Österreich

Rauschende Wasser, stille Almen: Das Tiroler Lechtal abseits ausgetretener Pfade

Der türkisfarbene Lech schlängelt sich durch ein Tal, das Natürlichkeit noch ernst nimmt. Hier verschmelzen raue Bergwelt und sanfte Almwiesen zu einem Paradies für Wanderer, die dem Massenbetrieb entfliehen wollen.

Österreich  |  Natur & Aktivitäten
Lesezeit: ca. 9 Min.
Kommentare
Teilen
Facebook
Pocket
E-Mail
0
Kommentare
Facebook
Pocket
E-Mail
Zwischenablage

Blaues Band zwischen steilen Bergflanken – der Lech zählt zu den letzten frei fließenden Flüssen des Alpenraums. Anders als die meisten seiner Artgenossen wurde er nicht in ein Korsett aus Beton gezwängt. Stattdessen darf er sich auf weiter Flur ausbreiten, sein Bett nach Lust und Laune verlegen und im Frühsommer, wenn der Schnee auf den Berggipfeln schmilzt, auch mal über die Ufer treten. Da hat das türkisblaue Wasser seinen großen Auftritt. Es zischt über Kiesbänke, formt verschlungene Seitenarme und schafft ein Mosaik aus Feuchtgebieten, das in den Alpen mittlerweile selten geworden ist.

Der Tiroler Teil des Lechs erstreckt sich auf etwa 60 Kilometern von seiner Quelle am Formarinsee nahe der Gemeinde Lech am Arlberg bis zur deutschen Grenze bei Füssen. Knapp dahinter befindet sich übrigens der berühmte Lech-Wasserfall – doch der gehört schon zum bayerischen Teil des Flusses. Das eigentliche Lechtal beginnt bei Steeg und zieht sich nordostwärts bis Reutte. Wild ist der Fluss vor allem im oberen Abschnitt zwischen Steeg und Holzgau, wo er ungebremst durch ein relativ breites Talbecken strömt.

Die Besonderheit dieses Flusses hat man auch offiziell anerkannt: Der Lech ist seit 2004 Naturschutzgebiet und Teil des Naturparks Tiroler Lech. Durch diesen Status bleibt der alpine Wildfluss hoffentlich auch für kommende Generationen als solcher erhalten. Ein bisschen stolz darf man sein: Immerhin hat die UNESCO das Gebiet als Biosphärenpark in ihr Weltnaturerbe aufgenommen.

Eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch

Das Lechtal ist keine Kulisse für Instagram. Es ist echt. Steingraue Bergriesen ragen zu beiden Seiten auf – im Norden die Allgäuer Alpen, im Süden die Lechtaler Alpen mit dem markanten Medriol (2.645 m), einem Aussichtsberg der Extraklasse. Zwischen diesen massiven Wänden breitet sich das Tal in überraschender Weite aus. Saftige Wiesen leuchten im Frühsommer in allen Farbtönen, die die Natur zu bieten hat. Während andernorts Almwiesen längst dem Pistenbau zum Opfer gefallen sind, finden hier noch seltene Orchideen, Enzianen und Anemonen ihren Platz.

Die Luft riecht würzig nach Thymian und Bergkräutern. Das Plätschern des Flusses bildet die ständige Begleitmusik. Dazu gesellen sich die Kuhglocken der weidenden Rinder und das gelegentliche Zirpen einer Grille. Im Herbst mischen sich Goldtöne ins Grün, wenn die Lärchen ihre Farbe wechseln. Unter Fotografen gilt das Tal dann als Geheimtipp für Landschaftsaufnahmen.

Bemerkenswert sind auch die alten Walser-Siedlungen. Die Nachfahren der aus dem Wallis eingewanderten Bauern haben dem Tal ihren architektonischen Stempel aufgedrückt. Altertümliche Holzhäuser mit kunstvollen Schnitzereien zeugen von einer Zeit, als das Handwerk noch goldenen Boden hatte. In Dörfern wie Bach, Elbigenalp oder Häselgehr scheint die Zeit manchmal stehen geblieben zu sein – was keineswegs negativ gemeint ist. Gegen den Einheitsbrei moderner Alpen-Architektur wirken diese Ortschaften wie eine willkommene Auszeit.

Wandern im Einklang mit der Natur

Das Lechtal bietet Wandermöglichkeiten für jeden Geschmack und jede Kondition. Besonders reizvoll ist der Lechweg, ein 125 Kilometer langer Fernwanderweg, der in mehreren Etappen von der Quelle bis zum Lechfall bei Füssen führt. Vom Deutschen Wanderinstitut als "Leading Quality Trail – Best of Europe" zertifiziert, folgt er weitgehend dem Flusslauf. Die Tagesetappen sind mit durchschnittlich 15 bis 20 Kilometern auch für Gelegenheitswanderer machbar.

Wer's kürzer mag, findet zahlreiche Rundwege und Themenpfade. Der "Natursprünge-Weg" bei Elmen beispielsweise bringt Erwachsenen und Kindern die Besonderheiten der Flusslandschaft näher. Beim Gehen über den knirschenden Kies der Uferbänke lässt sich das Wesen des Wildflussês aus nächster Nähe erleben. Manchmal muss man dabei dem Flusslauf ein Stück weit ausweichen – der Lech nimmt sich, was er braucht, und das ist gut so.

Anspruchsvoller wird es in den Lechtaler Alpen. Die Höhenwege dort zählen zu den schönsten der Ostalpen. Der Lechtaler Höhenweg, der von Hütte zu Hütte führt, ist ein Klassiker für erfahrene Alpinisten. Eine Woche sollte man für die gesamte Route einplanen. Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sind hier Grundvoraussetzung – die exponierten Pfade und luftigen Grate sind nichts für wackelige Knie. Dafür belohnen atemberaubende Ausblicke über das gesamte Tal.

Im Winter verwandelt sich das Lechtal in ein Eldorado für Langläufer. Über 100 Kilometer gespurte Loipen ziehen sich durch das verschneite Tal. Anders als in manch überlaufenen Skigebieten geht es hier beschaulich zu. Keine Après-Ski-Hütten mit dröhnender Musik, sondern das sanfte Gleiten durch die weiße Pracht steht im Mittelpunkt. Fast fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt.

Lebendige Traditionen und Handwerkskunst

Die Lechtaler haben ihre eigene Art, Traditionen zu pflegen – nicht als touristisches Spektakel, sondern als Teil ihrer Identität. Die "Geierwally-Freilichtbühne" in Elbigenalp bringt jeden Sommer ein Stück regionaler Kulturgeschichte auf die Bühne. Der Name geht zurück auf die Romanfigur der Anna Stainer-Knittel, einer mutigen Frau, die Ende des 19. Jahrhunderts Adlerjunge aus Felsnischen holte. Eine für damalige Verhältnisse völlig ungewöhnliche Tätigkeit für eine Frau.

In Elbigenalp befindet sich auch die Schnitzschule, eine der ältesten ihrer Art in Tirol. Seit 1853 werden hier talentierte Holzbildhauer ausgebildet. Ein Besuch lohnt – die Arbeiten der Schüler zeugen von einer Kunstfertigkeit, die andernorts längst dem Maschinenzeitalter zum Opfer gefallen ist. Im angeschlossenen Schauraum kann man den Künstlern bei der Arbeit über die Schulter schauen und ihre Werke erwerben. Kein billiger Souvenirkitsch, sondern echtes Handwerk, das seinen Preis hat.

Die kulinarischen Traditionen des Lechtals sind bodenständig und ehrlich. In den Gasthäusern kommen Käsknöpfle, Tiroler Gröstl oder Kasspatzn auf den Tisch – Gerichte, die nach körperlicher Arbeit entwickelt wurden und entsprechend nahrhaft ausfallen. Dazu ein Glas Most oder ein Bier aus einer der lokalen Kleinbrauereien, und der Tag klingt perfekt aus. Regionale Besonderheit: der Lechtaler Bergkäse, der auf den Almen oberhalb des Tales hergestellt wird. Kräutrig im Geschmack und mit deutlicher Würze, spiegelt er die Artenvielfalt der Almwiesen wider.

Sanfter Tourismus als Zukunftsmodell

Das Lechtal hat sich bewusst gegen den Massentourismus entschieden. Keine Bettenburgen, keine überdimensionierten Liftanlagen, keine künstlich angelegten Attraktionen. Stattdessen setzt man auf Qualität statt Quantität. Kleine, familiengeführte Unterkünfte dominieren das Angebot – vom urigen Bauernhof bis zur gediegenen Pension. Zertifizierte Naturpark-Gastgeber haben sich besonders der Nachhaltigkeit verschrieben und verwenden bevorzugt regionale Produkte.

Die Verkehrsanbindung ins Lechtal ist zugegebenermaßen nicht optimal. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln braucht man etwas Geduld und gute Planung. Von Reutte aus fahren regelmäßig Busse taleinwärts, aber die Taktung lässt manchmal zu wünschen übrig. Hat man's jedoch einmal hierher geschafft, lässt sich vor Ort vieles zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigen. In der Hauptsaison verkehrt ein Wanderbus zwischen den wichtigsten Ausgangspunkten für Touren.

Mittlerweile haben auch E-Bikes Einzug gehalten. Die elektrischen Drahtegel erleichtern die Fortbewegung im doch recht langgestreckten Tal erheblich. Mehrere Verleihstationen bieten moderne Modelle an – nicht ganz billig, aber ihr Geld wert, wenn man die verschiedenen Seitentäler erkunden möchte. Die meist wenig befahrenen Nebenstraßen eignen sich gut zum Radfahren, und mancherorts wurden extra Radwege angelegt.

Die besten Aussichtspunkte und Geheimtipps

Wer das Lechtal in seiner ganzen Pracht erleben will, sollte unbedingt einige der spektakulären Aussichtspunkte ansteuern. Die Jöchelspitze (2.226 m) bei Elbigenalp ist mit der Gondelbahn bequem zu erreichen und bietet einen grandiosen Panoramablick übers gesamte Tal. Ambitioniertere Bergsteiger wagen sich auf den Thaneller (2.341 m) bei Berwang – ein markanter Berg, der wie ein Wächter über dem östlichen Lechtal thront.

Ein echter Geheimtipp ist die Bernhardseckhütte auf 1.812 Metern. Die private Alm oberhalb von Bach ist nur zu Fuß erreichbar (etwa zweieinhalb Stunden Aufstieg), belohnt aber mit hausgemachten Spezialitäten und einer Terrasse mit Ausblick, für den andere Regionen Eintritt verlangen würden. Da die Hütte nicht von einer großen Alpenvereinssektion betrieben wird, bleibt es selbst im Hochsommer vergleichsweise ruhig.

Kaum bekannt, aber umso beeindruckender ist die Doser-Wasserfall bei Stockach. Ein kurzer, etwas versteckt beginnender Pfad führt zu dem rauschenden Naturschauspiel, das in einer moosbedeckten Schlucht über mehrere Kaskaden zu Tal stürzt. An heißen Sommertagen sorgt die feuchte Gischt für willkommene Abkühlung. Vom Wanderparkplatz in Stockach ist der Wasserfall in etwa 20 Minuten zu erreichen – ein lohnender Abstecher für Zwischendurch.

Für Kulturinteressierte ist das Pestkapelle in Holzgau ein faszinierender Ort. Das unscheinbare Kirchlein erinnert an die Pestepidemie von 1635, die das Tal heimsuchte. Die Innenausmalung mit ihren drastischen Darstellungen des Todes zeugt davon, wie präsent die Bedrohung durch Seuchen damals war. Irgendwie passt es zur rauen Bergwelt, dass hier auch die dunklen Seiten des Lebens nicht ausgeblendet werden.

Praktische Hinweise für die Reiseplanung

Die beste Reisezeit fürs Lechtal liegt zwischen Mai und Oktober. Im Frühsommer explodieren die Almwiesen förmlich vor Blütenpracht, während der Herbst mit seiner Farbenpracht und klaren Fernsicht lockt. Juli und August bringen zwar stabileres Wetter, aber auch die meisten Besucher. Wer's ruhiger mag, kommt besser in den Randmonaten.

Wasserfeste Wanderschuhe sind Pflicht – selbst bei schönstem Wetter kann ein Almweg nach einem nächtlichen Gewitter schnell matschig werden. Die Temperaturen schwanken im Gebirge erheblich, deshalb gehört eine warme Jacke stets ins Gepäck, auch im Sommer. Wie überall in den Alpen kann das Wetter binnen kurzer Zeit umschlagen. Eine Regenjacke sollte griffbereit sein, wenn du zu einer längeren Tour aufbrichst.

Die Übernachtungspreise bewegen sich im mittleren Segment. Für ein Doppelzimmer mit Frühstück in einer ordentlichen Pension zahlt man zwischen 70 und 100 Euro. Günstiger wird es in den wenigen, einfachen Gasthöfen oder auf einem der Bauernhöfe, die Zimmer anbieten. Luxuriöse Wellness-Hotels sucht man im Lechtal fast vergeblich – wer Wert auf gehobenen Komfort legt, wird eher in Lech am Arlberg fündig, das allerdings preislich in einer anderen Liga spielt.

In den Berghütten der Region ist eine Reservierung in der Hauptsaison unbedingt erforderlich, manchmal schon Wochen im Voraus. Das gilt besonders für die beliebten Stützpunkte am Lechtaler Höhenweg wie die Memminger Hütte oder die Ansbacher Hütte. Die Hüttenwirte nehmen Reservierungen meist per Telefon oder E-Mail entgegen.

Schreibe einen Kommentar
Bitte anmelden, um einen Kommentar zu schreiben.
 
Du 

Bisher keine Kommentare
Entdecke mehr:
Nach oben scrollen