Schweiz

Museum Engiadinais in St. Moritz: Zeitreise in 500 Jahre Engadiner Alpenleben

Im Museum Engiadinais verschmelzen fünf Jahrhunderte Engadiner Lebensart zu einem faszinierenden Zeitgemälde. Hier spricht sogar das Holz Rätoromanisch.

Schweiz  |  Kultur & Geschichte
Lesezeit: ca. 5 Min.
Kommentare
Teilen
Facebook
Pocket
E-Mail
0
Kommentare
Facebook
Pocket
E-Mail
Zwischenablage

Schon der erste Blick aufs Gebäude verrät: Hier steckt mehr dahinter als nur eine Sammlung alter Gegenstände. Das 1906 eröffnete Museum Engiadinais ist selbst ein Kunstwerk, konzipiert vom renommierten Architekten Nicolaus Hartmann im authentischen Engadinerstil. Die charakteristischen Sgraffiti-Verzierungen an der Fassade und die für die Region typischen kleinen Fenster mit ihren tiefen Laibungen lassen das Gebäude wie aus einem anderen Jahrhundert wirken – was es ja auch ist.

Dahinter verbirgt sich die Leidenschaft eines Mannes: Riet Campell, der Museumsgründer, sammelte über Jahrzehnte hinweg Originalinterieurs und Einrichtungsgegenstände aus dem Engadin und angrenzenden Regionen. Seine Vision war klar: Er wollte die einzigartige Kultur des einzigen Schweizer Tals bewahren, das seine eigene Sprache besitzt. Dass diese Sammelleidenschaft heute zu einem der authentischsten Regionalmuseen der Alpen geführt hat, ist durchaus bemerkenswert.

21 Räume, 500 Jahre Geschichte

Wer durch die 21 Räume des Museums wandelt, unternimmt eine Zeitreise der besonderen Art. Die vom 15. bis ins 19. Jahrhundert reichende Sammlung zeigt nicht nur, wie die Engadiner früher gelebt haben, sondern auch, wie sie überlebt haben. Denn das Leben in dieser Höhenlage war alles andere als einfach – die langen Winter, die kurzen Sommer und die Abgeschiedenheit prägten eine ganz eigene Lebensweise.

Besonders eindrucksvoll sind die komplett erhaltenen Stuben, deren dunkel getäfelte Wände noch heute Geschichten zu erzählen scheinen. Manche der ausgestellten Stücke sind bis zu 500 Jahre alt – man spürt förmlich die Patina der Zeit. In der herrschaftlichen Küche riecht man fast noch den Rauch des offenen Feuers, während die Schlafkammer mit ihren kunstvoll bemalten Möbeln zeigt, dass auch in den Bergen Wert auf Schönheit gelegt wurde.

Spektakulär ist der Prunksaal aus dem Veltlin – ein wahres Juwel barocker Handwerkskunst, das zeigt, wie weit die kulturellen Verbindungen der Engadiner reichten. Die reich verzierten Holzarbeiten und die kunstvolle Bemalung lassen erahnen, dass hier nicht nur Bauern, sondern auch wohlhabende Kaufleute und Handwerker lebten.

Rätoromanisch – Die Sprache, die überlebt

Nirgendwo sonst wird die Besonderheit des Engadins so deutlich wie bei der Sprache. Rätoromanisch ist nicht nur UNESCO-Weltkulturerbe, sondern auch gelebte Realität – auch wenn man das als Tourist oft gar nicht mitbekommt. Das Museum widmet der vierten Landessprache der Schweiz eine eigene Dauerausstellung, die auch Sprachlaien fasziniert.

Spannend ist dabei, dass Rätoromanisch nicht gleich Rätoromanisch ist. Die verschiedenen Idiome unterscheiden sich teilweise so stark, dass sich Sprecher aus verschiedenen Tälern nicht ohne weiteres verstehen. Im Museum erfährt man, wie diese alte Sprache bis heute überlebt hat und warum sie für die Identität der Engadiner so wichtig ist. Der mehrsprachige E-Guide – verfügbar in sieben Sprachen – macht die Zusammenhänge auch für internationale Besucher verständlich.

Nach der Sanierung: Tradition trifft Moderne

2015 und 2016 wurde das Museum umfassend saniert – ein heikles Unterfangen bei einem so historischen Gebäude. Die Verantwortlichen haben dabei geschickt den Spagat zwischen Denkmalpflege und modernen Museumsstandards geschafft. Die sanfte Erweiterung bietet nun Platz für Schausammlungen und Wechselausstellungen, ohne den ursprünglichen Charakter zu zerstören.

Technisch ist das Museum heute auf dem neuesten Stand: Der Tablet-E-Guide führt Besucher durch die Sammlung und erklärt nicht nur die Exponate, sondern auch die kulturhistorischen Zusammenhänge. Dass dieser Guide in sieben Sprachen verfügbar ist, zeigt, wie international das Publikum des Museums ist – kein Wunder bei der Lage in St. Moritz.

Jährlich gibt es zusätzlich zur Dauerausstellung eine Sonderausstellung, die verschiedene Aspekte der Engadiner Kultur beleuchtet. Diese wechselnden Präsentationen sorgen dafür, dass auch Stammgäste immer wieder Neues entdecken können.

Praktisches für den Besuch

Das Museum liegt etwas abseits des Trubels von St. Moritz Dorf, nämlich in St. Moritz Bad an der Via dal Bagn 39. Die Buslinien 1 und 9 vom Bahnhof oder die Linien 1, 6 und 9 vom Schulhausplatz bringen dich zur Haltestelle "St. Moritz Bad, Via Aruons". Von dort sind es nur wenige Gehminuten zum Museum. Parkplätze gibt es direkt am Museum keine – ein kleiner Wermutstropfen für Autofahrer.

Geöffnet ist das Museum saisonal: Im Winter vom 1. Dezember bis 16. April, im Sommer vom 25. Mai bis 29. Oktober, jeweils donnerstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr. Diese Öffnungszeiten passen gut zum Rhythmus des Engadins, wo die Hauptsaisons klar definiert sind.

Warum sich der Besuch lohnt

St. Moritz ist bekannt für Luxus, Champagner und internationale Jetset-Atmosphäre. Das Museum Engiadinais zeigt eine ganz andere Seite: die bodenständige, traditionsreiche Kultur einer einzigartigen Bergregion. Wer verstehen will, was das Engadin abseits von Glamour und Kommerz ausmacht, findet hier authentische Antworten.

Besonders wertvoll ist das Museum für alle, die sich für Kulturgeschichte interessieren. Die Sammlung zeigt nicht nur schöne alte Gegenstände, sondern erzählt die Geschichte einer Lebensweise, die sich über Jahrhunderte in einer der extremsten Landschaften Europas behauptet hat. Dass diese Kultur heute noch lebendig ist – man hört Rätoromanisch auf den Straßen, sieht die typische Architektur überall im Tal – macht den Museumsbesuch zu mehr als nur einer historischen Besichtigung.

Für Familien mit Kindern ist das Museum übrigens durchaus geeignet, auch wenn es nicht explizit als Kindermuseum konzipiert ist. Die authentischen Räume mit ihren niedrigen Decken und geheimnisvollen Ecken üben auf junge Besucher oft eine besondere Faszination aus. Und wer weiß – vielleicht wird hier das Interesse für Geschichte und fremde Kulturen geweckt.

Schreibe einen Kommentar
Bitte anmelden, um einen Kommentar zu schreiben.
 
Du 

Bisher keine Kommentare
Entdecke mehr:
Nach oben scrollen