. Das Salzbergwerk Berchtesgaden ist das älteste noch aktive Salzbergwerk Deutschlands und liefert seit 1517 ununterbrochen "weißes Gold". Ein Besuch hier ist wie eine Zeitreise unter Tage. Man steigt in eine Grubenbahn, fährt tief in den Berg hinein, rutscht auf Holzrutschen von einer Ebene zur nächsten – eine Erfahrung, die nicht nur für Kinder spannend ist. Spannend ist dabei auch, wie stark das Salz die Entwicklung der Region geprägt hat. Der Reichtum durch den Salzabbau ermöglichte dem Berchtesgadener Land die Entwicklung zu einer Fürstpropstei, einem eigenständigen geistlichen Territorium im Heiligen Römischen Reich über Jahrhunderte. Diese Autonomie bis zur Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts verlieh Berchtesgaden eine besondere Identität.

Das ehemalige Fürstpropstei-Schloss, heute Königliches Schloss Berchtesgaden, und die Stiftskirche St. Peter und St. Johannes der Täufer im Zentrum der Marktgemeinde zeugen von dieser Zeit. Der Schlossplatz ist das Herzstück des Ortes, ein schöner Platz zum Verweilen, um die Architektur zu betrachten und das Treiben zu beobachten. Die Stiftskirche ist imposant und birgt Kunstschätze aus verschiedenen Epochen, ein Spiegelbild der langen und wechselvollen Geschichte des Stifts.

Diese geschichtliche Tiefe hat aber auch sehr dunkle Kapitel. Nirgendwo wird das so deutlich wie am Obersalzberg, oberhalb von Berchtesgaden. Hier richtete das NS-Regime seine zweite Machtzentrale ein, ein Ort, der mit den schlimmsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts verbunden ist. Hitlers Berghof stand hier, die Führersperrgebiet umfasste ein riesiges Areal. Nach dem Krieg wurden die Gebäude der Nazizeit weitgehend zerstört, um Wallfahrten von Ewiggestrigen zu verhindern.

Heute ist die Dokumentation Obersalzberg ein wichtiger und notwendiger Ort des Gedenkens und der Aufklärung. Sie informiert sachlich und schonungslos über die Geschichte des Obersalzbergs während der NS-Zeit, über die Verbrechen des Regimes und die Rolle dieses Ortes dabei. Der Besuch ist keine leichte Kost, er macht nachdenklich und bedrückt, aber er ist essenziell, um die Geschichte dieser Region – und Deutschlands – zu verstehen. Man kann auch noch Teile des weitläufigen Bunkersystems besichtigen, das damals unter dem Gelände angelegt wurde. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, durch diese kalten, feuchten Gänge zu gehen, während draußen die Sonne scheint und die Natur so friedlich aussieht. Die dramatische Landschaft kontrastiert hier auf schmerzliche Weise mit der Schwere der Geschichte.

Leben und Treiben: Atmosphäre und Gaumenfreuden

Abseits der großen Sehenswürdigkeiten und der schweren Geschichte bietet Berchtesgaden auch einfach das Leben eines bayerischen Marktes in den Bergen. Die Fußgängerzone lädt zum Bummeln ein, mit traditionellen Geschäften, die Tracht, Holzschnitzereien oder regionale Spezialitäten anbieten. Hier hört man den bayerischen Dialekt, mal sanfter, mal deftiger. Manchmal trifft man Einheimische in Tracht, nicht als Verkleidung für Touristen, sondern als Ausdruck ihrer Identität. Es gibt gemütliche Cafés, in denen man eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen genießen kann, und natürlich Gasthäuser und Wirtshäuser.

Die bayerische Küche ist hier ehrlich und deftig. Freu dich auf Schweinshaxe mit Knödeln, Kaiserschmarrn, oder einfach eine zünftige Brotzeit mit Wurst, Käse, Radi (Rettich) und frischem Bauernbrot. Dazu gehört natürlich ein kühles Bier – die Region hat ihre eigenen Brauereien. Besonders schön ist es im Sommer, in einem Biergarten unter alten Kastanien zu sitzen, die Abendsonne auf den Berggipfeln zu sehen und einfach die Atmosphäre aufzusaugen. Die sogenannte Gemütlichkeit ist hier keine leere Floskel, sondern ein Lebensgefühl, das man spürt, wenn man sich darauf einlässt.

Die Region bietet das ganze Jahr über Aktivitäten. Im Sommer dominieren Wandern, Klettern und Wassersport auf den Seen. Der Jenner ist mit seiner modernen Seilbahn ein beliebter Ausgangspunkt für Wanderungen oder einfach nur, um die Aussicht zu genießen. Im Winter verwandelt sich die Landschaft. Der Königssee friert selten zu, aber die Berge bieten Möglichkeiten zum Skifahren (eher kleinere Gebiete), Snowboarden, Rodeln oder Winterwandern. Die Roßfeld-Panoramastraße, Deutschlands höchste durchgehende Panoramastraße, bietet auch im Winter spektakuläre Ausblicke, ist dann aber oft nur mit Winterreifen oder Schneeketten befahrbar.

Unterwegs im Berchtesgadener Land

Berchtesgaden ist am einfachsten mit dem Auto erreichbar, die Autobahn A8 von München ist die Hauptroute. Aber auch mit der Bahn ist es möglich, wenn auch mit Umsteigen, meist in Freilassing. Vom Bahnhof Berchtesgaden fahren Busse in die umliegenden Orte und zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Das Busnetz ist für eine Alpenregion relativ gut ausgebaut, aber manche entlegenere Almen oder Ausgangspunkte sind nur mit dem Auto oder zu Fuß erreichbar. Parkplätze können in der Hochsaison, besonders am Königssee und in der Marktgemeinde, Mangelware sein, oder teuer.

Übernachtungsmöglichkeiten gibt es reichlich, vom einfachen Gasthof über Ferienwohnungen bis hin zu Hotels. Wer es traditionell mag, sucht sich eine Pension oder ein Zimmer auf dem Bauernhof. Früh buchen, besonders in der Ferienzeit, schadet nicht.

Berchtesgaden ist kein Ort für einen schnellen Durchreise-Stopp. Um die Region wirklich zu erfahren, braucht man Zeit. Zeit, um die Stille am Obersee auf sich wirken zu lassen, Zeit, um sich im Dokumentationszentrum mit der Geschichte auseinanderzusetzen, Zeit, um einfach mal in einem Wirtshaus zu sitzen und „schau ma mal" zu sagen, wenn man gefragt wird, was als Nächstes kommt.

Berchtesgaden bietet diese seltene Kombination aus atemberaubender Naturschönheit, die an manchen Stellen fast schon unwirklich wirkt, alpiner Idylle, die zum Entspannen einlädt, und einer vielschichtigen Geschichte, die nachdenklich macht. Es ist eine Region, die nicht nur oberflächlich begeistert, sondern auch fordert und tiefer blicken lässt. Der Watzmann schaut zua, wie die Einheimischen sagen, und unter seinem Blick entfaltet sich ein facettenreiches Bild, das noch lange nach der Abreise im Gedächtnis bleibt.

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