Wie eine Krone thront der Monte Lussari auf 1789 Metern Höhe über dem Kanaltal in den Julischen Alpen. Die Italiener nennen ihn "Monte Santo" – den heiligen Berg. Nicht umsonst. Seit dem Mittelalter pilgern Gläubige aus drei Kulturkreisen zu diesem besonderen Ort im Dreiländereck Italien-Österreich-Slowenien. Im Winter, wenn die Touristenmassen längst verschwunden sind, entwickelt der Berg eine ganz eigene, fast mystische Atmosphäre. Wer die Winterwanderung von Camporosso hinauf zum Gipfel unternimmt, wird mit einer einzigartigen Mischung aus spiritueller Geschichte, alpiner Dorfidylle und einem der eindrucksvollsten Panoramen der östlichen Alpen belohnt.
Der Monte Lussari steht geologisch betrachtet bereits auf slowenischem Territorium, gehört jedoch politisch zu Italien – genauer zur Region Friaul-Julisch Venetien. Dies macht ihn zu einem Sinnbild für die bewegte Geschichte dieser Grenzregion. Römisches Erbe, slawische Siedlungsgeschichte und germanischer Einfluss durch die lange Habsburger Herrschaft haben hier tiefe Spuren hinterlassen. An wenigen Orten lassen sich die kulturellen Überlagerungen so deutlich spüren wie am Monte Lussari, wo seit jeher die Pilgerrouten aus dem italienischen, slowenischen und österreichischen Raum zusammentreffen.
Die Legende vom heiligen Berg
Alles begann der Überlieferung nach im Jahr 1360. Ein Schäfer aus Camporosso hatte einige seiner Schafe verloren und fand sie schließlich auf dem Berggipfel kniend vor einem Wacholderbüschen. Im Gebüsch entdeckte er eine Marienstatue. Dreimal brachte er sie ins Tal, dreimal kehrte sie auf wundersame Weise zurück auf den Berg. Die Bewohner verstanden dies als göttliches Zeichen, bauten eine kleine Kapelle und legten damit den Grundstein für den Wallfahrtsort. Die heute zu sehende Kirche stammt größtenteils aus dem 17. Jahrhundert, nachdem ein Brand den ursprünglichen Bau zerstört hatte.
Heutzutage ist der Monte Lussari im Sommer ein beliebtes Ausflugsziel, das mit der Seilbahn leicht zu erreichen ist. Im Winter aber – wenn Schnee die Landschaft verwandelt und die Seilbahn hauptsächlich Skifahrer transportiert – bietet der Pilgerpfad ein besonderes Erlebnis für Wanderer. Schneeschuhgeher und gut ausgerüstete Winterwanderer können den alten Pilgerweg nehmen, der seit Jahrhunderten Menschen zum Heiligtum führt. Die Mühe des Aufstiegs wird durch die stille Schönheit der winterlichen Bergwelt mehr als aufgewogen.
Der Aufstieg: Von Camporosso zum Gipfel
Ausgangspunkt für die Winterwanderung ist Camporosso (794 m), ein kleiner Ort im Kanaltal, etwa zehn Kilometer von Tarvisio entfernt. Parkmöglichkeiten gibt's direkt bei der Talstation der Seilbahn. Selbst wenn du nicht wandern möchtest – die Seilbahn ist auch im Winter in Betrieb und überwindet auf einer Strecke von knapp 4 Kilometern einen Höhenunterschied von fast 1000 Metern. Im Winter werden die Kabinen vorrangig von Skifahrern genutzt, da am Monte Lussari einige schöne Abfahrten des Skigebiets Tarvisio beginnen.
Der historische Pilgerpfad (Sentiero del Pellegrino) startet wenige Meter neben der Talstation. Im Sommer ist er als Weg Nr. 613 markiert, doch unter der Schneedecke verschwinden die üblichen Markierungen. Was bleibt, ist eine gut erkennbare, festgetretene Spur, der im Winter problemlos zu folgen ist. Knapp dreieinhalb Kilometer windet sich der Pfad durch dichte Nadelwälder bergauf und überwindet dabei etwa 1000 Höhenmeter – eine ordentliche Herausforderung also. Bei Neuschnee oder Vereisung sind Schneeschuhe oder zumindest Grödel (Spikes für die Wanderschuhe) dringend anzuraten. Wenn die Bedingungen passen, ist der Weg aber auch mit gutem Wanderschuhwerk begehbar.
Der erste Teil des Aufstiegs führt durch einen traumhaft stillen Bergwald. Nadelbäume biegen sich unter der Last des Schnees, Sonnenstrahlen brechen durch die Zweige und zeichnen glitzernde Muster auf den weißen Boden. Gelegentlich ziehen Nebelschwaden durch den Wald. Die Stille ist fast greifbar – unterbrochen nur vom Knirschen des Schnees unter den Schuhen und ab und an dem dumpfen Geräusch, wenn Schneelasten von den Ästen fallen. Je nach Schneelage und Tempo sollten für den Aufstieg zweieinhalb bis drei Stunden eingeplant werden. Zeit für Pausen und Fotostopps nicht eingerechnet, denn die wirst du brauchen.
Etwa auf halber Strecke eröffnen sich erste Ausblicke ins Tal und auf die umliegenden Berge. Diese Weitblicke sind Vorgeschmack auf das, was oben wartet. Der Weg wird im oberen Drittel merklich steiler, und die Bäume werden lichter. An klaren Tagen erhaschst du hier den ersten Blick auf die Kirchturmspitze. Diesen Moment vergisst man nicht so schnell – wie ein Wächter ragt der Turm in den blauen Himmel, eine Landmarke, die seit Jahrhunderten Pilgern den Weg weist.
Das Bergdorf: Zeitreise in der Schneekugel
Nach der letzten Kehre öffnet sich plötzlich der Blick auf ein Bilderbuch-Bergdorf. Der Monte Lussari beherbergt kein gewöhnliches Kirchlein, sondern ein ganzes Ensemble aus Wallfahrtskirche, alten Pilgerhäusern und gemütlichen Berggasthäusern. Im Winter wirkt der Ort, als hätte jemand eine riesige Schneekugel darüber ausgeschüttet. Die eng stehenden Häuser mit ihren schneebdeckten Dächern, die geschwungenen Wege und der zentrale Kirchplatz strahlen eine zeitlose Ruhe aus.
Das Herzstück ist die Wallfahrtskirche Santuario della Madonna del Lussari mit ihrem charakteristischen Zwiebelturm. Der schlichte Barockbau besticht durch seine perfekte Einbettung in die alpine Landschaft. Von außen wirkt die Kirche recht unscheinbar, aber der Innenraum überrascht mit reichhaltigem Schmuck und der besonderen Atmosphäre, die jahrhundertelange Pilgerbesuche hinterlassen haben. Die namensgebende Marienstatue steht auf dem Hauptaltar – klein, aber bedeutungsvoll. Täuschend echt wiederum die zahlreichen Votivtafeln an den Wänden, die von wundersamen Heilungen und Gebetserhörungen zeugen.
Bei starkem Schneefall oder tief hängenden Wolken wird der Kirchenbesuch besonders eindrucksvoll. Die weißen Flocken tanzen um den Kirchturm, und das gedämpfte Licht durch die Kirchenfenster schafft eine fast unwirkliche Stimmung. Nach dem anstrengenden Aufstieg ist es ein besonderes Erlebnis, in der Stille des Kirchenraums zur Ruhe zu kommen – ganz gleich, ob aus religiösen Motiven oder einfach, um den historischen Ort zu würdigen.
Ein Panorama der Superlative
Die landschaftliche Lage des Monte Lussari ist atemberaubend. An klaren Wintertagen eröffnet sich ein Rundblick, der seinesgleichen sucht. Nach Norden schweift der Blick über die Karnischen Alpen bis zu den Hohen Tauern mit dem Großglockner. Im Osten dominieren die Karawanken und die Steiner Alpen. Die südliche Aussicht gehört den majestätischen Gipfeln der Julischen Alpen mit dem Triglav, Sloweniens höchstem Berg, als Krönung. Bei extremer Fernsicht kann man sogar die Adria erahnen – ein Blick über drei Länder und vom Hochgebirge bis zum Meer.
Besonders imposant präsentieren sich die nahen Gipfel der Julischen Alpen. Der Mangart (2679 m), der Wischberg (2666 m) und der Montasch (2753 m) bilden eine dramatische Kulisse. Im Winter, wenn ihre schroffen Felswände mit Schnee und Eis überzogen sind, wirken sie besonders majestätisch. Doch auch der Blick ins Kanaltal hat seinen Reiz – wie ein weißes Band schlängelt es sich zwischen den Bergketten hindurch.
Bei der Wahrnehmung dieser grandiosen Landschaft spielt die besondere Luftqualität im Winter eine wichtige Rolle. Die klare, kalte Bergluft lässt Entfernungen schwinden und Farben intensiver erscheinen. Das Sonnenlicht bricht sich in den Schneekristallen und taucht die Szenerie in ein fast überirdisches Leuchten. Um dieses Schauspiel in vollen Zügen zu genießen, solltest du deine Winterwanderung möglichst an einem stabilen Hochdrucktag planen. Die besten Bedingungen herrschen oft nach Durchzug einer Kaltfront, wenn frischer Schnee die Landschaft bedeckt und anschließend die Sonne den Himmel erobert.
Einkehr: Wärme und Genuss nach dem Aufstieg
Nach der Anstrengung des Aufstiegs und dem spirituellen Erlebnis in der Wallfahrtskirche lockt die weltliche Seite des Monte Lussari: mehrere urige Berggasthäuser bieten Rast und Stärkung. Das Rifugio Monte Lussari direkt am Dorfplatz oder das Rifugio Locanda al Convento – alle haben ihre eigene Geschichte und Atmosphäre. Was sie eint, ist die gelungene Kombination aus alpin-rustikalem Ambiente und einer Küche, die die kulinarischen Einflüsse der drei angrenzenden Kulturräume widerspiegelt.
Die Speisekarten lesen sich wie eine Reise durch die Region: Kärntner Kasnudeln treffen auf italienische Pasta und slowenische Štruklji. Rindsgulasch mit Polenta, deftige Würste mit Sauerkraut oder Jota, der typische Eintopf mit Bohnen und Sauerkraut – die Küche ist bodenständig und herzhaft, genau richtig nach einer Winterwanderung. Als Dessert locken süße Verführungen wie Apfelstrudel, Germknödel oder die friaulische Spezialität Gubana, ein gefüllter Hefekuchen. Dazu ein dampfender Jagertee oder ein Glas Rotwein aus dem Friaul – mehr braucht's nicht zum Glücklichsein.
Die Gasthäuser am Monte Lussari haben eine lange Tradition. Manche blicken auf über 300 Jahre Geschichte zurück, denn schon immer brauchten Pilger nach dem Aufstieg eine Bleibe und Verpflegung. In den alten Gewölben mit ihren massiven Steinmauern und knarrenden Holzböden spürt man diese Geschichte. Wenn dann noch der Kachelofen oder ein offenes Feuer knistert und draußen vor den Fenstern Schneeflocken tanzen, wird die Einkehr zu einem fast meditativen Erlebnis.
Übrigens: In den Wintermonaten sind meist nicht alle Gasthäuser durchgehend geöffnet. Vor allem unter der Woche lohnt sich eine vorherige Erkundigung oder Reservierung. An Wochenenden und in den Ferienzeiten herrscht mehr Betrieb, da auch viele Skifahrer zum Mittagessen einkehren.
Praktisches für die Planung
Die beste Zeit für eine Winterwanderung zum Monte Lussari liegt zwischen Dezember und März, wenn eine stabile Schneedecke liegt. Besonders reizvoll zeigt sich der Berg von Mitte Januar bis Ende Februar, wenn die Schneeverhältnisse meist optimal sind. Wer den Pilgerweg im Winter begehen möchte, sollte unbedingt die Wetterbedingungen im Auge behalten. Bei Lawinengefahr, Sturm oder Nebel ist von der Tour abzuraten.
Für den Aufstieg benötigst du warme, wasserdichte Winterwanderausrüstung. Zwiebelprinzip bei der Kleidung ist Pflicht, denn während des Aufstiegs wird dir schnell warm. Oben am Gipfel hingegen kann ein schneidender Wind wehen. Grödel oder Schneeschuhe sind je nach Schneeverhältnissen empfehlenswert. Eine Stirnlampe gehört ebenfalls ins Gepäck, da die Tage im Winter kurz sind. Plane genügend Zeitpuffer ein, um nicht in die Dunkelheit zu geraten.
Alternativ zum Aufstieg zu Fuß kannst du die Seilbahn nehmen. Sie verkehrt im Winter täglich von 8:30 bis 16:30 Uhr, in der Hochsaison auch länger. Eine Kombination ist ebenfalls möglich: Aufstieg zu Fuß und Abstieg mit der Bahn – oder umgekehrt. Letzteres ist besonders bei unsicheren Schneeverhältnissen eine gute Option, da der Abstieg zu Fuß oft rutschiger und anspruchsvoller ist als der Aufstieg.