Stell dir vor, du steigst aus dem Schiff und hörst – nichts. Kein Motorengebrumm, keine hupenden Autos, nicht mal das Surren eines E-Bikes. Quinten am Walensee ist tatsächlich so ein Ort, wo die Zeit anders tickt. Das winzige Dörfchen mit seinen 47 Einwohnern liegt auf einem schmalen Landvorsprung, eingeklemmt zwischen den monumentalen Felswänden der Churfirsten und dem tiefblauen Walensee.
Wirklich bemerkenswert ist dabei die geografische Lage: Quinten ist praktisch eine Insel auf dem Festland. Von drei Seiten umschließt das Wasser den Ort, während im Süden die Nordwände der Churfirsten senkrecht in die Höhe ragen. Diese natürliche Barriere macht das Dorf zu einem der wenigen autofreien Orte der Schweiz – nicht aus Prinzip, sondern schlicht aus Unmöglichkeit.
Das Besondere an diesem abgeschiedenen Fleckchen Erde zeigt sich schon bei der Anreise. Entweder du wanderst von Weesen oder Walenstadt her über die Uferwege – eine schöne, aber durchaus anspruchsvolle Tour – oder du nimmst das Schiff. Letzteres ist definitiv die entspanntere Variante und funktioniert das ganze Jahr über.
Mediterranes Mikroklima zwischen Alpengipfeln
Was Quinten wirklich außergewöhnlich macht, ist sein Klima. Während ein paar Kilometer weiter noch Alpenwetter herrscht, gedeihen hier tatsächlich Feigen, Kiwis und andere Südfrüchte. Die steilen Felswände der Churfirsten wirken wie ein riesiger Reflektor und verstärken die Sonneneinstrahlung erheblich. Gleichzeitig schützen sie vor kalten Nordwinden.
Dieses mediterrane Mikroklima ist kein Zufall der Natur, sondern hat handfeste geografische Gründe. Der Walensee liegt auf nur 419 Metern über Meer, die Churfirsten-Nordwände steigen aber auf über 2000 Meter an. Diese extremen Höhenunterschiede auf engem Raum schaffen ein ganz eigenes Wettersystem.
Besonders faszinierend wird das im Herbst, wenn die Weinreben in goldgelben Tönen leuchten, während oben an den Felswänden bereits der erste Schnee liegt. Ein Kontrast, den man so wohl nirgendwo anders in der Schweiz findet.
Weinbau mit Schiffsanschluss
Der Weinbau in Quinten hat eine jahrhundertealte Tradition, auch wenn er heute eher symbolischen Charakter hat. Die steilen Rebhänge ziehen sich terrassenförmig den Hang hinauf und prägen das Ortsbild entscheidend. Was den Weinbau hier so speziell macht: Sogar die Weinlese erfolgt per Schiff. Die Trauben werden mit kleinen Booten abtransportiert – eine Logistik, die man sich anderswo kaum vorstellen kann.
Spannend ist dabei auch die Rebsorte: Hier wächst hauptsächlich Müller-Thurgau, eine Sorte, die das milde Klima besonders schätzt. Die Weine haben einen eigenen Charakter, geprägt von der besonderen Lage zwischen See und Berg. Allerdings ist die Produktion winzig – mehr ein liebgewonnenes Hobby als ein wirtschaftlicher Faktor.
Die Weinberge selbst sind übrigens auch für Nicht-Weinkenner sehenswert. Die alten Trockensteinmauern und die handgepflegten Terrassen erzählen von jahrhundertelanger Arbeit in schwierigem Gelände. Manche der Mauern sind so steil, dass einem beim Hinaufschauen schwindelig wird.
Anreise per Schiff: Das ganze Jahr möglich
Die Schifffahrt nach Quinten ist mehr als nur Transport – sie ist bereits Teil des Erlebnisses. Von Murg aus verkehren die Walenseeschiffe das ganze Jahr über, auch im Winter. Die Fahrt dauert etwa 25 Minuten und führt dich entlang der beeindruckenden Felswände der Churfirsten.
Besonders eindrucksvoll wird die Fahrt bei ruhigem Wetter, wenn sich die Bergwände perfekt im glasklaren Wasser spiegeln. Der Walensee gehört zu den klarsten Seen der Schweiz, und bei guter Sicht kannst du bis auf den Grund schauen – manchmal bis in 15 Meter Tiefe.
Im Sommer verbindet der sogenannte Längskurs alle Orte rund um den Walensee miteinander. Du kannst also problemlos von Weesen über Quinten nach Walenstadt fahren oder umgekehrt. Das macht Kombinationen aus Wandern und Schifffahrt besonders reizvoll.
Ein praktischer Tipp: Im Winter fährt das Schiff seltener, dafür ist es deutlich ruhiger in Quinten. Die wenigen Touristen haben dann das Dorf praktisch für sich allein.
Zu Fuß nach Quinten: Der beschwerliche Weg
Wer die Herausforderung sucht, kann Quinten auch zu Fuß erreichen. Der Weg von Weesen her führt über einen schmalen Pfad direkt am Seeufer entlang. Klingt idyllisch, ist aber durchaus anspruchsvoll: Mehrere Bäche müssen überquert werden, und bei schlechtem Wetter kann der Weg rutschig oder sogar gesperrt sein.
Besonders spektakulär ist die Passage an den Seerenbachfällen, die zu den höchsten Wasserfällen der Schweiz zählen. Das Wasser stürzt hier in drei Stufen über 600 Meter in die Tiefe – ein beeindruckendes Naturschauspiel, das die Mühen des Weges vergessen lässt.
Von Walenstadt aus ist der Weg etwas weniger dramatisch, aber auch hier geht es mehrere Kilometer am Ufer entlang. Festes Schuhwerk ist auf jeden Fall Pflicht, und bei Regen oder Schneeschmelze solltest du die Tour lieber verschieben.
Die beste Reisezeit für Quinten
Quinten funktioniert das ganze Jahr über, hat aber je nach Jahreszeit ganz unterschiedliche Reize. Im Frühling lockt das mediterrane Mikroklima bereits mit warmen Temperaturen, wenn anderswo noch Winter herrscht. Die ersten Feigenknospen treiben aus, und die Luft riecht nach Frühling.
Der Sommer ist naturgemäß die Hauptsaison. Dann ist Quinten ein beliebtes Ausflugsziel für alle, die einen entspannten Tag am See verbringen wollen. Das Wasser hat angenehme Temperaturen, und die Schifffahrt ist ein Vergnügen. Allerdings kann es dann auch ziemlich voll werden – zumindest nach Quintener Maßstäben.
Besonders reizvoll ist der Herbst, wenn die Weinlese ansteht und die Rebhänge in goldgelben Tönen leuchten. Der Kontrast zwischen dem warmen Gold der Reben und dem tiefblauen Walensee ist wirklich spektakulär. Dazu kommt, dass die Touristenströme nachlassen und man das Dorf wieder etwas ruhiger erleben kann.
Aber auch der Winter hat seinen Reiz. Quinten liegt dann oft im Nebel, während die Churfirsten-Gipfel in der Sonne glänzen. Eine mystische Stimmung, die ihren ganz eigenen Charme hat. Und die Schifffahrt bei Nebelstimmung ist ein unvergessliches Erlebnis.
Kombinationen mit Wanderungen
Eine der schönsten Arten, Quinten zu erleben, ist die Kombination von Schifffahrt und Wanderung. Du kannst zum Beispiel mit dem Schiff nach Quinten fahren und zu Fuß zurück nach Weesen wandern. Oder umgekehrt: wandern nach Quinten und entspannt per Schiff zurück.
Besonders lohnend ist die Kombination mit einer Wanderung zu den Seerenbachfällen. Diese dreistufigen Wasserfälle sind ein Naturspektakel ersten Ranges und liegen praktisch auf halbem Weg zwischen Weesen und Quinten. Der Aufstieg zu den Fällen ist allerdings nichts für schwache Nerven – es geht steil bergauf über teilweise ausgesetzte Pfade.
Für alpine Naturen gibt es auch Wanderungen von Quinten aus hinauf in die Churfirsten. Diese Touren sind aber nur für erfahrene Bergwanderer geeignet und erfordern eine entsprechende Ausrüstung. Belohnt wird man mit spektakulären Ausblicken auf den Walensee und die umliegenden Berge.
Ein Geheimtipp ist die Uferwanderung bei Morgenstimmung, wenn der See noch spiegelglatt ist und die ersten Sonnenstrahlen die Felswände zum Leuchten bringen. Dann hat man die Wege praktisch für sich allein und kann die Ruhe richtig genießen.